Wir haben gesehen, dass es eine hellere und eine dunklere Seite der außergewöhnlichen Bewusstseinszustände gibt, doch es soll nicht allein um deren Beschreibung gehen, sondern auch um eine therapeutische und philosophische Einordnung.

Die therapeutische Seite

Holzhütte in Wiese

Sind außergewöhnliche Bewustseinszustände nur ein bescheidenes Haus in der großen Welt? © Carsten Börger

Das therapeutische Spektrum der letzten Jahre ist breiter geworden, man kennt nicht nur andere Möglichkeiten, man wendet sie auch an. Das heißt nicht, dass man alles über den Haufen geworfen hat, was früher seine Gültigkeit hatte, nur kommen jetzt andere Bereiche dazu, die man früher eher gemieden hat. Sowohl die Psychoanalyse der alten Schulde als auch die Verhaltenstherapie haben hohen Wert auf die Verankerung in der Realität gelegt und es gab eine gewisse Scheu sich innerhalb eines Verfahrens zu weit von der Realität zu entfernen. Wenn, so durften Regressionen nur im Dienste des Ich geschehen, was an sich sehr richtig ist, nur kann man guten Gewissens die Leine deutlich länger lassen, wenn man geeignete Rahmenbedingungen vorfindet.

So sagten wir beim letzten Mal: „Mindestens so wichtig wie die außergewöhnlichen Bewusstseinszustände selbst ist die Frage, ob und wie sie verarbeitet werden können. Nach allem was man dazu weiß, gibt es keine allumfassende Antwort darauf, weil das Erlebnis was für den einen eine Erlösung ist, für andere ein Desaster darstellt. Deshalb ist es wichtig auf das Gesamtpaket oder den Kontext zu schauen, in dem außergewöhnliche Bewusstseinszustände stattfinden, sofern sie planbar sind. So hat man bei einigen Praktiken aus dem spirituellen oder aus intensiv regressiven Bereichen in der jüngeren Vergangenheit versäumt, die Menschen aufzufangen und zu erden. Einfachste anspruchsloseste Arbeit und körperliche Aktivität, das Essen von schwerer, deftiger Nahrung und dergleichen, sowie ein Kreis kompetenter Menschen, die die Erfahrungen kennen, sind gut geeignet um wieder in der Normalität anzukommen.“[1]

Der Psychotherapeut sollte mindestens theortisch, besser natürlich praktisch mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen vertraut sein, um nicht unangemessen zu reagieren, wenn ein Patient ihm von seinen Erfahrungen berichtet.

Psychoaktive Substanzen

Innerhalb der psychotherapeutischen und ärztlich Arbeit hat man es manchmal etwas absurden Situationen zu tun. Auf der einen Seite werden Patienten sogenannte psychoaktive Substanzen, trotz des Wissens um nicht geringe Nebenwirkungen in erheblichem Umfang verabreicht (denken wir an Opioide in der Schmerztherapie oder SSRI Präparate bei Depressionen), auf der anderen Seite werden einige Substanzen genau deshalb gemieden, weil sie psychoaktiv sind, wie der Wirkstoff des Cannabis THC oder andere „Drogen“, wie LSD. Es spukt irgendwo noch das Bild im Kopf herum, dass man sich dabei wohl in Kreisen unverantwortlicher Menschen befinden würde, deren einziges Interesse eine hedonistische Lust am Zudröhnen ist, wohingegen man die nicht selten knallharten Umsatzinteressen auf Seiten des Wirtschaftszweiges Medizin erstaunlich gelassen sieht.

Ein anderer Einwand ist, Drogenerfahrungen seien nicht real. Dieses Argument ist jedoch nur bedingt richtig, denn mit einer fachmännisch dosierten Gabe kommt man in unterschiedliche Tiefen von Erfahrungen, auch hier ist das begleitende Umfeld wichtig. Die Verankerung in der Realität ist jedoch gerade jener Bereich, der heute anders gesehen wird, als noch vor einigen Jahrzehnten. Zwar muss es ein stabiles Ich als ordnendes Ganzes geben und die Ich-Schwäche zu beseitigen ist nahezu immer eine therapeutisches Ziel, aber man kann heute mit den diversen Winkeln und Nischen unserer Psyche viel besser umgehen, als das vor eigens Jahren noch der Fall war.

Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen zeigen was möglich ist, die entscheidende Frage ist auch hier die des Settings, in einem Umfeld von Menschen, die sich auf dem Gebiet auskennen. Ist dies Gegeben, können Realität und Phantasie bestens kooperieren. Doch das Thema bleibt auch wegen der Genehmigungen schwierig, weitere Infos hier.

Das innere Haus

Endlich, möchte man sagen, ist die Forschung „innen“ angekommen. Und damit ist nicht nur die Psychologie oder Psychotherapie gemeint. Unsere therapeutische und philosophische Einordnung zeigt ja bereits im Titel, dass der Rahmen hier weiter gezogen werden muss. Neben psychologischer Forschung und philosophischer Einordnung, haben wir noch den Bereich der Hirnforschung, der inzwischen von seinem merkwürdigen Allwissenheits-Status gesund geschrumpft wurde und sich als hilfreiches Verfahren etabliert hat, das uns neue Einblicke ermöglicht. Auch in der Medizin wird das was schon länger bekannt ist inzwischen in vielen Bereichen umgesetzt.

Dabei ist ein Konfliktherd wesentlich entschärft worden. In der Vergangenheit war es so, dass sich die Vertreter der Wissenschaft aufgerufen fühlten, einen Großteil dessen, was unter dem Schlagwort „alternative Medizin“ lief, als Unsinn zu brandmarken, was aus Sicht des oft streng wissenschaftsgläubigen Weltbildes viele Protagonisten auch Sinn ergab, nur galt das wissenschaftliche Weltbild eben als gesetzt und Vertreter dieses Weltbildes kamen nicht mal im Traum auf die Idee das Weltbild als solches zu hinterfragen. Wer vor 20 Jahren sagte, er sei nur an Fakten interessiert, der Rest sei ohnehin „Geschwurbel“ (wie ein beliebter Terminus in diesen Kreisen lautet), der konnte noch mit Schulterklopfern rechnen, doch nach und nach traten mehrere bedeutende Auflösungsprozesse ein:

  • Bis kurz vor der Jahrtausendwende galt der Behaviorismus mit der Verhaltenstherapie in der Psychologie als die alles dominierende Richtung, auch weil sie als die (angeblich) einzig wissenschaftliche Form der Psychologie gut vermarktet wurde, die obendrein alles viel schneller und effektiver lösen sollte. Das hat sich geändert, denn längst sind auch die therapeutischen Grenzen des Behaviorismus erkannt, seit man sie kennt, schneidet er auch in den Studien nicht mehr so gut ab, doch alles in allem hat sich auch die Verhaltenstherapie drastisch geändert. Tiefenpsychologische Elemente sind längst in die Verhaltenstherapie mit eingeflossen und anders herum profitierten auch psychodynamische Verfahren von den Erkenntnissen der verhaltenstherapeutisch arbeitenden Kollegen.
Palast, orangene Wolke

Unser inneres Haus nimmt im Licht neuer Forschungen erstaunliche Dimensionen an. © Sharada Prasad CS under cc

Die das ist nur ein Randbereich, es kam noch dicker, die Wissenschaft selber wurde suspekt und zwar gleich in mehreren Bereichen:

  • Wissenschaft als Ideologie: Die Wissenschaft wurde häufig in einem Atemzug mit den Ideen der Aufklärung genannt. Ziel der Aufklärung war wesentlich, den Menschen zu befreien, auch aus dem so empfundenen Würgegriff der Religionen und der sozialen Asymmetrien und Ungerechtigkeiten, ihn anzuregen, selbst zu denken, kritisch zu denken und dies auch ernst zu nehmen. Einige Lautsprecher der Wissenschaft haben es in den letzten Jahren übertrieben und sind selbst einer szientistischen und nicht selten fundamentalistischen Ideologie verfallen. Der mit ideologischer Wut geführte Kampf vor allem gegen Religionen, aber auch gegen alles, was ihnen als Unsinn und religiöses Denken erschien wurde mit Mitteln geführt, die unter neutralen Beobachtern nur noch Kopfschütteln auslösten, was zu Sätzen führte wie: „Es gibt keinen Gott und Richard Dawkins ist sein Prophet.“ Und trotz aller Projektion von Erlösunsgphantasien auf die Wissenschaft und transhumanistischer Träume, ist davon weniger umgesetzt worden, als man meint.
  • Forschungsinteresse und Kapital: Galt die Wissenschaft als unparteiisch, so gibt es in letzter Zeit immer mehr Erkenntnisse über die enge Verflechtung von Wirtschaftsunternehmen als Auftraggeber von Studien und der Wissenschaft, eine Entwicklung die Anlass zur Sorge gibt. In der Medikamentenforschung sind 90% aller Forschungen von der Pharmaindustrie finanziert: „Es ist derzeit gängige Praxis, dass negative Studienergebnisse nicht veröffentlicht werden, so dass die Belege, auf denen unsere Entscheidungen in der Medizin basieren laut Aussagen unabhängiger Fachleute systematisch verfälscht werden, um den Nutzen der verwendeten Medikamente aufzubauschen und die Schäden zu verharmlosen.“[2]
  • Das wissenschaftliche Weltbild war im Grunde von Beginn an ein wissenschaftlich-technisches Weltbild, denn wesentliche Teile des Siegeszuges der Wissenschaft waren darauf zurückzuführen, dass man praktischen Ersatz für die entstandene Lücke anbieten konnte und diese Möglichkeit der praktischen Umsetzung war es, der die Menschen überzeugte. Man musste nicht groß argumentieren, die Vorteile lagen für alle auf der Hand. Es war immer die Stärke der Technik weiter zu forschen und zu entwickeln. Mochten die Weltanschauungen sein, wie sie wollten, die Technik und ihre Errungenschaften standen ein Stück weit außen vor und überzeugten durch Leistung und die Abstimmung mit den Füßen. Ein Produkt kam an, oder eben nicht und wo es ankam, bedeutete es fast immer Lebensverbesserung. Doch erstens wird mehr Technik heute nicht mehr zwingend mit einer Lebensverbesserung assoziiert, zweitens kennen wir etliche Fälle von Betrug in einem größeren Stil, die mit technischen Geräten und ihren Eigenschaften einhergehen, so dass die Konstante Technik ebenfalls ins Wackeln gerät. Einige Probleme sind in der Reihe Roboter und Psyche, Kollektive Kränkungen, Mediensucht und Pornosucht (demnächst bei uns) angesprochen, sowie in der Diskussion des Einbruchs, den es bedeutet, wenn Vertrauen verloren geht.

Ein Teilsieg der wissenschaftskritischen Fraktion, der dennoch bitter schmeckt, denn er trägt ein Stück weit auch dazu bei, dass niemand mehr irgendwem etwas glaubt und das ist ein Zustand der dauerhaft nicht angenehm ist und aktuell unter „postfaktisch“ kursiert, was bedeutet, dass alte Hierarchien und Strukturen wegbrechen und das geht in aller Regel zunächst mit regressiven Bewegungen einher.

Eine merkwürdige Spannung geht jedoch auch damit einher. Wir leben in Zeiten der Verunsicherung in denen eine Asymmetrie spürbar wird. Es geht uns immer besser, bekommen wir gesagt, aber das geht nicht mit dem Gefühl vieler Menschen einher und dabei sind nicht einmal die Abgehängten der Gesellschaft gemeint. Man hat das Gefühl, dass, der Mensch irgendwie stört und einfach zu blöd oder verwöhnt ist um einzusehen, wie gut es ihm eigentlich geht. Doch ich glaube, dass dieser Mythos insgesamt fragwürdig ist, ohne das an dieser Stelle vertiefen zu wollen, es sei lediglich darauf hingewiesen, dass wir Menschen offenbar nicht nur nach der Erfüllung äußerlicher Bedürfnisse streben, womit wir den Blick wieder auf unser inneres Haus und die außergewöhnlichen Bewusstseinszustände richten.

Was Psychotherapeuten sich fragen müssen

Eine therapeutische und philosophische Einordnung hat sich immer die Frage zu stellen, ob man das, was es zweifellos gibt, auch systematisch reproduzieren kann. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Mannigfaltigkeit der inneren Eindrücke immer wieder auch einen dramatisch verwandelnden Charakter hat, in Träumen, Phantasien, Drogenerfahrungen, Grenzerfahrungen, Nahtoderfahrungen, beim künstlerischen Ausdruck, in der Meditation, in spontanen Visionen. Das ist die eine Hälfte, deren Existenz und mitunter heilendes Potential wohl niemand bezweifelt. Das Problem besteht für die systematische Forschung immer darin, die Effekte, die es bei Einzelpersonen gibt, vielen Menschen zuverlässig zugänglich zu machen.

Unser inneres Haus besteht aus mehreren Stockwerken und Zimmern. Wir haben ein solides Erdgeschoss in dem im idealen Fall alles recht normal abläuft. Die Aufgabe eines Psychotherapeuten ist in vielen Fällen nicht dem Menschen seine Einzigartigkeit zu zeigen, sondern ihn gleichzeitig auch in das normale Leben einzufädeln und das normale Leben ist tatsächlich reichlich normal, bieder, manchmal langweilig, aber eben dadurch auch ungeheuer stabilisierend. Viele, die sehr viel Wert auf ihre Individualität und Einzigartigkeit legen, habe große Schwierigkeiten dieser biederen Normalität zu entsprechen und das heißt, liebes- und arbeitsfähig zu sein.

Gerade wenn es um außergewöhnliche Bewusstseinszustände geht, ist es wichtig, dieses Erdgeschoss gut funktionierend zur Verfügung zu haben und überall dort, wo man traditionell Ausflüge in Bereiche außergewöhnlicher Erfahrungen machte, wurde dafür gesorgt, dass man ein stabiles Umfeld hatte, innen, wie außen. Fasten, Reinigungsrituale, Körperübungen, einfachste Tätigkeiten und oft ein karges Leben gehörten dazu, etwas, von dem man dachte, darauf käme es nicht an, das sei überflüssiges Beiwerk und was man immer wieder mal gestrichen hat, zugunsten der eigentlich spannenden Erfahrungen, doch der Schuss ging dann oft nach hinten los. Es ist nicht gut, wenn man unvorbereitet irgendwelche Türen öffnet.

Und so hat unser inneres Haus noch einen Keller, in dem wir uns gewöhnlich nicht so gerne aufhalten, weil es staubig und muffig sein könnte, eng, dunkel und eventuell unaufgeräumt oder einfach voll von Dingen ist, die wir dort irgendwann mal abgestellt haben und sie vergaßen oder vergessen wollten.

Die außergewöhnlichen Bewusstseinszustände entsprechen am ehesten (aber nicht nur) dem Ausblick aus den oberen Etagen, dem Genialen und Visionären in uns, das oft mit dem Problem verbunden ist, nicht so richtig im Leben verankert zu sein. Wenn jemand dies nicht ist und sich auf all die Bereiche stürzt, in denen er nun auch noch gesagt bekommt oder liest, dass im Grunde jeder ein Genie ist und unendliches Potential hat, dann wird es unangenehm.

Leider gibt es die grobe psychologische Faustregel, dass diejenigen, die über die Maßen an sich zweifeln, noch das kleinste Haar in der eigenen Suppe suchen und damit oft verhindern wirklich mal durchzustarten und ihre Visionen zu leben, oft gut daran täten loszulegen und sich zu vertrauen, während diejenigen, die über ein Buch nach dem anderen über ihre Besonderheit verschlingen die Einordnung in die Normalität viel zu langweilig finden, genau jene Menschen sind die davon profitieren würden. Der Schatten ist nicht immer die eigene Großartigkeit oft auch die Konfrontation mit der eigenen Durchschnittlichkeit und Normalität. Das muss der Psychotherapeut auf dem Schirm haben und daher Klienten oft eher einbremsen und auf Solidität und Normalität bestehen. Das gilt auch für außergewöhnliche Bewusstseinszustände, die zu erleben vor allem dann Sinn macht, wenn der Rest stimmt und in Ordnung ist.

Der Psychopompos

Hermes Statue

Hermes ist einer der Seelenführer und wenn man so will, der Schutzpatron der Psychotherapie. © Francisco Anzola under cc

Es gibt kaum mehr Rituale der Heilung, die uns noch verbinden und in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft, gibt es immer weniger gemeinsame Nenner und gemeinsame Aktivitäten, die wir teilen und Werte, denen wir uns verbunden fühlen. In Narzissmus in der Gesellschaft wurde das ausgeführt. Dabei handelt es sich dabei lediglich um das gesellschaftliche Spiegelbild einer inneren Instanz, auf die man sich verlassen kann, auch dann, wenn äußere Kontrolle wegfällt. Dies ist nicht nur eine strafende oder kontrollierende Instanz, sondern es sind innere Freunde und manchmal auch ein innerer Wegbegleiter, ein Begleiter der Psyche, ein Psychopompos, der eigentlich die Seele ins Totenreich geleitete, aber immer wieder auch im Leben auftaucht, wie zum Beispiel in Vergil in Dantes Göttlicher Komödie.

Der Psychotherapeut ist ebenfalls ein Begleiter durch die inneren Reiche, seltener durch das Jenseitsreich (wobei das in der Reinkarnationstherapie[link] durchaus Standard ist), wohl aber durch das Schattenreich und natürlich können sich beide überschneiden, da die Angst vor dem Tod noch immer eine unserer tiefsten Ängste ist. Wenn sich also heute die psychologische Forschung dieser Themen annimmt, dann greift sie im Grunde eine alte Tradition wieder auf, nur mit einem neuen, wissenschaftlichen Anspruch. Und der ist beileibe nicht schlecht, denn im besten Sinne bedeutet er zu verstehen, was man machen muss um bestimmte innere Zustände beim anderen auszulösen oder zumindest wahrscheinlicher zu machen und zu wissen, wem das, unter welchen Bedingungen hilft und wem es eher schadet. Dazu muss der Kleinkrieg zwischen den Fraktionen beendet werden und genau das war in den letzten Jahren der Fall. Wie in einer Paartherapie ist es irgendwann nicht mehr hilfreich zu ergründen, wer denn nun eigentlich angefangen hat, sondern man muss sich der Frage zuwenden, ob man eine gemeinsame Zukunft haben will.

Und die Zukunft sieht so aus, dass wir heute viel breiter aufgestellt sind, als früher. Galt es früher als ausgemacht, dass Psychoanalyse eine antireligiöse Einstellung war, so ist das heute genauso überwunden, wie die antiwissenschaftliche Einstellung. Auf der anderen Seite werden Elemente der aufdeckenden und imaginativen Verfahren, die ihre Wurzeln in Meditationen oder schamanischen Elementen haben, in die Heilung integriert und das nicht nur auf der psychischen sondern auf der körperlichen Ebene, wenn man diese Trennung überhaupt aufmachen will und wenn sie noch zeitgemäß ist.

Denn so sehr man in den letzten Jahren die Disziplinen getrennt hat, um der besseren Systematik willen, so sehr erkennt man in vielen Bereichen, dass man wieder zu einer Synthese zurückfinden muss. Das macht die Psychosomatik die selbst längst in Unterbereiche aufgespalten ist, die langsam, aber sicher zu einander finden. Mit Christian Schubert findet man jemanden, der den Bereich der Psychosoamtik systematisch erforscht hat und dazu ein Buch mit dem Titel „Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie“ veröffentlicht hat.

Die Traumatherapeutin Luise Reddemann ist im besten Sinne realistisch und geerdet, weiß, was schweres Leid bedeutet und arbeitet gerade deshalb auch auf einer imaginativen Ebene.

Aus einer anderen Ecke stößt die wissenschaftliche Placeboforschung hier neue Türen auf. Die Professorin für Neurologie Ulrike Bingel untersucht systematisch den Placebo- und Nocebo-Effekt, der bei der Verabreichung von Medikamenten seinen Ausgangspunkt hat, aber dort längst nicht endet. Wie weit er reicht, sehen sie in einer Fernsehsendung zum Thema, mit Ulrike Bingel als Gast.

All diese Bereiche und noch etliche mehr fließen ineinander zu einer Synthese von neuen und alten Ansätzen, die oft beschworen wurden, aber nun in der Praxis Fuß fassen.

Systematische und begleitete Reisen nach Innen

So gibt es heute viele verborgene Räume im inneren Haus, die man entdeckt hat und inzwischen sogar gut kennt. Klaus Ulbrich, der Begründer der Individuations-Therapie erläutert uns hier wie Trance, Hypnose und Hypnotherapie zusammenhängen und nimmt uns mit durch weitere Räume des inneren Hauses.

Auch der Traum hat eine eigenartige und neue Geschichte. Freuds Durchbruch war sein Buch Die Traumdeutung und der von ihm so genannte Königsweg zum Unbewussten war der Traum, bis dieser als eine Art sinnloses Hirngewitter fehlgedeutet wurde und heute wieder Bestandteil einer systematischen Forschung ist, mitsamt seinen skurrilen Elementen wie den Klarträumen, über die uns die Yogis schon seit langer Zeit berichten.

Psychotherapeuten die mit inneren Bildern und imaginativen Verfahren arbeiten berichten nicht selten, dass sie mit ihren Klienten in Trance gehen und manchmal sogar deren Bilder sehen können, was eine auch für Therapeuten eigenartige Erfahrung ist. Das wirft natürlich Fragen über die Subjektivität innerer Bilder auf. So wie die Schamanen mitunter stellvertretend für jemanden in Trance gehen konnten und sich „Tipps“ aus der jenseitigen oder Geisterwelt holten, so gibt es auch heute alle Mischformen, so dass ein Klient allein oder zusammen oder ein andere für ihn in Trance geht.

Die Trance kennt verschiedene Tiefengrade, die man als Begleiter sowohl subjektiv bemerkt, als auch mit objektiven Messmethoden, wie Hautwiderstandsmessern oder neuerdings dem fMRT nachvollziehen kann. Neben der kompetenten Begleitung bei der eine nicht unerhebliche Frage die ist, ob der Begleiter sich in diesen Welten auskennt: es bringt nicht viel, wenn ein Begleiter, der die Situation nicht kennt, in Panik gerät, weil derjenige, den er begleitet gerade erzählt, dass er gestorben ist und seinen Körper da liegen sieht. Jemand der in diesem Bereich Erfahrungen gesammelt hat, wird das offen erzählen und auch über weitere Fragen nicht böse sein.

Wirkt das eigentlich?

Die Frage ist berechtigt und wichtig. Mehr und mehr stellt sich heraus dass innere Überzeugungen immens wirksam sind. Und das nicht nur psychisch, so in dem Sinne, dass man manchmal die Idee hat, die Psyche sei ein von der Welt abgekapselter Bereich irgendwo „da drinnen“, sondern natürlich wissen wir, dass die Psyche mit dem Körper interagiert, wie wir eben noch mal ausführten und damit nicht genug, unsere Gestimmtheit hat natürlich auch einen Einfluss auf unsere Mitwelt, schon durch die Spiegelneuronen.

In dem obigen link zur Placeboforschung von Prof. Ulrike Bingel ist etwa die Rede davon, dass die Wirkung eines stark wirksamen Schmerzmittels durch Überzeugungen komplett aufgehoben werden kann, der Anteil an der Wirksamkeit einer Kopfschmerztablette liegt zu etwa 50% daran, dass man überzeugt ist, dass sie wirkt. Nur muss man eben überzeugt sein und nicht jeder ist von allem in gleicher Weise überzeugt, eine Idee, die in der Weltbild-Methode aufgegriffen und ausformuliert wurde.

Besonders prägnant begegnet uns das Phänomen bei Nahtoderfahrungen, in denen, egal wie man ihr Zustandekommen bewertet, das subjektive Erlebnis in einem sehr hohen Maße geeignet ist und die Angst vor dem Tod zu nehmen und das auch noch bei gleichzeitiger größerer Wertschätzung des Lebens.[3]

Kurz und gut, kann man die Frage, ob das Erleben außergewöhnlicher Bewusstseinszustände wirksam ist, mit einem klaren Ja beantworten, mitunter ist es dazu geeignet jahrzehntelange Sichtweisen zu verändern. Doch nicht immer reicht es, eine außergewöhnliche Erfahrung zu machen um dann automatisch ein besserer oder gesünderer Mensch zu werden, manchmal kann die Ausgangssituation sogar noch verschlimmert werden. Erlebt jemand mit einem sehr labilen Ich außergewöhnliche Bewusstseinszustände, kann das sein Ich komplett destabilisieren, allerdings ist auch das kein Automatismus und wie oben erwähnt, ist das Umfeld hier sehr wichtig. Wenn man weiß, wie man jemanden erdet, sieht bereits vieles anders aus.

Die Synthese aus psychischer Entwicklung, kompetentem Umfeld, konkreter Erfahrung und Deutung, spielen hier zusammen. Unterm Strich kann man die Bedeutung dieser Räume im inneren Haus kaum zu hoch einschätzen. Es gibt tatsächliche Meister dieser inneren Räume und das sind nicht nur Psychologen oder Neurologen, sondern vor allem auch jene Menschen, die diese Wege nach Innen systematisch gegangen sind, oder um im Bild zu bleiben, auch die verborgensten Räume, Kammern und Winkel des inneren Hauses besucht und eine Zeit bewohnt haben.

Die therapeutische und philosophische Einordnung der außergewöhnlichen Bewusstseinszustände fällt für die therapeutische Seite so aus, dass sie auf jeden Fall wirksam sind, systematisch weiter erforscht und stärker in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet werden sollten, weil es nicht mehr darum geht, ob hier etwas wirkt oder nicht, sondern, wie man es zum Wohle der Menschen nutzen kann und hier sollte sich ein nicht ideologischer und nicht monetärer Trend weiter etablieren.

Doch die therapeutische und philosophische Einordnung hat noch eine andere, nämlich philosophische Seite, die nicht minder spannend ist und deren Bewegungen wir hier schon seit geraumer Zeit mit verfolgen.

Wie echt ist das alles?

Frau auf Liege, vor Fenster, Messgerät

Reisen nach Innen können zum Teil objektiviert werden, hier mit einem Hautwiderstandsmessgerät © Carsten Börger

Die Frage, ob etwas wirksam ist, steht auf dem einen Blatt, aber philosophisch ist daraus noch nicht abzuleiten, dass das, was wirkt, auch wahr ist. Das einfachste Beispiel liegt darin, dass man einen Menschen auch durch Lügen stark beeinflussen kann. So ist die erste Frage die, nach der Wahrheit, danach, wie echt das denn alles ist.

Wir alle sind auf eine bestimmte Art kulturell geprägt und vermutlich ist es recht normal die eigene Prägung nicht als solche zu betrachten und damit weniger als Möglichkeit, sondern als Wahrheit, die eben so ist. Etwas eher als Wahrheit, denn als Möglichkeit zu sehen, ist psychologisch sinnvoll, weil es eine größere Sicherheit und Stabilität bedeutet – irgendwelche Erklärungen und seien sie noch so simpel, sind besser als keine Erklärungen – und so gibt es einiges, von dem eine durchaus gebildete Mehrheit überzeugt ist. Nur, ist das, was psychologisch sinnvoll ist, nicht zwingend wahr.

Diese gebildete Schicht findet sich im Allgemeinen im Weltbild des Naturalismus wieder. Der Naturalismus ist in aller Regel ein reduzierender Ansatz, der auf einen Physikalismus zurück geht. Die physikalistische Postion besagt, dass letztlich alles auf physikalische Prozesse zurückzuführen ist. Es gibt hier allerlei Feinheiten, denen wir uns an dieser Stelle nicht widmen können.

Zu dieser Position gibt es neuerdings eine Gegenposition, die sich Neuer Realismus nennt und die besagt, dass man einfach nicht sagen könne, dass alles letztlich physikalisch sei, etwa, wenn man von logischen oder mathematischen Größen ausgeht, aber auch Normen und Werten wird abgesprochen in letzter Konsequenz auf Physik zurückführbar zu sein. Der Neue Realismus in der Version des jungen deutschen Philosophieprofessors Markus Gabriel will ontologisch sein (sagen, wie es ist) aber nicht metaphysisch. Gabriel meint damit, dass es nicht eine große metaphysische Erzählung gibt, die alle Bereiche des Weltgeschehens umfasst, weder logische, noch physikalische oder sonstige Erklärungen. Statt dessen vertritt er einen ontologischen (wie es ist) und erkenntnistheoretischen (wie es zu erklären ist) Pluralismus. Es gibt, laut Gabriel, nicht die Welt als ein Ganzes und nicht als physikalisches Ganzes der Naturwissenschaften und sagt: „Will man die Frage nach „Existenz“ vorurteilsfrei oder neutral angehen, ist es deshalb ratsam nicht schon von Vorannahmen darüber auszugehen, was man für wirklich hält.“[3] So sieht er, was wiederum für uns interessant ist, es als sein „zentrales Anliegen“ an, „Weltbilder prinzipiell aus den Angeln zu heben“.[4] Damit meint er solche, die vorgeben, die Welt als ein Ganzes zu beschreiben.

Der Neue Realismus und die Weltbild-Methode

Nun habe ich meine Methode zur Hilfe bei chronischen Schmerzen zwar Weltbild-Methode genannt, meine im Kern aber etwas sehr ähnliches wie Markus Gabriel, nämlich, dass sich die Wirksamkeit von Überzeugungen und damit auch von Placeboeffekt und Noceboeffekt, von psychosomatischen Zusammenhängen und natürlich außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen und deren Einordnung, stark nach dem zugrunde liegenden Weltbild richtet, das seinerseits auch mit der psychischen Entwicklung korreliert. Kurz gesagt: Überzeugt zu sein ist immer eine gravierender Faktor (zum Guten oder Schlechten), aber nicht jeder ist von demselben überzeugt, ein Pluralismus der Weltbilder auch hier.

Die Paradoxie der Wirksamkeit

Gerade wenn es um den Aspekt der Wirksamkeit geht finden wir nämlich eine eigenartige und bislang kaum erklärte Paradoxie. Wir wissen, dass Tabletten wirken und versuchen das pharmakologische Wirkprinzip zu erklären, etwa, dass dieser Rezeptor blockiert oder jene Substanz freigesetzt wird. Wir wissen aber auch, dass es bedeutsame nichtpharmakologische Effekte gibt, Placeboeffekte und psychologische Effekte, die auf Deutungen beruhen.

„Allgemein weisen Ergebnisse aus experimentellen Schmerzuntersuchungen und Studien zu Parkinson darauf hin, dass Prozesse wie Schmerz und motorische Kontrolle hauptsächlich durch die Erwartungen des Patienten verändert werden. Im Gegensatz dazu scheinen biochemische Prozesse, wie zum Beispiel die Freisetzung von Hormonen oder Immunfunktionen, vor allem durch Konditionierung beeinflusst zu sein. Außerdem konnte für andere autonome Funktionen, zum Beispiel im gastrointestinalen System, gezeigt werden, dass diese sowohl von Konditionierung als auch von Erwartung moduliert werden.

Trotz intensiver Forschung stehen noch einige Fragen zum Beitrag der beiden Effekte offen und es bedarf noch weiterer, vertiefender Forschung zu diesem Thema.“[6]

Aber was ist die Natur, vor allem von Erwartungen? Warum erwartet A das, was B nicht erwartet und was sind Erwartungen physikalisch oder neurobiologisch? Neurobiologisch hat man ähnliche biochemische Abläufe bei Erwartungen der Wirksamkeit von Placebo-Medikamenten gefunden wie bei „echten“ Medikamenten.[7]

Die entscheidende philosophische Frage zur Echtheit oder Wahrheit all dieser Effekte ist im Grunde die, ob man ihre Wirksamkeit im Rahmen eines naturalistischen Ansatzes erklären kann. Und erklären heißt mehr, als eine Ähnlichkeit neurologischer Zustände festzustellen, denn eine solche Erklärung wäre zirkulär. A ist überzeugt, weil die Hirnregionen, die bei Überzeugungen aktiv sind, bei ihm aktiv sind. Das ist eine Korrelation, erklärt aber nichts. Ist das was da fehlt aus der Welt der Biochemie oder Physik heraus zu erklären? Markus Gabriel zweifelt daran, denn um bestimmte Hinweise anzuerkennen, zum Beispiel, dass neuronale Aktivitäten eine Erklärung sein könnten, ist die Akzeptanz bestimmter Prämissen nötig, die man nicht akzeptieren muss.

Es sind die außergewöhnliche Bewusstseinszustände, die immer wieder Fragen aufwerfen. Manche können wir in Ansätzen erklären, manche mögen Zufälle sein (falls es echte Zufälle gibt), manche sind momentan, im Rahmen naturalistischer Modelle, unerklärlich. Doch so außergewöhnlich sie sein mögen, sie treten eben immer wieder auf, bei vielen Menschen mehrfach und sie werden immer besser dokumentiert.

Wenn per definitionem wirkungslose Substanzen wirken, wenn man im Rahmen außergewöhnlicher Bewusstseinszustände auch auf die Resultate der Erlebnisse schaut, dann wurde der Ruf nach einem anderen Erklärungsansatz zwar schon früher laut, aber heute kommt er zusätzlich aus anderen Ecken, aus der Psychologie und aus der Philosophie selbst.

Eine andere Frage betrifft die ethische Seite und die schwierige Frage, ob wir all das tun dürfen, was eventuell hilft, auch dann, wenn es nicht dem entspricht, was man für wahr halten würde. Eine ethische durchaus brisante Frage, die aber eng mit der Frage zusammenhängt, was wahr ist und in diesem Feld ist aktuell Bewegung, in der Weise, dass einige meinen, es gäbe Bereiche je eigener Wahrheiten für die Anhänger bestimmter Einstellungen und Weltbilder.

Ausblick

Steinweg,  Meer, wolken, Baum

Wohin geht die Reise? Wir müssen einen Sprung ins Unbekannte wagen. © Carsten Börger

Wir stehen am Anfang einer Bewegung in der Elemente aus diversen Bereichen in ein neues Verständnis von Heilung, Psyche und auch Weltgeschehen und der Verbindung dieser Bereiche unter einander haben. Verfahren, die vor Jahren unter Esoterik liefen, werden heute systematisch erforscht und eingebettet, die Techniken alter Weisheitssysteme gehören heute oft zum Standardrepertoire moderner medizinischer Ansätze, wenn man etwas die MBSR anschaut. Der weitgehend kritische bis offen ablehnende Blick auf Religionen gehört in weiten Teilen der modernen Psychoanalyse der Vergangenheit an, gleichzeitig kooperieren die offenen Religionsführer mit der Wissenschaft.

Der Gang der Dinge ist eigentlich immer der, dass wir zunächst impliziten Regeln folgen, die wir beherrschen, ohne genau sagen zu können, warum wir eigentlich können, was wir können. Im Nachgang wird daraus ein Weltbild, was sich vortastet und in Probeläufen inzwischen Konturen annimmt. Die therapeutische und philosophische Einordnung wird aktuell neu justiert und kann demzufolge nur eine vorläufige sein, was bedeutet, dass wir live und in Farbe an der Entwicklung teilhaben.

Eine Weltsicht, in der die Subjektperspektive viel ernster genommen wird als in den letzten Jahrzehnten, in der der Tatsache, dass wir großenteils inneren Wesen sind Rechnung getragen wird, in der klar wird, was alles im Ich oder in der Psyche zusammenfließt und verarbeitet wird, in der untersucht werden muss, wie weit die weltverändernde Rolle des Inneren geht. Dass man mit einer inneren Einstellung die eigene Körperchemie ändern kann, ist klar und zigfach untersucht. Dass man andere Menschen beeinflusst ebenfalls. Lachen, Weinen, Depressionen und sexuelle Erregung können anstecken. Wir kommunizieren auf diese Art auch mit Tieren, unsere Haustieren merken oft, wie es um uns steht. Wo genau ist die Grenze? Beeinflussen wir auch die sogenannte tote Materie? Wo genau sind eigentlich die Welten der Logik zu finden? Oder die der Schönheit? Wie real sind spirituelle Erfahrungen und außergewöhnliche Bewusstseinszustände?

Die therapeutische und philosophische Einordnung zeigt, dass einer pragmatischen Offenheit im therapeutischen Bereich eine Anzahl größerer Fragen im philosophischen Bereich gegenüber steht. Doch immer wenn man dachte, nun sei die Philosophie am Ende, zeigte sie ihre wahren Stärken und Zeitzeugen einer neuen Epoche zu sein, ist auch nicht nur schlecht.

Quellen: