
Eine Urszene der Geborgenheit © LaserGuided/[n|ck] under cc
Wie wir bereits gesehen haben, ist die archetypische Struktur oft die einer Heldenreise, mit spezifischen Erfahrungen der Weiblichkeit.
C.G. Jung sieht den Lebensweg als eine Reise an, bei der es spätestens in der zweiten Hälfte darum geht, die Anima oder den Animus, also den jeweils gegengeschlechtlichen Anteil, ins eigene Leben zu integrieren.
Bei diesen Betrachtungen muss man sich vor allem davor hüten, die archetypischen Bilder auf soziale oder biologische Rollen zu reduzieren. Im Mythos ist das Bewusstsein männlich und aktiv, Welt immer weiblich, passiv und unbewusst. Formulierungen wie „Frau Welt“ oder „Mutter Natur“ künden davon, bei den Indern ist es der Purusha, der mit Prakrititanzt. Die Rede vom Licht und Feuer des Intellekts, des Geistes und der Anschmiegsamkeit und Hingabefähigkeit des Wassers, ist eine weitere Analogie.
Erfahrungen der Weiblichkeit meint darum auch immer Erfahrungen mit Welt, Weltbild. Dieses Weltbild wandelt sich im Laufe der Entwicklung des Bewusstseins.
Die Mutter – Heile Welt
Die Ursituation ist die der unbewussten Einheit. Symbolisiert durch die Symbiose von Mutter und Kind, ein paradiesischer Zustand der Harmonie und Umsorgung und die erste Erfahrung der Weiblichkeit.
Das schutzbedürftige Kind und die behütende Mutter, die scheinbar immer für es da sein wird. Symbole hierfür sind die Quelle, das Ei, die Muschel, der Mond, die runden und weichen Formen der Menschen- und Tierkinder, Symbole der Geborgenheit des Anfangs.
Der Held ist noch zu Hause und es geht ihm gut, in jener unbewussten Einheit, doch bald schon lockt die archetypische Aufgabe.
Geliebt und gefürchtet – Das Ringen mit Frau Welt
Sobald er die Heimat verlässt, beginnt seine Reise und beginnen die Gefahren. Welt verliert nun den Charakter des Umsorgenden und die Erfahrungen der Weiblichkeit beginnen zur Herausforderung zu werden. Das Bewusstsein ist in dieser Phase der Weltbegegnung immer wieder hin- und hergerissen.
Gefahren und Kämpfe, Liebe und Leidenschaft, die Erfahrungen der Weiblichkeit wandeln sich von mütterlichen zu erotischen, aber auch zur Gefahr, zur rätselhaften Sphinx, zur Schlange und all den Symbolen des Verlockenden und Abgründigen. Es sind die Tiefen des Meeres, die locken und schrecken, es ist das stille, tiefe, dunkle Wasser, bei dem man nur ahnen kann, was es verbirgt. Es sind die tosenden Gewalten einer entfesselten Natur, die mit dem Helden lachend spielen und seinen äußersten Mut erfordern.

Die Welt als verlockende Herausforderung © Gabriel S. Delgado C. under cc
Eine fraglos spannende, aber gespannte Zeit. Im archetypischen Vorbild lauert die größte Gefahr darin, sich auf diesem Weg zu verlieren, unterzugehen und nie wieder aufzutauchen. Die Gefahr, sich süchtig seinen Trieben hinzugeben, aber es bedeutet stets mehr. Sicher nicht, diese Phase zu meiden und zu Hause zu bleiben. Brav und gehorsam zu sein, ist nett, bedeutet aber auch Entwicklungsstillstand. Sich den Gefahren zu stellen, ist weitaus mehr. Hier geht es darum einen Blick in den Abgrund zu wagen, den eigenen Ängsten, der eigenen Hölle zu begegnen.
Mythische Bilder sind nach außen gestellte Reflexionen.
Die Integration der Gegensätze – Welt als Seelenführerin
Am äußersten Punkt der Anspannung, Zerrissenheit und Verwicklung, wenn der Held denkt, alles sei aus, vorbei und verloren, wandeln sich die Erfahrungen der Weiblichkeit ein letztes Mal. Der Punkt der Metanoia, der Umkehr des Sinnes, ist erreicht und die Willenskräfte des Ich werden fallen gelassen.
Genau in dem Moment verändert sich aber auch das Weltild des Helden. Wenn das Ich seine Dominanzansprüche aufgibt, ist Frau Welt nicht mehr Feindin oder Bedrohung sondern Seelenführerin. Das Bewusstsein kann sich nun Welt ganz anvertrauen, aber diese Situation ist nicht mehr identisch mit der heilen Welt der Kindheit.
In dieser hatte der Held sein Ich noch gar nicht gefunden, noch nicht gegründet. Hier nun hat er es, und seine erwartenden Anhaftungen an die Welt, überwunden. „Das Weichste überwindet das Härteste“ heißt es dazu im Tao te king, C.G. Jung spricht von der Integration der Anima.
Es ist schwer die Stimmung dieser Phase einzufangen, da sie für unsere Ohren ungewohnt klingt. Sich vom Leben leiten lassen und dennoch die eigene Klugheit und Erfahrung nicht aufgeben. Sich fügen, ohne depressiv zu resignieren. Offenheit, ohne Naivität. Zumindest archetypische Bilder behaupten, dass dies vereinbar sei.