Wenn man Menschen fragt, was für sie zum Glück dazugehört, dann nimmt die körperliche Gesundheit statistisch regelmäßig einen der vorderen, wenn nicht den ersten Platz ein. Man bemerkt den Wert der Gesundheit zwar oftmals erst, wenn sie allmählich schwindet, aber es bringt wenig, jemandem, der noch nicht krank ist deshalb permanente Angst vor Krankheiten einzuimpfen. Das macht ihn in der Regel nicht vernünftiger und gesünder, sondern nur ängstlicher.
Nun war Krankheit vermutlich schon immer ein wichtiges Thema, solange es Menschen gibt und immer gab es etliche, die auch früher schon erstaunlich alt geworden sind bei voller geistiger Leistungsfähigkeit, doch die durchschnittliche Lebenserwartung war nicht hoch und eine ernste Krankheit oder auch das, was heute als Bagatelle gilt, konnte lebensbedrohlich sein. Gesundheit und alles was sie erhält oder einschränkt, ist sind erstaunlich ideologische Themen, was aber auf den Wert verweist, den wir dem Leben zumessen.
Eine Einigung wie gut oder schlecht frühere Medizin war, ist immer schwer zu erzielen, da vor einem ideologischen Hintergrund andere weltanschauliche Perspektiven auf medizinische Themen seltsamer erscheinen, als sie es sind, aber oft sich sie auch nicht so erfolgreich, wie ihre Anhänger glauben. Blenden wir daher von einem spekulativen, zu einem noch für alle überschaubares Früher zurück.
Schlaglichter aus 100 Jahren Medizin
Mein Vater musste seine Tuberkulose noch ohne Antibiotika auskurieren, wie sein älterer Bruder, der hatte Diphterie, eine schwere bakterielle Halsentzündung. Meine Oma litt in ihrer Kindheit unter Ruhr oder Typhus, einer schweren bakteriellen Darminfektion, die auch nicht witzig war, da meine Oma zwar zäh war, sich aber nachhaltig daran erinnerte, muss das überlebenstechnisch knapp gewesen sein. Die Antibiotika und Impfungen halfen, dass die meisten dieser Krankheiten sehr gut in den Griff zu zu bekommen waren, die Übertreibungen bei ihrem Einsatz halfen, dass ihr Einsatz ideologisch umkämpft ist und mitunter kommen durch Missbrauch bei Verschreibung und Anwendung Erkrankungen heute wieder, von denen wir dachten, sie seien längst für immer ausgestorben.
Nach dem zweiten Weltkrieg hatten viele Leute in Deutschland sehr wenig zu essen, Hunger war damals ein Thema. Schaut man auf alte Bilder dieser Zeit findet man kaum jemanden der dick ist, schon gar nicht fett. Wer zu dünn war bekam vom Arzt Butter auf Rezept verschrieben, Fett war kostbar, mit dem Pergamentpapier in den der seltene Speck eingewickelt war, wurden Pfannen und Töpfe ausgerieben. In der eben beschriebene Familie meiner Vorfahren gab es das geflügelte Wort: „Sondermeldung: Kartoffel im Essen.“ Ansonsten wurde gekocht, was irgendwo wuchs, Hauptsache so was wie satt, lecker war kein Kriterium.
Ein paar Jahre später kam das Wirtschaftswunder und wer was hatte, zeigte dies auch mit Stolz, auch beim Essen und der Lebensführung. Da man Hunger als reales Problem noch kannte und Hunger ein Grund für einige Krankheiten war, war Essen, gerne auch deftig, reichlich, fett, süß und fleischlastig, garniert mit dem Schnäpschen (für die Verdauung) und was zu Rauchen ein Befreiungsschlag. Das galt nicht als ungesund, sondern war dralle, kraftstrotzende Gesundheit.
Dennoch, war zu viel des Guten dann irgendwann schlecht und eigene neue Krankheitsbilder entstanden langsam, die sogenannten Zivilisationskrankheiten. Zuerst bei den besser Gestellten, seinen Herzinfarkt musste man sich noch redlich verdienen. Doch jedes Jahrzehnt konnten sich immer mehr Menschen immer mehr leisten und so nahmen die Zivilisationskrankheiten schleichend breiteren Raum ein. Zu wenig Bewegung, zu viel ungesundes Essen, zu viel Alkohol und Zigaretten, immer weniger Leben in natürlichen Rhythmen.
Heute gibt es in unsrer reichen Gesellschaft immer mehr relative Armut, mitunter wieder mit echtem Hunger, gleichzeitig kann so gut wie jeder heute, durch immer billigere Angebote im Discounter und eine logistisch durchoptimierte Industrie, die lebendige und leidensfähige Wesen, vollständig und zur kundengerechten Ware degeneriert hat, feudaler speisen, als früher die Adeligen, Schampus, Krabben, Kaviar inklusive.
Ich wuchs in einer optimistischen Zeit auf. Antibiotika gab es bereits und sie galten als unproblematische Wunderwaffe, Seuchen waren kein Thema mehr, dem Krebs hatte man den Kampf angesagt, AIDS dämmerte gerade erst herauf. Umweltgifte und Zivilisationskrankheiten waren noch nicht in der Breite auf der Agenda, auch wenn es sie bereits gab. Ansonsten war alles irgendwie hübsch geordnet, der Arzt noch ein in der Regel gut verdienender und gesellschaftlich angesehener Halbgott in weiß, auch wenn die ersten größeren Skandale aufkamen.
Auch was mögliche Krankheitsursachen anging, herrschte Ordnung im öffentlichen Bewusstsein. Zucker galt als schlecht für die Zähne, Alkohol für die Leber, Rauchen für die Lunge, zu viel Fett machte fett, das war irgendwie alles nachvollziehbar, man sollte es damit nicht übertreiben, aber die Lebenserwartung stieg statistisch weiter, also konnte es so schlimm ja auch nicht sein. Ich hörte in dieser Zeit in Fernsehmagazinen, die sich kritisch gaben von Heilpraktikern, einer, wie es hieß schlecht ausgebildeten Spezies, die irgendwelchen medizinischen Unsinn machten. Die Frage war, warum man da hin gehen sollte, wenn man kostenlos zu guten Ärzten gehen konnte.