Das Gefühl der Freiheit ist für viele Menschen ein erlösendes Gefühl und eines des Themen der Menschheit. © Kalyan Chakravathy under cc

Freiheit ist wie Wahrheit, Liebe oder der Sinn des Lebens eines der großen Themen, das zu den Fragen des Menschseins an sich gehört.

In Corona-Zeiten bekommt die Frage nach der Freiheit noch mal besondere Relevanz und ist gleichermaßen schwer wie leicht zu beantworten. Eine einmal gewonnene Erkenntnis auch im nächsten Moment noch festzuhalten und auf sie zurückgreifen zu können ist im Zeitalter der Kreischsägen und Berufsempörten eine Überforderung, denn die Freiheit soll ja schließlich frei Haus kommen, wie das nächste Paket.

Der Freiheit haben wir uns in der Form der Willensfreiheit schon recht ausgiebig gewidmet, mit einer besonders ansprechenden Diskussion unter Freiheit und Determinismus. Wer das nicht lesen möchte, für den sei kurz zusammengefasst, dass der Kompatibilismus schlüssig nachweisen kann, dass der Determinismus, sei es der physikalische, der neurobiologische oder welcher auch sonst, unsere Freiheit nicht einschränkt. Freiheit und Determinismus schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.

So weit, so ungewohnt, weil kontraintuitiv. Denn intuitiv würde man meinen, Freiheit sei ganz einfach in jedem Moment tun und lassen zu können, was ich gerade will, was mir gerade ganz spontan in den Sinn kommt. Und weil das eben sofort einleuchtet lautet die nächste Frage, was denn eigentlich überhaupt dagegen spricht.
Es ist nicht das Recht oder der moralische (eigentliche moralistische) Zeigefinger, der da sagt: ‚Du, Du, Du! Deine Freiheit endet dort, wo sie die des anderen einschränkt.‘ Es ist zwar rechtlich und moralisch tatsächlich so, aber wenn man es nicht versteht, erscheinen diese Ansagen, zumindest mal in unserer Gegenwart, vielen als willkürlich gesetzte Einschränkung, die dem Einzelnen das Leben schwer macht und offenbar machen soll.

Dabei sind die einzelnen Fragen auf dem Weg zum Ganzen schon geklärt, schön, wenn man sie festhalten, einsortieren und einüben kann.

Freiheit und Willkür

Im Grunde hat Kant die Antwort auf die Frage geliefert, warum Freiheit nicht bedeutet in jedem Moment tun und lassen zu können, was einem in den Sinn kommt und sie ist so einfach, wie überzeugend: Weil man dann ein Sklave seiner Triebe ist. Warum?

Weil man dann genau das ist, was man nicht sein will, nämlich vollkommen abhängig von dem, was die Welt einem präsentiert. Hier ist ein Reiz und ich bin gezwungen, darauf zu reagieren, wie eine doofe Lichtschranke oder wie ein Tier in dem ein starres Programm abläuft, wenn bestimmte Schlüsselreize auftauchen. Da wir zu einem Teil noch immer Tiere sind (aber Tier ist eben auch nicht gleich Tier), ist das auch in uns. Ein bestimmter Impuls taucht auf und Peng, fühlen wir uns genötigt darauf zu reagieren. Wir springen über jedes Stöckchen, wir reagieren auf jede Provokation und jeden gut präsentierten Reiz der Werbung und wenn man nur ein wenig drüber nachdenkt wird schnell klar, dass die Willkür so ziemlich das andere Ende der Freiheit ist.

Weil Philosophie und Psychologie ihre eigenen Sprachen haben, aber erfreulicherweise oft zu gleichen oder sich ergänzenden Erkenntnissen kommen, hat die Psychologie ein eigenes Wort dafür, nämlich Impulskontrolle (oder Affektkontrolle). Praktisch bestätigen die Erkenntnisse Kants Einsicht, denn frei bin ich in dem Moment, wo ich es in der Hand habe, ob und wie umfassend ich auf etwas in der Außenwelt reagiere.

Der Zwang alles agieren zu müssen, ist im Grunde nichts anderes als eine Borderline-Störung. Eine schwere Persönlichkeitsstörung, die mit einem hohen Maß an Leid aufgrund einer andauernden schweren generalisierten Angst einher geht. Die gelegentlichen Affektschübe der Borderliner dienen oft dem Ziel dieser Angst zu entkommen und sich wieder zu spüren und zu erden, der innere Druck ist dabei kaum vorstellbar.

Doch die Lösung ist nicht die Flucht zur anderen Seite der maximalen Kontrolle. Das wird irgendwann, schneller als man denkt, starr und zwanghaft und es sind innere und äußere Zwänge, die die Freiheit einschränken, womit wir von der Psychologie wieder zur Philosophie zurück gekehrt sind.

Prinzipielle Freiheit

Der Mensch ist also prinzipiell frei, prinzipiell heißt dabei, dass er es theoretisch auch dann ist, wenn die Welt vollständig determiniert oder anders formuliert vorherbestimmt wäre. Intuitiv eigentlich wieder das Paradebeispiel für Unfreiheit, denn Vorherbestimmtheit bedeutet ja gerade nicht frei zu sein, sondern, dass bereits fest steht, was passieren wird.

Wir wissen aber nicht ob und wie determiniert die Welt ist, aber der Vorteil der Philosophie ist, dass wir einfach – für die Dauer eines Gedankenexperiments – so tun können, als sei sie es. Dabei wird es wieder schwer und kontraintuitiv. Eigentlich sind die Schritte einfach. Denn angenommen, alles, wirklich alles sei bis ins allerletzte Fitzelchen vorherbestimmt, dann folgt dieser Determinismus bestimmten Regeln. Von diesen Regeln müssen wir annehmen, dass es sie gibt, aber wir kennen sie nicht. Wir wissen nur, dass es zwingend ist, dass wenn die Welt determiniert ist, sie Regeln folgt.

Wir denken, dass wir einen Teil der Regeln kennen. Gegenstände fallen bei Ihnen, wie bei mir immer auf den Boden, noch nie ist mir was an die Zimmerdecke gefallen. Es ist nicht logisch zwingend, dass das auch beim nächsten Mal so sein wird, darauf wies uns zuerst Hume hin, aber dennoch gehen wir im Alltag davon aus, dass viele Dinge und Ereignisse, die bisher immer so waren, dies auch beim nächsten Mal sein werden. Daraus können wir ableiten, dass unser Leben gewissen Regeln folgt, einige kennen wir ziemlich gut, andere etwas, manche kaum, einige gar nicht. Das heißt, auch wenn alles geregelt sollte, wir kennen nur einen Teil davon.

Über den Rest spekulieren wir und das tun wir auf der Basis jener Annahmen, die uns am plausibelsten erscheinen. Eine Mischung aus persönlicher Erziehung und Erfahrung, Intelligenz und eben auch der Fähigkeit nicht auf alles impulsiv reagieren zu müssen. Sondern abwarten und innehalten zu können, abwägend zu schauen, was einem, in der Summe all der Informationen, die ich Stand heute besitze, am plausibelsten erscheint und wenn man das tut, ist man aus der Sicht der Kompatibilisten jemand, der frei entschieden hat.

Es ist keine Freiheit zweiter Klasse, sondern, wenn man es mehrfach durchdenkt, lebensnah und richtig, der schwierige Punkt ist nur, dass es dann ausgerechnet unser Nichtwissen ist, was uns frei macht. Das ist erneut kontraintuitiv, denn wir denken, dass viel Wissen uns freier macht (was in gewisser Weise stimmt) und Allwissen uns ganz frei macht (was schwierig zu begründen ist, versuchen Sie es mal).

Innere und äußere Zwänge beschränken die Freiheit

Das ist schon, ohne jede Ironie, ziemlich viel, was man jetzt behalten haben muss und ziemlich viel davon widersetzt sich unserer spontanen Annahme oder ist eben kontraintuitiv.

Das geht leider so weiter, denn, wenn klar ist, dass wir prinzipiell freie Wesen sind (sofern wir innehalten und rational, auf der Basis aktueller Daten und eigener Prämissen abwägen können), so sind wir doch in dem Moment nicht frei, wo wir inneren oder äußeren Zwängen ausgesetzt sind. Eine Sucht, eine psychische Krankheit sind innere Zwänge, eine Drohung ist ein äußerer Zwang, eine emotionale Erpressung ist eine Mischform, wenn man so will.
Das heißt, auch wenn wir prinzipiell frei sind, so sind wir de facto doch oft in unserer Freiheit beschränkt, es sei denn man ist so radikal wie die Existentialisten und hier insbesondere Sartre, die den Menschen in wirklich jeder Lebenslage als jemanden sehen, der zur Freiheit nahezu verdammt ist: „Frei sein heißt zum Freisein verurteilt sein.“

Auch das ist alles andere als einfach zu verstehen. Sartre meint damit, dass, egal in welcher Situation ich mich befinde, wie ausweglos oder gebunden sie auch sein mag, ich mich immer zu dieser Situation verhalten kann und muss. Ich kann, ich muss mich in jedem Moment selbst entwerfen und nur ich bin für diesen Entwurf verantwortlich. Eine radikale Form der Freiheit in der ich immer in der Verantwortung stehe – aber Freiheit ist in fast allen Entwürfen die andere Seite der Verantwortung – darum ist man auch verurteilt.

Ein starker und harter Entwurf von Freiheit, der auch klar machen könnte, warum Sartre hier überhaupt von „verurteilt“ spricht. Wie bei allen Angeboten kann man den Existentialisten folgen, muss es aber nicht, aber die ganze Denkrichtung ist es wert betrachtet zu werden. Die Pointe des Existentialismus liegt darin, dass ich auch dann, wenn ich mich als vollkommen unfrei sehe, diese Sicht mein Entwurf ist. Ich bin es, der oder die sich letztlich zu jemandem macht, der nie was dazu konnte, dass alles so gekommen ist, auch das zu entwerfen ist unsere Freiheit.

Das heißt, die Frage, wie es sich denn nun wirklich verhält mit der Freiheit, hängt in einem sehr starken Maße von uns selbst ab und das ist nicht kontraintuitiv, sondern gegen den Zeitgeist, in dem man sich meist erzählt, wer daran Schuld ist – außer einem selbst – dass alles so gekommen ist, wie es kam.