Überleben und Fortpflanzen stellen im Grunde genommen noch kein Weltbild dar, bei Clans und Magie ist das bereits anders. Um die Bedeutung für unser heutiges Leben zu verstehen ist es wichtig, nicht zu sehr auf die historischen Bezüge einzugehen, sondern zu zeigen, dass und wo uns diese Denkstrukturen hier und heute begegnen.
Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um die altbekannte Dichotomie Verstand gegen Emotion, die uns hier begegnet, sondern auch um die Variante zweier unterschiedlicher Denksysteme, zweier Arten, die Dinge der Umgebung zu ordnen. Es geht vielmehr um ein assoziatives Denksystem und um ein logisch-systematisches, ein Unterschied, den Kahnemann ausführlich erläutert und diskutiert.
Clanstrukturen und Innenwelten
Mensch und Tier trennt oft weniger als wir denken, doch einen konstanten Unterschied scheint das komplexe Wir-Gefühl und die Identifikation mit einem „Wir“ mit „uns“ zu sein, wie wir in diesem psymag.de Artikel näher ausführten. Wie immer in der Entwicklung des Menschen bedeutet eine Veränderung in einem Bereich, dass davon auch andere Systeme mitbetroffen sind und einbezogen werden.
Don Beck vermutet, dass es die Eiszeit vor 50.000 Jahren war, die die Menschen näher zusammenrücken ließ, weil Lebensraum knapp wurde. Aus losen Clans wurden nun Stämme mit mehreren hundert Mitgliedern und die mussten miteinander auskommen, ob sie wollten, oder nicht. Biologisch mag das mit einer Veränderung auf der Ebene der Neurotransmitter einhergegangen sein. Oxytocin heißt das inzwischen recht bekannte Hormon, was nicht nur die Wehen einleitet, sondern auf der sozialen Ebene Zusammengehörigkeitsgefühle hervorruft: Zwischen Mutter und Kind, Liebenden, aber auch Menschen, die zusammen essen und feiern.[1]
Doch mit der Biochemie ändert auch das Denken und die Motivation. Das Verhalten und Wohlergehen anderer wird plötzlich wichtig für das eigene Leben und man ist stolz darauf Teil einer Gemeinschaft zu sein, fühlt sich zumindest wohl und geborgen. Wie bewusst oder unbewusst das vor sich ging, wissen wir nicht, schon weil die Sprache, ein Instrument, was kaum überschätzt werden kann, zu dieser Zeit vermutlich noch recht undifferenziert war. Doch auch wenn man Stolz noch nicht begrifflich fassen und ausdrücken konnte, das biologisch ältere Affektsystem, was Kommunikation und Motivation regelt, war schon aktiv und wirkte.
Aber da ist noch etwas, eine neue Art des Denkens. Das Denken in Beziehungen von Ereignissen und Dingen zueinander tritt hier vermutlich zum ersten Mal ins Bewusstsein. Ereignisse geschen nicht einfach und verblassen wieder, sondern haben eine Beziehung zueinander. Der behavioristische Psychologie Burrhus Frederic Skinner konnte durch ein berühmtes Experiment mit Tauben nachweisen, dass man durch belohnende Verstärkung zufälliger Verhaltensweisen auch diese Tiere auf ein angenommenes Ursache-Wirkungs oder kausales Denken konditionieren konnte. Doch Konditionierungen sind eben unbewusst und auf diesem Weg entstanden ad hoc Theorien über Zusammenhänge zwischen Ereignissen der Außen- und der Innenwelt, nicht nur in der Tierwelt.
Wenn ich einen bestimmten Gedanken habe und unmittelbar danach beginnt es zu donnern, kann ich der Auffassung sein, der Donner habe mit meinem Denken zu tun, sei von diesem verursacht, so wie Skinners Tauben möglicherweise „dachten“, eine merkwürdige Bewegung ihrer Flügel oder ein zufällige Picken hätten eine Auswirkung auf eine parallel auftretende Futtergabe. Auf diese Weise kann man das Verhalten von Tauben, durch operante Konditionierung, grotesk verzerren, die offenbar dem „Aberglauben“ anhängen ihr Abspreizen des Flügels oder ein Picken hätte Einfluss auf die Futtergabe.
Es ist vermutlich zu reduktionistisch, mit diesem Verhalten das Entstehen von menschlichem Aberglauben erklären zu wollen, aber an der Quelle steht sicher auch diese Verknüpfung. Doch Menschen sind in der Lage, diese einzelnen Fragmente zu ganzen Weltbildern und Ideologen aufzupumpen und tun das bis zum heutigem Tag. Ein Akt, der nicht ganz falsch ist, weil er Ereignisse in Beziehung setzt, die zusammen auftreten. Vieles was zusammen auftritt hat tatsächlich auch einen kausalen Bezug, das heißt es hängt ursächlich zusammen, wie Blitz und Donner. Nur ist eben nicht alles was in zeitlicher oder räumlicher Nähe zusammen auftritt durch eine kausale Verbindung verknüpft. Meine „bösen“ Gedanken kurz vor dem Donner werden nicht dazu gerechnet und heute käme den meisten dieser Gedanke auch ziemlich verworren vor.
Vorurteile und Verschwörungstheorien
Doch in neuem und nur leicht verändertem Gewandt haben diese Ideen dennoch Konjunktur. Verschwörungstheorien dieser und jener Art folgen genau dieser Logik oder genauer gesagt, einer Art Vorform der Logik, die es nicht schafft die eigenen Prämissen zu hinterfragen. Ausführlich dazu dieser psymag.de Beitrag.
Aber: Man kann paranoid sein und dennoch verfolgt werden, niemand weiß genau wo die investigative Recherche endet und die Verschwörungsidee anfängt und so hat auch diese Entwicklungsstufe ihre zwei Seiten. An ihrer Geburtsstätte sehen wir, dass komplexe Beziehungen entstehen, zwischen äußeren Ereignissen, aber auch – und das ist an sich sensationell – zwischen inneren und äußeren Ereignissen. Das ist die Entstehung des magischen Denkens auf das wir gleich zurückkommen.
Auch Vorurteile sind durchaus ambivalent. Sie haben keinen guten Klang, weil wir gelernt haben, dass man Vorurteile nicht haben sollte. Dabei hat sie jeder und das ist zunächst auch nicht weiter schlimm. Ein Geflecht von Vorurteilen ist für seinen Besitzer energiesparend, denn er erlebt sich in einer bekannten Welt, die weitgehend so funktioniert, wie er es erwartet. Unangenehm werden die Vorurteile eher für andere, die davon betroffen sind. Prallt eine stark abweichende Realität auf diese vorgefügten Bilder, kann man seine Vorurteile revidieren und sein Weltbild verändern. Deshalb ist nicht die Frage, ob man Vorurteile hat entscheidend, sondern, ob man Willens und in der Lage ist, sie zu revidieren. Das ist es, was die Spreu von Weizen trennt. Verschwörungstheoretiker haben überhaupt kein Interesse daran, ihre Vorurteile zu revidieren ihr Denken geht pars pro toto: was einmal so ist, wird immer so sein, der Einzelfall steht paradigmatisch fürs Prinzip.
Manchmal stimmt das, denn was uns auszeichnet ist unter anderem die Eigenschaft Prinzipien aus Einzelfällen zu extrahieren und andererseits diese Prinzipien wieder auf neue, konkrete Einzelfälle anzuwenden. Säugetiere ernähren ihre Nachkommen über die Zitzen, während Amphibien, Reptilien und Vögel eben Eier legen, das schien ein Prinzip zu sein, bis das Schnabeltier als eierlegendes Säugetier die Bühne betrat. Jedoch dürfen wir das Kind nicht mit dem Bad ausschütten, denn Gewohnheit ist in der Logik zwar kein Argument, im Leben aber schon. Wenn es auch falsch ist, dass Säugetiere niemals Eier legen, so tun die meisten es dennoch nicht. So ist auch vieles aus unserem Assoziationssystem brauchbar, aber eben nicht sicher. Wenn wir es genauer wissen wollen, müssen wir noch mal nachlegen und unser anstregendes System ankurbeln, was den Dingen systematisch, zeitraubend, aber oft erfolgreich auf den Grund geht. Auch dazu sind wir in der Lage. Und noch etwas: Es wäre deutlich zu einfach, das assoziative System als etwas oberflächlich und blöde hinzustellen, tatsächlich schaltet unser Organismus ins lebensbedrohlichen Situationen auf das schnelle System um, was zeigt, dass, wenn hier noch etwas zu retten ist, es nicht durch nachdenken passieren wird. Hier ist sie wieder, die Kluft zwischen grundlegend und bedeutend, wenn es sie denn gibt.