Langeweile: langhaarige Frau stützt Kinn auf Hand

Langeweile kennen wir alle. © Incase under cc

Langeweile kann man aus mehreren Gründen haben. Erstens, weil man etwas machen möchte und aktuell gar nichts tun kann oder zweitens, weil man etwas tun möchte, aber derzeit etwas anderes tun muss. Langeweile wird in fast allen Fällen zunächst als negatives, zähes, herabziehendes Gefühl erlebt, das man unter allen Umständen vermeiden möchte.

Doch anders als durchgehend negative Gefühle wie Neid oder Eifersucht, kann die Langeweile ihr tristes Gesicht mitunter wechseln. In einer Burnout-Zeit, in der sich viele Menschen chronisch gestresst und fertig fühlen, wünschen sich manche, halb im Spaß, aber eben auch halb im Ernst, sich endlich mal wieder zu langweilen.

Langeweile ist, wenn sie aktuell stattfindet, eigentlich nie schön, doch rückblickend sieht man sie manchmal anders, vielleicht etwas verklärt, auf jeden Fall milder. Es war die Langeweile, die die eine oder andere Phantasie anregte, beim Blick in die Vergangenheit möchte man auch so manche quälend sich dahinziehende Stunde nicht missen. Jedenfalls nicht jene, in denen man sich und die eigene Kreativität ausprobieren konnte. Anders vielleicht die, in denen man festsaß, nicht weg konnte, wie mancher sie in der Schule erlebte.

Der moderne Reizhunger

Phasen des Alleinseins, des auf sich gestellt Seins, waren früher vermutlich viel häufiger. Heute haben wir das Phänomen, dass wir kaum Sekunden haben, in denen das Gefühl der Langeweile überhaupt aufkommen könnte, weil wir durch Musik oder Smartphone jede noch so kleine Ereignislücke füllen können: an jeder Ampel, im Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken, wenn der andere gerade zum Klo geht. Selbst die natürlichen Konkurrenten pubertierender Jungs, die Pferde, haben kaum noch Chancen, die Aufmerksamkeit gehört immer auch der virtuellen Welt, das Smartphone ist auch beim Trab dabei. Ein merkwürdiger Anblick, weil er so schnell so normal geworden ist.

Kann man sich da überhaupt noch langweilen, wo Ablenkung so billig zu haben ist? Ja. Die Langeweile ist ein machtvolles Gefühl, sie kann trotz allem auftreten, je mehr, umso kurzfristiger und zerhackter die Zeit der Ablenkung ist. Hier ein paar Zeilen, da ein Gruß, ein schnell verschicktes Foto.

Es kann sogar so sein, dass die Langeweile inmitten von Aktivitäten auftritt, wenn bestimmte Gesprächsthemen oder Floskeln zu Tode langweilen, etwas, wogegen man vor allem in jungen Jahren allergisch ist, oder wenn man das Gefühl hat, die besprochenen Themen seien zu seicht und oberflächlich. Das kann eine Folge sehr idealistischer eigener Werte sein oder wenn man dabei ist, sich auszuprobieren und seinen Platz im Leben zu finden, manchmal steckt jedoch auch eine ernste Pathologie dahinter.

Narzissmus und Langeweile

Das ist dann der Fall, wenn einem alles, was die anderen zu bieten haben, langweilig erscheint und man meint, einzig und allein die eigenen Themen seien von Bedeutung und man kein Gefühl dafür hat, dass diese Themen die anderen genauso langweilen könnten, wie deren Themen einen selbst. Die Langeweile derer, die von der eigenen Wichtigkeit überzeugt sind, hat aber eine noch stärkere Ausprägung, denn sie fühlen sich in aller Regel inmitten dessen, was andere als entspannende Ablenkung empfinden, gelangweilt und gestresst. Austausch mit anderen ist für sie oft eine Pein, sofern die anderen nicht als außerordentlich und bedeutsam eingeschätzt werden und man an ihren Lippen klebt. Ein guter Grund sich zurückzuziehen, doch zugleich brauchen Narzissten die Beachtung durch andere so stark wie sonst niemand, denn sie sind konfrontiert mit einem Gefühl intensiver innerer Leere, die sie nach ständiger Ablenkung suchen lässt.

Ihr bisweilen intensiver Reizhunger und die geringe Toleranz gegenüber der Langeweile hat durchaus Ähnlichkeit mit dem modernen Reizhunger, der jede Zeitlücke füllen muss, weshalb bisweilen die Frage auftaucht, ob die ständige Fragmentierung des Alltags durch Unterbrechungen mitverursachend für Erkrankungen aus dem Spektrum der schweren Persönlichkeitsstörungen sein können.

Langeweile kann trotz äußerer Ablenkung als geradezu vernichtend empfunden werden. Die junge Adelige Maria Bashkirtseff beschreibt es in ihren Tagebüchern im Zusammenhang mit intensivster Langeweile so:

„Ich langweile mich so, dass ich sterben möchte. Ich langweile mich so, dass nichts auf der Welt, wie es scheint, mich mehr interessieren und amüsieren kann. Ich wünsche nichts, ich will nichts! … Lesen, zeichnen, musizieren, und trotzdem Langeweile, Langeweile, Langeweile!“

Spiritualität und Langeweile

Das Sterben oder der Tod der Egozentrik ist das große Thema der Spiritualität. Chögyam Trungpa, ein tibetischer Meditationslehrer, sieht in der Langeweile deshalb etwas Positives. Spirituelle Praktiken geben einem, vor allem wenn sie aus einer anderen Kultur kommen, zunächst das Gefühl und den Nimbus des Besonderen, des Exotischen. Eine Verkehrung ins Gegenteil, denn in der Spiritualität geht es in einem hohen Maße darum, dass wir keine sonderliche Beachtung und Bestätigung finden und schauen, was dann bleibt. Ein Weg dazu ist die exzessive Langeweile, die spirituelle Praktiken hervorrufen, wenn die erste Zeit und das Besondere, Neue, der Kitzel vorbei ist. Das ist die Zeit, in der es eigentlich interessant wird und in der sehr viele wieder abspringen.

Die Langeweile höhlt die Egozentrik aus, weil sie uns in Kontakt mit uns selbst bringt, weil sie uns zu mehr Differenziertheit bringt und schließlich, weil sie verlässlich immer für uns da ist. Spiritualität verspricht uns keine Zuflucht in höheren Sphären, sie versucht all unsere Hindernisse wegzuräumen und verspricht uns, uns reif für die Erkenntnis zu machen, dass es keine Zuflucht gibt. In unserer Egozentrik wollen wir das nicht hören, sondern die Sensationen. Wir sind bereit, ein Auge zuzukneifen und wollen hören, dass das nur ein Trick ist und man selbstverständlich noch ein Ass im Ärmel hat. Die Karte, die sticht, ist die, dass man gar kein Ass braucht. Auch der spirituelle Meister wünscht nichts. Sicher langweilt er sich auch. Er wünscht sich nicht zu sterben, er ist bereits als Lebender gestorben. Damit das nicht zu schwülstig klingt, hat man einen erdenden Anker: die Langeweile.

Quellen:

  • Tagebuch der Maria Bashkirtseff, Frankfurt am Main 1983, S. 194, zitiert in Wolfgang Krüger, Der alltägliche Neid, Ernst Reinhardt Verlag 1989, S.79
  • Chögyam Trungpa, Der Mythos Freiheit und der Weg der Meditation, rororo 2006