Die Breite der Innenwelt

Impressionistische Darstellung von zwei Reitern

Wie etwas dem Maler erscheint ist im Impressionismus wichtiger als die exakte Darstellung. © Peter Pikous under cc

Die Innenwelt besteht keineswegs nur aus Rechenleistungen und den Variationen der Geschmackswelt. Auch Schriftsteller begeben sich in die Innenwelt, erforschen diese und stellen sie uns in verschiedensten Formen zur Verfügung. Das können autobiografische Geschichten über Depressionen sein, aber überall in der Weltliteratur ist Innenwelt verpackt, auf je unterschiedliche Weise.

Wir verstehen Gedichte oft intuitiv und sie berühren etwas in uns, künden oft von großen Themen wie Liebe, Freiheit aber auch dem Alltäglichen. Natürlich sind die großen Themen auch Teil der anderen Sparten des Literatur und jeder Autor drückt ihnen seinen besonderen Stempel auf, zeigt uns seinen Blick in die Welt, in der der beständige Austausch von Innen und Außen Hand in Hand gehen.

Dabei zeigt sich immer wieder, dass das, worum es in unserer aktuellen Weltsicht angeblich so vorrangig geht oder gehen sollte, vollkommen langweilig ist, die sogenannten Fakten, gerne noch in Formen von Zahlen und Vermessungseinheiten dargestellt. Wir wollen nicht wissen, wie die chemische Zusammensetzung von einem Essen ist, sondern wie es schmeckt. Da kann man dann auch die Zutaten analysieren, aber die Küchengeheimnisse hängen von unendlich vielen Faktoren ab und dann kommt noch der Punkt dazu, inwieweit man sich darauf einlassen kann und will. Man selbst wird auf einmal zum Messinstrument.

Aber eben auch im Bezug auf Beziehungen, auf Weltdeutungen und dem, wie wir unsere Lebenswirklichkeit erleben. Wir sind interessiert daran, wie andere den Film fanden, den wir gesehen haben, wie ihnen das Essen schmeckte und was sie von den Nachbarn denken, uns interessiert die Interpretation. Spitzensportler des Inneren interpretieren die Welt in ungewohnt kunstvoller Art, reich an Details oder äußerst pointiert, aus einem merkwürdigen Blickwinkel, manchmal auch sehr hellsichtig. Viele Science Fiction Autoren haben spätere Erfindungen bereits Jahrzehnte zuvor beschrieben.

Kafka führt den Leser in oft ausweglose Gefilde und wir fühlen mit dem Protagonisten, weil Kafka Menschheitsthemen in Alltagsfiguren darstellen kann, manchmal sind es sogar Tiere. Die Ausleuchtung der Innenwelt schwingt in der Literatur oft mit: Glaube, Gerechtigkeit, diverse aussichtslose Lagen und wie man mit ihnen umgeht oder auch untergeht. Das verbindet sie mit Märchen und Mythen einerseits und mit der Psychologie, die die Innenwelt systematisch erforscht.

In der Psychologie wird verhandelt, wie Gedanken und Gefühle zueinander stehen, wie das Denken, Fühlen und unser Antrieb funktionieren, warum Welt so von den Einzelnen erlebt wird, wie sie es wird, welche Erlebnisarten häufig sind und wie man sich ihr Vorkommen erklären kann.

Philosophen beschreiben auch die Welt, wie sie erlebt wird, aber jene Teile, die rational begründbar sind und aus bestimmten Anfangsbedingungen folgen. Aber sie interessieren sich dabei nicht allein für den Ist-Zustand, sondern vor allem für Fragen prinzipieller und allgemeiner Natur. Wo man im Alltag Ungerechtigkeit beklagt, die Literatur mit Michael Kohlhaas einen Menschen darstellt, der aus empfundener Ungerechtigkeit in einen Gerechtigkeitswahn hineingleitet, die Psychologie fragt, wo Gerechtigkeit eigentlich herkommt und welche Rolle ein Wertesystem für die Psyche spielt, da fragen Philosophen, was Gerechtigkeit eigentlich ist.

Indem Philosophen das tun, nämlich nach der Bedeutung von Begriffen zu fragen, die wir im Alltag ständig verwenden und deren Sinn uns eigentlich klar ist, verwirren und nerven sie ein wenig, durch die Tatsache, dass uns diese einfachen Begriffe eben gerade nicht klar sind. Wenn wir uns aber wirklich auf die Suche machen und merken, wie schwer es ist scheinbar Einfaches zu definieren kommen wir unseren offenen und stillen Prämissen und Grundüberzeugungen immer näher, graben diese, gleich einer oder mehrerer Wurzeln aus, mit anderen Worten, man versteht sich im besten Sinne selbst immer besser.

Das sind längst noch nicht alle Facetten des Inneres, denken wir nur an etwas wie Malerei, Tanz und Musik, um nur einige weitere Bereiche zu nennen. Aber dieser Artikel richtet sich eher auf einen anderen Bereich:

Die Spitze der Innenwelt

Das sind die Bereiche in denen wir die Spitzensportler des Inneren antreffen. Das sind Menschen, deren Ausnahmeleistungen uns faszinieren und erschrecken. Denn es sind nicht nur geniale Rechenleistungen oder die Gipfel von Kunst und Moral, die es uns angetan haben. Im Gegenteil, oft verstehen wir diese Ausnahmeathleten, die sich in den einsamen Berggipfeln bewegen, gar nicht.

Uns faszinieren nicht selten auch die Abgründe, das Böse. Der perfekte Mord, der nervenstarke Gauner oder der eiskalte Psychopath. Auch sie bewegen sich an markanten Punkten, entlang der Grenzen der Innenwelt. Manches aus ihrer Welt ist auch für mehr oder weniger normale Menschen attraktiv. Die Angstfreiheit (in Extremsituationen), die Fähigkeit sich zu fokussieren, klar und geradlinig sein Ziel zu verfolgen.

Schizoide Menschen sind in der Lage nahezu hellsichtig die Gefühle ihres Gegenüber zu erfassen und zu deuten. Ihnen fehlt es an der Fähigkeit größere Zusammenhänge zu sehen, aber auf der emotionalen Mikroebene sind sie unschlagbar. Auch den hochfunktionalen Asperger Autisten werden Fähigkeiten zugesprochen, die normal wirkende Menschen auf diesen Gebieten nicht erbringen.

Man fragt sich immer wieder, wo die Grenzen zwischen Normalität und Pathologie denn nun wirklich verlaufen. Sie sind keinesfalls sinnlos, müssen aber immer wieder neu hinterfragt und hier und da anders gezogen werden.

Man muss für Sonderleistungen auch nicht pathologisch sein. Wir schrieben schon mal über Paul Ekman, der sich auf die Analyse von Mikroemotionen spezialisiert hat und in dem Ruf steht Gedanken lesen zu können.

Zu den Spitzensportlern des Inneren zählen dann im doppelten Sinne tatsächlich auch Schachspieler. Äußerlich gesehen ist das Geschehen rund um das Brett ja sagenhaft unspektakulär. Zwei Menschen sitzen sich an einem Tisch mehr oder weniger regungslos gegenüber, unterhalten sich nicht und alle paar Minuten zieht einer eine kleine Figur über ein schwarzweiß kariertes Feld. Kennt man die Regeln, kann das Geschehen allerdings hochgradig spannend sein, weil man es innerlich nachvollziehen kann, wenigstens bis zu einem gewissen Grad.

Ähnlich schlicht verläuft eine Psychotherapie. Zwei Menschen sitzen da, manchmal liegt auch einer. Oft wird viel geredet, in einigen Fällen kann es auch lange Pausen des Schweigens geben, die allerdings sehr intensiv sein können. Die Psychotherapeuten können selbst, durch die Begegnung mit ihren Patienten, viel lernen und Teile unserer Innenwelt systematisch erfassen und in Büchern darstellen.

Doch auch feine Beobachter anderen Menschen sind dazu in der Lage, Schriftsteller wie Max Frisch, Thomas Mann oder Fjodor Dostojewski, um nur einige zu nennen. Beachtlich ist auch, welche eigenen Welten da mitunter erschaffen werden, denken wir auch an J.R.R. Tolkien.

Magie, Mystik und Medizin

Zu was die Kraft des Inneren in der Lage ist, sieht man immer wieder auch in der Medizin und zwar zu beiden Seiten. Wir kennen Noceboeffekte und extreme Ausschläge wie das Broken Heart Syndrom oder den psychogenen Tod, die alle immer besser dokumentiert und erforscht werden, auf der anderen Seite stehen Placeboeffekte, aber wir finden auch unerklärliche Heilungen bis hin zu Wunderheilungen, bei denen man Dinge erlebt, die es eigentlich nicht geben kann.

Das grenzt an Magie und auch die gibt es seit ewigen Zeiten in systematischer Form. Heute sehen wir es als verrückt an, zu glauben man hätte irgendwie Einfluss auf die Dinge außerhalb von uns. Magisches Denken wird als pathologisch angesehen, zugleich erkennen wir aber immer mehr, dass und wie unsere Umwelt uns beeinflusst, Menschen, aber auch Tiere und durchaus auch Pflanzen oder etwa der fallende Regen, der über Blätter streift.

Auf der anderen Seite ist, je nach Interpretation, sogar denkbar, dass wir die Umwelt beeinflussen. Unsere Mitmenschen über Spiegelneuronen sowieso, aber auch unsere Haustiere verstehen uns und von manchen Messvorgängen in der Quantenphysik wird angenommen, dass wir durch sie die tote Umwelt beeinflussen können. Theoretisch ist es weitaus überzeugender, dass Bewusstsein und Materie interagieren oder vielmehr Teil derselben einen Welt sind, die Probleme beginnen erst, wenn man sie theoretisch trennt.

Wird die Magie mitunter auch noch als versponnen wahrgenommen, so sieht das bei der Mystik heute schon anders aus. Eine der häufigen Tätigkeiten der Mystiker, die Meditation, ist an Handlungsarmut dann auch nicht mehr zu steigern. Man sitzt bewegungslos da und atmet, das ist der ganze äußere Handlungsrahmen. Aber innerlich kann sich erneut jede Menge ereignen.

Wir versuchen das von unserer Warte her auszuschlachten, sehen das irgendwie als eine Form der Entspannungstechnik, die man lange Zeit nutzlos bis lächerlich fand, allenfalls zur privaten Erbauung, wenn man sie nicht gleich pathologisiert hat. Inzwischen hat sich das Blatt vollkommen gewendet, aber da gerät die Meditation ins Zahnrad der Nützlichkeitserwägungen unseres noch aktuellen Weltbildes und wird zur Entspannungstechnik gemacht.

Vermutlich sind mystische Erfahrungen die Spitzenerlebnisse des Inneren schlechthin mit dem Potential subjektiv so überzeugend zu sein, dass die vermeintlich objektiven Einwände gegen sie vollkommen bedeutungslos werden. Wir haben es noch nicht geschafft diese ungeheure, manchmal buchstäblich alles verändernde Wucht dieser Erfahrungen ernst zu nehmen und in unser Weltbild einzubauen oder es zu erweitern, vor allem zwischen Wahn, Pathologie und positiven Erlebnissen zu unterscheiden.

Auch das wird etwas für die Spitzensportler des Inneren des Inneren sein, diese Erfahrungen in ein neues Bild der Welt zu integrieren, es wird eines sein müssen, was die Erlebnisse der Inneren um ein vielfaches ernster nimmt, als dies die letzten 250 Jahre geschehen ist.