Seit relativ kurzer Zeit ist der demographische Wandel erst Teil des öffentlichen Bewusstseins. Der mitunter fragwürdige Verdienst ihn popularisiert zu haben, kommt vermutlich Thilo Sarrazin zu. Doch auch wenn die öffentliche und mediale Wahrnehmung neu ist, das Thema ist es nicht.

Demographie ist ein stabiler Faktor

Das bedeutet, die demographische Entwicklung ist ein Faktor, der schwerlich von jetzt auf gleich variiert, da die Gründe, die dafür oder dagegen sprechen Kinder zu bekommen, sich aus einem ganzen Bündel von Faktoren speisen, die sich nicht alle zur gleichen Zeit ändern. Zweitens hätte selbst eine radikale Veränderung der Geburtenrate ihre Effekte auf die Gesellschaft erst dann, wenn die Kinder, je nach Region in der Welt, 15 oder 25 Jahre alt sind und in ihre sozialen Rollen schlüpfen.

Die zwei Seiten der Demographie: „Schrumpfvergreisung“

Senioren Warnschild

Ein Zeichen des demographischen Wandels © Richard Riley under cc

Bei uns in Deutschland wird der demographische Wandel primär im Bezug auf Renten und Arbeitskräfte diskutiert. „Schrumpfvergreisung“ lautet der Begriff auf den der Gewaltforscher und Ökonom Gunnar Heinsohn die deutsche demographische Entwicklung zuspitzt.

Proportional mehr Rentner und eine zunehmend avitale Gesellschaft, das bedeutet mehr Rentenkosten, mehr Pflegebedarf, hohe Sozialleistungen und immer weniger Nachwuchs, der all das stemmen muss. Die Folge: Eine Abwanderung der Tüchtigen und Kreativen, Fachkräftemangel, sinkende Wirtschaftsleistung, wachsende Anforderungen an die verbleibenden Arbeitsfähigen und -willigen. All das sind Gründe für noch weniger Kinder, was den Effekt noch einmal verstärkt.

Das Szenario, das Heinsohn malt, ist düster, aber die Realität ist längst dabei es einzuholen.

Der youth bulge

Doch es gibt eine andere Seite, die vielleicht noch beunruhigender ist. Soziologische Forschungen zur Gewaltentstehung legen nahe, dass ein überproportional hoher Anteil von mehr als 30% Jugendlichen im brisanten Alter zwischen 15 und 29 (der „youth bulge“) in einer Gesellschaft zu erheblichen sozialen Spannungen führt, wenn keine sozialen Angebote für diese „überzähligen jungen Männer“ (Heinsohn) zur Verfügung stehen. Diese entladen sich entweder in Kriegen, Bürgerkriegen oder massiven Auswanderungen. Das ist derzeit in weiten Teilen der Welt der Fall und besonders prekär wird der Effekt wider Erwarten nicht, wenn die Gesellschaft arm und schwach ist, sondern satt und gut ausgebildet.

Diese Dynamik hat ihre Licht- und Schattenseiten, der arabische Frühling, der eine Chance zur Demokratisierung in sich birgt, ist wesentlich auch aus der Kraft der Jugend und ihrem Wunsch nach Veränderung gespeist. Man darf hoffen, dass hier neue soziale Angebote und demokratischere Strukturen entstehen. Auf der anderen Seite ächzt der Planet schon jetzt unter einer generellen Überbevölkerung die auch dann problematisch wird, wenn das Wachstum friedlich verläuft.

Rahmenbedingungen für einen Wandel des Wandels

Die Entwicklung der Menschen

Der Mensch im Wandel der Altersstufen: Melancholia von Malczewski © Wikipedia gemeinfrei

Wo eigene Nachkommen fehlen, ist Angst vor „Überfremdung“ der falsche Weg. Deutschland braucht, um den Verfall aufzuhalten, Einwanderung in einer Größenordnung von 500.000 pro Jahr, derzeit ist es aber eher ein Auswanderungsland. Man braucht bestehende Integrationsprobleme nicht kleinzureden, doch wer dabei die wesentlich größeren Probleme der Abwanderung und Überalterung verkennt, setzt sicher aufs falsche Pferd.

Es mag perspektivisch viel dafür sprechen, dass eigene Nachkommen der bessere Weg sind, die aktuellen Zahlen sprechen eine deutlich andere Sprache: 2,1 Kinder pro Frau braucht eine Bevölkerung um stabil zu bleiben, Deutschlands schrumpfende Bevölkerung hat einen Schnitt von 1,6 Kindern pro Frau.

Der Trend zur „Schrumpfvergreisung“ kann nur gestoppt werden, wenn wir im Dialog, auch mit stärker religiös orientierten Menschen, klare Spielregeln vereinbaren, wie wir miteinander leben wollen. Wenn Einwanderung zugleich attraktiver wird, wenn Familien zu gründen wieder eine bezahlbare und realistische Option ist und wenn wir uns klar machen, dass die europäische Tradition der Demokratie und Menschenrechte es wert ist erhalten zu bleiben und wir europaweit (mindestens) oder weltweilt positive Ziele formulieren, die unseren Nachkommen eine lebenswerte Umwelt hinterlässt.

Quellen:

  • Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, Orell-Füssli 2003
  • Gunnar Heinsohn, Zeit Kursbuch 162, in Zeit Online