Die Psyche als Gesundheitsfaktor ist gleichermaßen bekannt und unterschätzt. Bekannt deshalb, weil jeder Begriffe wie Psychosomatik kennt, unterschätzt, weil die Bedeutung der Psyche selten erfasst, gewürdigt und so gut wie nie in Therapiekonzepte eingebaut wird. Für die Psyche sind oft Bereiche die Ähnlichkeiten mit Wellness haben vorbehalten, während die Medizin doch eher den Selbstanspruch hat, kraftvolle Schritte zu machen. Oft genug ist es auch so, dass in der Medizin jemand als psychisch überlagert bezeichnet wird, wenn er oder sie überängstlich ist oder nicht ausreichend bei der Therapie mitmacht und das ist für Ärzte, wie für Patienten, gleichermaßen frustrierend. Ebenfalls kann in manchen Fällen die Neigung bestehen, einen Patienten als psychisch auffällig zu bezeichnen, wenn er von einer Kette von Problemen und Allergien berichtet, die eine Standardbehandlung oft deutlich erschweren. Psyche erscheint oft in einem negativen Kontext, sie hat in der Medizin noch immer einen schweren Stand, auch weil ihre Art der Wirkung nebulös erscheint.
Das Rätsel der Wirksamkeit
In der Medizin ist man es gewohnt die Wirkprinzipien von Medikamenten im idealen Fall zu kennen, oder, wenn diese nicht bekannt sind – was gar nicht so selten der Fall ist, wie man meinen sollte -, auf gute empirische Erfahrungen zurück zu greifen. Die Psyche hat das nicht zu bieten, sie ist immer anders, oft nervig und störend, vor allem aber deshalb, weil man sie unter dem Aspekt betrachtet. Dass sie überhaupt stören kann ist aber ein erster Hinweis darauf, wie mächtig die Psyche als Gesundheitsfaktor ist. Denn, was in die eine Richtung wirken kann, kann eben auch in die andere Richtung wirken, man muss nur wissen, wie.
Natürlich ist auch die Psyche systematisch untersucht worden, in der Psychologie. Man weiß auch, wie man erfolgreich auf die Psyche einwirken kann, in der Psychotherapie. In dieser hat es sich bewährt und gehört zu Standard, vorher abzuklären, ob eine organische Erkrankung vorliegt. Das ist sinnvoll, denn bestimmte körperliche Erkrankungen können psychische Probleme hervorrufen, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenunterfunktion, die zu Depressionen führen kann. Bestimmte neurodegenerative Erkrankungen gehen so gut wie immer auch mit psychischen Symptomen einher. Und generell gibt es die These, dass alle psychischen Erkrankungen letztlich körperliche Erkrankungen sind, weil ihnen eine gewisse Fehl- oder Dysfunktion des Gehirns zugrunde liegt.
Weniger bekannt, vor allem weniger eindeutig und griffig, ist der andere Weg. Auch die Psyche beeinflusst den Körper, das ist experimentell 1000-fach nachgewiesen, nur kann man eben nicht sagen, wenn man die Augen schließt und zehn Mal tief durchatmen, wird dieser oder jener Mechanismus sicher ausgelöst. Ein Mensch, der viel meditiert, wird vielleicht schon beim sich Niederlassen auf dem Sitzkissen ruhig, ein anderer hingegen bekommt schweißnasse Hände, wenn er gezwungen ist, mal einige Mitnuten still zu werden. Das ist sehr individuell und als ähnlich individuell haben sich andere Größen wie Stress, Schmerz, Glück und so weiter herausgestellt. Das ist anders, als wenn jemand ein Schmerzmittel nimmt, das wirkt bei jedem auf eine vorhersehbare Art und Weise. Oder doch nicht?
Das Modell einer Einbahnstraße ist falsch
Beim Zusammenhang zwischen Körper und Psyche gehen wir oftmals von einer Art Einbahnstraße aus. Der Körper, meistens in Form des Gehirns, aber auch materielle Zugaben, wirken eindeutig auf die Psyche ein. Hirntumore, Demenzen und Schlaganfälle sprechen eine ebenso eindeutige Sprache, wie Drogen und Medikamente, deren Wirkmechanismus oft bekannt ist und auf irgendwelche Rezeptoren im Hirn einwirkt.
Andersrum ist es wieder mal nicht so klar und eindeutig. Schon weil man gar nicht so genau weiß, was die Psyche eigentlich ist. Ist sie nun irgendwas in den Hirnwindungen? Nun wir erleben uns allerdings nicht als Hirnzustand, sondern in günstigen Fällen als Ich. Als jemand mit diesen und jenen Neigungen, Freunden und Hobbys. Aber wie ist es eigentlich? Sind wir nun Körper oder haben wir einen? Sind wir unser Gehirn oder haben wir eines?
Dass viele Menschen heute für die Variante, dass wir unser Hirn sind entscheiden, liegt auch daran, dass wir in einem bestimmten Weltbild aufgewachsen sind, in dem man sich zwar wenigstens ungefähr vorstellen kann, wie das Gehirn uns sozusagen die Illusion einer Welt einspielt. Das kennt man von seinem Computer, aber man kann sich nicht vorstellen, dass man von dieser Benutzeroberfläche aus, auch die Hardware darunter, beeinflussen kann. Das allerdings kennen wir eigentlich auch. Computerviren sind kleine Programme, die nicht nur ärgerliche und verrückte Dinge auf dem Bildschirm machen können, sondern die im schlimmsten Falle auch die Hardware lahm legen können. Und auch Psychotherapie ist nichts anderes, das Gehirn hat sich nach einer erfolgreichen Psychotherapie messbar verändert. Aber nicht nur Psychotherapie ist direkte Arbeit am Hirn, auch Meditation oder Geige spielen, alles was wir intensiver und öfter tun, hinterlässt Spuren.
Aber man kann nicht genau sagen, wann, welche Therapie wie wirkt. Man ist zwar dabei das so gut es geht zu sortieren und Empfehlungen abzugeben, was bei Borderline-Störungen, Depressionen, Zwängen oder Ängsten am besten wirkt, aber das ist schwieriger, als dies bei Schmerzmitteln der Fall ist. Doch auch wenn man den Wirkmechanismus bei Medikamenten kennt, setzt sich die Erkenntnis durch, dass sie ebenfalls nicht alle bei jedem gleich gut wirken. Nach Operationen im Halsbereich gibt man meistens verschiedene Schmerzmittel, bis man das findet, was beim Patienten am besten wirkt und das kann beim Bettnachbarn mit der gleichen Operation schon wieder ein anderes sein. Dennoch spielen bei der Psyche als Gesundheitsfaktor noch mehr Komponenten eine Rolle, als beim Schmerzmittel.
Und die Stärke der Wirkung?
Neben dem Bild von der Einbahnstraße hat man in der Regel noch eine andere Idee im Kopf, nämlich, dass eine psychische Wirkung eher schwach ist. Überhaupt haben wir eine innere Hierarchie der Wirksamkeit im Kopf, die allerdings oft mehr kulturelles Erbe als Realität ist. Doch stellt auch ein kulturelle Erbe eine eigene Realität dar, die man ebenfalls nicht kleinreden kann, denn auch das, diese Hierarchie in sich zu haben, ist ja ein Aspekt der Psyche.
Der Reihe nach sortiert ergibt sich, für die Meinung in der Breite etwa folgendes Bild:
- Auf der untersten Ebene der Wirksamkeit findet man auf der man auf der stofflichen Ebene so etwas wie Ernährung, Nahrungsergänzungen und Naturheilmittel.
- Wirkt das nicht mehr, geht man zur nächsten Stufe über, man nimmt ein frei verkäufliches Arzneimittel, etwa gegen Schmerzen oder Durchfall.
- Hilft auch das nichts, eskaliert man weiter und geht zum Arzt, der verschreibt einem dann etwas, das hilft dann noch mal deutlich besser.
- Wo Tabletten und Tropfen nicht mehr reichen, ist in den Augen vieler die nächste Stufe die Spritze, die der Arzt dann hat und/oder die Überweisung zum Facharzt.
- Der kann einem eine Infusion geben, eine Spritze oder etwas, was, je nach Krankheit jetzt wirklich und zuverlässig hilft. Das kann ein Antibiotikum oder Cortison sein oder weitere, doch schon gravierende Mittel, wie Opioide auf der Ebene der Schmerzmittel.
- Der nächste Schritt wäre die Überweisung ins Krankenhaus, wo man eine Therapie unter dauernder Aufsicht durchführen kann.
- Zuletzt kommt oft die ultima ratio der Medizin, die Operation oder eine schwere Chemotherapie gegebenenfalls noch die Überweisung an den Spezialisten oder die Spezialklinik für eine bestimmte Erkrankung.
Sieben Stufen der Eskalation und nun ordnen Sie mal spontan die Wirksamkeit der Psyche als Gesundheitsfaktor in diese Hierarchie ein. Wo ist sie bei Ihnen gelandet? Irgendwo so zwischen Naturheilkunde und frei verkäuflichen Mitteln?
Nun, in Versuchen konnte gezeigt werden, dass er Noceboeffekt, ein rein psychologischer Effekt die Wirkung eines per Infusion in die Vene gegebenen Opioids komplett aufheben konnte. Das ist schon knackig. Vorher war bereits bekannt, dass die Wirkung Bronchien verengender Mittel, die das Atmen erschweren und solche die die Bronchien erweitern, von der Überzeugung welches Mittel man einnimmt überlagert wird. Das heißt, nehme ich ein Mittel, was es mit pharmakologisch erlauben sollte besser Luft zu bekommen, dreht sich der Effekt ins Gegenteil um, wenn ich die Information erhalte, es würde meine Bronchien verengen.
Nun kann man sagen, schön und gut, man solle die Kirche aber bitte um Dorf lassen, denn bei schweren Medikamenten kann ich mir einreden, was ich will, die Wirkung kommt garantiert. Aber Opioide sind schwere Mittel und auch wenn man eine tödliche Vergiftung vielleicht nicht durch Wunschdenken stoppen kann, der Wirkung der Psyche ist ebenfalls immens: Vom psychogenen Tod, über den wir kürzlich berichteten, bis zur sagenhaften Spontanremission unheilbarer Erkrankungen ist beides zu finden.
Nur sind die pharmakologischen Wirkungen systematischer und zuverlässiger zu erzielen, als die wuchtigsten Psychoeffekte. Doch das sind Bereiche, in denen immer eine Ungewissheit bleibt, auch eine Operation oder die schwersten Medikamente können keine Heilung erzwingen. Die Psyche als Gesundheitsfaktor wird gewaltig unterschätzt, wohl auch, weil sie längst noch nicht so systematisch untersucht wurde, sie man das mit jedem neuen Medikament macht.