Hier gibt es für jeden was zu tun, egal wie jung oder alt. © Vergissnichtmein under cc

Wann braucht man eine Psychotherapie? Diese Frage beschäftigt viele Menschen und wenn das so ist, ist es keine akademische Frage, sondern mit ihr ist erheblicher Leidensdruck verbunden.

Freud hatte recht. Der Leidensdruck ist das entscheidende Kriterium um eine Psychotherapie zu machen, es muss sogar ein erheblicher Leidensdruck sein. Denn anders als in einigen Kreisen der USA, in denen es schick ist, seinen Analytiker zu haben, beschleicht viele bei uns noch immer ein ungutes Gefühl. „Psychotherapie? Ich bin doch nicht verrückt.“ Ein Missverständnis, denn ums Verrücktsein, also Psychosen, kümmert sich die Psychiatrie, nicht die Psychotherapie. Vertiefend dazu: Der Unterschied zwischen Psychotherapie und Psychiatrie

Der Leidensdruck liegt dabei nicht einmal immer auf der Seite dessen, der seltsam ist. Zuweilen geht es diesen Menschen recht gut, aber ihrem direkten Umfeld nicht. Das Problem ist, dass man Menschen, denen es gut geht nicht zu einer Therapie bekommt. Denn das ist auch klar, jedenfalls bei uns. Wer eine Psychotherapie macht, muss krank sein oder mindestens Probleme haben. Warum sollte man sonst eine Psychotherapie machen?

Psychotherapie als Erkenntnisweg

Man könnte das durchaus anders sehen. Psychotherapie ist ein großartiger Weg zur Erkenntnis, allein, wer sagt, er wolle sich mal selbst kennen lernen und daher eine Psychotherapie beantragt, wird etwas merkwürdig angeschaut und kriegt im Leben keine Therapie oder muss sie eben selbst zahlen. Was an sich nicht schlecht wäre, denn wer selbst einen Anteil oder die ganze Therapie bezahlt, nimmt die Sache ernster. Das ist ein Vorteil, bei dem man alllerdings Härtefälle berücksichtigen muss.

Es gibt die Aussage Psychotherapie sei zu wertvoll, um dem Kranken vorbehalten zu bleiben. So kann man es auch sehen. Man kann sehr viel über sich lernen, wenn man eine Psychotherapie macht. Da über sich etwas zu lernen heißt, über seine Beziehungen etwas zu lernen, verändert eine Therapie sehr viel, wenn sie gelingt. Allein, man muss motiviert sein, denn Therapie ist oft hart und schwer. Die Motivation aufrecht zu halten, dazu braucht es dann in aller Regel wieder den Leidensdruck.

Waren es früher, auch wegen der familiären Erinnerung hohe Hürden, die man überwinden musste, wenn man sich selbst zu einer Therapie durch rang, so sinkt die Hemmung mit jeder neuen Generation. Das führt mitunter zu einer entgegengesetzten Entwicklung, die Psychotherapeuten heute bereits beobachten. Es sind oft jüngere Menschen, die mit Problemen eine Psychotherapie beantragen, die im Grunde gar nicht therapierelevant sind. Aber wann braucht man eine Psychotherapie?

Als Betroffener ist man ja Laie und auch vermeintliche Experten sind nicht immer einer Meinung. Wenn man sich schon mal dazu durchringt Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist es nicht toll, wenn man dann sofort wieder abgewiesen wird. Dennoch ist auch die Position jener nachvollziehbar, die meinen, jemand brauche im Grunde keine Therapie.

Was ist denn normal und was nicht?

Ein häufiges Argument der Kritiker einer übereilten Therapie ist, dass es völlig normal sei, in bestimmten Situationen bedrückt, verängstigt, schwer verärgert oder verunsichert zu reagieren. Wenn die Situation es hergibt. Bei einer Trennung, einem familiären Todesfall, einem plötzlichen Arbeitsplatzverlust oder auch in der Phase der Verunsicherung und Angst um Gesundheit und materielle Existenz, während der aktuellen Pandemie. Psychiater und Psychologen sagen manchmal, etwas überspitzt, Sorgen würden sie sich nicht um jene machen, die dabei angespannt, frustriert und traurig sind, denn das seien nachvollziehbare Reaktionen, auf eine reale, schwere äußere Belastung. Sorgen würden ihnen eher jene machen, die angesichts der Lage nicht beunruhigt sind.

Eine Trennung, ein Todesfall, eine schlimme Krankheit, das alles ist ein Schock und der Grund für diesen ist real. Aber dennoch kann der eine mit dieser Situation besser umgehen, als der andere. Wenn man nach einiger Zeit feststellt, dass man völlig aus der Bahn geworfen wurde, wieso soll man sich nicht helfen lassen? Zudem hat es sich bei vielen körperlichen oder körperlich erscheinenden Krankheiten oder Beeinträchtigungen bewährt, auch psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei Krebserkrankungen, bei chronischen Schmerzen und anderem hat sich das längst bewährt. Nicht zuletzt würden wir nach einem erlittenen schweren Trauma es ja auch nicht damit bewenden lassen, dass wir sagen: „Ja, so ein fürchterlicher Autounfall oder ein Ausnahmesituation wie eine Geseilnahme, Tote bei einer Massenpanik oder dergleichen, das ist real bedrohlich, da brauchen sie keine Therapie.“ Im Gegenteil, gerade weil man etwas erlebt hat, was real und fürchterlich ist, braucht man therapeutische Hilfe.

Es ist auch schwierig zu sagen, es gäbe eben bestimmte Erfahrungen im Leben, da müsse man ganz einfach durch, das würde jeder früher oder später erleben und sie würden sogar den Charakter formen. Kann schon sein, dass manches einen härter oder resilienter macht, aber was, wenn man eingeschüchtert reagiert oder maßlos gekränkt ist? Mir wäre es lieber, jemand nimmt sein Herz in beide Hände und klärt das therapeutisch ab, statt sich mit der Zeit immer depressivere, paranoide oder aggressivere Muster einzugraben, aus denen man dann immer schwerer wieder heraus kommt, ja länger sie aktiv sind.

Es gibt keine rationale Richtlinie dafür, wie lange man nun nach dem Tod des Partners trauern darf und wann dies bereits eine Depression ist. Klar gibt es übermäßige Kränkbarkeit, aber woher soll nun der Laie wissen, wo das Übermaß beginnt? Es ist keinesfalls so, dass psychische Probleme immer eingebildete, unrealistische Probleme sind. Oft genug haben sie einen realistischen Kern, nur findet man man selbst nicht immer einen Ausweg. Man weiß manchmal selbst, was man tun müsste, was gut wäre, schafft es aber nicht, dies umzusetzen.

In solchen Fällen kann ein Erstgespräch klärend und motivierend wirken oder eventuell eine Kurzzeittherapie. Doch manchmal verbirgt sich hinter vermeintlichen Banalitäten eine tiefer liegende Problematik, auch die kann bei einem Erstgespräch offensichtlicher werden. Ein Erstgespräch kann man in der Regel relativ kurzfristig bekommen.

Was kann und darf man vom einer Psychotherapie erwarten?

Psychotherapie ist immer eigene Arbeit, in und zwischen den Stunden. Eine Konsumhaltung bei der man sich zurück lehnt und denkt: „Dann zeig‘ mal, was du kannst“, klappt nicht. Man kann das zwar machen, profitiert dann aber nicht von der Therapie. Aktive Mitarbeit ist also gefordert.

Ist Therapie eine Zeit in der sich alles um mich dreht? In gewisser Weise ja. Alles dreht sich so sehr um mich, wie sonst eigentlich nie im Leben. In einer wirklichen Therapie aber in einer sehr strukturierten Weise. Es ist zwar gut, sich auch einfach mal aussprechen zu können, auch das hilft, aber es ist keine Therapie. Therapie deutet die Gedanken, fasst sie zusammen, spitzt sie zu, regt an zu schauen, wie es weiter gehen könnte und sollte. Endlose Monologe aus der und über die eigene Innenwelt haben allenfalls diagnostischen Wert, danach geht es ja darum, die Perspektive zu erweitern und zu verändern, auf der Basis dessen, dass man versteht, wer man ist und warum man denkt und fühlt, wie man es eben tut.

Ist Therapie eine Zeit in der ich sein darf, wie ich bin? Auch das begrenzt. Es wäre eine schlechte Therapie, wenn dem Patienten alles erlaubt wäre, etwa die Einrichtung zu verwüsten, nicht zu den Stunden zu erscheinen oder den Psychotherapeuten anzugreifen. Dafür gibt es klare Regeln, werden sie gebrochen wird darüber geredet, in schweren Fällen oder im Wiederholungsfall ist die Therapie beendet. Das löst bei einigen Patienten sofort intensive Reaktionen (Übertragungen) aus, was nicht unerwünscht ist, da man diese sofort deuten kann.

Wo es weniger heftig zugeht, legt man anhand der Problematik mit der ein Patient kommt, Schicht für Schicht die Probleme frei, mit allen Hindernissen, Rückschritten und Problemen in der Therapie, die dazu gehören. Oder man geht, je nach Modell an die praktische Arbeit, trainiert nach und nach, das, von dem man glaubte, es niemals zu können, oft klappt es irgendwann, vor allem, wenn man am Anfang Unterstützung hat.

Leider geht der Trend auch bei psychischen Problemen und Krankheiten zu sehr in Richtung schnell und billig und das heißt oft (kognitive) Verhaltenstherapie und Psychopharmaka. Auch das ist kein Thema bei dem man generell sagen kann, ein Ansatz sei richtig oder falsch, da es auf den Einzelnen ankommt. Wenn Medikamente eine schnelle Entlastung bringen oder gar Leben retten, spricht nichts dagegen, sie einzusetzen, nur sollte man die kritischen Aspekte auch mit berücksichtigen und vor allem keine lang dauernden, aber tief gehenden Therapieformen heraus drängen, nur weil sie vermeintlich zu viel kosten.

Diesseits und jenseits der Therapie

Es kann durchaus vorkommen, dass man keine Psychotherapie aber dennoch Hilfe braucht. Die klassische Anlaufstelle sind Freunde und Familie. Jedoch ist die Familie auch die klassische Ursache dafür, dass man irgendwann eine Psychotherapie braucht. Nahezu alle tiefgehenden Probleme der Psyche, vielleicht mit Ausnahme von Psychosen, sind heute als Beziehungsprobleme identifiziert. Beziehungsprobleme heißt dabei nicht, dass man sich aktuell mit dem Partner nicht versteht, sondern meint, dass man nie wirklich in der Lage war, realistische und vor allem dauerhafte Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, was dann klassischerweise intime Beziehungen und das Arbeitsleben betrifft. Freuds Rede, dem Menschen helfen zu wollen liebes- und arbeitsfähig zu werden, ist daher keine Vorgabe an einen stromlinienförmigen Funktionalismus, sondern gründet auf Erkenntnissen der Objektbeziehungstheorie, die freilich erst nach Freud ausformuliert wurde.

Ansonsten ist der Psychotherapeut kein Freund und sollte auch keiner sein. Ich glaube es gibt sehr viele gute Gründe die technische Neutralität und Distanz nicht aufzugeben und viele Versuchungen, dies doch zu tun. Freunde sind ungeheuer wichtig, aber wer sich nicht auf tiefe Beziehungen einlassen kann, hat oft auch keine echten Freunde, weil eben auch Freundschaft genau dies verlangt, sich wechselseitig einlassen zu können.

Oft profitiert man von Selbsthilfegruppen oder auch Seelsorge. Auch in der Beziehung zu Pflanzen, Tieren und der Meditation kann man Halt finden, ferner, wenn man Tagebuch führt, Sport macht, sich anders ernährt und wer das für sich durchprobiert, erwirbt ja allein dadurch schon mal Eigenregie oder Selbstkompetenz, ein wesentlicher Punkt um den es in Therapie auch geht. Es geht darum sich selbst zu befragen, zu trauen und zu vertrauen.

Alles braucht jedoch Maß und Mitte. Irgendwann ist es gut sich abzunabeln, aber das heißt nicht alles allein zu machen und auf niemanden zu hören. ‚Niemand kann mir helfen‘ ist manchmal ein Ausdruck von Arroganz, in der Variante, dass ich Hilfe gar nicht verdient habe, ein Ausdruck der Depression. Zu wachsen heißt eben auch Hilfe anzunehmen, wenn man sie braucht und das Leben als das Spiel des Gebens und Nehmens auf allen Ebenen zu erkennen, dass es vermutlich ist. Klingt einfach, ist es aber nicht.