Mann mit Bart und Bierdose am Steuer

wild, exzentrisch und nicht konventionell © Karl-Ludwig G. Poggemann under cc

Über die Stufen der Moralentwicklung ist schon viel geschrieben worden. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang die bahnbrechende Arbeit von Lawrence Kohlberg, der die Idee moralischer Entwicklungsstufen formuliert und empirisch nachzuweisen versucht hat. Herausgekommen sind sechs (bis acht) Stufen der Entwicklung, die hierarchisch aufeinander aufbauen und die man zu den drei großen Ebenen: präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle Moral zusammenfassen kann.

Die Frage, was uns motiviert und wie wir entscheiden, ist im Zuge der Willensfreiheitsdiskussion und der Erörterung, ob gut und böse überhaupt angemessene Kategorien für unser Zusammenleben sind, wieder relevant geworden. Wir wollen versuchen die einzelnen Stufen der Moralentwicklung zunächst grob zu verstehen.

Präkonventionelle Moralentwicklung: Ich und meine Antriebe

Wer mit seinen Antrieben oder momentanen Affekten identifiziert ist, weiß in der Regel nicht, dass er es ist, sondern hat das Selbsterleben, von „Ich tue, was ich will, was mir gefällt, der Rest interessiert mich nicht.“ Klingt selbstbewusst und durchsetzungsstark, doch bereits Kant argwöhnte, ein solcher Mensch sei lediglich ein Sklave seiner Triebe. Da ist was dran.

Andererseits imponiert es schon, wenn jemand, getrieben oder nicht, seinen Weg geht, im Zweifel gegen alle Widerstände. Das kennzeichnet Erfinder und Pioniere, leider auch Selbstmordattentäter. Leicht präkonventionelle Menschen empfinden Regeln und Normen als Beschränkung, was manchmal dazu führt, dass sie gegen die Norm sind, nur um gegen die Norm zu sein, um zu zeigen, dass sie anders sind, man sie nicht fangen und zähmen kann. In einer schwer pathologischen Variante sind solche Menschen – komplett desinteressiert an Konventionen – oft auch erschreckend unempathisch.

Konventionelle Moralentwicklung: Ich und meine Gemeinschaft

Anders der konventionelle Charakter. Oft etwas spießig und ohne gute Lobby, handelt es sich doch um Charaktere, die eine Gesellschaft braucht. Durchaus nicht immer der law and order Typ, auch wenn der zur konventionellen Stufe zählt. Konventionelle Menschen tun nicht nur Erlaubtes, sie schlagen bisweilen über die Stränge – wenn es alle tun. Man geht mit der Mode, fährt etwas zu schnell Auto, hinterzieht im geringem Maße Steuern, macht seinen Jahresurlaub all inclusive, ist bei Facebook, weil eben alle da sind. Man freut sich an dem, was gerade in ist und will halbwegs vorne dabei sein, Frauen eher bei der Mode, Männer beim Elektrospielzeug.

Nur scheinbar unkonventionell sind die, die alles anders machen, das aber ebenso schablonenhaft. Man ist öko eingestellt, isst vegetarisch, kritisch gegenüber allem, was die anderen machen, politisch korrekt und ein Gutmensch in dem Sinne, dass man zu allem die stets richtige Meinung hat. Autoritätshörig ist man weiterhin, nur unterwirft man sich seinen Autoritäten und beurteilt den Wert von Menschen nicht anhand ihrer Sexualität, sondern an der Kohlendioxidbilanz. Man definiert sich primär über die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und erkennt oft nicht, dass auch das „Ich bin so individuell und einzigartig“ auch schon zur Normgruppe mit passender Ausstattung, vom Bier übers Auto über die Versicherung zum Katalogpartner mit Niveau, geworden ist.

Der Vorteil dieser Gesinnung ist, dass man im besten Sinne in der Masse aufgeht und sich das Vergnügen des entspannten Eintauchens gönnt, wo andere oft mürrisch und vielleicht manchmal ein wenig neidisch am Rand stehen. Man mag ja berechenbar sein, aber wenn man darunter nicht leidet?

Postkonventionelle Moralentwicklung: Ich und mein begründeter Wille

Wer steigt aus, aus dem Spiel und wie steigt man aus? Eigentlich ganz einfach, man muss sich wirklich trauen, nach seiner Musik zu tanzen ohne zum Hardcoreegozentriker zu werden. Man passt sich an, verlangt aber nach Gründen, die keine Floskeln sind.

Weg mit Hecken im Schrebergarten

Die Kleingartenanlage – Spießers Glück oder ein Stück Freiheit? © Torsten Maue under cc

Ein Klassiker der Psychologie ist das Milgram-Experiment. Kurz gesagt (ausführlich hier) geht es darum, wie weit Menschen angesichts von Pseudobegründungen gehen, auch wenn sie andere damit quälen und töten könnten. Sie gehen erschreckend weit und Floskeln reichen ihnen als Begründung. Einige jedoch fragen nach, steigen aus.

Statistisch sind es die Intelligenteren, aber, wie Kohlberg feststellt, ist Intelligenz eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für hohe Moralentwicklung: „Alle moralisch fortgeschrittenen Kinder sind gescheit, aber nicht alle gescheiten Kinder sind moralisch fortgeschritten.“ (vgl. Die Psychologie der Moralentwicklung, S. 33) Die weiteren benötigten Zutaten sind Impulskontrolle und Aufmerksamkeit sowie Empathie.

Gewisse Sonderfälle scheinen Heilige und Psychopathen darzustellen, ihnen widmen wir uns auf psymag.de demnächst.