Kinder, die eine narzisstische Mutter haben, fühlen sich im Erwachsenenalter häufig wertlos und abgestumpft. Viele von ihnen besitzen einen geringeren Zugang zu ihren Emotionen. Sie haben Schwierigkeiten, in sich hinein zu spüren, und kennen ihre eigenen Bedürfnisse nicht. Kein Wunder. Schließlich wurden sie als Kinder von einer ihrer unmittelbaren ersten Bezugspersonen nicht „gesehen“. Ihre Bedürfnisse mussten hinter denen der Mutter zurückstehen.

Selbstredend gibt es auch narzisstische Väter. Doch dieser Artikel nimmt speziell auf narzisstische Mütter Bezug.

Im ersten Teil der zweiteiligen Artikelserie gehen wir darauf ein, woran man eine Mutter mit narzisstischen Charakterzügen ausmachen kann. Im zweiten Artikelteil schauen wir uns genauer an, welche Folgen eine Kindheit mit einer narzisstischen Mutter im weiteren Leben haben kann.

Woran erkennt man eine narzisstische Mutter?

Anzeichen für narzisstische Mutter

Es gibt verschiedene Anzeichen für eine narzisstische Mutter, die wir nachfolgend aufgeführt haben.

Eigene Bedürfnisse stehen vor kindlichen

Eine narzisstische Mutter benutzt ihr Kind, um ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen. Sie definiert sich beispielsweise über ihr niedliches Kleinkind. Wächst dieses jedoch heran und versucht es, seine eigene Persönlichkeit zu etablieren, wird es problematisch. Eine narzisstische Mutter ringt ständig um die Anerkennung und Selbstwerterhöhung. Konsequenzen dessen können zum Beispiel sein, dass sie das Kind abwertet oder wütend wird, wenn sie von ihm keinen Zuspruch erfährt. Auch versucht sie, sich im Alltag durch das Kind einen Vorteil zu verschaffen, dadurch dass sie mit ihm (seiner Leistung in der Schule, den geholten Medaillen beim Sport etc.) prahlt und sich identifiziert. Die Kinder müssen funktionieren, jegliche Leichtigkeit und Freude am Ausprobieren wird ihnen genommen.

Aufgehende Sonne mit orangem Himmel über Hügellandschaft

Für eine narzisstische Mutter ist nicht das Kind der Sonnenschein, sondern sie selbst. © Michael Pollak under cc

Die Bedürfnisse einer narzisstischen Mutter stehen eigentlich immer im Vordergrund. Und falls nicht, dann nur nicht, weil sie sich vor anderen als eine gute Mutter inszenieren möchte. Daheim reagiert sie genervt, wenn die Kinder eigene Ansprüche anmelden, und übergeht diese Ansprüche. Stattdessen zeigt sie eventuell Reaktionen wie Ärger, Wut, bitterliches Schweigen, Jammertiraden, dahingehend, wie schwer ihr Leben ist, Schuldgefühle einreden, Beschämung, Bestrafung, vielleicht sogar auch körperliche Gewalt. Die Kinder haben keinen Einfluss auf die Mitgestaltung ihrer Kindheit und keine Möglichkeit zum Ausloten ihrer Persönlichkeit. Sie haben kein Mitspracherecht. Im Prinzip laufen sie einfach nur nebenher und werden wenig bis gar nicht berücksichtigt. Sie sind Statisten im Leben der Mutter. Selbst wenn das Kind krank ist, bringt die Mutter es kaum fertig, es längerfristig zu umsorgen, ohne dass es ihr lästig wird.

Empathiemangel

Eine narzisstische Mutter empfindet keine Empathie. Sie kann sich kaum in andere hineinversetzen und bleibt immer irgendwie distanziert. In die Position des Kindes hineinzufühlen, vermag sie nicht und ist auch nicht dazu bereit. Wenn sie mal Zuwendung zeigt, dann eher eine überschwängliche, die dann auch schnell wieder ambivalent in das Gegenteil umschlagen kann.
Es kann auch sein, dass sie, sobald sie mit ihrem abwertenden Verhalten über das Ziel hinausgeschossen ist und sich das schon ältere Kind verletzt zurückzieht, wieder bei ihm ankommt und nett ist, weil sie zum Beispiel bei adoleszenten Kindern oder jungen Erwachsenen langfristige Bindungsbrüche oder sonstige negative Konsequenzen fürchtet. In einem ausbalancierten Zustand, sodass die Kinder sich mit der Mutter zuverlässig emotional geborgen fühlen können, bleibt ihre Freundlichkeit nicht.

Eine Mutter mit narzisstischer Charakterstruktur erzählt viel von sich. Fragt sie das Kind nach dessen Leben, wird sie anfangs kurz zuhören, dann jedoch sogleich wieder von ihren Erlebnissen anfangen. Egal, wie sehr die Kinder sich auch anstrengen und versuchen zu gefallen, sie werden von ihrer eigenen Mutter nicht „gesehen“.

Im Erwachsenenalter spüren die Kinder, dass das Gesagte bei der Mutter nicht ankommt beziehungsweise sie es wieder vergisst, weil die Belange der Kinder schlichtweg nicht wichtig für sie sind. Sie interessiert sich nicht für deren Leben, sondern lebt stattdessen in ihrer eigenen kleinen Welt, in der sie das Zentrum ist.

Launen der narzisstischen Mutter ausgeliefert

Kinder mit einer narzisstischen Mutter sind stets auf der Hut vor den Tageslaunen. Sie achten darauf, in welcher Stimmung die Mutter nach Hause kommt. Nicht selten bewegen sie sich wie auf Mäusepfötchen um sie herum, weil sie Angst haben, ihre Wut auf sich zu ziehen. Ist die Mutter wütend, platzt es unmittelbar aus ihr heraus. Von Null auf Hundertachtzig. Sie schreit, beleidigt und arbeitet ihren Frust an den Kindern ab. Das kann, wie gesagt, auch auf körperlicher Basis geschehen, es kann aber auch auf rein emotionaler Ebene missbräuchlich sein, indem sie die Kinder beschimpft, ihnen droht oder vielleicht auch ihre Sachen beschädigt – und über diese Verhaltensweisen die Integrität der Kinder untergräbt.

Wenn meine Mutter nach Hause kam und das Zimmer war ihr nicht ordentlich genug, dann ging sie mit einer Hand durch das Regal und schmiss alles auf den Boden. Wenn meine Sachen dabei kaputt gingen, sagte sie, dass wäre ihr egal.

Die Wut der Kinder erlaubt sie hingegen nicht. Auch da zeigt sich ihr Mangel an Empathie, weil sie trotz ihrer eigenen erlebten Wutgefühle keinen Perspektivwechsel oder Verständnis hinsichtlich eventueller kindlicher Wutanfälle vornehmen kann. Sie gesteht den Kindern nicht zu, was sie selbst sich herausnimmt.

Leere Euphorie

Blonde Frau mit Lippenstift schaut in Handspiegel, Träne auf Wange

Narzissmus ist ein Phänomen unserer Zeit, das sich auch im Umgang mit Kindern widerspiegeln kann. © dualdflipflop under cc

Ist die Mutter gut gelaunt, „stachelt“ sie die Kinder emotional an und pusht sie in ihrer Fröhlichkeit hoch. Von außen (zum Beispiel auf dem Spielplatz) kann das dann so aussehen, als wäre sie eine fantastische Mutter die Spaß mit ihren Kindern hat. Aber eben nur von außen. Hinter verschlossener Tür sieht es dagegen anders aus. So kann es vorkommen, dass die von dem fröhlichen Beisammensein überdrehten Kinder beim nach Hause kommen plötzlich ausgeschimpft werden, weil sich die Laune der Mutter mit einem Mal um hundertachtzig Grad dreht.

Narzisstische Mutter: im Zentrum

Die narzisstische Mutter wähnt sich im Zentrum. Alles dreht sich um sie und alles bezieht sie auf sich, verbunden mit einer hohen Kränkbarkeit. Sie strebt nach Bewunderung. Dementsprechend achtet sie stets auf ihr Äußeres oder bringt ihre Intelligenz zur Sprache. Kinder werden mitunter als Schmuckelement gesehen, allerdings nur, wenn sich eine Gelegenheit ergibt, um sich mit ihnen brüsten zu können. In manchen Situationen definiert sich eine narzisstische Mutter über das Aussehen ihrer Tochter und betont, wie sehr die schöne Tochter nach ihr kommt. In anderen Situationen wiederum geht die Mutter in Konkurrenz zu ihrer Tochter. Bei einem Sohn kann es sein, dass eine narzisstische Mutter in Konkurrenz zu dessen Freundinnen geht.

Überlegenheitsgefühl und Abwertung

Eine narzisstische Mutter fühlt sich anderen überlegen beziehungsweise schnell von deren Dasein bedroht. Hat beispielsweise die Freundin des Sohnes einen Studienabschluss und sie selbst nicht, wird sie per se diese Freundin ihm madig machen wollen. Sie verspürt keinen Stolz auf die eigenen Kinder (oder wahlweise später die angetrauten).
Eigene Fehler und Schwächen kann eine narzisstische Mutter nicht reflektieren. Sie geht sofort in die Abwehr. Streits mit ihr eskalieren und werden eher als ein Machtkampf aus ihrer Sicht gesehen. Schnell sieht sie ihre Autorität untergraben, fühlt sich angegriffen und eskaliert emotional. Es gibt keine tiefergehende und längerfristige Einsicht und keine Weiterentwicklung.

Hat das adoleszente oder erwachsene Kind beispielsweise Probleme im Leben, redet sie diese klein, spottet oder betont, dass ihre eigenen Probleme damals vergleichsweise größer waren. In ihrem Unverständnis kommt es zu einer Abwertung des Gegenübers, nur um im sozialen Vergleich ja nicht schlechter abschneiden zu müssen.

Narzisstische Mutter hat kein Commitment

Eine narzisstische Mutter hat kein Problem damit, über ihre heranwachsenden Kinder bei anderen zu lästern, sobald sie sich abnabeln wollen. Fühlt sie sich vermeintlich zurückgewiesen, etwa weil die Kinder mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind und keine Zeit für sie haben, kann man unter Umständen erfahren, dass sie sich maßlos bei FreundInnen über die Kinder auslässt. Sie fühlt sich von ihnen enttäuscht und stellt sie an den Pranger.
Schuld für dieses ungerechte Verhalten fühlt sie nicht. Tags darauf kann es sein, dass sie völlig normal mit den Kindern kommuniziert. Sie glaubt, damit unentdeckt zu bleiben, weil sie die anderen unterschätzt. Nach ihrer Ansicht bemerken die anderen es nicht und sie kommt damit durch.

Eine narzisstische Mutter führt die Kinder manches Mal vor und stellt sie bloß. Ferner verwendet sie Vertraulichkeiten, die das Kind ihr erzählt hat, gegen es und holt diese immer wieder hervor. Sie kennt keine Loyalität zu ihren Kindern. Dementsprechend wissen die Kinder nie, was als nächstes kommt. Sie können nicht darauf vertrauen, dass ihre Mutter ihnen beständig zugewandt und wohl gesonnen ist.

Ist charmant, wenn es nützt

Eine narzisstische Person kann sehr charmant sein, wenn es ihr nützlich erscheint. Für Kinder ist ein solches Verhalten seitens der Mutter natürlich besonders schwer einzuordnen. Sie saugen diese emotionale Zugewandtheit regelrecht auf, da diese nicht selbstverständlich ist. Sie wollen der Mutter gefallen, sprechen ihr zu, sagen, was diese erwartet, um nur ja nicht wieder in Ungnade zu fallen. Eine frühe Form des People Pleasing ist bei diesen Kindern oft zu beobachten. Eine andere Variante ist, dass die Kinder aus Schutz bereits früh in die Abschottung gehen und ihr emotionales Erleben verflacht.

Mutter und Sohn am Strand

Kinder müssen auf die zuverlässige Liebe ihrer Eltern bauen können. © Dhaval Jani under cc

Erbittet eine narzisstische Mutter von ihren erwachsenen Kindern einen Gefallen, wird sie ihnen vorab mit großer Freundlichkeit begegnen und sicherlich auch die „Opferkarte“ spielen, um zu zeigen, wie hilflos sie ist und wie schlecht es ihr geht. Manchmal nutzt sie auch Hilflosigkeit und Krankheit, um die Kinder stärker an sich zu binden, deren Einfallstor die Empathie ist.

Ist manipulativ

Kinder narzisstischer Mütter fühlen sich wie fremdgesteuert. Auch wenn sie das natürlich nicht bewusst so formulieren können. Sie werden zu einer bestimmten Sichtweise oder einem Verhalten hinmanipuliert. Suggestivfragen oder abstrafendes Schweigen sind probate Mittel selbstbezogener Mütter, um die gewünschte Reaktion beim Kind zu erzeugen. Später im Erwachsenenalter werden die Kinder oft mittels eingeimpften Schuldgefühlen manipuliert. Auch kann es sein, dass durch Geldbeträge eine Bindungsschuld aufrechterhalten wird, in Verbindung mit dem Glauben, durch die finanzielle Unterstützung nun über die Kinder verfügen zu können.

Kinder narzisstischer Mütter: oft ohne Identität

Wachsen die Kinder narzisstischer Mütter oder allgemein in einem manipulativen und destruktiven Umfeld heran, konnten sie keine eigene Identität entwickeln. Sie wissen nicht, was sie wollen oder wer sie sind. Durch die Dominanz und Ambivalenz der Mutter fällt es dem Kind schwer, sich später von ihr zu lösen und ihren Willen nicht mehr über das eigene Erwachsenenleben entscheiden zu lassen.
Weitere Problematiken im Erwachsenenalter bei Kindern, die eine narzisstische Mutter haben, sind das Thema des nächsten Artikels: Emotionaler Missbrauch durch Mutter: Keine Liebe als Kind – Fehlende Mutterliebe (2).

Wenn ihr noch weitere Anzeichen für eine narzisstische Mutter aus eurer Kindheit oder eurem derzeitigen Leben erinnert, ergänzt sie gern in den Kommentaren unterhalb des Artikels. Geht gern in die Kommunikation. Nur so lässt sich miteinander wachsen.

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