Ich-Stärke, Selbstbewusstsein und Narzissmus hängen an der Oberfläche eng zusammen, unterscheiden sich aber mitunter fundamental in der Tiefe.
Wenn man sich selbst als nicht so selbstbewusst empfindet, irgendwie eher leise und introvertiert ist, deshalb vielleicht oft fälschlicherweise für dumm oder arrogant gehalten wird, dann wünscht man sich in der Regel mehr Selbstbewusstsein. Man bewundert dann oft die Leute, denen es scheinbar nichts ausmacht im Mittelpunkt zu stehen, klar zu sagen, was sie denken, dies sogar zu genießen scheinen, während man selbst oft schon in kleiner Runde überfordert ist und nicht weiß, was man sagen soll, um nicht irgendwie anzuecken oder peinlich zu wirken.
In solchen Situationen wünscht man sich mehr Ich-Stärke und Selbstbewusstsein, man möchte wenigstens ein bisschen so sein wie die, denen nicht nur die kleine Bühne des Alltags, sondern auch die große nichts ausmacht, die diese sogar genießen. Jemand, der so gestrickt war, sagte mir mal, er sei vor 1.000 Leute besser als vor 20.
Der innere Zusammenhang von Ich-Stärke, Selbstbewusstsein und Narzissmus
Dieser Zusammenhang ist theoretisch umstritten. Erstens stellt sich die Frage, wie selbstbewusst Narzissten eigentlich tatsächlich sind und zweitens wird das ganze Konzept der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in der Neuauflage des ICD (aus dem auch psychologische Diagnosen stammen) revidiert.
Wenden wir uns dem ersten Punkt zu, dem Selbstbewusstsein der Narzissten. Bei manchen scheint es nahezu unerschütterlich zu sein. Diese Menschen sind manchmal extrem überzeugend und charismatisch, weil sie wirklich glauben, was sie sagen. Man könnte überspitzt sagen, selbst dann, wenn sie lügen. Die Lüge stört sie oft nicht, weil ihre Grandiosität es mit sich bringt, dass sie ernsthaft glauben, dass für sie andere Kategorien gelten als für alle anderen. Das ist Teil ihres Narzissmus.
Nun heißt es auf der einen Seite, Narzissten seien gar nicht so selbstbewusst, sondern ihre Grandiosität sei lediglich kompensatorisch, also ein Abwehrmechanismus gegen erlebte Kleinheit und Ohnmacht, bis zur Nichtswürdigkeit. Ich teile diese Auffassung. Es gibt ein anderes Lager, das behauptet, das sei ein Irrtum, Narzissten seien wirklich zutiefst von sich überzeugt.
Hier muss man sehen, was Abwehrmechanismen bedeuten und wie sie arbeiten. Wenn Narzissmus eine Kompensation gegen Kleinheit und Ohnmacht ist, so heißt das nicht, dass Kleinheit und Ohnmacht auch erlebt werden. Genau dafür gibt es ja diese Abwehrmechanismen, die wir uns nicht selbst ausdenken und mühsam einstudieren, sondern die Fähigkeit dazu ist sozusagen schon in unseren Basiseinstellungen dabei. In bestimmten Notlagen werden diese dann aktiviert und diese Notlagen erleben wir in der Folge nicht mehr als solche. Ob es Dissoziationen, Verdrängungen oder eben der Weg in die narzisstische Grandiosität sind, sie sind Teil unseres psychischen Immunsystems, das hervorragende Arbeit leistet.
Man erlebt sich nicht als: Eigentlich bin ich ja eine arme Wurst, aber ich tue mal so, als sei ich ein strahlender Held. Man erlebt sich als Held. Es gibt Erfahrungen, die so zerstörerisch sind, dass man mit dem Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, der Abhängigkeit einfach nicht umgehen kann, es wird zu viel, es behindert das Leben. Es ist ein Wunder, dass man diese Bereiche abspalten kann, so dass man sich mehr oder weniger seinem normalen Alltag widmen kann, trotz Umständen, die es eigentlich kaum möglich machen dies zu tun.
Man driftet nicht unbedingt in eine Phantasiewelt, die von der Realität völlig entkoppelt ist, wenn man narzisstisch ist, Narzissmus ist keine Psychose. Narzissten funktionieren im Alltag, oft überschätzen sie sich, häufig verdrehen sie die von ihnen eingeforderte Perfektion und die Idee einer eigenen Leistung, bei der man Fünfe gerade sein lässt und oft nur mittelmäßig agiert, dies aber als Maß der Dinge verkauft. Für sie gelten immer eigene Regeln und das sind vor allem solche, an die sie sich nicht halten müssen, denn sie sind ja großartig. Dass das vom Fußvolk nicht verstanden wird, ist nur folgerichtig. Das macht sie manchmal hemmungslos und korrupt. Die anderen sollten das nicht tun, aber bei mir ist das was anderes, ist ihre Einstellung.
Narzissmus und Erfolg
Nun könnte man denken, dass das so dick aufgetragen ist, dass es einfach nicht gut gehen kann. Oft ist das auch so. Viele Narzissten scheitern über kurz oder lang mit ihren Turm, hohen Ansprüchen und Größenphantasien, aber in jungen Jahren kann man das noch gut kompensieren. Die anderen haben dann nur noch nicht begriffen, wie großartig man ist. Aber sie werden sich noch wundern.
Das Scheitern von Beziehungen und beruflichen Erfolgen macht Narzissten nach etlichen Fehlschlägen irgendwann ansprechbar für Therapie. Lächelt man in frühen Lebensjahrzehnten noch spöttisch über Therapeuten, so ist die Chance, dass man in den späten 40ern noch als unerkanntes Genie durchgeht in den meisten Branchen irgendwie nicht mehr glaubhaft. Mit jedem Lebensjahrzehnt werden die Aussichten von einer Therapie zu profitieren besser, jedenfalls bei den Formen von gutartigem Narzissmus, in Verlängerung des Selbst sind die Eskalationsgrade des Narzissmus von gut- zu bösartig aufgeführt.
Therapeutisch nachteilig ist es allerdings, wenn Narzissten in ihrem Leben Erfolg haben. Das Ganze ist ein wenig kompliziert. Generell laufen Narzissten mit ihrem Verhalten eher auf und scheitern. Da sie aber mehr als alle anderen eine hohe Affinität zu gesellschaftlichen Spitzenpositionen haben, in denen sie Einfluss oder Status haben und das Gefühl, dass ihnen das natürlicherweise zusteht und ihre Skrupel gering sind, andere wegzubeißen, finden wir an der Spitze dennoch oft Narzissten.
Da sie oft charmant sind, ein einnehmendes Wesen, Charisma und eine hohe Suggestivkraft haben, vor allem, wenn sie intelligent und attraktiv sind, haben sie einen guten ersten Auftritt, der souverän und überzeugend ist. Oft können sie sich auch in bedrängnisvollen Situationen immer wieder aus der Affäre ziehen und lange Zeit Erklärungen dafür finden, warum sich der prophezeite Erfolg dann doch nicht einstellt. Häufig sind in ihrer Darstellung andere schuldig, Neider, Missgünstige oder die allgemeinen Umstände.
In manchen Bereichen der Geschäftswelt kommen großspurige bis größenwahnsinnige Ideen in einem beträchtlichen Umfang vor, da sind dann Narzissten sogar besonders geeignete Kandidaten. Im Privatleben läuft es oft nicht so gut, unser Narzissmus in der Liebe ist fast schon ein Klassiker und stellt die Verwicklungen dort dar. Weil es im Privaten oft hapert, fokussieren sich Narzissten oft auf die Berufswelt.
Auftritte in der Öffentlichkeit, Glamour und Ansehen, im Mittelpunkt zu stehen und die Kontrolle zu haben ist in unterschiedlichen Maßen oben auf ihrer Prioritätenliste, Narzissten brauchen die Öffentlichkeit, den Auftritt im konkreten und übertragenen Sinn. Gleichzeitig können sie es nicht ertragen, jemanden zu brauchen und sind so gezwungen, erhaltenes Lob zu entwerten, sonst müssten sie anerkennen, dass sie sich freuen und ihnen etwas wichtig ist, das Urteil des anderen. Das können sie aber nicht zugeben, denn Abhängigkeit ist ihnen in jeder Form zuwider, zum anderen sind sie neidisch, weil andere etwas können, was sie selbst nicht können, nämlich sich – wenigstens manchmal – aufrichtig und herzlich mit anderen und für sie zu freuen. Der Erfolg anderer ist immer ein Stachel im Fleisch der Narzissten.
Wann ist Selbstbewusstsein übertrieben?
Selbstbewusstsein zu haben ist gut, selbst wenn man viel davon hat. Zwischen Selbstbewusstsein und narzisstischer Grandiosität gibt es aber signifikante Unterschiede. Ein selbstbewusster Mensch mag von seiner Meinung überzeugt sein, aber er wird anderen zuhören und über dessen Einwände oder Meinung nachdenken. Im besten Fall nachfragen und sogar versuchen, die Idee des anderen zu stärken.
Narzissten tun das nicht, es kann nur einen geben, der Recht hat und das sind stets sie. Von anderen wollen sie Beifall, keine Ergänzungen oder gar Kritik. Gut kommt bei ihnen nur jemand an, der im Grunde so denkt, wie sie und den sie meinen, noch so formen zu können, dass er ihnen gleich wird. So jemand wird dann gelobt, weil er auf einem sehr guten Weg ist. Die Asymmetrie liegt darin, den anderen als gut, wenn auch noch nicht perfekt zu bewerten, wobei man selbst – als der, der bewertet – der Chef im Ring ist.
Selbstbewusste Menschen nehmen Kritik an, suchen sie sogar und setzen sich mit ihr auseinander. Entweder sie versuchen sie durch Argumente zu entkräften, aber nicht, wie Narzissten, zu entwerten. Denn Narzissten drehen bei Kritik völlig durch. Entweder sie werden wütend oder der andere wird kalt entwertet und nie wieder erwähnt, auch wenn er vorher ein guter Freund war. Selbstbewusste Menschen können eigene Fehler und Irrtümer zugeben und bauen die Kritik anderer, oft dankbar, in ihr Weltbild ein. Für Narzissten ist es oft geradezu vernichtend einen Fehler gemacht zu haben und ihn eingestehen zu müssen. Sie können nur denken, dass alle anderen sind wie sie und auf einen Fehler mit Häme und Entwertung reagieren und manchmal ist es für sei einfacher zu sterben, statt das Gesicht zu verlieren.
Der Grund ist, dass Narzissten an einer Ich-Schwäche leiden und ihre Grandiosität nicht auf einem Fundament aus dicken Steine errichtet ist, sondern eher einer Film Kulisse gleicht. Eine prächtige Fassade, die beim Sturm allerdings in sich zusammen bricht. Zum Vorschein kommt dann manchmal das reale Ich, was so schamhaft verborgen werden muss, das klein und unsicher ist. Allerdings wird es in der Regel so gut versteckt, dass es sehr selten zum Vorschein kommt.
Charme und Populismus
Narzissten sind für ihren Charme und ihr gewinnendes Wesen bekannt. Wenn man weiß, wo man pieksen muss, bringt man den Ballon manchmal zum platzen, aber nicht jeder hat da Übung und manchmal reicht es, wenn man einige gewinnt, die von einem begeistert sind, es müssen nicht alle sein. Es gelingt ihnen oft in der Liebe, im Berufsleben und auch in der Politik. Aber wie kommt es eigentlich zu dieser Fähigkeit, andere für sich einnehmen zu können?
Sie wollen ein Ziel, dass sie sich gesetzt haben, um jeden Preis erreichen. Dafür nehmen sie auch Opfer in Kauf und hängen sich für eine gewisse Zeit richtig rein, damit sie ihr Ziel erreichen. Nicht immer sind ihre Mittel legal, aber das stört sie oft nicht. Kleine Tricks und Betrügereien gehören für sie dazu, nicht selten stehen sie mit dem Gesetz in Konflikt, es könnte ihnen zumindest drohen. Warum?
Weil sie in ihrer eigenen Welt leben. Nicht in einem psychotischen oder autistischen Sinne, sondern bezogen auf die Werte der Gemeinschaft. Sie wissen, dass diese Werte existieren, aber sind der Meinung, dass für sie andere Regeln gelten. So kann man denken und empfunden, wenn einem Werte letztlich völlig egal sind, außer denen, die den eigenen Erfolg unterstützen. Gemeinhin nennt man das Opportunismus. Man unterstützt etwas, solange es einem nützt, bringt es nichts mehr für den eigenen Erfolg, behauptet und unterstützt man im Zweifel das Gegenteil, ohne Gewissensbisse, ohne das Gefühl sich erklären zu müssen.
In Beziehungen geht es zumeist darum, einen Partner oder eine Partnerin zu erobern, ist dieses Ziel erreicht wird er oder sie schnell langweilig und das übergroße Engagement wird nicht selten völlig eingestellt. Ähnlich ist es im Geschäftsleben oder der Politik. Ist man schlau genug um zu erspüren, was die anderen hören wollen, erzählt man ihnen genau das. Hat man erst eine bestimmte Anzahl an Menschen auf seine Seite gebracht, kann man durch Wiederholungen das Feuer immer wieder entfachen, Populisten tun dies, mit derzeit großem Erfolg.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Selbstbewusstsein und Narzissmus in Kurzfassung
Selbstbewusstsein und Narzissmus sehen an der Oberfläche manchmal ähnlich aus, aber selbstbewusste Menschen müssen sich nicht einschmeicheln und beenden ihr emotionales Engagement in der Regel nicht abrupt wieder, sondern halten es auch in schwierigen Zeiten aufrecht. Selbstbewusste Menschen kritisieren andere durchaus, aber ihre Kritik richtet sich gegen eine bestimmte Einstellung oder Aussage, es wird in der Regel nicht die ganze Person entwertet. Narzissten können auch sachliche Kritik nicht vertragen und reagieren darauf beleidigt, mit Ignoranz, Wut oder sie wirken völlig konsterniert, während selbstbewusste Menschen echte Kritik oft suchen und wissen, dass sie von ihr profitieren können. Selbstbewusste Menschen können andere neben sich bestehen lassen, sich für und mit anderen freuen, Narzissten müssen die wichtigste Person im Raum sein.