Mit dem kognitiven Erwachen der Menschheit erwachte zugleich das Bewusstsein der Sterblichkeit, damit verbunden die Angst vor dem Tod und in ihrem Schlepptau erschien sehr bald der Traum von der Unsterblichkeit. Man weiß nicht genau, ob und in welchem Umfang die Angst vor dem physischen Tod verbreitet war, denn den Menschen gelang es, ein ziemlich geniales Unsterblichkeitsprojekt in die Welt zu setzen, die Religion.
Unsterblichkeit in der Religion
So unterschiedlich die verschiedenen Religionen sind, sie haben alle zwei Gemeinsamkeiten. Sie regulieren die Sinn- und Werteebene des Menschen und sie erzählen, dass das physische Ende nicht das eigentliche Ende ist. In den monotheistischen Varianten ist es oft sogar so, dass das Leben hier lediglich die Vorspeise ist, den Hauptgang bekommt man im Jenseits. Ob es Paradiesesvorstellungen sind oder eine Kette von Wiedergeburten (wobei die erneute Reinkarnation in diesen Kulturen als Makel verstanden wird, auch hier ist das Nirwana der ganz andere Zustand, der erneute Wiederverkörperungen unnötig erscheinen lässt), das eigentlich Bedeutende kommt später, hier im Leben wird nur geübt.
Der Traum von der Unsterblichkeit erschien vielen Menschen dieser Kulturen aber nicht als Projektion oder Erfindung, sondern genau wie wir heute unsere sozialen Konstrukte mit höchstem Ernst betreiben und selbstverständlich glauben, dass sie echt sind (der Glaube an die Vernunft, Geld, Fortschritt, Demokratie, Gerechtigkeit, Wissenschaft), glaubten die Menschen aus tiefster Überzeugung und vermutlich mangels Alternative – weil es vollkommen normal war und ganz einfach jeder so dachte -, dass es eine irgendwie jenseitige Sphäre gibt, die ziemlich lebendig ist.
Es gab vermutlich immer schon Zweifler an der Idee der Religionen, aber ein paar Zweifler konnten Samen in die Erde streuen, sie richten nichts gegen die herrschenden Mythen aus, allein schon, weil unser Planet nicht kommunikativ verknüpft war und ihre Ideen regional beschränkt blieben. Mit der wissenschaftlichen Revolution änderte sich alles, man verfügte auf einmal nicht nur über Dampfmaschinen und Messgeräte, sondern auch und vor allem über konsistente Welterklärungen und in den Teilen der Welt, die diese Revolution vorantrieben, bekamen die religiösen Mythen Risse und die Erzählungen von einem besseren Jenseits wurden immer weniger geglaubt, ihre tröstende Kraft nahm ab. Da war er wieder, der Tod.
Biologische Unsterblichkeit
Doch die Menschen lassen sich ihre Mythen und Heilsgeschichten nicht nehmen und so wurde der Traum von der Unsterblichkeit einfach auf den medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt projiziert. Zurecht, wie es schien, denn die Medizin machte rasante Fortschritte auf allen Ebenen, verlor aber mehr und mehr die Seele, die Psyche aus dem Blick. Diese Entwicklung ist so weit fortgeschritten, dass heute jemand mit Stirnrunzeln betrachtet wird, der das Wort „Seele“ überhaupt noch in den Mund nimmt. Doch es gilt als vollkommen normal zu behaupten, wir alle seien im Grunde Biomaschinen in einer durch und durch ziel- und sinnlosen Welt, die über keinerlei freien Willen verfügen und deren einzige Funktion es ist, ein Vehikel für egoistische Gene zu sein, die durch uns ihre Informationen weitergeben. Gut 100 Jahre brauchte man vom Romantiker bis zum Bioapparat.
Doch der ganz andere Ansatz der Wissenschaft bringt nicht nur neue Projektionsflächen mit sich, sondern zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Möglichkeit, dass der Traum von der Unsterblichkeit wahr wird. Dazu gibt es gleich mehrere Ansätze, medizinische, biologische, prothetische, computertechnologisch-virtuelle. Der nüchterne Blick sieht, dass die Medizin unsere Projektionen nicht erfüllen konnte. Dachte man in den frühen 1970ern noch, das Ende der Seuchen sei nur noch eine Frage der Zeit, die Bakterien hätte man im Griff und das Thema Krebs wäre nach 10 Jahren intensiver Forschung ad acta, so muss man einen Irrtum auf ganzer Linie konstatieren. Krebs nimmt zu, die Seuchen kommen zurück, Zivilisationskrankheiten halten die Stellung, die dementiellen Erkrankungen lösen neues Entsetzen aus.
Doch mit der Gentechnik verfügt die Menschheit zum ersten Mal über Mittel, die naturgegebenen Barrieren der Zucht außer Kraft zu setzen und so ist man bemüht, das Leben weiter zu verlängern und sogar den Alterungs- und Todesprozess zu stoppen, das Resultat wäre die biologische Unsterblichkeit als lebendige Realität.
Weitere Formen vom Traum von der Unsterblichkeit und eine kritische Diskussion demnächst hier auf psymag.de