Zwei alte Frauen redend auf Parkbank

Klatsch und Tratsch verbinden. © ercwttmn under cc

Klatsch, Tratsch und Lästereien gelten vor allem als Unart, Laster und als etwas, was man sich abgewöhnen sollte. Doch bei näherem Hinschauen erweist sich dieser Blick als verkürzt. Lästereien, Klatsch und Tratsch haben sowohl positive kulturelle als auch psychologische Funktionen.

Die Sprache der Menschen

Betrachtet man den Menschen biologisch, findet man, je mehr man forscht, so gut wie alle Fähigkeiten, die man als typisch menschlich ansah, auch bei Tieren. Tiere denken, planen, fühlen, sind neugierig und haben offenbar einen Sinn für Fairness. So gering manchmal die biologische und genetische Differenz erscheint, so gravierend scheint der Unterschied in mindestens einem Bereich zu sein, dem der Sprache. Dabei ist nicht die gezielte Bildung von Lauten oder Gesten gemeint, sondern eine komplexe Form des Sprechens, die dem Menschen eigen ist: das Geben und Verlangen von Gründen.

Ständig sind wir dabei unser Verhalten zu begründen, nach Begründungen zu fragen oder wenigstens könnten wir es tun und auch im inneren Gespräch vergewissern wir uns unserer Motive. Das ist so normal, dass es uns kaum auffällt und es erscheint uns als nichts Besonderes. Tatsächlich ist es eine besondere Fähigkeit, sich entweder durch gesellschaftliche Rituale und Normierungen oder Nachfragen der Motive unserer Mitmenschen zu vergewissern. Wenn alles so wie erwartet ist, nehmen wir es nicht weiter zur Kenntnis und haben es kurze Zeit später wieder vergessen. „Ich komme heute etwas später, wir haben noch eine Besprechung.“ „Ich fahre kurz in die Stadt, ich habe nichts mehr im Kühlschrank.“

Neugier, Klatsch und Tratsch

An der Wurzel dieser soziokulturellen Spiele steht eine ebenfalls eher negativ besetzte Eigenschaft, die Neugier. Auch hier lernen wir Zurückhaltung, uns nicht in alles einzumischen. Dabei hat die Neugier in der Psychologie längst eine, wenn auch leicht versteckte, positive Bedeutung. Eines der aktuell wichtigsten Systeme psychologischer Typologie, das Fünf-Faktoren-Modell (FFM) oder auch Big Five genannt, hat die Neugier als positive Eigenschaft unter Offenheit für Erfahrungen deklariert. In der Glücksforschung ist die Neugier längst zum festen Inventar des Glücks geworden.

Auf der Kommunikationsebene sind Klatsch und Tratsch Elemente der Neugier. In seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ beschreibt der junge Geschichtsprofessor Yuval Noah Harari die Klatsch-Hypothese des Spracherwerbs, die durch viele heutige Untersuchungen bestätigt wird. Schon Affen interessieren sich intensiv für andere Affen, aber keine Spezies tratscht so intensiv und ausdauernd über andere, wie der Mensch, sei es an der Klöntür, in sozialen Medien oder beim Mittagessen in der Mensa oder Kantine.

Was uns noch mehr unterscheidet, ist nach Harari die Fähigkeit über Fiktives reden zu können. So unterschiedliche Interpreten wie Sigmund Freud, der Bewusstseinsforscher Ken Wilber oder der Philosoph Robert Brandom würden zustimmen. Ein immenses kognitives Training, neue Möglichkeiten zu erkennen, die Welt der Konjunktive zu beherrschen und die Vergangenheit und Zukunft mit „Was wäre (gewesen) wenn?“ zu untersuchen.

Und die Lästereien?

Mag all das wichtig sein, Lästereien scheinen doch noch etwas anderes zu sein, oder? Otto Kernberg spricht in seinem Vortrag „Liebe und Aggression in der Paarbeziehung“ darüber, dass wir gemeinsam mit unserem Partner zu einem netten Abend mit guten Freuden fahren, uns dort prächtig amüsieren und bereits auf der Rückfahrt nach Hause kräftig über unsere Gastgeber lästern. Warum? Sind wird undankbar oder bösartig?

Vielleicht manchmal, aber der Grund ist ein anderer. Lästern ist eine Verarbeitung der neuen Eindrücke und damit eine Positionsbestimmung und wechselseitige Vergewisserung des Paares. Soziale Kontakte sind immer eine notwendige Möglichkeit zur Stabilisierung des Paares, aber gleichzeitig auch eine Gefahr. Schätzen beide die aufreizende Kleidung einer Partybesucherin oder das „aufdringliche Imponiergehabe“ eines Partybesuchers ähnlich ein, ist unausgesprochen klar, dass hier keine Gefahr droht. Weichen die Meinungen ab, kommen Spannungen auf und das Koordinatensystem der gemeinsamen Werte muss nachjustiert werden. Lacht man also gemeinsam über den einen oder anderen unmöglichen Auftritt, ist beiden klar, dass die gemeinsame Welt in Ordnung ist und vorerst bleibt und die gegenseitige Versicherung kann dazu führen, dass das Paar näher zusammenrückt.

Klatsch, Tratsch und Lästereien sollten gewiss nicht übertrieben werden und in exzessive Entwertungen übergehen, aber neben ihren unangenehmen Seiten haben sie alle auch wichtige, die Gesellschaft und das Paar stabilisierende, Funktionen.