Spitzensportler des Inneren sind jene Menschen, die es in den wenig bekannten Gefilden der psychischen Möglichkeiten zur Meisterschaft gebracht haben.
Wie wir staunend die Leistungen von Sportlern und Artisten bewundern, die uns zeigen, zu welchen Meisterleistungen wir Menschen in der Lage sind, so haben wir durchaus Respekt vor Menschen, denen Ähnliches in der Innenwelt gelingt, sofern wir deren Leistungen annähernd nachvollziehen können.
Warum sehen wir eigentlich gerne Sport?
Spitzensportler beeindrucken uns vor allem dann, wenn wir in der Lage sind, ihre Leistungen in groben Zügen nachzuvollziehen. Die Sportart muss uns also zugänglich sein, entweder weil wir ihr früher selbst nachgegangen sind oder weil sie hinreichend einfach ist, um ihre Ziele sofort nachvollziehen zu können. Wettrennen, Kampfspiele oder Fußball, das kennen viele noch aus ihrer Kindheit. Dass manche sehr schnell laufen können oder einfach nicht aus der Puste kommen, geschickter mit dem Ball oder Fahrrad umgehen, klettern oder ringen können, das merkt man dabei ganz direkt.
Das ist gut übertragbar, wenn wir später Sprinter, Fußballer oder Radfahrer im Fernsehen sehen. Auch das Boxen können wir nachvollziehen. Hochkomplexe taktische Meisterleistungen, etwa bei Mannschaftssportarten sind immer etwas für Liebhaber, die eine Sportart tiefer durchdringen, aber manche Fähigkeiten stechen sofort ins Auge, wenn eine Sportlerin weiter oder höher springt, als eine andere oder auf wundersame Weise ihren Körper verbiegen kann.
Viele populäre Sportarten kombinieren beides. Man kann beim Boxen jemanden umhauen, aber auch durch taktische Meisterleistungen gewinnen. Beim Billard oder Snooker die Bälle zu lochen, ist nachvollziehbar. Man kennt es eventuell aus Kneipe oder Jugendheim, aber wichtiger ist die Entwicklung des Spiels im Ganzen zu sehen: Wo soll der Spielball zum liegen kommen, damit ich nicht nur die nächste, sondern die nächsten drei Kugeln leicht versenken kann? Dennoch, kann man Billard oder Darts im Grunde sofort erlernen.
Was ist innerer Spitzensport?
Ganz ähnlich ist es auch mit Meisterleistungen des Inneren. Es ist spielend leicht sich zwei, drei Dinge zu merken, aber fünf oder sechs, puh. Und wenn sich dann jemand 20 oder 40 mehr oder weniger willkürliche Begriffe merken kann, das beeindruckt. Weil wir es auch hier nachvollziehen, aber dann doch nicht selber leisten können.
Dasselbe beim Rechnen. 2 x 4 und 3 x 7, kein Problem. 12 x 12 hat man manchmal noch auswendig abgespeichert, aber 37 x 83? Und wenn dann jemand mit Zahlenkolonnen agiert, für die wir noch nicht mal den Namen kennen, dann kapieren wir das Grundprinzip, aber nicht mehr, wie diese Menschen das machen. Das beeindruckt.
Aber es sind nicht nur diese kognitiven Meisterleistungen, auch, dass sich jemand extrem fokussieren kann, ringt uns Bewunderung ab. Den Elfmeter zu verwandeln ist vielleicht nicht das Problem, wenn es um den Sieg im Finalspiel geht, geht es vor allem darum die Nerven zu behalten und die Leistung abzurufen, zu der man normalerweise in der Lage ist. Auch das kennen wir, wenn wir unter Stress funktionieren müssen. Manche schaffen es in solchen Situationen nicht, zu zeigen, was sie können, andere wachsen gerade dann über sich hinaus.
Hier trennt die Spreu vom Weizen, sowohl bei den Sportlern, aber auch bei den Zuschauern. Dass viele Sportarten inzwischen unter dem Einfluss von unfassbaren Gehältern völlig verzerrt sind, sei hier erwähnt, aber nicht weiter beachtet, wenn aber über Formel 1 Sport gesagt wird: ‚Och, immer nur im Kreis fahren, das kann ich auch‘, dann offenbaren sich hier eher die Grenzen der Fähigkeit sich einzufühlen, was es bedeutet ein Spitzensportler in dieser Disziplin zu sein, als alles andere. Ich denk‘ dann oft: Ja, mach‘ doch, wenn das alles so einfach ist und man so viel Geld damit verdienen kann.
Oder die Aussage, eine Million für wenige Minuten im Boxring zu bekommen, sei kein Problem. Welcher Trainingsaufwand dahinter steckt, um überhaupt dort hin zu gelangen, das wird dann nicht gesehen und dass man in den oberen Gewichtsklassen, machte der Gegner ernst, einen solch ungleichen Kampf vermutlich schlicht nicht überleben würde, wird auch nicht erahnt. Wobei auch das eine Fähigkeit ist bei der man es bis zum Spitzensportler des Inneren bringen oder versagen kann, sich in Situationen einzufühlen, ohne sie genau so erlebt zu haben. Es ist Empathiefähigkeit und ein Teil davon ist die Fähigkeit analog zu schließen, indem man von einer bekannten Situation abstrahiert und diese auf einen anderen Bereich überträgt.
Wer als Kind wegen seiner roten Haare oder warum auch immer gehänselt wurde, der weiß prinzipiell wie es ist Außenseiter zu sein und Diskriminierung zu erfahren, weil man anders aussieht, spricht oder weshalb auch immer. Wer ein Formel 1 Rennen als ‚im Kreis fahren‘ betrachtet hat es in dieser Disziplin nicht zur Spitzenleistung gebracht. Spitzensportler des Inneren, wie wir sie hier betrachten, sind also nicht nur jene, die uns irgendwelche Kunststückchen vorführen können, die wir dann in Fernsehsendungen oder Online-Videos bestaunen können, sondern wir wollen einen Blick auf die Breite des Inneren wagen und dort die Spitzenleistungen darstellen.
Bereiche des Innern
Ähnliche Missverständnisse wie beim Sport gibt es in der Kunst. Für die meisten von uns ist es schwer einen Baum, ein Auto oder ein Gesicht zu zeichnen, so dass die Bilder halbwegs so aussehen, wie das, was sie darstellen sollen. Einige Menschen bringen es auch dort zur Meisterschaft und wir erkennen sofort, dass hier jemand begabt ist.
Doch kaum ein Maler bleibt dabei stehen irgendwelche Gegenstände möglichst naturgetreu abzubilden, weil man irgendwann voraussetzt, dass er es kann, es gehört zur Grundausbildung der Malerei, das rauf und runter zu üben. Viele heute als berühmt geltende Maler haben mit den Stilen ihrer Zeit gebrochen und neue Wege erkundet unter anderem jene, die Dinge der Welt nicht exakt so darzustellen, wie sie sind, sondern wie sie ihnen erscheinen. Überhöht, monströs verzerrt, gewaltiger, niedlicher, zuweilen einfach nur noch als Impuls, als etwas, was sich verströmt, mal leicht oder energiegeladen, mal lastend, dunkel oder klaustrophobisch. Manchmal sind es reine Farben, Linien oder geometrische Figuren, die bleiben und einige Betrachter stehen achselzuckend davor und denken: ‚Was soll das? Kann ich auch.‘ Macht man sich die Mühe den künstlerischen Weg nachzuverfolgen, sieht und versteht man möglicherweise viel mehr und auch das ist eine Form der Empathie, des inneren Nachvollzugs.
Aber das ist komplex und fordert mehr eigene Beteiligung, als sich durch eher einfache Artistikleistungen beeindrucken zu lassen. Es imponiert, wenn jemand 20 Sorten Mineralwasser am Geschmack erkennt und unterscheiden kann. Macht man sich auf den Weg die Pfade der Geschmackswelt abseits des Bekannten selbst zu erkunden, wird es anstrengender, gleich ob das Thema Wein, Schokolade oder Kochen ist. Wir haben in der Regel ein überschaubares Spektrum innerhalb dessen wir uns geschmacklich bewegen und wollen bekommen, was wir erwarten, wenn wir zum Italiener oder Chinesen essen gehen.
Aber angefixt sind wir doch von Sonderleistungen dieser Empfindungswelten, die ja irgendwie in einem merkwürdigen Zwischenbereich liegen. Denn einerseits sind Wein und Schokolade ja ganz materiell vorhanden, aber wenn man probiert, tun sich bei einigen Erlebniswelten auf, die sie verzücken, während andere nur ratlos mit den Schultern zucken.
Dabei macht uns das durchaus an. Das Parfum ist ein unglaublich erfolgreiches Buch über eine solche olfaktorische Sonderleistung, die auch irgendwie zwischen innen und außen liegt. Prinzipiell sind die Feinheiten und Differenzierungen für alle da (und wenn manchen Menschen bestimmte Wege verbaut sind, dann gibt es zahllose andere) und genau in diesen Bereich des Inneren unterscheiden sich die Menschen dramatisch.
Der konventionelle Umgang mit Spitzensportlern des Inneren
Ähnlich wie bei Sportlern und Showstars ist unser Umgang mit den Spitzensportler des Inneren ambivalent. Sportler zeigen uns, was für Menschen bei hinreichendem Talent, vor allem aber durch Übung und Askese möglich ist. Wir lieben und bewundern das einerseits, weil es uns ein Stück weit zeigt, zu was auch wir in der Lage wären, würden wir uns nur hinreichend anstrengen.
Auf der anderen Seite kränkt es uns immer etwas, dass wir das nicht tun und so sind wir oft erleichtert, wenn sich herausstellt, dass diese Spitzenathleten am Ende des Tages doch ganz normale Menschen sind und mit den Tücken und Widrigkeiten zu kämpfen haben, die auch uns belasten und nicht selten scheint bei ihnen auch das noch ausgeprägter zu sein.
So wird Spitzenleistungen in einem gerne ein Manko in anderen Lebensbereichen unterstellt, in einer Art innerer Buchhaltung. Menschen wie der Physiker Stephen Hawking passen da ganz gut ins Bild, dem man unterstellen kann, er sei zum Denken verurteilt gewesen. Sportler gelten allgemein als fit, aber nicht schlau, Künstler als sowieso immer etwas pathologisch und wenn jemand irrsinnige Zahlenkolonnen wuchtet, muss er Autist sein oder eine Inselbegabung haben. Wenn Defizite das Besondere aufwiegen, sind wir halbwegs zufrieden, wir können bewundern, aber am Ende des Tages möchten wir dann aber auch nicht so sein, wie er oder sie und können mit dem eigenen Schicksal recht zufrieden sein.
Der normale Weg, den wir eingeschlagen haben, scheint doch der richtige zu sein. Doch auch die Ausreißer brauchen die Masse, von der sie sich absetzen können, auch wenn die Empfindung zu haben, anders als alle zu sein, inzwischen eine Art Breitensport geworden ist. Die Spitzensportler des Inneren gelten dabei oft als Vorbild.