In den letzten Jahren hat sich zunehmend herausgestellt, dass kognitive Intelligenz (der bekannte IQ) allein nicht ausreichend und oft nicht einmal entscheidend für ein erfolgreiches und zufriedenes Leben ist. Bausteine der emotionalen Intelligenz, die der amerikanische Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman populär machte, sind hier sogar oft überlegen. Einer dieser Bausteine ist die Affektkontrolle.
Was ist emotionale Intelligenz?
Emotionale Intelligenz zerfällt in verschiedene Bereiche. Einen könnte man grob als kommunikative Intelligenz bezeichnen, ein anderer Bereich ist das Einfühlungsvermögen in andere Menschen, die Empathie. Ein nächster wichtiger Punkt ist die Affektkontrolle, die Fähigkeit sich selbst und die eigenen momentanen Wünsche, zugunsten langfristigerer Ziele, zu beherrschen.
So unbedeutend es zunächst klingen mag haben Untersuchungen doch gezeigt, dass man deutliche Unterschiede hinsichtlich der Fähigkeit zur Affektkontrolle bereits bei Kindern sieht. Es ging darum, kleine momentane, aber sofort erreichbare, Belohnungen aufzuschieben um dadurch später größere versprochene Belohnungen zu erlangen oder sofort zuzugreifen, anders gesagt: ein Bonbon jetzt oder zwei Bonbons später. Langzeitbeobachtungen zeigten, dass die Kinder, die sich früh bremsen konnten, später im Leben deutlich erfolgreicher waren.
Kann man Affektkontrolle lernen?
Diese Erkenntnisse haben jedoch, wie so oft, einen Haken.
Zum einen ist das Temperament genetisch weitgehend fixiert, das heißt, ob man emotional eher zurückhaltend oder stark beteiligt ist, ist zu einem hohen Grad angeboren und ändert sich auch nicht wesentlich im Laufe des Lebens. Zum anderen, ist es eine grundlegende Erkenntnis der Psychoanalyse, dass unterdrückte Gefühle zu eigenen neurotischen Problemen führen und auch das ist fraglos richtig.
Was also kann und sollte man tun?
Die goldene Mitte
Das sogenannte Abreagieren, das heißt ein uneingeschränktes Ausleben von momentanen Affekten, galt früher einmal als einer der Königswege zur psychischen Gesundheit, doch inzwischen hat man sich von dieser Idee verabschiedet. Wer sich von einem Wutausbruch zum nächsten hangelt, ständig in Tränen ausbricht und Kleinigkeiten dramatisiert, ist kein zufriedener Mensch – so wenig wie derjenige, der spröde und unemotional nichts fühlen kann.
Besser ist es, wenn man seine Gefühle wahrnehmen, sie ausdrücken und mitteilen kann, in Bildern, Gesten oder im Gespräch, so dass man einerseits Kontakt zu seinen Emotionen hat, ohne zugleich vom Sturm immer neuer Affekte mitgerissen zu werden. Das ist oft leichter gesagt als getan, aber man kann durchaus etwas tun. Menschen, die hochemotional reagieren, erleben sich oft von Reizen überflutet, ihnen wird schnell alles zu viel und sie reagieren aus einer gewissen Hilflosigkeit mit Wut, Tränen oder manchmal sogar selbstverletzendem Verhalten. Wie viele Betroffene sagen um sich selbst wieder zu spüren, um den Kontakt mit sich selbst wieder herzustellen.
Genau das ist auch einer der Wege aus dem Dilemma, den bewussten Kontakt zu seinen Empfindungen herzustellen und ihren Strom etwas zu bremsen.
Die Mitte erreichen
Damit das gelingt, ist es wichtig, seine Empfindungen einzeln zu spüren.
Die Augen schließen und hören, was es zu hören gibt. Spüren, wie es ist zu gehen. Fühlen, wie der Atem fließt, sonst nichts. Einfach unverwandt in die Ferne blicken und schauen, ohne etwas zu fixieren. Sich hinsetzen und versuchen zu spüren, wie es ist, einfach da zu sitzen. Ankommen und sein Gewicht abgeben. Wind und Sonne auf der Haut spüren.
Es sind sehr einfache Übungen, die hier helfen können. Nicht viele Aktivitäten gleichzeitig, sondern bei einer bleiben. Sich immer wieder bewusste Inseln der Ruhe schaffen. Der Vielzahl der Reize mag man ausgeliefert sein, aber mit der Zeit lernt man immer mehr bei sich, bei einzelnen Empfindungen, zu bleiben. Ebenso lernt man, wie man sich bremst und nicht mehr sofort reagiert, weil zwischen dem Reiz und der Reaktion darauf eine Lücke entsteht, in der das Ich einen Ort zu wachsen findet, so dass man selbst besser entscheiden kann, welchen Affekten man nachgeht und welchen nicht.
Quellenangaben
- Howard Gardner, Abschied vom IQ, 1997, Klett-Cotta
- Daniel Goleman, EQ. Emotionale Intelligenz, 2. Auflage, 1997, dtv