Mann leckt Frau, von Blatt verdeckt

Pornos werden häufig und bis zur Sucht im Internet konsumiert. © gaelx under cc

„Ein großes Experiment an unserer Jugend“ sei es, „ein unethischer Menschenversuch“, so kritisierte der Sexualwissenschaftler und Charité-Professor Klaus M. Beier 2010 in Interviews mit der Frankfurter Allgemeinen und der Frankfurter Rundschau (1, 2), wie leicht Kinder und Jugendliche hierzulande Zugang zu Pornographie im Internet haben. Ein Jahrzehnt später sind viele Ergebnisse dieses Menschenversuchs bekannt: Immer mehr Pornosucht, zerstörte Ehen, Depressionen und narzisstische Persönlichkeitsstörungen, Hirnschädigungen, eine dramatische Zunahme von Kindesmissbrauch und Verbreitung von Kinderpornographie, traumatisierte Kinder. Das ist keine gewagte Behauptung, sondern, wie in diesem Text bewiesen wird, belegbar durch Statistiken, wissenschaftliche Studien und Erfahrungen von Psychiatern und Psychotherapeuten.

Wer die Berichterstattung über Gerichtsverfahren gegen Angeklagte verfolgt, die des Kindesmissbrauchs oder der Verbreitung von Kinderpornographie beschuldigt werden, wird dort oft finden, dass ihnen in psychiatrischen Gutachten eine narzisstische Störung attestiert wird. (3, 4, 5) Psychiater diagnostizieren eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, wenn nach dem von der American Psychiatric Association herausgegebenen „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) mehrere Kriterien erfüllt sind. Ein wesentliches Kriterium dabei: Mangel an Empathie, den man Missbrauchstätern sicherlich unterstellen kann.

Wenngleich schon Sigmund Freud sich intensiv mit der Narzissmus-Problematik beschäftigte, sind die Ursachen dieser Störung noch immer nicht vollends erforscht. Weitgehende, aber längst nicht völlige Übereinstimmung besteht unter den Experten bislang in der Einschätzung, es handele sich um eine frühkindliche Störung, wobei die eine Schule eine Vernachlässigung durch die engsten Bezugspersonen verantwortlich macht, die andere eher eine Überbehütung.

Zunahme narzisstischer Störungen durch Pornokonsum?

Im Dezember 2014 berichtete das Ärzteblatt, es gebe Hinweise, „dass der Anteil der Narzissten in der Bevölkerung zunimmt.“ (6) Und ein Jahr später schrieb der Würzburger Universitätsprofessor und Psychoanalytiker Herbert Csef in der Internationalen Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik (IZZP): „Narzisstische Störungen als klinische Diagnosen sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, so dass führende Narzissmus-Forscher von einer ‚narzisstischen Epidemie‘ sprechen.“ (7)

Ein Durchbruch in der Forschung gelang im Jahr 2013 einer Wissenschaftlergruppe um den Charité-Arzt Stefan Röpke, die in einer Studie bei Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung eine Verminderung der grauen Substanz in der für das Empfinden von Mitgefühl relevanten Region des Gehirns fand. (8, 9) Es sei aber nicht klar, so Röpke seinerzeit zur Tageszeitung „Die Welt“, „ob die Großhirnrinde an dieser Stelle immer schon dünner war. Oder ob sich das erst im Laufe des Lebens entwickelt hat.“ (10) Und der österreichische Psychiater Rainer Haller, Gutachter in vielen Gerichtsprozessen und Autor diverser Fachbücher (u,a. „Die Narzissmusfalle“), sagte – ebenfalls laut „Welt“ – zu der Studie, es bleibe „noch unklar, ob Narzissten die Störung mit auf die Welt bringen – oder ob die Hirnareale durch selbstbezogenes Verhalten von Kindesbeinen an schlicht verkümmern.“

Ein Jahr später berichteten die WissenschaftlerInnen Simone Kühn und Jürgen Gallinat vom Max Planck-Institut für Bildungsforschung über eine Studie, in der sie herausgefunden hatten, dass ein Defizit an grauer Substanz durchaus auf das Verhalten zurückzuführen sein kann. Sie hatten die Gehirne von 64 Männern im Alter von 21 bis 45 Jahren untersucht, die zuvor nach ihrem Pornographiekonsum befragt worden waren. Ergebnis: Je mehr Pornokonsum, desto geringer die graue Substanz. Wissenschaftlich korrekt problematisierten die Forscher zwar auch hier die Henne-Ei-Problematik, aber ihre Einschätzung, dass es sich um eine Kausalität handelt, war eindeutig: „Wir gehen davon aus, dass der häufige Pornographiekonsum zu diesen Veränderungen führt.“ Das Belohnungssystem leiere gewissermaßen aus, sagte Simone Kühn. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Männer mit hohem Pornokonsum offenbarten zudem höhere Werte auf der Skala für Sexsucht, tranken mehr Alkohol und waren stärker depressiv als solche mit geringem Konsum. (11, 12)

Ebenfalls 2014 fanden Forscher der University of Houston (Thomas Edward Kasper et al.) sogar eine direkte Verbindung zwischen Pornokonsum und Narzissmus. Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Untersuchung:

„Die Teilnehmer (N = 257) füllten eine Online-Umfrage aus, die Fragen zur Nutzung von Internetpornographie und drei Narzissmus-Messungen enthielt (d. h. Narcissistic Personality Inventory, Pathological Narcissistic Inventory und Index of Sexual Narcissism). Die Anzahl der Stunden, die mit der Betrachtung von Internetpornografie verbracht wurden, korrelierte positiv mit dem Narzissmusniveau der Teilnehmer. Darüber hinaus wiesen diejenigen, die schon einmal Internetpornographie genutzt haben, höhere Werte aller drei Narzissmusmaße auf als diejenigen, die noch nie Internetpornographie genutzt haben.“ (13, 14)

Zieht man in Betracht, dass Pornographiekonsum oft oder wahrscheinlich sogar meistens mit Masturbation einhergeht, sind die Erkenntnisse nicht einmal sonderlich neu: In einem Vortrag vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung erklärte der Psychoanalytiker Viktor Tausk schon vor über 100 Jahren: „Onanie züchtet Narzissmus.“ (15)

Hinweise auf Hirnveränderungen

Welch gravierende Folgen eine Reduzierung der grauen Substanz hat, kann man auf der Online-Seite des Springer Medizin Verlags nachlesen: „Degeneration der Neuronen in der grauen Substanz führt initial hauptsächlich zu Demenz und Epilepsie, manchmal wegen Befall der Netzhaut auch zu Visusverlust“ (Völliger Sehverlust) (16). Eine besondere Form der Demenz, die Frontotemporale Demenz (FTD), gekennzeichnet durch Absterben von Nervenzellen im Stirnlappen des Gehirns, tritt häufiger schon bei Menschen in jüngerem Lebensalter auf als die Alzheimer-Demenz. Und auch dabei fanden Mediziner in einzelnen Fällen einen Zusammenhang mit Pornokonsum.
So berichtete schon 2011 der Neurologe Mario F. Mendez von der California-Universität Los Angeles im „Journal of Neuropsychiatrie and Clinical Neurosciences“ unter der Überschrift „Internet Pornography and Frontotemporal Dementia“ über einen Patienten mit FTD: „Ein 55-jähriger Mann mit Hochschulbildung hatte seit zwei Jahren eine ausgeprägte Vorliebe für Internetpornografie… Der Patient wurde emotional unbeteiligt; so erkundigte er sich zum Beispiel nicht nach seinem Vater, der an Krebs gestorben war.“ (17) Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München) berichtet Ähnliches über einen 67 Jahre alten FTD-Patienten. Auszug aus der Fallbeschreibung „… durch fremdanamnestische Angaben der Ehefrau, ihr Mann sei „bereits sein Leben lang enthemmt“ gewesen, z. B. sei er immer schon ein rasanter Autofahrer gewesen und habe eine Vorliebe für Pornographie.“ (18)

Dass dies keine Einzelfälle sind, ist aus einem Bericht von Wissenschaftlern (Ruben de Alacorn et.al.) der spanischen Universität Salamanca ersichtlich, die im Jahr 2019 einen systematischen Überblick über die Forschungen zum Komplex Pornographie und Veränderungen im Gehirn veröffentlichten. Sie schreiben:

„Die meisten Studien, die wir in unserer Forschung gefunden haben, beziehen sich auf hypersexuelles Verhalten, wobei Pornographie nur eines der dafür verantwortlichen Accessoires ist. Diese Erkenntnisse beruhen auf einem sich entwickelnden Verständnis des neuronalen Prozesses bei suchtbedingten Neuroplastizitätsveränderungen. Der Dopaminspiegel spielt bei diesen sexuellen Belohnungsreizen eine wichtige Rolle, wie bereits bei der frontotemporalen Demenz beobachtet wurde.“ (19)

Über irreversible Hirnschäden berichtet auch der Psychiater Kornelius Roth, Arzt und Sexualtherapeut in Bad Herrenalb und Autor des Buches „Sexsucht – Krankheit und Trauma im Verborgenen“. „Wir wissen aus Studien“, schreibt Roth, „dass das Arbeitsgedächtnis sozusagen dosisabhängig durch Pornographiekonsum (bleibend!) geschädigt wird. Das ist sehr alarmierend.“ Und weiter: „Den Zusammenhang von Narzissmus und Pornographiekonsum kann ich als Psychiater bestätigen, aber es gibt genauso einen Zusammenhang zwischen Pornographiegebrauch und Depression“, womit er nicht nur die Erkenntnis der oben erwähnten Kühn/Gallinat-Studie bestätigt, sondern auch Beobachtungen des Gießener Sexualwissenschaftlers und Neuropsychologen Rudolf Stark. (20)