Menschen der Mittelschicht bei Poolparty

Eine Gartenparty in der Mittelschicht © Jodie Wilson under cc

Die Mittelschicht schrumpft, so lautet die Diagnose, die heute zu hören ist und Besorgnis auslöst. Denn der alte Satz, dass die Mittelschicht das Rückgrat der Gesellschaft sei, ist nicht von der Hand zu weisen.

Doch jenseits des Befundes ist gar nicht so sicher, wer nun überhaupt zur Mittelschicht gehört und wer nicht. Die finanzielle Defintion ist klar: Zur Mittelschicht zählen diejenigen, die über 70 bis 150 Prozent des Einkommens verfügen, das die Bevölkerung in zwei gleich große Hälften teilt (sog. Medianeinkommen).

Konkret heißt das: Singles zwischen 1.130 bis 2.420 Euro Monatsnettoeinkommen oder Familien mit zwei minderjährigen Kindern und einem Nettoeinkommen zwischen 2.370 und 5.080 Euro ((Quelle)).

Doch die Klassenfrage ist heute keine Geldfrage mehr, berichtet der Stern, sondern eine kulturelle Angelegenheit.

Mythen über die Mittelschicht

„Wer gebildet ist, ist auch wohlhabend.“ Das galt früher einmal. Doch weder Bildung noch Ausbildung sind heute ein Garant für ein gutes Einkommen. Vielfach leben Akademiker sogar in prekären finanziellen Verhältnissen, weshalb das Jedermann-Abitur nicht zwingend einen Vorteil bringt.

Und nicht nur das: Jederzeit droht der Abstieg. War für die Eltern- und Großelterngeneration noch klar, dass man, einmal in einem Unternehmen, sein Leben lang dort bleibt, zumindest wenn man wollte, so ist heute selbst bei großen Konzernen keineswegs gesichert, ob sie die Produktion nicht verlagern oder ob es sie in zehn Jahren überhaupt noch gibt.

„Wer Arbeit will, der findet auch welche.“ Momentan ist das ganz einfach falsch. Die Bevölkerungsentwicklung wird dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt auch auf ältere Arbeitnehmer eingehen muss und auch geringer Qualifizierten eine Chance geben wird, aber augenblicklich ist der Abstieg leichter als der Aufstieg.

Die Angst vorm Abstieg

Doch wir begegnen im Angesicht des für viele möglichen Abstiegs einem eigenartigen Phänomen. Die Angst führt nicht etwa zu einer Solidarisierung mit denen, die es getroffen hat, sondern eher zu deren Entwertung, ahnend, dass das „Deutschland dritter Klasse“ wie ein Damoklesschwert über allen schwebt.

Man zieht sich in die eigene (un)sichere Welt zurück und verteidigt, was man hat. Wo Soziologen zögern, weil sie niemanden diskriminieren wollen, ist die Bevölkerung klarer, sie kennt die Signale: Geld und Besitz gehören längst nicht mehr so stark dazu.

Kennzeichen der Mittelschicht

Sport

Galten früher primär Golf und Tennis als Sportarten der upper class, so wird auch heute anhand der Sportart scharf unterteilt. Es zählt, ob jemand Sport macht, welchen und wie. Die Unterschicht trainiert tendenziell weniger, die Mittelschicht gilt als körper- und gesundheitsbewusster.

Die Brutalisierung im Fußball findet nicht nur auf den Tribünen statt, die Mittelschicht weicht beim Mannschaftssport daher mehr auf Hockey und Volleyball aus. Die Unterschicht dominiert bei den kämpferischen Individualsportarten wie Boxen, Ringen und Kraftsport, der in der softeren Fitness-Variante allerdings auch in der Mittelschicht immer beliebter wird, besonders bei den Rentnern.

Leichtathletik, Turnen und Schwimmen, Reiten und Ballett ist hingegen die Domäne der Bessergestellten.

Essen

Bioprodukte und zunehmender Verzicht auf Fleisch sind das Markenzeichen der Mittelschicht, während die Unterschicht zu immer mehr Fast Food greift. Man kauft und isst immer auch ein Lebensgefühl und längst findet man in Biosupermärkten nicht mehr nur überzeugte Ökos.

Aussehen und Kleidung

Grell, bunt und gegen den Mainstream, so präsentiert sich die Unterschicht – auffallende Tattoos und Piercings -, während die Mittelschicht es eher dezenter mag, Signale, die jeder erkennt.

Neue Medien

Mehr und härter ist die Zusammenfassung der Nutzung vor allem neuer Medien und Videospiele in der Unterschicht.

Sprache und Bildung

alter Mann auf Bank

Die Angst vorm sozialen Abstieg ist präsent © Rolands Lakis under cc

Bildung ist längst nicht mehr nur der Wunsch nach besseren Zukunftschancen, sondern auch Abgrenzung gegen die Unterschicht. Akademiker sind gar nicht zwingend bessergestellt, dennoch sollen immer mehr Kinder Abitur haben und studieren.

Ein wichtiger Indikator ist die korrekt gesprochene Sprache. Während Fachleuten noch nicht ganz klar ist, ob das neue Kiezdeutsch/Türksprech ein Dialekt oder Soziolekt ist, hat die Bevölkerung der Mittelschicht darüber schon abgestimmt: geht in der Mittelschicht gar nicht.

Kombinierend auf den Punkt brachte es der Soziologieprofessor Bude: „Je weniger Bücher, je höher der Fernsehkonsum und je höher das Taschengeld, desto geringer ist die Aussicht, dass die Kinder Abitur machen.“

Nicht alle Ungleichheiten sind ungerecht, manche beruhen auf Leistung. Wer die Bausteine kennt, hat sein Schicksal besser in der Hand.