Es gibt einige neue Ansätze, die uns das Gute des Bösen nahebringen. In Heilige und Psychopathen machten wir auf diese Tendenz auf individueller Ebene aufmerksam. Auch die schlechtesten menschlichen Eigenschaften kann man zum Wohle des Ganzen nutzen und einbinden, auch wenn dazu das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und man sich vor Vereinfachungen wie: Es ist gut, böse zu sein, hüten muss, denn es ist komplizierter.
Auf kollektiver Ebene scheint es nicht viel anders zu sein. Als das absolut Böse gilt dort gemeinhin der Krieg, der für gar nichts gut zu sein scheint. Ian Morris, ein Archäologe und Historiker der Universität Stanford bestreitet das und zeigt recht überzeugend, dass der Krieg sehr wohl für etwas gut ist. Denn ausgerechnet Krieg hat, aufs Ganze betrachtet, die Erde immer sicherer gemacht. Da dieser Vorgang, wie auch sonst kaum ein kollektiver, nicht monokausal ist, gibt es auch unproduktive Kriege und die Zahl ihrer Opfer und Gräuel sind Legion und sollen nicht beschönigt werden.
Und doch belegen die Zahlen, dass in der Gesamtmenge zwar immer mehr Menschen in Kriegen sterben, die Weltkriege des 20. Jahrhunderts sind diesbezüglich fraglos die Höhepunkte, doch gleichzeitig sinkt der Prozentsatz der Möglichkeit durch Gewalt zu sterben durch die Geschichte immer weiter ab und zwar, trotz einiger Stagnationen und Aussetzer, drastisch.
Die friedliche Urhorde und der ganz in die natürliche Ordnung eingebundene Mensch schien ein Garant für das Paradies auf Erden zu sein und galt als Argument pro Natur und gegen Kultur, die den Menschen immer entfremdeter, grausamer und unfreier machen sollte.
Doch die emprischen Befunde, die besagen, dass genau das Gegenteil stimmt, überschlagen sich seit Jahren. Laut Morris, der sich auf viele Quellen bezieht, lag die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Todes zu sterben in der Zeit der ersten Menschen irgendwo zwischen 10 und 20 Prozent, in der Zeit der Großtötungen des 20. Jahrhunderts bei ein bis zwei Prozent. Und heute liegt das Risiko bei wenigen gewaltsamen Toten pro Tausend.
Das Gute des Bösen des Krieges
Irritierend ist, dass es oft nackte Gewalt war, die Frieden brachte. Kein Krieg der Welt war schön, unglaublich bis bestialisch mit welcher Brutalität in ihnen vorgegangen wurde. Und doch waren die imperialen Reiche gezwungen, Ordnung herzustellen und innerhalb ihrer Grenzen für Frieden zu sorgen. Kein echtes Imperium war dabei zimperlich, aber wenn man die hartnäckigen Feinde ermordet hatte, musste man die Angepassten versorgen und bei Laune halten und in den Produktionsprozess einbinden.
Nicht unbedingt die gute Absicht war der Vater des Gedankens, es war die eigene Stabilität, wollte man Bürgerkriege und Revolten verhindern. Und nahezu jede technische, logistische und kognitive Neuerung brachte mehr Komplexität mit, die zu mehr sozialer Komplexität wurde. Das Gute des Bösen ist hier, dass Krieg zu einem Anwachsen an sozialer Stabilität führt und zwar Schritt für Schritt, mit all den Rückschritten und Stagnationen, die zu evolutionären Prozessen gehören.
Konsequenzen
Was heißt das nun weltanschaulich? Es heißt gewiss nicht, dass wir moralische Relativisten (alle Werte sind gleich gut) oder Nihilisten (nichts ist von Wert) werden sollten, aber die eher simplen Kategorien von Gut und Böse sind in der Regel nicht mehr als eine grobe Orientierung. Als solche sind sie sinnvoll. Gut ist, wenn Menschen immer eigenständiger und selbstverantwortlicher werden, jedenfalls die, für die das passt, nicht jedem erscheint das attraktiv. Nicht alle Gesellschaften sind gleich weit entwickelt und nicht alle Menschen innerhalb einer Gesellschaft sind es.
Bei allen Grenzen der Vernunft, als Zwischenziel ist der Mensch, der begründen kann was er tut und nicht einfach blinden Geboten und Verboten folgt, ein Vorteil. Und wenigstens zu gehorchen ist ein Vorteil, für die meisten der völlig Regellosen. Aber die Extreme berühren sich. Die gefährlichsten Vorgänge und Eigenschaften können genutzt werden und selbst atomare Massenvernichtungswaffen haben den strategischen Vorteil, dass es sich für den Angreifer nicht lohnt anzugreifen, da die Konsequenz die wechselseitig versicherte Auslöschung wäre. Ein Patt auf übelstem Niveau, mit dem Nachteil, dass das Spiel aus Versehen schief gehen kann.
Doch das Gute des Bösen ist auch hier zu finden. Offen bleiben wäre eine Konsequenz, hinschauen, ob das, was zunächst als böse gilt, nicht doch seinen Sinn oder Nutzen haben könnte. Erkenntnis ist ein dynamischer Prozess.