Wenn Babys schlafen, bewegen wir uns in ihrer Nähe auf leisen Sohlen. Demgegenüber zollen wir dem Schlaf eines Erwachsenen weniger Respekt, vor allem unserem eigenen – so scheint es zumindest. Doch Forscher warnen vor ernsthaften Konsequenzen für Psyche und Körper durch Schlafmangel.
Probleme durch Schlafmangel: Ab wann offiziell?
Kommen wir zunächst zu weiteren Statistiken in Bezug auf die Schlafdauer, um uns einen Einstieg zu verschaffen, was gesunder (da genügend) Schlaf bedeutet. Zur Erinnerung: Anthropologische Modelle errechneten für einen Menschen in unserem Kulturkreis in Relation zu anderen Primatengruppen eine tägliche Schlafdauer von 9.55 Stunden. Umfragen zeigen, dass etwa ein Drittel der befragten in Deutschland lebenden Personen an einem normalen Werktag gut sieben Stunden schläft. Etwa zwanzig Prozent der Befragten schläft sechs Stunden und circa fünfundzwanzig Prozent acht Stunden täglich.
Eine Schlafdauer von sechs Stunden gilt in der Schlafforschung als nicht ausreichend.
Insomnie: Klinische Diagnostik
Gemäß dem Robert-Koch-Institut werden »Nächtliche Ein- und Durchschlafstörungen, die mit Tagesmüdigkeit und sozialen und beruflichen Beeinträchtigungen einhergehen« als Insomnie bezeichnet. In den psychiatrischen Klassifikationssystemen sind diese Beeinträchtigungen an einen Zeitraum von mindestens einen Monat gekoppelt, damit man eine Insomnie diagnostiziert. Dagegen rückt die Internationale Klassifikation der Schlafstörungen ICSD-3 vom allgemeinen Zeitkriterium in Zusammenhang, ob grundsätzlich eine Insomnie vorliegt oder nicht, ab und unterscheidet lediglich zwischen Kurzzeit- und chronischen Insomnien (ab einem Zeitraum von drei Monaten).
Für die Diagnostik einer Insomnie ist vor allem entscheidend, ob eine andauernde (!) mangelhafte Untererholung sowie eine schlechte Schlafqualität vorliegen.
Prävalenz der Schlafstörungen
Eine Umfrage des Robert-Koch-Instituts in der deutschen Erwachsenenbevölkerung ergab, dass etwa ein Drittel der Befragten während der letzten vier Wochen klinisch relevante Ein- oder Durchschlafstörungen hatte. Gut ein Fünftel klagte zudem über eine schlechte Schlafqualität. Berücksichtigt man darüber hinaus Beeinträchtigungen im Alltag wie Müdigkeit und Erschöpfung ergab sich eine Prävalenz von 5,7% für ein Insomniesyndrom. Der Anteil der Frauen lag dabei doppelt so hoch wie der Anteil der Männer.
Schlafmangel: Organische Folgen
Zu wenig Schlaf schwächt das Immunsystem und der Körper ist anfällig für Erkrankungen. Studien zeigen, dass eine geringe Schlafdauer (sechs Stunden täglich und weniger) mit Übergewicht und Adipositas in Zusammenhang stehen kann. Ferner mit dem metabolischen Syndrom sowie Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Denn durch Schlafmangel erhöht sich die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut, mit der Folge, dass der Blutdruck steigt.
Matthew Walker, Professor of Neuroscience and Psychology an der University of California, Berkeley und Gründer des Center for Human Sleep Science, zeigt in seinem Buch „Why We Sleep“ außerdem Zusammenhänge zwischen einer zu geringen Schlafdauer und der höheren Vulnerabilität für Schlaganfall, Herzinfarkt und chronischen Schmerzen auf. Das Krebsrisiko soll sich ebenfalls durch Schlafmangel erhöhen.
Krebs durch Schlafmangel?
Zumindest legen Studien an Mäusen dies nahe. Lässt man Labormäuse eine Woche lang nicht ausschlafen und weckt sie regelmäßig während ihrer Ruhephase, wachsen die Krebsgeschwüre doppelt so schnell im Vergleich zu Mäusen mit ungestörtem Schlaf. Zwar erfolgte die Einnistung der nach Ablauf der Woche implantierten Tumorzellen bei allen Mäusen gleichermaßen rasch, genauso wie die Entwicklung von Geschwüren binnen kürzester Zeit, jedoch wuchsen innerhalb der nächsten vier Wochen die Geschwüre bei den schlafdeprivierten Mäusen wesentlich schneller und breiteten sich im Nachbargewebe stärker aus. Offenbar scheint das schwächere Immunsystem dafür verantwortlich zu sein und die sogenannten tumorassoziierten Makrophagen (TAM).
Folgen für die Psyche durch zu wenig Schlaf
Auch auf psychischer Ebene drohen Konsequenzen durch Schlafmangel. So stellt die Insomnie einen Risikofaktor für eine später auftretende Depression dar. Das Risiko an einer affektiven Störung zu erkranken, ist doppelt so hoch im Vergleich zu Personen mit ungestörtem Schlaf.
Schlafmangel steht in Zusammenhang mit Gedächtnisbeeinträchtigungen, Angststörungen, »Fressattacken« und Stimmungsschwankungen, wie Walker in seinem Buch schreibt.
»The silent sleep loss epidemic is one of the greatest public health challenges we face in the 21st century.«
Beeinträchtigung der Kognition und Alzheimer
Mittels funktionalem Magnetic Resonance Imaging (fMRI) sowie mittels Electroencephalogram (EEG) konnte die Forschergruppe um Walker eine Vielzahl von kognitiven Prozessen untersuchen, die, unabhängig vom Alter der Probanden, durch Schlafmangel beeinträchtigt sein können: Gedächtnis und Lernen, Entscheidungsfindung und emotionale sowie motorische Prozesse. Auch die Existenz von Proteinen, die vermutlich mit Alzheimer in Verbindung stehen, wurde untersucht. Walkers Ergebnisse wurden in renommierten Fachmagazinen veröffentlicht und werfen ein völlig neues Licht auf die enorme Bedeutung von Schlaf für den menschlichen Organismus. In seinem Buch schreibt Walker:
»There does not seem to be one major organ within the body, or process within the brain, that isn’t optimally enhanced by sleep (and detrimentally impaired when we don’t get enough). That we receive such a bounty of health benefits each night should not be surprising.«
Schlafstörung und Suizidalität
Immer mehr klinische und epidemiologische Studien geben einen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und erhöhter Suizidalität, unter anderem zu mehr Suizidgedanken, Suizidversuchen und vollführten Selbstmorden. Insbesondere Insomnie, aber auch Albträume und Hypersomnie (zuviel Schlaf, sog. Schlafsucht) und nächtliche Panikattacken scheinen dabei eine Rolle zu spielen.
Unsere Zeit ist dermaßen schnelllebig, dass wir oft nicht einmal bemerken, ob wir müde oder erschöpft sind. Doch die Konsequenzen durch Schlafmangel sind für unseren Organismus schwerwiegend. Umso wichtiger scheint es, im Alltag innezuhalten, in sich hineinzuhören (ohne Kaffee!), um zu prüfen, ob man müde ist, sowie abends und des Nächtens für eine erholsame Schlafroutine zu sorgen. Wie das geht, erfahrt ihr im nächsten Artikel auf psymag.de, der bald hier erscheinen wird.