Nähe, Bewegung, Freude: Auf Tanz sprechen auch Menschen an, die bereits dement sind. © Oliver Hallmann under cc

Für viele ist Demenz eine Horrordiagnose und sie würden lieber tot sein, als dement zu werden, von daher ist die Frage nach einer Demenzprophylaxe aktuell und wichtig. Viele warten mehr oder weniger ängstlich auf ein Medikament, was die Menschheit von der Geißel befreit, aber es ist fraglich, ob es das eine Medikament jemals geben wird. Vermutlich wird es eher wie beim Krebs sein, bei dem man eine Vielzahl von Methoden hat, weil es ‚den Krebs‘ nicht gibt, sondern viele verschiedene Arten, ähnlich, wie es bei der Demenz auch der Fall ist.

Wenn von Demenz geredet wird, ist häufig die Alzheimer Demenz gemeint. Allen Demenzformen ist gemeinsam, dass es sich um neurodegenerative sowie neurokognitive Störungen handelt, also solche, bei denen das Hirn abgebaut wird und/oder die höheren Denkleistungen verloren gehen, ebenso emotionale und soziale Fähigkeiten. Dabei gibt es zahlreiche Formen den Demenz, wenigstens zehn muss man wohl unterscheiden, doch es geht noch wesentlich genauer, die Alzheimer Demenz macht etwas 60% aller Fälle aus.

Das heißt aber auch, dass fast die Hälfte aller Demenzen andere als die Alzheimer Demenzen sind und auch bei dieser gibt es unterschiedliche Formen. Die viel selteneren treten früh im Leben auf, bereits in den mittleren Lebensjahren und haben einen fulminanten Verlauf, die weitaus häufigeren Versionen aber erst im fortgeschrittenen Lebensalter. Die Ursachen sind noch immer unklar – von Genen über Entzündungen, Aluminium und Feinstaub wird vieles diskutiert – und vermutlich wird es auch hier, wie bei allen breiteren Erkrankungen auf eine bunte Mischung der Faktoren hinaus laufen. Man kennt das von den Herz-/Kreislauf-Erkrankungen, den Erkrankungen des Bewegungsapparates, von Depressionen und Krebs und genau an der Stelle bekommt man vermutlich einen Fuß in die Tür.

Neben der Alzheimer Demenz gilt die vaskuläre Demenz als nächsthäufige, etwa 20 % aller Demenzen fallen darunter, letztlich handelt es sich dabei um eine Unterversorgung mit Blut durch Arteriosklerose, Entzündungen oder kleine Schlaganfälle, viele Demenzen gelten auch als Mischformen der eben genannten.[1]

Was heißt denn eigentlich unheilbar?

Allgemein gelten neurodegenerative Erkrankungen als unheilbar, aber ehrlich gesagt ist die Spanne, die uns das schicksalhaft klingende unheilbar anbietet, oft so groß, dass die Maßnahmen, die man treffen kann, alles andere als vergebene Liebesmüh sind. Ähnliches sehen wir bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen, wie bei der MS (Multiple Sklerose), die diverse Verlaufsformen kennt, manchmal erschreckend schnelle, manche können mit Training und einer Anpassung der Lebensweise so gut kompensiert werden, dass die Betroffenen ein normales Lebensalter, ohne wesentliche Einschränkungen erreichen.

Prominent wurden die Einweißablagerungen (Plaques) im Kopf als problematisch angesehen, aber bereits eine frühe Studie förderte das sogenannte Nonnen-Paradoxon zutage. In einer groß angelegten und gut begleiteten Studie haben David Snowdon und sein Team 678 Nonnen untersucht und dabei auf regelmäßigen kognitiven Tests unterzogen. Der Vorteil solcher Studien ist, dass die Lebensbedingungen der Nonnen homogen waren, das heißt, weitere störende Faktoren konnten ausgeschlossen werden.

Die Ergebnisse waren für die Forschung äußerst überraschend, weil man zum einen zwar Nonnen fand, deren kognitive Einbußen mit der Plaques Hypothese korrelierten, aber dann gab es eben auch welche, bei denen das nicht der Fall war:

„Dann entdeckte er und sein Forschungsteam jedoch „eines der schlimmsten Alzheimer-Gehirne, das wir jemals hatten“, so Snowdon, nämlich das Gehirn von Schwester Bernadette. Das Problem: Schwester Bernadette ist bis zu ihrem Lebensende mit 85 Jahren stets körperlich und geistig fit gewesen. Das passte demnach überhaupt nicht zu der Plaques-Theorie.“[2]

Und sie ist nicht die einzige, es gab einen Schachgroßmeister, der im fortgeschrittenen Alter sein Leben selbst organisierte, sich bestens zurecht fand und von sich aus zum Arzt ging, weil er statt der gewohnten Anzahl an Zügen beim Schach nun einen weniger vorher berechnen konnte. Der Arzt konnte nichts besonderes finden, zufällig starb der Schachgroßmeister kurze Zeit später, man untersuchte sein Hirn und es war übersät mit Plaques, laut der Plaques-Theorie, hätte er annähernd lebensunfähig sein müssen.

Die Plaques-Theorie ist damit nicht komplett vom Tisch, aber als alleinige Ursache schon. Es scheint etwas zu geben, was trotz vieler Plaques dafür sorgt, dass Menschen geistig fit bleiben. Demenzen mögen unheilbar sein, aber was, wenn man das Ausbrechen der Krankheit herauszögern kann? Oder den Verlauf soweit ausbremsen, dass man ein mehr oder minder normales Leben führen kann, bis ins hohe Alter?

Dies scheint tatsächlich immer wahrscheinlicher zu werden und gerade wenn und weil nicht ganz klar ist, welches der eine Schalter ist, ist nicht ausgeschlossen, dass es gar nicht nur einen gibt, sondern viele. Wie bei Depressionen, Krebs oder chronischen Schmerzen. Wenn man stirbt, bevor man ernsthaft an Demenz erkrankt, ist das Problem keines mehr, da die Krankheit in der Regel spät ausbricht, ist eine Verzögerung in jeder Hinsicht ein Gewinn.

Geistige und körperliche Beweglichkeit

Man weiß inzwischen, was nicht hilft. Kreuzworträtsel und Sudoku bringen nichts, viel besser sind körperliche und geistige Beweglichkeit. Der Unterschied zwischen geistiger Beweglichkeit und Sudoku ist, dass man beim Sudoku lösen besser im Sudoku wird, aber sonst bei nichts. Geistige Beweglichkeit heißt, dass man nicht ein und dasselbe immer wieder macht – auch keine Rätsel oder Sudoku –, sondern sich in immer neue Bereiche stürzt.

Wobei die normale Vielfalt des Lebens oft ausreicht, wenn man sie lebt. Soziale Beziehungen sind immens kompliziert, pflegt man Freundschaften, hat man welche und darüber hinaus auch noch einen Schlüssel zum Glück in der Hand. Trifft man sich mit anderen Menschen, so ist das anregend, diverse Formen des Ehrenamtes werden gebraucht, hier könnte man sich und anderen etwas Gutes tun. Nicht das, was wir oft als hochgeistig ansehen, bringt das Gehirn richtig auf Touren, sondern die schier unglaubliche Komplexität des Alltags, sofern man an ihm und seinem sozialen Austausch wirklich teilnimmt. Dazu gehören dann Spiel und Sport, Klatsch und Tratsch und Dinge, die unsere Kreativität und Geschicklichkeit erfordern.

20% sind reine vaskuläre Demenzen, also solche, die mit einer Unterversorgung mit Blut und Sauerstoff zu tun haben, weitere Formen sind Mischformen, in denen die Durchblutung ebenfalls eine Rolle spielt. Insofern scheint körperliche Bewegung einen doppelten Effekt zu haben, weil sie die Durchblutung fördert, damit die Sauerstoffversorgung um eine Vielfaches anregt, auch im Gehirn, zum anderen, weil Bewegung eine außerordentlich komplexer Vorgang ist, bei dem das Gehirn viel arbeiten muss. Wenn man so etwas einfaches macht wie Gehen, ist das ein an sich ungeheuer komplizierter Vorgang, er kommt uns nur vergleichsweise leicht vor. Koordination, Gleichgewicht und so vieles mehr, auf was wir nie achten, was wir als Kinder aber lange Zeit lernen mussten. Laufen wir etwas schneller so wird das Kreislauf-System angeregt und das Gehirn besser mit Blut versorgt, dreht man sich beim Laufen noch, wird die Bewegung noch unendlich komplexer und wir sind bei dem gelandet, was Kinder gerne machen oder bei einer der effektivsten Formen der Demenzprophylaxe überhaupt, dem Tanz. Mitunter sehr komplexe Bewegungsmuster zu und mit Musik, die ebenfalls das Hirn fordert, weil sie die Emotionen anspricht, Tanz ist soziale Interaktion, eine lustvolle Begegnung der Geschlechter, manchmal noch mit erotischer Spannung verbunden, was kann man von einer effektiven Demenzprophylaxe mehr erwarten?

Vorausgesetzt, man mag den Tanz. Denn das ist ein wichtiger Punkt, den man verstehen muss. Wenn man, womöglich noch aus Angst vor einer dementiellen Erkrankung, immer nur Rätselhefte durcharbeitet, obwohl einem das an sich gar keinen Spaß macht, dann kombiniert man das Nutzlose mit dem Schlechten und kriegt zur Angst noch weiteren Stress. Das bringt auch dann wenig, wenn man sich aus dem gleichen Grund zum Tanzkurs zwingt. Dann kombiniert man immerhin das Nützliche mit dem Schlechten, aber gut ist das in der Summe noch immer nicht.

Die Paradoxie der Vorsorge

Immer im Umbau. So sind Bauernhäuser, so ist unser Gehirn. © Rosemarie Voegtli under cc

Wenn Sie Demenzprophylaxe oder -vorsorge betreiben wollen, machen Sie es am besten richtig. Richtig heißt in dem Fall das Nützliche mit dem Guten zu verbinden, das ist die optimale Kombination. Das ist aber nicht doppelt schwer und kompliziert, sondern leicht, darin liegt die Paradoxie.

Demenz ist eine neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Versuchen wir das Gehirn zu verstehen. Trotz recht intensiver Hirnforschung wissen wir nicht besonders viel darüber. Wir wissen einige Details deutlich besser, aber das sind eher solche, die nur für die Experten interessant sind. Eine Erkenntnis gab es jedoch, die alle überrascht hat und die leicht zu verstehen und zu vermitteln ist: Sie stellen sich das Gehirn wie einen Computer vor? Vergessen Sie es. Stellen Sie es sich lieber als Bauernhaus in den Alpen vor. Das ist romantisch und schön und kommt in einer Hinsicht der Wahrheit sehr nahe, denn das Charakteristikum eines solchen Bauernhauses ist, dass es nie fertig ist. Wind und Wetter setzen ihm zu, hier ein Abfluss, da ein paar Ziegeln oder neue Holzplanken, das Haus ist in ständigem Umbau, genau wie unser Gehirn. Der Hirnforscher Manfred Spitzer sagte, dass das Gehirn eines nicht kann: Nicht lernen. Mit anderen Worten, das Gehirn lernt immer und wenn wie die Korrelation zwischen Neurologiesprache und anderen Sprache n und Theorien mal kurz akzeptieren, dann bedeutet das, was das Gehirn ständig umgebaut wird. Immer.

Das Gehirn lernt ständig und gerne und wenn wir die Sprachkorrelation schon zulassen, dann auch zur anderen Seite und dann können wir auch darauf schauen – denn unser Gehirn von unserem Ich abzutrennen, ist theoretisch eher schwierig – unter welche Bedingungen wir besonders gerne lernen. Ohne tief in die Lerntheorien einzusteigen kann man die Top 3 leicht identifizieren, abermals von einem Hirnforscher unterstützt, dieses mal Gerhard Roth, den man wie Spitzer würdigen und kritisieren muss: Würdigen wir ihn an dieser Stelle, denn er hat die Top Effekte des Lernens in der Schule aus seiner Sicht dargestellt. Nummer 2 bei ihm ist ganz einfach die Zahl der Wiederholungen oder der gute alte Fleiß. Deutlich höher rangiert allerdings die Nummer 1 und das ist ein Lehrer (oder anderer Mensch), der erkennbar für sein Fach brennt, begeistert ist und live und in Farbe vermittelt, dass Lernen keine Strafe ist, sondern eine Lust sein kann. Da das Leben aber keine Schule ist, dass Gehirn aber sehr gerne immer lernen möchte, sind also auch hier Wiederholungen und die authentische Begeisterung anderer Menschen wichtig, vergessen wir aber nicht, einen sehr wichtigen und den vielleicht wichtigsten Punkt: die eigene Begeisterung.

Wir lernen am besten, wenn uns etwas wirklich brennend interessiert, wenn andere uns anstecken, super, wenn nicht, ist es schön, wenn wir selbst für ein Thema brennen oder eine körperliche Tätigkeit. Deshalb, wenn Sie gerne tanzen, toll, machen sie es unbedingt weiter, es ist eine der effektivsten Formen der Demenzprophylaxe, wenn Sie passionierter Nichttänzer sind, zwingen Sie sich nicht dazu, schon gar nicht aus Angst. Lernen Sie das, was ihnen Spaß und Freunde macht, denn vor allem mit Spaß und Freude lernen wir gut. Spaß ist das Gegenteil von Stress, wenn Sie sehr neugierig sind, sind Sie ohnehin nicht aufzuhalten. Lassen Sie sich nicht künstlich ausbremsen. Die anderen sollte spaßbetont lernen, eine Ausnahme gibt es: Der Hunger kann auch beim Essen kommen, also versuchen Sie ruhig auch etwas, was Sie noch nie versucht haben, wenn Sie merken, dass es gar nichts ist, lassen Sie es bleiben.

Wenn Sie Neues ohnehin aufsaugen, toll, wenn nicht, zwingen Sie sich auch hier nicht zu ganz Neuem, denn das schafft nur Frust, Stress und Misserfolgserlebnisse. Reflexion ist ohnehin gut, hier nun erneut: Was genau mache ich eigentlich gerne? Gibt es da noch alte Träume, Begonnenes, was Sie ohnehin immer schon mal weiter machen wollten, aber immer hinten anstellten? Das wäre es und jetzt wäre der Zeitpunkt. Ein Instrument lernen, die Fremdsprache die man mal angefangen hat weiterführen, einen Kochkurs besuchen, einen Traum endlich mal einlösen. Auf der Bühne stehen, Malen, eine Reise in die Toskana oder nach Afrika? Das ist es, was wirklich Spaß macht und wenn Sie meinen, sich das noch immer nicht leisten zu dürfen und unter einem chronisch schlechten Gewissen leiden, wenn es um eigene Ansprüche geht, verkaufen Sie es vor sich und den anderen als Demenzprophylaxe. Musik ist besonders gut, auch sie hebt die Stimmung und ist ein ungemein kreativer Akt, der das Gehirn auf Hochtouren bringt. Je mehr man selbst musiziert, umso besser, aber dazu gehört bereits das beschwingte Mitsingen. Es geht also immer.

Struktur und Neues, neue Eindrücke, die an Altbekanntes anknüpfen, auch das gilt aktuell als ganz weit vorne. Entstressen Sie sich, dann sind Sie ganz von selbst irgendwann wieder aufnahmebereit. Wer zugeballert ist, kann irgendwann nichts mehr aufnehmen. Fangen Sie jetzt mit dem Lernen an und das heißt, beseitigen Sie alte Vorurteile. Denken Sie, es sei zu spät? Vor Jahren schon sagte mir eine Psychotherapeutin, dass man – entgegen der Ansicht früherer Jahrzehnte – auch 80 Jährige therapieren könne und würde, die einzige Frage sei, ob sie wollen. Neulich hörte ich von erfolgreichen Psychotherapien an noch älteren Menschen, einer davon war 96! Psychotherapien können auch immens etwas bewegen, sie sind sozusagen Arbeit am Hirn. Neuroplastizität heißt der Fachbegriff dafür, dass das Gehirn wie ein Bauernhaus in den Alpen ist, nie fertig, in beständigem Umbau. Es will nichts lieber tun, als zu lernen.

Sekundäre Symptome behandeln

Psychotherapie ist als Demenzprophylaxe wenig erwähnt, würde aber in vielerlei Hinsicht Sinn machen. Die häufigsten Symptome, die mit einer beginnenden Demenz einhergehen, sind Ängste und Depressionen, vielleicht nicht zufällig auch die psychischen Störungen Nummer 1 und 2 bei uns. Wie so oft, weiß man nicht was Ursache und was Wirkung ist. Ist eine Hirnregion ausgeprägt oder unterversorgt, aufgrund des Inputs oder ist das Verhalten, wie es ist, aufgrund der wenig oder stark ausgeprägten Hirnregion? Oder verstärkt sich beides? Es trägt ohnehin zur Verbesserung der Lebensqualität bei, wenn man keine Depressionen oder Ängste hat, über die Schiene Dauerstress, von dem man weiß, dass er die Infektabwehr reduziert, kann man sich auch das Vorkommen von Mikroentzündungen, die zur Arteriosklerose führen, als Teilursache vorstellen und mindestens die Depressionen sind als Risikofaktor für Demenz bekannt.

Die weiteren sekundären Symptome sind eher somatischer Art – wobei wir nie vergessen dürfen, dass Psyche und Körper fließend und nahtlos ineinander übergehen – und betreffen grob gesagt, all das, was wir als Risikofaktoren des Herz-/Kreislauf-Systems kennen, die erstaunlicherweise auch für die Degeneration der Rückenwirbel verantwortlich sind. Schmerzen, Depressionen, Bewegungsmangel, Umstellung der Neurotransmittersysteme, die für die Reizverarbeitung im Gehirn zuständig sind, all das hängt eng zusammen.

Dass Spaß haben gegen Depressionen wirksam ist, ist einsichtig, dies ist dann wiederum eine Ursache der Demenz, der der Boden entzogen ist. Ist die Depression zu stark, hilft eine Psychotherapie und speziell bei Depressionen ist auch Bewegung eine wichtige Komponente, auch das hilft wiederum, es gibt öfter eine passende Antwort, als man denkt, oft auch in der Kombination vermeintlich einfacher Ansätze. Ob nun eine medikamentöse Behandlung der sekundären Symptome ein sinnvoller Ansatz ist, ist umstritten, man weiß einfach zu wenig und die Erkenntnisse ändern sich immer wieder. Zu denken wäre an einen Eingriff in die Herz-/Kreislauf-Erkrankungen und einen in die Depressionen oder Ängste, da der weitreichende Einsatz von Mitteln gegen Herz-/Kreislauf-Erkrankungen verbreitet ist, Demenzen aber zu- und nicht abnehmen, muss man hier eher pessimistisch sein.

Kann man mit Demenz glücklich sein?

Wie am Anfang erwähnt, gehören gerade Demenzerkrankungen zu den Horrordiagnosen. Betroffene, die ihre Diagnose erfahren sind oft vollkommen geschockt und manche sagen, sie würde gerne mit Krebspatienten tauschen, andere nehmen sich das Leben. Zu entwürdigend kommt es ihnen vor als ‚Hülle‘ übrig zu bleiben oder anderen zur Last zu fallen. Besonders die Anfangsphase der Erkrankung ist ein Albtraum, weil man merkt, dass etwas nicht stimmt, sich und anderen das aber auch nicht eingestehen will.

Man ist unsicher und verängstigt, weil man nicht weiß, ist es nun eine Demenz – und was ist das eigentlich genau? – oder normale Altersvergesslichkeit. Oft kann man Entwarnung geben, aber wenn man unsicher ist, versucht man nicht immer Gewissheit zu bekommen, was durchaus verständlich ist.

Je häufiger die Krankheit ist, umso normaler wird sie aber auch und umso mehr Wege findet man, mit ihr umzugehen. Die erste Phase ist vermutlich wirklich der Horror, es stellen sich zwei Fragen, die eine ist, ob man bei weiter fortschreitender Demenz glücklich leben kann, die andere ist, ob man die Krankheit beim Auftreten erster Symptome so weit herauszögern kann, dass über ein gezieltes und individualisiertes Training nicht nur deren weiteres Fortschreiten verlangsamt werden kann, sondern die Symptome sich sogar bessern können.

Bei der ersten Frage geht es also darum, wie man sich fühlt, wenn man vergessen hat, dass man dement ist. Eine klare Antwort kann man nicht geben, aber manche dementen Menschen wirken nicht unbedingt unglücklich. Da ältere Erinnerungen und Bewegungsmuster noch gut abgespeichert sind, Neues aber vergessen wird, können sie oft noch Singen oder Tanzen, aber wissen nicht mehr, was es zum Frühstück gab. Wenn das Leben eines Menschen in der Vergangenheit schön war und er an das anknüpfen kann, was ihm früher Freude machte: Singen, Tanzen, Kochen, Basteln oder leichtes Handwerk kann so ein Leben durchaus erfüllt sein. Definiert man sich stark über seine kognitive Leistungsfähigkeit, ist das schwerer. In Demenz WGs, bei denen die Bewohner auch noch Pflichten haben, scheint das oft ganz gut zu klappen.

Fängt man bei der Erstdiagnose konsequent an, sein Leben zu ändern, ist einiges zu erreichen. Bäume wachsen nicht in den Himmel und man muss immer schauen, welchen Menschen man das vor sich hat, aber nicht selten ist gerade eine Diagnose der Startschuss zu einer radikalen Änderung im Leben eines Menschen. Da Demenzen statistisch weit überwiegend erst im Alter beginnen, ist ein Aufschub von einigen Jahren oft ein großer Gewinn und gerade wenn man verinnerlicht hat, dass Rückzug, Angst und Verzagtheit nicht zum Ziel führen, kann die Lebensqualität in idealen Fall sogar steigen, aber nicht immer läuft es ideal.

Ist eine Demenzprophylaxe möglich?

Meditation fordert das Gehirn ebenfalls weit umfassend. © Konstantin Stepanov under cc

Im Rahmen bestimmter Einschränkungen vermutlich ja. Die Einschränkungen sind die wenigen sehr frühen und fulminanten Demenzverläufe, gegen die man hier und heute nichts machen kann. Wenn das Gehirn durch Tumore oder Metastasen angegriffen wird, kann man oft kaum etwas machen, wenn sich jemand durch massiven Alkoholabsus das Gehirn zerstört, ist nichts zu machen, ebenso bei massiven Verletzungen des Gehirns etwas durch Unfälle.

Es ist immer mal wieder gut eine Lebensbilanz zu ziehen und sich zu fragen, wie das Leben eigentlich genau jetzt ist. Super? Schön? Geht so? Sehr anstrengend? Teils teils? Wenn klar geworden ist, dass ein lustloses Funktionieren, ein Leben, durch das man sich gestresst durchkämpft eher zu den Risikofaktoren für Demenzen gehört, kann man Demenzprophylaxe sehr früh und breit verstehen, indem man einfach versucht, ein gutes Leben zu führen.

Wir leben in mitunter etwas paradoxen Zeiten von schnellen Veränderungen und Neuorientierungen, das heißt aber auch, dass Raum für neue und kreative Lebensansätze vorhanden ist. Sein Leben aktiv und kreativ zu gestalten ist mehr als eine Wellnessfloskel, gerade auch in der Gesamtbetrachtung des Themas Demenz, das, wie gesagt, sehr angstbesetzt und belastend ist.

Das Leben als Gesamtkunstwerk sollte generell nicht unter der Überschrift des Vermeidungsverhaltens stehen. Wenn man dies oder das tut, um nicht krank zu werden, um seinen sozialen Status nicht zu verlieren oder was auch immer es ist, so ist das diese Vermeidungsvariante, in der man sich von eigenen Ängsten und Befürchtungen bestimmen lässt. Die Paradoxie der Demenzprophylaxe lässt sich auf andere Lebensbereiche übertragen. Der zu starke Blick auf die Gesundheit schadet in dem Moment, wo man vergisst, dass diese keine Selbstzweck ist, sondern im Grunde die Grundlage ist, um sich im Leben zu entfalten, so weit und auf die Art, wie dies zu einem passt.

Heute muss alles effektiv und optimiert sein, oft auch sehr durchorganisiert, so dass man fast noch in einen Entspannungsstress kommt. Entspannung als effektives Tool des vollkommen verplanten Lebens, vielleicht muss man an so was wie Schicksal glauben, um die Tatsache, dass wir immer mehr Demenzerkrankte haben, in diesem Kontext in ihrer Ironie zu begreifen. Aber wir glauben immer weniger an Schicksal, finden das antiquiert, sondern an nüchterne Analysen, da heißt es dann:

„Hauptrisikofaktor für eine Demenz ist nach der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung das hohe Lebensalter.“[3]

Was um alles in der Welt, soll man nun damit anfangen? Das ist Schicksalsgläubigkeit in Reinform, nur als solche nicht reflektiert und es lässt einen ohnmächtig zurück.

Sinn und Glauben

Sinn und Glauben sind die Bereiche im Leben, die wir verloren haben. Wir haben das mit einem gewissen Stolz vor uns hergetragen und bekommen in vielen Bereichen die Quittung. Man muss aufpassen, dass man sich nun nicht in triumphaler Selbstgerechtigkeit suhlt und sagt, das sei eben die Strafe für unser Fehlverhalten, man kann daran glauben, aber Häme ist nicht wirklich etwas, was weit trägt.

Eine gewisse Demut und Gelassenheit kann in dem Moment eintreten, wo man von der hybriden Idee loslässt, alles im Leben regeln und planen zu können und weil man es nicht kann, ist man auch von dem Zwang befreit, es zu müssen. Unser Hang zum Perfektionismus steht dem entgegen und ein guter Weg Dinge zu delegieren, war von je her der Glaube. Nun haben wir ihn, je nach Sicht, weitgehend verloren oder überwunden, Nietzsches selten verstandene Anklage bestand darin, dass wir uns dabei nicht über die Konsequenzen klar wurden: Gott ist tot! Und die Wissenschaft verwundet! So könnte der Befund lauten.

Was hat das mit Demenzprophylaxe zu tun? Der Glaube wird sehr unterschiedlich gelebt und interpretiert, im kleinen Kontext kann er dazu dienen, Schicksalsschläge anzunehmen und sich dennoch geborgen zu fühlen. Vorausgesetzt man glaubt und das ist heute eher selten. Dafür ernten wir immer mehr Zerrformen des Glaubens, die uns als Verschwörungstheorien begegnen, denn an irgendwas muss man sich festhalten und allmählich dämmert uns, dass auch der Glaube an die Vernunft nicht so weit trägt, wie man sich das erhofft hatte.

Im größeren Kontext stellt sich die Frage, inwieweit bestimmte Aspekte des mythischen, religiösen Glaubens, der auf seine Art immer schon rationale Anteile hat, mit unseren Erkenntnissen aus Wissenschaft und Philosophie verbunden werden kann.

In der Forschung ist aktuell die Stunde der Ressourcen und Resilienzen angebrochen, grob gesagt, wird die Frage aufgeworfen, wie man die Widerstandskraft stärken kann und es reicht nicht aus, sich alles irgendwie erklären zu können, sondern dies eben auch in einen Sinnkontext einzubinden. In der theoretisch zurückhaltendsten Variante kann man das so interpretieren, dass man sich eine innere Welt kreieren kann, die einem die Kraft gibt, die Geschehnisse der Außenwelt in einer Weise einzuordnen, dass man sich dennoch in der Welt wohl und geborgen fühlt.

Wir tun ja allerlei von dem wir glauben, es sei prophylaktisch, doch eine Wesensart des rationalen Zeitalters ist die Entzauberung, die uns aber wie in einer Geschichte von Kafka in allerlei Ausweglosigkeiten geführt hat. Die Stärke des wissenschaftlich-rationalen Zeitalters ist die systematische Erklärung, die Stärke des mythischen Zeitalters sind Sinn und Orientierung. Das hohe Lebensalter als Hauptrisikofaktor ist irgendwie Ausdruck einer Erkenntnis, die in eine Sinnwüste geschmissen wurde. Eine Erkenntnis, aus der nichts folgen kann, was hilft. Möglichst vor dem 65 Lebensjahr zu sterben ist demnach die beste Demenzprophylaxe, aber das kann ja erkennbar nicht die Lösung sein.

Die Frage ist, wie wir den Horror abbauen und dafür gibt es keinen Schalter, aber viele kleine Schritte, von denen ich erzählen wollte und die nicht lauten können, was ich denn jetzt tun oder einnehmen muss, um sicher geschützt zu sein. Es geht um das Verständnis des Ganzen, was wir für viele andere Fragen auch brauchen. Kaffee und vielleicht Kurkuma wirken schützend, aber es spricht viel dafür, dass durchaus vieles wirken könnte, an das Sie ganz persönlich glauben, einfach über die immense Kraft des Placeboeffektes (der als Noceboeffekt auch in die Gegenrichtung wirkt), aber es geht nicht um die Frage, wie der Glaube denn Berge oder Gene versetzen soll, sondern um ein weiteres Verständnis für die Notwendigkeit Sinn, Glauben und Orientierung ins Leben und in die Gesellschaft zu reintegrieren.

Persönlich bedeutet das vom angstvollen Prophylaxedenken (das bis zur Hypopchondrie führen kann) Abstand zu nehmen und mutigere Varianten zu leben, was zwingend mit der Frage verbunden ist, wie ich denn eigentlich leben will. Es dann auch zu tun, wäre der nächste Schritt, aber es wäre lebensfern, wenn man nicht anerkennt, dass jede Menge dagegen spricht, die Verpflichtungen und Gebundenheiten in denen man im Leben nun mal steht. Man hat hier und da Verantwortung, aber es ist im besten Fall eine aus Freiheit und große Lebensfragen kann man sich immer wieder vorlegen. Dass es über den gesellschaftlich kühlen Funktionalismus hinaus diese Fragen tatsächlich gibt, müssen wir uns erst wieder zurück erobern und jeder, der das in einer reflexive Weise tut, ist kein Egoist, sondern erweist der Gesellschaft und ohne zu pathetisch zu werden, vermutlich auch der Weltgemeinschaft einen Dienst. Geistige und körperliche Beweglichkeit sind nach dem Stand der Dinge die beste Demenzprophylaxe, für eine bessere Durchblutung kann man öfter mal das Fahrrad nehmen oder zu Fuß gehen, im Garten arbeiten oder die Dinge wieder selbst machen. Geistige Beweglichkeit, Offenheit, die dennoch nicht einfach irgendwie alles gleich gut findet, aber begreift, dass es außer unserer Art zu denken und zu leben noch ganz andere gibt, ist ein konsequenter Erkenntnisweg. Wir lernen am besten mit Spaß und entspannt, auf Spazierwegen in der Natur, bei Tanz und Musik, in der Meditation, in der Reflexion philosophischer und auch tiefenpsychologischer Denkwege, bei der Arbeit im Garten und wenn Sie auf diesen Wegen irgendwann die Einsicht gewonnen haben, dass im Grunde jeder Weg der geeignete ist, erzählen Sie es weiter, denn dann haben Sie das Prinzip verstanden.

Quellen