verschieden geformte Goldstücke auf grauem Grund

Grau und Gold getrennt, da stellen sie einen gewissen Kontrast her. © MAURO CATEB under cc

Die graugoldene Mitte ergibt sich daraus, dass die goldene Mitte als Problemlösung gesehen wird, das Mittelmaß uns aber unattraktiv grau erscheint.

Das hat mehrere Hintergründe und es erzeugt eine gewisse Spannung, denn golden ist oft Synonym für Herausragendes, eine Spitzenleisten, ein goldenes Zeitalter, eben etwas, was wir nicht in der Mitte suchen, sondern an der Spitze. Oben auf der Treppe der olympischen Spiele, auf dem Kopf von Monarchen und als Zeichen gesellschaftlich oben angekommen zu sein.

Grau steht hingegen oft für Langweile, Durchschnitt. Alter, Armut, Depression, die Masse, ein Tag wie der andere, der graue Alltag eben. Begriffe, die nicht zusammen passen.

Mitte und Mittelmaß

Man könnte sagen, dass man Mitte und Mittelmaß unterscheiden muss. Die Mitte kann ausgewogen sein, die goldene Mitte kennen wir, aber sie ist nicht leicht zu finden. Denn wenn man sagt, sie bestünde halt darin, dass man nicht übertreibt, alles in Maßen macht und gerade nicht ins Extrem geht … ja, dann sind wir schnell wieder bei dem, was wir Mittelmaß nennen.

Schon das Gute wird nicht mehr geschätzt, das Mittelmaß noch viel weniger. Wie kommt das? Hier greifen innere und äußere, psychologische und soziologische Aspekte ineinander. Als sich eine aufstrebende Mittelschicht im Deutschland der 1970er immer stärker etablierte waren ihre Werte der Maßstab an dem sich alle orientierten.

Diese Mittelschicht arbeitete primär in Büros, man war also weniger erschöpft und konnte vergleichsweise viel Geld verdienen. Ein Familienmitglied, in aller Regel der Vater, konnte relativ problemlos die ganze Familie ernähren, zur guten wirtschaftlichen Basis kam die soziale Revolution durch die 68er, der auf die Mittelschicht abfärbte. Man wurde offener, lockerer und etwas freier, das war gut.

In den folgenden Jahren wurde breiten Schichten etwas möglich, was durch die wirtschaftliche Not und Kriege immer wieder behindert wurde, man hatte erstmalig Zeit sich um sich selbst und um Sinnfragen zu kümmern. Ein Teil engagierte sich politisch, ein anderer verschrieb sich mehr den östlichen Weisheitslehren, wieder anderen der freien Liebe und einem Hippieleben, manchmal durchmischten sich die Szenen, ein breiter Teil der Bevölkerung lebte weiter wie bisher, doch auch hier regte sich mehr und mehr der Wunsch nach Selbstverwirklichung, ohne dass man so recht wusste, was das eigentlich sein soll, wie auch, es war Neuland.

Ein bisschen von all dem färbte auf die ganze Mittelschicht ab und man galt als jemand, der es geschafft hatte, wenn man sich das leisten konnte, was sich die anderen auch leisteten. Auto, Fernseher und Urlaub, dicht an dicht an der Adria, dem Teutonengrill. Das Weltbild was in aller Regel einfach, geteilt in gut und böse, Nachrichten gab es aus der Zeitung, dem Radio und abends aus dem Fernsehen. Teil der gesellschaftlichen Mitte zu sein, hieß im Grunde weit vorne zu sein, man sehnte sich danach und das Ziel war durchaus erreichbar.

Die paar Sinnsucher und Aussteiger, wie sie damals hießen, provozierten, galten aber eher als etwas versponnen, wer in der Mitte angekommen war lebte gut,
viel mehr darüber hinaus brauchte und suchte man gar nicht, es war eine Version einer goldenen Mitte.

Singularität und Ich-Ideal

Um Zuge dieser gesellschaftlichen Bewegung verabschiedete man sich nach und nach von dem Ideal zu den anderen dazu zugehören. Es gab nicht den einen Grund, sondern ein Bündel an Gründen. Marginalisierte Gruppen wurden gestärkt, manche Sinnsucher berichteten von Erfolgserlebnissen, man wurde offener für andere Erzählungen und Möglichkeiten.

In kleinen Schritten, unterstützt von neuen Möglichkeiten durch kulturelle und technische Entwicklung, wurde das was die Vielen machten unattraktiver und mehr und mehr gehörte es zum guten Ton sich von dem was die anderen machten abzusetzen. Nicht das Massenereignis, das Wiederholbare war das, womit man sich auszeichnen konnte, vielmehr wurde des Einzigartige der neue Maßstab. Der durfte dann aber gerade nicht durchschnittlich sein, sondern musste sich dadurch auszeichnen, dass man so ganz anders war, als alle.

Das Problem liegt auf der Hand, wenn Einzigartigkeit ein Massenziel ist, ist die Konkurrenz groß. Handtuch an Handtuch am Strand, mit all inklusive, das kann jeder, ich allein mit dem Rucksack durch Südamerika, das ist die neue Messlatte. Oder bestimmte Momente, bestimmte Konzerte, die legendäre Party, die man als einzigartig beschreibt und die daher natürlich nie wieder kommen kann, doch man selbst war dabei.

Diese gesellschaftliche Veränderung geht mit einer Veränderung der Psyche einher, genauer, mit dem Wertesystem unserer Psyche. Wir unterwerfen uns nicht länger dem Über-Ich, das im wesentliche ein verinnerlichtes Korrektiv war, was die Es-Impulse einhegte, sondern dem Ich-Ideal. Meint die Philosophin Isolde Charim.[1] Die Auswirkungen davon sind ähnlich, wie die oben beschriebenen.

Wer sich dem Über-Ich unterwirft, das eine Verinnerlichung sozialer Normen ist, legt sein wollendes Ich ein wenig an die Kette, ist auf der anderen Seite aber auch wirklich zufrieden damit, wenn er die Normen erfüllt, denn sie sind ja verinnerlicht und werden also als das erlebt, was man selbst wirklich will. Narzissten unterwerfen sich dem Ich-Ideal und dem kann das normale Ich nicht genügen. Einen Ausweg gibt es, wenn sich das Ich ganz der Konkurrenz hingibt und versucht der oder die beste zu werden.

Nur ist man dadurch eben auch gezwungen das eigene Leben zu einer Kette von Großartigkeiten und Einmaligkeiten zu stilisieren. Helfer sind Social Media, auf denen plötzlich, ohne größeren Aufwand jede(r) ein Star sein kann, mit Fans (Followern) und auf einmal hat man dieses Idealbild zu bedienen, die reichliche Konkurrenz mit ihren ebenfalls einzigartigen Erlebnissen schläft nicht. Lässt man die Fans hungern, wandern sie ab, also gibt man Einblicke in sein Privatleben und erzählt, was einem so geschehen ist, je emotionaler, unverhüllter und knalliger desto besser.

Das sind andere Beschreibungsformen dessen, was wir als Prinzip Narzissmus vorgestellt haben und Isolde Charim ist explizit der Auffassung, dass wir heute fast gezwungen sind narzisstisch zu werden, durch die Unterwerfung unter ein Ich-Ideal, statt unter ein Über-Ich. Das Über-Ich lässt uns fühlen: Sei ein anständiger Mensch, dann ist es alles gut. Das Ich-Ideal: Lass Dich in die Konkurrenz fallen, dann ist es gut, dann rettest Du Dich, weil Du der beste werden kannst. Die Chancen ans Ziel zu kommen sind erkennbar geringer.

Daher auch der Abgrund in der Mitte. Man ist Superstar oder Loser, es gibt immer seltener ein erreichbares Ziel, auf dem man gut und zufrieden leben kann, weil man entweder ganz oben mitspielt oder ein Totalversager ist. Man landet nicht weich, sondern fällt in den Abgrund der Nichtswürdigkeit, das ist die andere Seite der Unterwerfung unter das Ich-Ideal des Narzissmus. Die graugoldene Mitte ist hier tiefgrau.