Jeden Abend ein Gläschen Wein. Das typische Feierabendbier. Oder um es gehypter zu gestalten: Afterworkparty mit Drinks. Man möchte meinen, Alkohol gehört in unser aller Leben. Wird beworben. Seine Wirkung belächelt und heruntergespielt – im Falle von zum Beispiel Filmsequenzen, in denen sich Alkoholisierte in witziger Weise daneben benehmen. Keine Frage: Alkohol ist gesellschaftsfähig. Demgegenüber ist er vor allem eines: eine unterschätzte Droge. Doch ab wann ist man abhängig? Zu welchem Zeitpunkt muss man sich die Frage stellen: »Ab wann bin ich süchtig?«

Die unterschätzte Droge: Fünf Typen von Trinkern

Das typische Bild eines Alkoholikers kennzeichnet jemanden, der verwahrlost ist und verwahrlost lebt, der morgens nach dem Aufstehen gleich zur Schnapsflasche greift, der sein Leben nicht (oder nicht mehr) auf die Reihe bekommt und verbal sowie körperlich ausfällig wird.

Obdachloser Mann mit Basecap

Obdachlos: Der Stereotyp eines klassischen Trinkers. © Karim Corban under cc

Weit gefehlt! Denn Alkoholismus fängt schon viel früher an. Zudem ist es auch nicht ratsam, wie von manchen empfohlen, eine Mindestmenge anzugeben, welche als Richtwert für eine vorhandene Abhängigkeit beziehungsweise noch nicht Abhängigkeit gilt. Alkohol macht vor allem auch seelisch abhängig und das ist es, was diesen Prozess der Abhängigkeit so schleichend macht.

Schauen wir uns also die Droge Alkohol unter seelischen Gesichtspunkten an. Verdeutlicht wird diese psychische Abhängigkeit am besten an der in der Medizin und Psychologie gebräuchlichsten Typologie von Trinkern. Denn die Grenzen können durchaus fließend sein.
Nach Jellinek werden seit 1960 folgende Typen von Trinkern unterschieden.

Alpha-Trinker: der Problemtrinker

Der Problemtrinker beziehungsweise Konflikttrinker versucht psychische Belastungen, Alltagsstress und sonstige Probleme mit Alkohol zu kompensieren. Es ist seine Art Bewältigungsstrategie, um zu vergessen, Ängste zu vermindern, zu entspannen etc. Wie stark diese Form des Trinkens sozial anerkannt ist, zeigen Stereotype, welche in den Medien gepflegt werden: Ein Mann wird von einer Frau verlassen, rennt in die nächstbeste Bar und besäuft sich. Auch wenn bei dieser Form des Trinkens häufig noch nicht der Kontrollverlust einhergeht, sozial auffällig ist sie allemal. Mehr noch: Das Risiko in immer längere Phasen des Trinkens abzudriften ist hoch.

Beim Problemtrinker besteht in gewisser Hinsicht eine psychische Abhängigkeit, die allerdings noch nicht körperlich ist. Sie gelten zwar noch nicht als alkoholabhängig, aber als deutlich gefährdet.

Beta-Trinker: der Gelegenheitstrinker

Der Gelegenheitstrinker trinkt klassisch sozialisiert. Bereits von klein auf kommen wir mit diesen Gewohnheiten in Kontakt. Auf Familienfeiern gehört – na klar! – ein Gläschen Alkohol. Womit wird angestoßen an Silvester? Wenigstens ein kleiner Schluck, wenn man auch sonst nichts trinkt.
Aus diesen Sozialisierungen können immer mehr sozial akzeptierte Gelegenheiten zum Trinken erwachsen. Das berühmte Feierabendbierchen, welches man zumeist allein vor dem Fernseher genießt, gehört dabei genauso zu diesen Gelegenheiten.

Gelegenheitstrinker sind gemeinhin noch nicht körperlich oder psychisch abhängig, laufen aber Gefahr, dies zu werden. Denn Gelegenheiten gibt es viele. Gelegenheitstrinker lassen sich schneller zum Alkoholkonsum verleiten, demzufolge treten organische Schädigungen bei ihnen in ähnlicher Form auf wie bei anderen Trinkertypen.

Gamma-Trinker: der Suchttrinker

drei Gläser Whiskey

Alkoholsucht kann auch gesittet ablaufen. Es gibt viele Facetten der Abhängigkeit. © doctyper under cc

Die Gamma-Trinker gelten als klassisch suchtkrank, da mit ihrer Art des Trinkens Kontrollverlust einhergeht. Sie sind körperlich abhängig und spüren das Verlangen nach Alkohol bereits nach dem ersten Schluck. Ihren Konsum steuern, können sie nicht (ungeachtet dessen kann es auch bei ihnen kürzere und längere Phasen ohne Alkohol geben).

Delta-Trinker: der Spiegeltrinker

Wie der Name dieses Trinkertyps sagt, müssen Spiegeltrinker einen gewissen Alkoholpegel im Blut stets aufrecht halten. Diese Art von Trinken kann sich aus dem Gewohnheitstrinken entwickeln. Ist dieser Alkoholpegel im Blut nicht gewährleistet, treten Entzugserscheinungen auf. Sie zittern beispielsweise, leiden unter Schlaflosigkeit und verhalten sich sozial auffällig. Demzufolge gibt es keine Phasen des Nichtkonsums. Sie müssen fortwährend trinken, da bei ihnen die körperliche Abhängigkeit im Fokus steht.

Epsilon-Trinker: der Quartalssäufer

Quartalssäufer – so nennt man diesen Typ des Trinkers auch. Wie der Name es sagt, treten bei diesen Menschen Phasen exzessiven Alkoholkonsums auf, abwechselnd mit Phasen völliger Abstinenz. Bevor es zu Phasen des Trinkens kommt, in denen das Verlangen nach Alkohol derart stark wird, scheinen die Quartalstrinker sehr reizbar zu sein. Tagelange Sauftouren sind möglich. Klassische Filmrisse ebenso.

Bei den Epsilon-Trinkern besteht vor allem eine psychische Abhängigkeit.

Ab wann bin ich süchtig?



Überspitzt formuliert würden einige Psychologen darauf antworten: Ab dem Moment, wo man darüber nachdenkt, ob man süchtig sein könnte, besteht wenigstens eine ernstzunehmende Gefahr. Zumindest bei einem Alkoholkonsum, der einer gewissen Regelmäßigkeit beziehungsweise Menge frönt, sodass man sich schon selbst fragen muss, ob Suchtgefahr bestünde, wäre davon auszugehen, dass zumindest Alkoholmissbrauch vorliegt. Nach Definition der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung charakterisiert sich dieser wie folgt:

»Alkoholmissbrauch ist jeder Alkoholkonsum, der – unabhängig von der getrunkenen Menge – zu Schäden führt. Das können soziale, psychische und gesundheitliche Folgen sein, aber auch Alkoholunfälle im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz. Alkoholmissbrauch ist häufig der Grund für finanzielle Probleme oder für Schwierigkeiten in Partnerschaft und Familie. Alkohol ist oft auch der Auslöser für Aggression und Gewalt gegen andere Menschen oder Sachen.«

Alkoholmissbrauch – Alkoholabhängigkeit: ein Kontinuum

drei Wandbilder mit Klecksen

Ab wann bin ich süchtig? Seine Sucht anzugehen, ist ein schwerer Weg. Aber jeder Tag ist ein weiterer Schritt. © Chicago Art Department under cc

»Ab wann bin ich süchtig?«, die Frage danach ist in mehrerlei Hinsicht beantwortbar. Es kommt nicht nur auf die Menge an, die man zu sich nimmt (aber auch!). Darüber hinaus vor allem darauf, inwiefern man in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum zu steuern, ob man die Kontrolle darüber beibehält – nicht nur phasenweise, sondern generell (!). Viele Konsumenten belügen sich dahingehend selbst. Glauben sie doch, dass sie jederzeit aufhören könnten. Mehrere erfolglose Versuche, weniger zu trinken oder mit dem Trinken gar ganz aufzuhören, stehen dagegen.

Eines ist klar: Der Konsum von Alkohol ist niemals unproblematisch, maximal risikoarm versus riskant. Alkohol ist eine Droge, wenn auch eine sozial akzeptierte. Unser Organismus nimmt von Alkohol schaden, bei kleinen und großen Mengen (auf zellulärer und organischer Ebene).

Folglich ist es ein Kontinuum, wobei die seelische Abhängigkeit sehr facettenreich sein kann und den Übergang in eine körperliche Abhängigkeit in so vielerlei Hinsicht ebnen könnte. Zwischen den einzelnen Trinkertypen sind Mischformen möglich. Sie können situativ und zeitlich ineinander übergehen. Die Grenzen verschwimmen vor den anderen, aber auch vor einem selbst. Und eben darin besteht die Gefahr.

Was kann ich tun?

Für einen ersten Test sowie weiterführende Informationen empfiehlt sich die Aktion »Kenn dein Limit« von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Die Frage: »Ab wann bin ich süchtig?« darf immer auch als Chance begriffen werden, an seinen Gewohnheiten und seinem Leben etwas zu ändern. Beratungsangebote sowie (therapeutische) Hilfe anzunehmen, sich selbst gegenüber mit Ehrlichkeit aufzuwarten, sich Schwächen einzugestehen und den Missbrauch beziehungsweise die Abhängigkeit ganzheitlich anzugehen, können zu jeder Zeit im Leben vollführt werden. Manches Mal bestehen Hemmschwellen, einen Entzug zu machen. Deshalb möchten wir in den nächsten beiden Teilen der Artikelserie zur Alkoholsucht umreißen, wie ein solcher Entzug oftmals vonstatten gehen kann. Außerdem gehen wir in diesem Zusammenhang darauf ein, inwiefern die Alkoholsucht bei Frauen anders geartet ist als bei Männern und ob sich jener Sachverhalt auf die therapeutische Intervention auswirken könnte.