So wie die Themen Liebe und Aggression die Menschheit begleiten, so sind die Hauptdarsteller des ewigen Dramas Männer und Frauen. Von irgendwann bis zum heutigen Tag.
Wann das Irgendwann seinen zeitlichen Ursprung hatte, ist sicher interessant zu erfahren, noch bedeutender ist vielleicht zu verstehen, was bei diesem Irgendwann geschah, denn damit sind wird bereits mitten im Thema. Bis irgendwann funktionierte die Geschichte von Männern und Frauen recht simpel, nämlich rein entlang unserer Biologie. Doch ganz so einfach wie es scheint, ist es auch hier nicht, denn, dass die Männer jagten und die Frauen den Haushalt, die Unterkunft und Kinder versorgten, ist eine denkbare Variante, aber die Frauen von damals – oder soll man noch von Männchen und Weibchen sprechen? – waren ausdauernd, zäh, kräftig und wie schon mehrfach erwähnt, war das Gehirn des Menschen damals sogar größer und schwerer als es heute der Fall ist, mithin waren diese Frühmenschen auch sehr intelligent. Männer und Frauen.
Sicher waren sie auch gut bei der Jagd zu gebrauchen, denn an Körperkraft war der Mensch den meisten Tieren ohnehin dramatisch unterlegen. Etwas anderes spielte eine Rolle. Der Mensch konnte, nach dem, was wir heute wissen, schwitzen, also seine Temperatur regulieren. Er war zwar kein schneller, aber ein ausdauernder Läufer. Er konnte seine Beutetiere zu Tode hetzen, doch das schaffte er nicht allein, sondern dazu brauchte es mehrere Läufer und Kämpfer und mithin einen hohen Grad an Teamfähigkeit und Organisitation. Man musste wissen, wer wo seine Stärken und Schwächen hatte und wer das erkannte und nutzen konnte, war ein guter Anführer.
Dafür muss man Individualität und Unterschiede beachten und vielleicht lag hier der Beginn des Irgendwann, in dem ins Bewusstsein trat, dass Männer und Frauen in bestimmten Bereichen grundsätzlich verschieden sind. Doch dieser Gedanke ist umstrittener als man zunächst glauben möchte, denn die andere Seite umfasst das kulturelle Lager und hier insbesondere ein Zitat, das ein kulturelles Extrem beschreibt, das berühmte: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“, von Simone de Beauvoir. Thema, die Frau als soziokulturelles Wesen und oft als Mängelwesen. Doch das ist sie nur, wenn man den Mann als Maßstab nimmt und behauptet, sein Sosein, sei das richtige, das wahre, gewollte Abbild des Menschen. Die Schöpfung des Menschen ist in unseren Mythen meistens die Schöpfung eines Mannes. Der Mensch ist damit also zunächst mal Mann, dabei ist es biologisch so, dass der Mensch nach erfolgreicher Zeugung, egal ob genetisch mit männlichen oder weiblichen Chromosomen ausgestattet, zunächst weiblich ist. Zum Mann mit männlichen Geschlechtsmerkmalen wird er erst durch eine Ausschüttung von androgenen Hormonen während einiger Phasen im Mutterleib. Unterbleiben diese, kommt ein Mensch zur Welt, der biologische weiblich ist, aber die genetische Ausstattung eines Mannes hat. Wir sehen, schon die Biologie macht es uns nicht leicht.
Natur und Kultur
Doch de Beauvoir meinte etwas anderes. Es ging ihr um die Rolle, in die eine Frau gepresst wird, samt Ansichten darüber, wie frau ist und zu sein hat. Doch es wäre zu einfach, wenn man es darauf herunterbrechen würde, dass es zum einen, eine eher männliche Sicht gäbe, die die Natur und die daraus abgeleiteten Rechte und Pflichten betonen würde und eine kulturelle Interpretation der Frauen oder des Feminismus, nein, die Perspektiven sind eher bunt gemischt, in jeder Hinsicht.
Längst ist auch hier das Thema verbacken, denn Natur und Kultur sind einfach nicht von einander zu trennen. Es ist nicht nur so, dass die Natur in die Kultur eingreift oder diese präformiert, sondern man weiß inzwischen, dass es auch umgekehrt der Fall ist. Durch soziale Erwartungen, Muster und Verhaltensweisen kann man die Biologie eines Menschen verändern, das ist unter anderem Inhalt der Epigenetik.
Die realen Unterschiede

Gewalt bleibt ein Thema zwischen den Geschlechtern. © Gideon Wright under cc
Die Unterschiede zwischen Mann und Frau, seien, so dachte man früher, himmelweit. Die Urteile aus berufenem, aber natürlich stets männlichem Munde muten uns heute eher peinlich an. Als man sich systematischer und unvoreingenommener an die Arbeit machte und untersuchte, was letzten Endes bleibt, von den „himmelweiten“ Unterschieden, da war das nicht mehr sonderlich viel. Die Fähigkeit dreidimensionale Körper im Geiste zu drehen, das sogenannten räumlich-visuelle Vorstellungsvermönen, ist bei Frauen statistisch geringer ausgeprägt, als bei Männern und zudem haben Männer mehr Testosteron im Blut, was sie insgesamt aggressiver als Frauen macht. Dieser Vorteil bei räumlich-visueller Vorstellung führt man auf die Frühzeit zurück, in der Männer vermutlich mehr jagten und kämpften und so die Entfernung zum Beutetier oder Feind besser abschätzen können mussten. Dass größere Aggression hier hilft, ist einzusehen, zudem sind Männer statistisch gesehen kräftiger, was ebenfalls in diese Richtung deutet.
Ken Wilber hat in „Eine kurze Geschichte des Kosmos“ darauf hingewiesen, dass Testosteron zu eher primitiven Verhaltensweisen anregt, der Form „Töte es, oder vögle es“ und Männer sind biologisch mehr oder weniger gezwungen den Tiger zu reiten, was ihnen, da man auch von ihnen sozialkompatibles Verhalten erwartet, einiges abverlangt. Frauen, die aus medizinischen Gründen oder beim Doping im Sport auf ein männliches Testosteronniveau kommen, wissen, wovon die Rede ist.
Aggression ist an sich bei beiden Geschlechtern vorhanden. Die Aggression der Frauen sind meistens weniger körperlich ausgeprägt, sie zeigen sich eher in konstanter Kritik: Nörgeleien, Sticheleien und Lästereien, während die Aggression der Männer offener und gewalttätiger ist, sei es in Form sexueller oder anderer Gewalt. Doch der Unterschied ist damit nicht erschöpfend erklärt. Auch Frauen können kämpfen, morden und töten und bei der Untersuchung von Männern die Sexualstraftäter wurden stellte man zur Überraschung vieler fest, dass diese zu etwa 50% sogar weniger Testosteron im Blut hatten, als durchschnittliche und diesbezüglich unauffällige Männer. Zum anderen gibt es auch Frauen, die in Beziehungen ihre Männer schlagen und misshandeln, ein Befund, der, weil er nicht so recht ins Bild passt, auch bei uns eher kultrell verleugnet wird. Frauen sind so nicht und Männer könnten, sollten oder müssten sich doch wehren können oder sie sind eben keine echten Männer. So unbeachtet dieser Punkt ist, so klar ist andererseits die Gewichtung, was Gewalt gegen Frauen angeht. Und natürlich ist Aggression auch jene Kraft, die dafür sorgt, dass Neues in die Welt kommt, die ändert, Grenzen austestet, infrage stellt und ständig Altes durchbricht. Auf die gelungene Sublimierung der Aggression kommt es an.
Ein weiteres biologisches Faktum ist, dass Frauen die Kinder bekommen und wie schon öfter beschrieben, ist gezieltere Kommunikation, über die Fähigkeit Affekte auszudrücken und zu lesen, eine Errungenschaft der Säugetiere. Frauen sollen alles in allem kommunikativer und empathischer sein. Wir gehen weiter unten darauf ein, wodurch dieser Unterschied eventuell zustande kommt. In der Phase der Jäger und Sammler mag die Schwangerschaft ein Nachteil gewesen sein, beim Gartenbau mit leichtem Gerät war sie weniger hinderlich, als dann aus Gartenbau wieder oder parallel der Ackerbau mit seinen Notwendigkeiten wurde, war Körperkraft und die Gefährdung der Nachkommen wieder ein Argument, vor allem weil körperlich schwere Arbeit mit einer höheren Zahl an Fehlgeburten korrelierte. Heute, im Zeitlater der Automatisierung und Computerisierung ist dieser biologische Vorteil im Grunde völlig in sich zusammen gefallen.
Der pychoanalytische Blick
Wir haben an anderer Stelle auf den Ödipuskomplex und die eventuelle Notwendigkeit ihn noch einmal unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten (siehe dazu hier und hier) hingewiesen, eine weitere Facette dieses großes Themas ist die frühkindliche Entwicklung von Mädchen und Jungen.
Ist Kommunikation aus evolutionsbiologischer Sicht vielleicht eher die Domäne der Frauen, weil die bessere Pflege der biologisch kostbaren Brut und eine diesbezüglich naturgegebene Rollenteilung ein Vorteil im Kampf ums Überleben (oder im Spiel des Lebens) darstellte? Vielleicht, doch die Psychoanalyse bietet eine weitere Erklärung an. Während der kleine Junge von der Mutter auch, während der Reinigung, sexuell stimuliert wird, bleibt das kleine Mädchen in dieser Hinsicht unterversorgt und wendet sich daher emotional dem Vater zu. Die Folge ist nach psychoanalytischer Ansicht eine sexuelle Hemmung des Mädchens, aber eine höhere Kompetenz in Beziehungen, die Mutter als primäre Beziehung wird gegen den Vater eingetauscht (der Elektrakomplex, wie C.G. Jung ihn nannte), während der Junge in ödipaler Konstellation bei der Mutter bleibt. Diese Fähigkeit, sich auf neue und andere Partner einzustellen bleibt der Frau vermutlich auch später mehr erhalten, als dem Mann.
In der Tradition von C.G. Jung
In der analytischen Psychotherapie von C.G. Jung geht es unter anderem darum, von der Persona – einer Art des Rollenspiels, ein Mensch, der vor allem in der ersten Lebenshälfte nur die Hälfte seines Potentials lebt – zum Ich zu werden und das bedeutet bei Jung, die andere Seite, beim Mann, seinen archetypisch weiblichen Anteil, die Anima und bei der Frau, ihren archetypisch männlichen Anteil, den Animus zu leben und zu integrieren. Die Kurzformel lautet hier: Persona (das, mit dem man bewusst identifiziert ist) + Schatten (das, mit dem man nicht identifiziert ist) = Ich
Der Schweizer Paartherapeut und Psychiatrieprofessor Jürg Willi hat sich Jahrzehnte mit dem Thema Partnerschaft auseinander gesetzt und unter anderem, vor allem später, den jungschen Aspekt der Psychologie aufgegriffen. Nachdem er sich lange Zeit dem Thema der Paarprobleme widmete und die Kollusionen in der Paarbeziehung dominant beachtete („Die Zweierbeziehung: Das unbewusste Zusammenspiel von Partnern als Kollusion“), wandte er sich später der Frage zu, was Paare eigentlich trotz all des Ärges zusammenhält. In der nächsten Phase untersuchte er, wie das Zusammenleben konstruktiv gelingen kann und hier, ganz jungianisch, identifiziert Willi die Stimme des Partners als den zu integrierenden Schatten. Der je andere weiß schon, was mir fehlt, nur gibt man dem in aller Regel nicht nach, denn nach dem Muster der Kollusionen benutzt man das Dammbruch-Argument und sagt, wenn man hier und jetzt den an sich richtigen Vorschlägen und Froderungen nachgeben würde, kämen gleich die nächsten und man wäre nie mehr frei und man selbst.
Ein anderer Schweizer, der Psychotherapeut Adolf Craig-Guggenbühl, differenziert dann auch in die Beziehung zum Heil und die Beziehung zum Wohl. In Letzterer, in der Partner gleicher Interessen zusammen treffen fühlt man sich wohl, lernt aber nicht viel fürs Leben. In der ersten eher komplementären Variante lernt man viel, fühlt sich aber nicht unbedingt wohl.
Archetypen und Geschlechterrollen

Der Tod, weiblich und jung auf einem Bild von Jacek Malczewski. © Sztuka Dwadziesciaczteryh under cc
Aber wie ist das nun eigentlich mit den Archetypen? Archetypen sollen Urmuster sein, die von bestimmten gesellschaftlichen Konventionen unabhängig sind. Wie zum Beispiel, dass es Eigenschaften gibt oder geben soll, die an sich sind, wie sie sind, wie das Gebären als urweibliches Prinzip. Allerdings ist das beim Seepferdchen anders, da trägt das Männchen die Eier aus. Und Urmuster sollen ja nicht auf das Menschsein beschränkt sein, sondern auf die gesamte belebte und sogar unbelebte Natur.
Oder etwa die Idee, dass es eine archetypisch männliche und weibliche Urkraft gibt. Das männliche Prinzip ist dabei zeugend, aktiv und energisch, während das weibliche empfangend, passiv und nachgiebig ist. Als Beispiel werden Sonne und Mond genannt, die strahlende, aktive, männliche Sonne und der reflektierende, passive, weibliche Mond. Allerdings ist der Mond in vielen Kulturen männlich und die Sonne weiblich, zufällig auch bei uns.
Gevatter Tod ist in unseren Darstellungen ein alter Mann, gerne etwas knöchern und mit Sense, bei unseren polnischen Nachbarn hingegen ist er eine junge Frau. Also nichts dran, an den Archetypen? In der Frage nach den Geschlechterrollen gibt es einen erbitterten Kampf, nämlich den, ob die Archetypen nun eher ein Destillat aus typischen sozialen Geschlechterrollen sind, oder nicht. In einer historisch überwiegend durch das Patriarchat geprägten Welt, die aus der Sicht der oftmals herrschenden Männer den Frauen die passive, stille, duldsame Rolle zuschreibt und vom Biologischen auf das Soziale übertragen will wären Archetypen eher Rollenbilder. Die andere Seite sagt, dass es doch echte Urmuster in der Welt gibt.
Thorwald Dethlefsen, Psychologe, Esoteriker und unter anderem auch ein Mytheninterpret, rät uns in seinen Vortrag über den Ödipusmythos, die Zuschreibung von bewusstem Geist als männliches und unbewusstem Körper als weibliches Prinzip nicht als eine Erzählung über Historisches oder gar Soziologisches zu betrachten, sondern als die Zuschreibung von Prinzipien, die für beide Geschlechter gelten, denn beide hätten jeweils Körper und Geist.
Die gefühlte Notwendigkeit die Welt in zwei (oder mehr, aber erst mal zwei) grundlegende Prinzipien aufzuspalten ist verbreitet, wir kennen sie als Yin und Yang und in zig anderen Facetten. Auch scheint eine grundlegende Dualität bereits am Anfang unseres Lebens zu stehen. Manches, was dem Neugeborenen begegnet lehnt es deutlich erkennbar und mit dem entpsrechenden Ausdruck von Affekten ab, während es auf anderes ebenso spontan erfreut reagiert und in der Folge versucht, dieses Erlebnis zu wiederholen. Dies ist die Quelle einer grundlegenden Dualität oder Polarität von Gut und Böse.
Dass diese Grunddualität sich vielfältig ver- und entwickelt ist eine jener Erkenntnisse, die unser Menschsein einigermaßen kompliziert macht. Denn die klare und alleinige Einordnung in Gut und Böse ist unzureichend und spätestens da sitzen dann wieder alle (bis auf Fundamentalisten) in einem Boot. Die Ambivalenz, das Überlappen und Zusammenfallen guter und böser Motive ist es, die unser Dasein halbwegs kompliziert macht.
Die Frage, ob es diese Grundprinzipien wirklich gibt, oder ob sie „nur“ eine Zuschreibung von uns sind ist nicht zu klären, denn „es gibt“ vieles nicht, mit dem wir unsere Welt ordnen, auch die hier verwendeten Buchstaben sind, wenn man es so will (und das „es gibt“ als Gabe der Natur betrachtet) eine reine „Erfindung“. Dennoch hat Sprache unsere Welt in radikaler Weise verändert und das oben Gesagte gilt auch hier, man kann Natur und Kultur in letzter Konsequenz nie ganz auseinander dividieren. Man findet immer Muster, die quer durch alle Kulturen auftreten, die Univeralität der Zuschreibung von Gut und Böse und ihr immer währender Kampf gehören beispielsweise dazu.
Wenn wir davon ausgehen, dass Archetypen soziale Zuschreibungen sind, so kommt die Frage auf, wie es denn zu diesen Zuschreibungen kam und ob diese Zuschreibungen in jeder Hinsicht anders sein könnten. Dass man zur Frau gemacht wird, bedeutet ja, auf bestimmte Rollen und stereotype Muster festgelegt zu sein, oft scheinbar, weil die Natur es so wollte. Doch genau das könnte auch ein Ausdruck patriarchaler Strukturen sein.
Beziehungsweisen
Der Paartherapeut Michael Lukas Moeller ist der Ansicht, dass zu etwa 60% die Frauen in Beziehungen die Hosen anhaben. Aber warum sollte man Männer und Frauen und ihre Beziehungsweisen überhaupt nach dem Muster eines Machtkampfes deuten? Man könnte sie auch als stille Absprache deuten und von Zeit zu Zeit werden die Rollen eben neu definiert, je nach dem welche Qualitäten in und von einer Gesellschaft gefordert werden. Wenn der Kampf ums Überleben an erster Stelle steht, ist das sicher etwas ganz anderes als wenn die Hauptsorge der Rente, Bildung oder dem Kampf gegen Langeweile gilt.
Kollege Hans Jelloushek ist der Auffassung, dass in Paaren heute beide den Wunsch haben, progressiv zu leben, jenseits der alten Rollen. Doch dieselben Paare werden in ihrem Verhalten wieder sehr klassisch, wenn Kinder kommen, so seine Beobachtung. Vielleicht sind es Wellen, die uns zu immer ähnlichen Mustern treiben und nach rebellischen und progressiven Jahren, hat zumindest die Jugend seit längerer Zeit wieder den Wunsch nach Stabilität. Sprach eine Studie schon vor Jahren von der Generation Biedermeier, so entdecken neue Untersuchungen ein ähnliches Muster.
Radikalität scheint neuerdings dem Alter vorbehalten zu sein, wie die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich in ihrem Buch „Die Radikalität des Alters: Einsichten einer Psychoanalytikerin“ zum Ausdruck bringt. Ihr Thema ist neben dem Alter auch das Verhältnis der Geschlechter und ein würdigendes Gespräch mit Alice Schwarer im Buch zeigt, wohin die Reise für sie geht.
In der Psychoanalyse, so Mitscherlich in ihrem Buch, haben Männer die Möglichkeit ihre, oftmals verdrängte, weibliche Seite zu leben. Das klingt fast nach C.G. Jung und in der Tat findet man gerade in der Psychoanalyse ein stark ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter. Das Ehepaar Alexander und Margarete Mitscherlich hat es vorgelebt. Sah man zu Beginn der Psychoanalyse noch die Dominanz der Männer, um das Dreigestirn Sigmund Freud, C.G. Jung und Alfred Adler so spielten nach und nach immer mehr Frauen eine auch inhaltlich bedeutende Rolle und die gravierende Wende hin zur Objektbeziehungstheorie ist ohne Margaret Mahler, Edith Jacobson und Melanie Klein überhaupt nicht zu denken.
Eingeebnet?
So ist es mit Janine Chasseguet-Smirgel abermals eine Frau, die Otto Kernberg hier referierend würdigt und die uns das Thema der Verleugnung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, als „perverse Lösung“ vorstellt:
„In ihrem grundlegenden Werk „Kreativität und Perversion“ (1984) beschreibt Chasseguet-Smirgel die „perverse“ Lösung von Kindheitserlebnissen, die die traumatischen Implikationen, die Teil der gewöhnlichen menschlichen Entwicklung sind, in hohem Maße potenzieren. Ausgehend von der ödipalen Situation als universalem menschlichen Konflikt beschreibt Chasseguet-Smirgel zunächst das narzisstische Trauma des Kindes, von den intimen Beziehungen der Eltern ausgeschlossen zu sein und nicht in der Lage zu sein, mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil um den andersgeschlechtlichen Elternteil zu rivalisieren. Dieses Trauma wird durch die universale Verführbarkeit verstärkt, deren Ursprung in den unbewussten erotischen Strömungen liegt, die das Kind mit dem andersgeschlechtlichen Elternteil verbinden, sowie der Kastrationsangst als archaischer Ausdrucksform der unbewusst gefürchteten Bestrafung für die ödipalen Wünsche, zu denen Inzest und Mord gehören. Die außergewöhnlich starke Wirkung dieser Traumata im Falle schwerer Entwicklungspathologien mündet, so Chasseguet-Smirgel, in die „perverse Lösung“:
- Verleugnung des Geschlechtsunterschiedes, um die Kastrationsangst abzuwehren;
- Verleugnung des Altersunterschieds, um Inzest zu legitimieren; und
- Verleugnung der privilegierten Funktionen der Genitalien.
Diese abwehrbedingte Verzerrungen führen dazu, dass nunmehr alle körperlichen Aspekte gleich sind: Es gibt keine Alters-, Geschlechts- und Organunterschiede. Diese universale Gleichwertigkeit zerstört jedes Gesetz und jede Ordnung, sie leistet einer mit Sexualität verdichteten Aggression sowie einer „analen“ Verwandlung der Objektbeziehungen Vorschub, in dem Sinne, dass die Beziehung zu einem Objekt eine völlig undifferenzierte, entwertende und ausstoßende Qualität enthält.“[1]
Die Ansicht von Simone de Beauvoir, als Türöffnerin und einiger Teile moderner Emanzipationsbewegungen, kommen dieser „perversen Lösung“ (pervers ist hier nicht abwertend gemeint, sondern eher technisch zu verstehen, vergleiche hier) nahe. Es geht, wenn der Bogen überspannt wird, um die radikale Beseitigung oder Verleugnung von Unterschieden, um einen universellen Relativismus, der alles gleich machen möchte. Ein Relativismus, der dem Selbstanspruch nach zwar Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit vertritt, aber nach der Auffassung von Chasseguet-Smirgel Ordnungen zerstört. Wenn jeder alles darf, gibt es kein richtig und falsch mehr und wir kehren zurück auf eine ethik- und moralfreie Ebene der wechselseitigen Manipulation. Einer Sichtweise von kurzfristigen Interessen und Kosten-Nutzen-Relationen, die über langfristige Beziehungen, die von Vertrauen getragen sind, dominieren. Oder man regredigert noch weiter auf die Ebene des Rechts des Stärkeren.
Es war Ken Wilber, der in „Eros Kosmos Logos“ darauf hinwies, dass es neben einer pathologischen Hierarchie auch eine gesunde Hierarchie gibt und dass der Gegenspieler der Hierarchie, die Hetrerarchie uns ebenfalls in den Varianten gesund und pathologisch begegnet. Heterarchie ist nicht per so besser und Hierarchie nicht gefährlicher.
Als Lösung spricht Wilber von „Agenz in Kommunion“, welche die beiden gesunden Aspekte von Hierarchie und gerichtetem Impuls und Herterarchie, ihrer Teilung und Ausschüttung für alle, vereint. Auf Umwegen sind wir so auch wieder zum vielleicht archetypisch männlichen und weiblichen Pol der Wirklichkeit gelangt.
Denn die Sichtweise einer hierarchischen Entfaltung der Moral ist mit dem Namen Lawrence Kohlberg verbunden und es war mit Carol Gilligan eine seiner begabtesten Mitarbeiterinnen, die ihm widersprach. Es schien bei Kohlbergs Modell nämlich so zu sein, Frauen insgesamt moralisch weniger entwickelt seien, bis Gilligan den Einspruch geltend machte, dass, auf der Stufe der konventionellen Moral, Frauen die Welt ganz einfach anders als Männer betrachten.
Männer urteilen in der Regel härter über ihre Mitmenschen, an den Prinzipien von Recht und Ordnung orientiert, Frauen neigen eher zum Verständnis für die Situation eines Menschen und dazu, ihm eine erneute Chance zu geben. Männer und Frauen ticken hier anders. Ist ihnen das nun antrainiert oder liegt das in ihrer Biologie? Ist es das eingangs erwähnte Testosteron, was Männer hier härter und unnachgiebiger sein lässt? Und Oxytocin das, was Frauen weicher macht, oder ist auch das einfach ein tradiertes Rollenmuster, aus dem beide Geschlechter nicht herauskommen oder -wollen?
Ausblick
Das Gefühl der weiblichen Unterlegenheit hat sich ziemlich gewandelt. Abgesehen davon, dass es noch immer bestehende Ungerechtigkeiten gibt, hat sich eine Sensibilität dafür entwickelt, dass es sich dann eben tatsächlich um soziokulturelle Ungerechtigkeiten handelt und nicht um ein Recht, was sich aus der Natur ergibt. Das führt nach meiner Überzeugung dazu, dass nun auf der anderen Seite bisweilen die Männer und das Männlichkeitsbild entwertet wurden, wie hier näher ausgeführt.
Unabhängig davon, ob man diese Einschätzung teilt, hat sich das Bild von Frauen radikal verändert, zum Glück und zum Besseren. Carol Gilligan machte erneut auf etwas aufmerksam, was vielleicht ein bleibendes Muster ist. Frauen orientieren sich in aller Regel mehr zur Mitte, zur Gruppe, zur Familie und versuchen dieselbe zusammen zu halten und Ausreißer wieder zurück zu holen. Männer versuchen auszureißen, vielleicht auch, weil sie das bislang nie tun mussten und immer von Mutter umsorgt wurden, wenn alles normal verlief.
Man kann nicht sagen, woran es liegt, aber Frauen sind wohl in aller Regel kommunikativer, früher reif und im Schnitt intelligenter als Männer. Von dem Bild der intellektuellen Dominanz des Mannes hat man sich also weit entfernt. Dafür gibt es – auch das ist statistisch zu verstehen – bei den Männern mehr Ausreißer nach oben und nach unten. Wenn wir von Psychopathen und Verrückten reden, sind das oft Männer, zum Ausgleich gibt es wohl tatsächlich auch mehr Genies unter Männern, als unter Frauen, auch wenn Frauen bislang auf diesen Gebieten eher unterdrückt wurden.
Alles in allem scheint das recht gelungen. Männer und Frauen ergänzen sich. Die Männer verlassen die Gruppe, mal tatsächlich, mal emotional, mal so, dass sie sich vor der Verantwortung und ihren Aufgaben in bestimmten Bereichen drücken, oder diese einfach nicht als ihre ansehen. Frauen versuchen geduldig das auszuputzen und einige der Ausreißer wieder ins Boot zu holen. Auch das bietet noch genug Nährstoff für Streit, aber hier haben wir wieder Wilbers Motiv von „Agenz in Kommunion“. Die einen machen einen Ausflug gen Himmel (oder Hölle), die anderen sehen zu, dass daraus etwas wird, wovon letztlich alle profitieren. Das könnte bei aller Spannung etwas sein, was beide akzeptieren können, wenn man nicht den Fehler macht Statistiken oder archetypische Muster zu sehr auf den Einzelfall zu übertragen. Es gibt rührend familiäre Männer und Frauen, an deren Freiheitsdrang und Selbstständigkeit wenig Zweifel bestehen.
Quelle:
- [1] Otto F. Kernberg, Liebe und Aggression, Schattauer 2014, S. 325f