Demonstranten mit gelben Schildern

Sympathischer Aktivismus oder fundamental? © Simon Leufstedt under cc

Unsichere Zeiten, ob gefühlt oder real, gebären einfache Lösungen, in denen die Welt überschaubar bleibt: Der Fundamentalismus ist so ein Angebot.

Fundamentalismus teilt die Welt in grobe aber eindeutige Kriterien und dem Einzelnen bleibt am Ende die Entscheidung: „Bist du dafür oder dagegen?“ Nun sind manche Sachverhalte nicht so einfach, dass man es bei einem Ja oder Nein als Antwort belassen könnte, aber genau das empfindet der Fundamentalist als lauwarm, als Herumdrucksen. Ihm geht es ums Ganze.

Was Fundamentalismus ausmacht

Der Fundamentalist ist stets auch ein Ideologe. Er meint zu wissen, wo die Wurzel der Probleme liegt und benennt eine eindeutige Ursache. Dazu kommt, dass Fundamentalisten sich häufig seit Jahren mit ihrem Thema beschäftigen, also auf sämtliche Gegenargumente eine einstudierte Antwort haben.

Doch hart zu diskutieren und mehr oder weniger exotische, populäre oder einfache Thesen zu haben, ist noch kein Fundamentalismus. Hier ist auch keine klare Grenze zu markieren, eher ein schleichender Übergang:

In der moderaten Form erkennt man wohl, dass die eigene Lieblingsursache nur eine von vielen Möglichkeiten der Erklärung ist, aber man neigt dazu, den Strauß an Möglichkeiten auf sehr wenige oder nur eine Hauptursache zu reduzieren.

In der nächsten Phase der Eskalation könnte man bemerken, dass man schon mit einer gewissen, ärgerlichen Gereiztheit auf die Argumente der Gegenseite reagiert und die Tendenz von der Klärung bestimmter Sachverhalte ins Ideologische und Persönliche geht. „Wer hier nicht meiner Meinung ist, wo die Sache doch so klar ist, der wird wohl seine Gründe haben.“ Argwohn macht sich breit.

In voller Blüte, mit einem harten paranoiden Einschlag, erleben wir den Fundamentalismus so: Die Antwort steht bereits fest, die Begründung wird noch gesucht.

Alle Informationen zum Sachverhalt, die die eigene Position stärken, werden gerne angenommen (so dubios sie mitunter sein mögen), nach dem Motto: „Hab ich’s nicht immer gesagt?“, während gegenteilige Aussagen als irrelevant, Fälschungen oder ideologisch motivierter Unfug angesehen werden. Das Weltbild ist komplett geschlossen, das Misstrauen gegen Abweichler wird immer größer, Moralismus und Größenwahn reichen sich die Hände.

Warum der Fundamentalismus attraktiv ist

Das Gegenkonzept zum Fundamentalismus ist die Fähigkeit Ambivalenzen zu tolerieren. Aber, Ambivalenzen sind Spannungen und die sind nicht immer leicht auszuhalten. Ist man dazu fähig, wird das Leben reicher und komplexer, aber die höhere Entwicklungsstufe ist immer auch mit Schwierigkeiten versehen.

Bestimmte Probleme lösen Angst und Verunsicherung aus und für komplexe Probleme braucht man oft komplexe Lösungen, die an verschiedenen Enden ansetzen. Was kompliziert und überfordernd wirkt, ist eigentlich eine größere Chance, da man mehr Stellschrauben zur Verfügung hat. Doch manche Menschen wollen eher einfache Antworten und Erklärungen, aus verschiedensten Gründen. Das ist nicht nur ein Defizit, der Fundamentalist gewinnt auch etwas dabei.

Fundamentalisten wirken entschlossen und vital. So simpel und oft unterkomplex ihre Botschaften sein mögen, die Faust zu ballen und losmarschieren zu können ist erst mal sexy. Die anderen diskutieren, wir tun was. Das kommt an. Dazu kommt der Bonus es ja eigentlich gut zu meinen, wovon fast jeder Fundamentalist überzeugt ist. Verkannt, aber ein Guter, mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Damit kann man leben.

Es ist diese Mischung, die den Fundamentalismus als intellektuell unzureichend, aber emotional bereichernd erscheinen lässt.

Arten des Fundamentalismus

Richard Dawkins

Dawkins, ein atheistischer Fundamentalist? © Liberal Democrats under cc

In Zeiten, in denen wir uns wieder mit Religionsdiskussionen auseinandersetzen, hat man schnell den Eindruck, als sei Fundamentalismus primär ein religiöses Phänomen.

So richtig das bisweilen ist, das Gesamtphänomen Fundamentalismus ist entschieden breiter. Ob der Ernährungsfanatiker, Umwelt- oder politischer Aktivist, jede Weltanschauung und Lebensweise kann fundamentalistisch entarten, wenn sie sich darin versteigt nur noch ihren Ansatz als Lösung aller Probleme zu sehen. So haben auch viele organisierte Atheisten inzwischen einen recht fundamentalistischen Anstrich, immer dann, wenn sie jede Tür zum Dialog auf Augenhöhe zuschlagen und selbst undifferenziert und einseitig werden.

Das Gegenmittel

Es ist ein einfaches und verlockendes Spiel, die eigenen Stärken mit den fremden Schwächen zu vergleichen, aber intellektuell unredlich. Für eine echte Bestandsaufnahme ist es nötig, die Stärken und Schwächen der eigenen Position zu erkennen und sie mit denen der anderen Position fair zu vergleichen.

Ansonsten bringt der Psychoanalytiker Micha Hilgers es in in einem Interview auf den Punkt: „Ambivalenz ist das Tor zur Humanität und Menschlichkeit.“