Unsere Sonne

Seit Ewigkeien geht regelmäßig die Sonne auf. Doch der Schluss, dass das immer so bleiben wird, ist falsch. © NASA Goddard Space Flight Center under cc

Nachdem wir dargestellt haben, was Wissenschaft nicht ist, gilt es einen bedeutenden Sprung, die wissenschaftlich-technische Revolution selbst nachzuzeichnen.

Es ist nicht so ganz richtig, dass die Wissenschaft den großen Gegensatz zu religiösen Bildern darstellt und die beiden sich feindlich gegenüber stünden. Im Gegenteil, die Wissenschaft hat in mythischen und religiösen Weltbildern ihren Platz gehabt und ist dort praktiziert und protegiert worden. Es galt nur eine Art Stillhalteabkommen. Alles durfte erforscht werden, solange der zentrale religiöse Mythos der Gesellschaft nicht infrage gestellt wurde.

Man kann den Weltraum beobachten, Tiere erforschen und Chemie betreiben und dennoch der Meinung sein, Gott habe diese wunderbare Welt erschaffen. Es gab immer Stimmen, die sich gegen die Götter und die Mythen erhoben. Populär ist bei uns Sokrates, der als Philosoph genau das tat. Doch die Integrationskraft der Religionen war groß und überragte vermutlich sogar die Kraft ihrer Unterdrückung. Und so lebten Religion und Wissenschaft in friedlicher Koexistenz, bis eines Tages alles anders war.

Die stille Revolution

Die Wissenschaft hat nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Seite und vermutlich ist diese es in einem hohem Maße gewesen, die dem wissenschaftlich-rationalen Weltbild zum Durchbruch und zu seinem Siegeszug in Europa verholfen hat. Diese Praxis zeigt sich am ehesten in der nun immer mehr Menschen zugänglichen Technik. Technik ermöglicht die Teilhabe der Vielen an den Ideen von Wenigen. Im Grunde ist genau das auch ein Versprechen der mythisch-religiösen Weltbildes gewesen, doch dies funktionierte nicht so zuverlässig, wie die Technik es für gewöhnlich tut. Der Lichtschalter oder der Wasserhahn ist für jeden da und wenn er nicht funktioniert, weiß man, dass ein technischer Defekt vorliegt. Wenn man betet und ein gottgefälliges Leben führt, stellt sich der Lohn nicht so unmittelbar ein, wie bei der Betätigung des Lichtschalters und es ist eine recht umfangreiche ideologische Erklärung notwendig, warum dies nicht der Fall ist. Zudem eine, die man erneut glauben muss. Technik ist einfacher überprüfbar und nicht an die Befähigungen der Benutzer gebunden. Man ist kein schlechter Mensch und forscht nicht nach einem moralischen Vergehen, wenn die Kaffeemaschine streikt, man geht davon aus, dass sie kaputt ist und entweder repariert oder ausgetauscht werden muss.

Durch die industrielle Revolution, die im England des späten 18. Jahrhunderts begann und von dort aus erst Europa und dann die Welt eroberte, änderte sich so ziemlich alles, auch die Produktions- und Lebensbedingungen, die ihrerseits zum Weltbild gehören und es verändern. In einer Welt in der die avisierten Ziele kurzfristiger waren und Kosten und Nutzen absehbare Zeiträume überbrücken mussten, war die Nachprüfbarkeit ein schlagendes Argument. Was für Wissenschaft und Technik sprach, konnte man schnell und direkt erleben, man musste es nicht glauben. Aber was, außer der puren Gewohnheit, sprach jetzt überhaupt noch für das mythisch-religiöse Weltbild? Es konnte seine Beweise keinesfalls so überzeugend auf den Tisch legen, wie die wissenschaftlich-technische Revolution. Ein Teil der religiösen Argumentationsstrategie war nach wie vor die Behauptung, dass am Ende abgerechnet wird, im Jenseits.

Doch der Spatz in der Hand, wuchs unter dem Eindruck der industriellen Revolution beträchtlich an und nicht nur in der Wissenschaft wurde man von Erklärungen, dass Gott all das was ist befeuert und zusammenhält immer unabhängiger, auch im Alltag war das eigene Schicksal nun immer mehr an irdische Bedingungen gebunden. Gott wurde weniger bekämpft, sondern überflüssig.

Die Mischung aus Weltbild und Methode

Die Frage, was „die Wissenschaft“ nun eigentlich ist, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Denn im neutralsten Sinne ist die Wissenschaft eigentlich nur eine Methode, die Welt zu untersuchen und zu verstehen. Wissenschaft zu betreiben bedeutet im allgemeinsten Sinn eine Hypothese aufzustellen, eine, die falsifizierbar sein muss. Ein Punkt, der nicht immer verstanden wird.

Falsifizierbarkeit

Falsifizierbarkeit ist eine der Kernforderungen der Wissenschaft. Es bedeutet, dass ich eine Hypothese aufstelle, die widerlegbar sein muss. Das bedeutet: Wenn meine Hypothese stimmt, dann erwarte ich ein bestimmtes Ergebnis oder Ereignis. Stimmt sie nicht, tritt das Erwartete nicht ein und die Hypothese ist empirisch (durch den praktischen Versuch, das Experiment) widerlegt.

Wenn man formuliert Gott wolle nur das Gute, dann ist das eine Hypothese, die nicht falsifizierbar ist. Denn was auch immer passiert, man kann stets argumentieren, es muss gut sein, denn Gott habe es so gewollt. Ob die Erde bebt oder die Sonne scheint, ob Mitleid oder Mord, all das muss irgendwie gut sein, denn Gott lässt nur das Gute zu, zumindest gemäß der obigen Prämisse.

Empirie

Ein nächster zwingender Baustein der Wissenschaft ist die Empirie oder das Experiment. Wenn ich es mit einer prinzipiell falsifizierbaren Hypothese zu tun habe, dann kann diese entweder verifiziert oder tatsächlich falsifiziert werden. Sprich, die Hypothese erweist sich als zutreffend, oder falsch. Das Experiment gibt uns Auskunft. Doch oft ist es gar nicht ein Experiment, es bedarf einer ganzen Reihe von Versuchen.

Es könnte sich ein Fehler eingeschlichen haben, ein falscher Versuchsaufbau, eine falsche Schlussfolgerung, es kann, auch Wissenschaftler sind Menschen, Eitelkeit, Ideologie oder schlicht Betrug eine Rolle spielen und um das zu minimieren überprüft man Daten, gerade dann, wenn sie einem irgendwie komisch vorkommen. Deshalb überprüft man nicht mehr, ob Säure und Base tatsächlich Salz und Wasser ergeben, weil dies einfach immer passiert, doch wenn postuliert wird es gäbe eine fünfte physikalische Grundkraft (neben starker und schwacher Kernkraft, Elektromagnetismus und Gravitation), dann schaut man sehr genau hin.

Und doch ist die Tatsache, dass Säure und Base zu Salz und Wasser werden, streng genommen eine unzulässige Verallgemeinerung. Logisch befindet sich die Wissenschaft in dem Dilemma, dass alles was bisher passiert ist, nicht garantiert, dass es auch weiter zu passieren wird. Ein gutes Beispiel ist der Sonnenaufgang. Seit Menschengedenken geht am Horizont die Sonne auf und wir gehen mit großer Gewissheit davon aus, dass das auch morgen wieder der Fall sein wird. Doch gleichzeitig wissen wir, dass die Sonne sich irgendwann zu einem roten Riesen aufblähen wird, der die Erde vermutlich verschlucken wird. Das dauerth noch Milliarden Jahre, aber wenn die Erde sich innerhalb der Sonne befindet, geht die Sonne nicht mehr auf, egal wie oft das bis dahin passierte.

Statistik

Doch wenn die Macht und das Argument der Gewohnheit auch logisch unhaltbar ist – worauf David Hume hinwies – praktisch ist es natürlich so, dass die Wissenschaft damit arbeitet. Sie steht dann nicht mehr auf der Basis von Gewissheiten, sondern nur noch von Wahrscheinlichkeiten, aber eben ziemlich wahrscheinlichen Wahrscheinlichkeiten. Immerhin sind diese gut genug nicht nur Glühbirnen oder Kaffeemaschinen zu konstruieren, sondern auf fMRT Geräte, deren Funktionsweise ungeheuer komplex ist und Raumsonden auf entfernten Kometen landen zu lassen. Das ist schon aller Ehren wert.

Im Bereich des Biologischen und des Sozialen werden die Theorien komplexer und es wird zunehmend schwerer die Faktoren zu isolieren, die Einfluss haben. Eine chemische Substanz kann auf die Psyche ebenso Einfluss nehmen, wie ein Satz oder eine Geste. Das führt in letzter Konsequenz dazu, dass es alternative Erklärungsansätze darüber gibt, wie und wodurch etwas ausgelöst wird. Sie können in sich geschlossen sein und doch auf anderen Fundamenten aufbauen, als andere, ebenfalls logisch folgerichtige Ansätze.

Welche Methode stimmt?

Woran erkennt man denn nun – damit endete der letzte Beitrag dieser Serie – welcher der Theorien stimmt? Besser, oder irgendwie „richtiger“ ist? Man könnte pragmatisch argumentieren und sagen, dass diejenige, die die besseren Resultat erzeugt auch die bessere Theorie sein muss. Es klingt pragmatischer als es letztlich ist und bringt uns der Wahrheit nicht näher. Ein Einwand ist, dass auch ein Kette von Irrtümern zu erwünschten Resultaten führen kann, was die Kurzformel was klappt, muss auch wahr sein als Irrtum entlarvt.

Ein anderer Einwand lautet, dass bereits die Antwort auf die Frage was das bessere oder erwünschtere Resultat ist, herzlich unklar ist. Ein Beispiel aus der Psychologie verdeutlicht das. Die Idee des Behaviorismus besagt, dass Psychopathologie letztlich immer falsch erlerntes Verhalten ist. Von dieser Prämisse ausgehend, versucht man falsch Erlerntes zu korrigieren und das richtige Verhalten einzuüben. Und richtig bedeutet dann häufig, es so zu können, wie die anderen auch können und richtig hieße in dem Fall angepasst.

Damit taucht die Frage, ob denn angepasst in allen Fällen richtig und gut ist, gar nicht auf. Aus einer anderen Perspektive könnte es gerade richtig sein, gegen den Strom zu schwimmen, unangepasst zu sein, sich also „falsch“ zu verhalten.

Es ist Karl Popper, der dafür bekannt der Psychoanalyse zwar zugeneigt gewesen zu sein, ihr aber doch den Status der Wissenschaftlichkeit abgesprochen zu haben. Weniger bekannt ist aber, dass derselbe Popper, keinesfalls die Auffassung vertreten hat alles was nicht Naturwissenschaft sei, sei schlecht und unexakt, wie man in „Die Logik der Sozialwissenschaften“ nachlesen kann.