Nach einer Trennung sind viele von uns in regelrechten Gedankenkonstrukten gefangen. Wir sind traurig, fühlen uns ohnmächtig, empfinden eventuell Scham, fühlen uns minderwertig, ungeliebt. Möglicherweise haben wir sogar Schuldgefühle und überlegen, was wir hätten anders machen können. Eine Trennung setzt eine regelrechte Grübelspirale in Gang, bei der wir uns nicht selten komplett entwurzelt fühlen. Überall liest man, man solle loslassen. Doch wie geht loslassen eigentlich?
Übrigens: Auch wenn wir das Loslassen und alle damit zusammenhängenden Prozesse am Beispiel einer Trennung aufzeigen, bezieht sich der Prozess des Loslassen, wie hier beschrieben, auch auf andere mögliche soziale Beziehungen, Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen, die du erfährst. Der psychologische Hintergrund ist meist derselbe.
Aber: Die hier dargebotenen Informationen sind lediglich allgemeine Coaching-Hinweise, die nicht für psychische Erkrankungen gelten. Folglich ersetzen sie keine Psychotherapie!
Unser Gehirn als Problemlösemaschine
Unser Gehirn ist eine Problemlösemaschine. Über Jahrtausende wurde diese evolutionsbiologisch optimiert. Wenn wir ein Gefühl spüren, hat unser Gehirn zumeist sofort einen Grund dafür parat. Wir sind traurig beispielsweise, weil wir den Verlust der Partnerschaft beklagen. Wir empfinden Scham, weil wir uns damals ständig eifersüchtig verhalten haben etc. Doch nicht zwangsläufig hat das Gefühl mit dem Gedanken zu tun. Der Gedanke ist lediglich eine Mutmaßung, ein kognitiver Vorschlag unseres Gehirns. Also der wahrscheinlichste Grund für das Gefühl. Indem wir unseren empfundenen Emotionen stets den für uns naheliegenden Grund – der Verlust der/des Ex – zuordnen, bemessen wir der Partnerschaft beziehungsweise der Person immer wieder Bedeutung bei. Wir glauben, das Wichtigste in unserem Leben verloren zu haben. Doch vielleicht haben wir an einer desolaten Beziehung nur so stark festgehalten, weil wir davor schon eine Leere spürten? Hätte die Ex-Partnerschaft noch einen ähnlich hohen Stellenwert, wenn wir uns beispielsweise beruflich erfüllter fühlen würden?
Emotion und Gedanke befeuern sich
Mit jedem Mal verstärken sich die Gedankenpfade in unserem Gehirn zwischen Emotion und kognitiver Zuordnung. Beides wird immer wieder miteinander verknüpft und – schlimmer noch – spult sich gegenseitig hoch. Wir fühlen ein Gefühl von Einsamkeit oder Trauer und sofort denken wir, es liegt an dem Verlust der Partnerschaft. Schon setzt sich eine Grübelspirale in Gang. Wir wünschen uns die andere Person herbei, überlegen, wie wir sie zurückgewinnen können, fühlen uns beschämt, weil wir mal wieder verlassen wurden – und diese Gedanken münden dann in weiteren negativen Gefühlen. Diese Gefühle nehmen wir erneut wahr, und ordnen sie wieder der Verknüpfung mit der Partnerschaft zu. So befeuern sich Emotionen und Gedanken gegenseitig.
Kurz gesagt: Wir versteigen uns sozusagen in Gedanken, die wiederum Emotionen erzeugen. Diesen Emotionen ordnen wir wieder Bewertungen und Gedanken zu. Und immer so weiter. Ein Kreislauf.
Wie geht loslassen? Ein Praxisvorschlag
Fragt man sich also, wie loslassen geht, dann gilt es, diese Verbindung zwischen Emotion und Bewertung/Zuordnung durch einen Gedanken aufzulösen. Ein mögliches Vorgehen dafür findet sich bei dem Psychologen und Autor mehrerer Sachbücher Peter Beer. In Anlehnung an seine Empfehlungen ist die mögliche Herangehensweise nachfolgend zusammengefasst. Vereinfacht heruntergebrochen, kann dies in zwei Steps geschehen.
1. Schritt: Die Emotionen dürfen da sein
Wie schon im ersten Teil der Artikelserie erklärt, ist es wichtig, die Emotionen zuzulassen. Loslassen heißt im ersten Schritt, die Emotionen, die man fühlt, zu spüren und wahrzunehmen. Um welche Emotion handelt es sich? Angst, Scham, Wut, Verzweiflung, Einsamkeit, Schuldgefühle? Die Gefühle dürfen da sein, sie sollen da sein. Wir müssen keine Angst vor ihnen haben, sondern wir lassen sie zu. Wie auf kleinen Wölkchen kann man die Emotionen vorbeiziehen lassen. In der Regel empfinden wir nur so viel, wie wir aushalten können. Unser Gehirn und unser Körper sind im Normalfall dafür ausgelegt, mit Gefühlen umgehen zu können.
Lediglich wenn wir Gefühle verdrängen und Angst vor ihnen haben, werden sie zu einem übermächtigen Ganzen. Oft wird der Grundstein dafür in der Kindheit gelegt.
Nach dem ersten Step, bei welchem wir die Emotionen spüren und wahrnehmen, tätigen wir nun den zweiten: Nämlich nichts!
Schritt 2: Emotionen von Gedanken lösen
Anstatt dass wir uns nun wieder in eine Zuordnung der Emotionen begeben, also nach Gründen für die Emotionen suchen, registrieren wir zwar die automatisch aufkommenden gedanklichen Offerten, machen aber im Anschluss nichts damit. Wir stoppen die Grübelspirale. Dadurch entkoppeln wir nach und nach die Gedanken von den Emotionen. Wir geben dem Grübeln keinen Raum mehr im Kopf.
Eine kognitive Umbewertung in der Draufschau wäre zudem möglich, indem man einen neuen Gedanken »überspielt«. Also anstatt früher: »Schade, dass es vorbei ist. Ich werde nie über die Person hinwegkommen.« Besser nun: »Die Partnerschaft hat mir viele schöne Momente gebracht und mich weiterentwickeln lassen. Dafür bin ich dankbar.«
Gedanken sind nur Gedanken
Grübeln schenkt uns die Illusion von Kontrolle. Wir glauben, wenn wir nach möglichen Erklärungen und Lösungsansätzen suchen, können wir der gefühlten Ohnmacht etwas entgegensetzen. Wir hoffen auf Halt, ein Gerüst, an dem wir uns entlang hangeln können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Letztendlich sind die Gedanken bloß Gedanken. Sie sind Mutmaßungen, herangezogene Erklärungen im Rahmen unserer Möglichkeiten, neuronale Verknüpfungen, elektrische Potenziale, wenn man so will.
Naturell: Die Welt ordnen und verstehbar machen
Es liegt in der Natur der Menschen, die Geschehnisse einzuordnen und für sich erklärbar zu machen. Nur so konnte die Menschheit in der Vergangenheit überleben. Was ist Gefahr, was bedeutet Sicherheit? Was ist essbar, was nicht? Welche Menschen sind uns wohl gesonnen, welche nicht? Doch wenn diese Zuordnungen von Dysfunktionalität geprägt sind, bringen sie uns nicht weiter. Im Gegenteil, sie bringen uns zu Fall. Indem sie unser Vorankommen hemmen, dafür sorgen, dass wir uns verschließen, sind sie für unser Leben eher abträglich als zuträglich.
Aus Kontrollverlust wird Freiheit
Die Annahme: »Ich fühle es, also muss es so sein!«, ist eine trügerische. Nicht jedes Gefühl entspricht einer Wahrheit. Oder anders ausgedrückt: Glaube nicht alles, was du denkst. Ferner benötigt nicht jede Emotion eine Reaktion von dir. Sie müssen nicht ausagiert werden, es muss nicht immer gehandelt werden. Emotionen gehen vorüber und es gibt mehr Gefühle, als du denkst, die am darauffolgenden Tag schon keine Wichtigkeit mehr haben.
Entkoppelst du also nach einer Trennung die Emotionen von den Gedanken wird nichts passieren. Du verliert nicht die Kontrolle. Du darfst den anderen loslassen. Anstatt dass du wieder und wieder Ressourcen und Energien verschwendest und dich in Grübelspiralen versteigst, darfst du ins neue Unbekannte gehen. Die Gedanken an den/die Ex schenken dir eine trügerische Sicherheit, etwas an dem du dich festhalten kannst. Doch auch sie sind lediglich Konstrukte in unserem Kopf. Du verschanzt dich sozusagen hinter etwas, dass du selbst im Geiste aufgebaut hast.
Loslassen als Halt im Leben
Und so besteht der einzige Halt, auf den wir uns im Leben verlassen können, vermutlich im Loslassen. Dadurch werden wieder kognitive Ressourcen frei, mit denen wir auf die Herausforderungen des Lebens reagieren können. Du erlangst mehr Konzentration auf das Wesentliche, mehr inneren Frieden und mehr Freiheit.
Übrigens: Durch das Loslassen verpasst man auch nicht die Gelegenheit, die Partnerschaft eventuell wieder aufleben zu lassen. Sollte dich dein*e Ex-Partner*in wiederhaben wollen, wird diese Person alles in Bewegung setzen, um dich zurückzugewinnen. Du verpasst also nichts, wenn du loslässt.
Emotionen werden weniger intensiv
Und noch einen Vorteil hat das Loslassen. Schlussendlich schließt sich so der Kreis. Je häufiger man die Emotionen annimmt, wahrnimmt und da sein lässt – ohne sie jedoch als Auftakt für eine Grübelspirale zu nehmen oder ihnen Gründe zuzuordnen –, desto weniger intensiv sind diese Emotionen. Versinnbildlicht bist du über deinen Emotionen, sie sind weniger bedrohlich und müssen weniger gefürchtet werden. Du bist nicht deine Emotion, sie ist einfach nur für den Moment in dir.
Wie geht loslassen? Ein Fazit
Wie geht loslassen denn nun, knapp gesagt? Nimm deine Emotionen wahr, spüre sie, aber füttere sie nicht mit Gedanken. Registriere aufkommende Gedanken, aber lasse dich nicht darauf ein. Lass’ los.