Grünes Haus am See mit Strandkorb

Der Traum der Jugend vor einigen Jahren: das Haus am See. © gernhaex under cc

Hier soll es nicht um das Gute in einem absoluten Sinn gehen, sondern um das, was wir als gut empfinden. Es scheint uns nicht mehr zu reichen.

Das Gute ist schlecht geworden

Eigentlich sollten wir das Gute gut finden, erklärt sich irgendwie von selbst. Das tun wir aber nicht. Reicht es uns bei einer Bewertung zu hören, dass wir etwas gut gemacht haben? Könnte es nicht besser sein: sehr gut, herausragend, mega, phänomenal oder gar einzigartig?

Gut, das klingt so nach nett und das klingt für manche, wie die kleine Schwester von scheiße. Aber warum liegt in dem was gut ist, bereits so viel Schlechtes? Bei den alten Schulnoten war es ja noch so, dass hinter gut befriedigend kam und das war ja immerhin auch noch befriedigend. Selbst die nächste tiefere Note war noch ausreichend, erst dann ging es in den Keller, mangelhaft war der Einstieg, ungenügend so eine Art Leistungsverweigerung.

Aber wenn der Zweite schon der erste Verlierer ist, wird es eng, erst recht, wenn man dann ’nur‘ gut ist. Man gehört schon zur grauen Masse, etwas gut machen, kann ja jeder. Wenn jedes Erlebnis, jede Erfahrung potentiell genial, bahnbrechend und singulär sein sollte, dann erlebt man notgedrungen viele Enttäuschungen, nämlich bereits dann, wenn etwas gut war.

Aber ein Leben das sich von Sondersituation zu Wunder hangelt, will man das wirklich? Klar, da ist die nagenden Angst vor der Langeweile, andererseits sind viele gerade heute so angespannt, dass es geradezu eine Wohltat wäre, sich mal wieder richtig schön langweilen zu können. Aber es ist eher so, dass wenn der nächste Gipfel ausbleibt, die Langeweile schnell kommt. Durchschnitt wird so wenig toleriert, wie Ruhe.

Dachte man, vor allem über die Jugend, doch deren soziale Rolle ist in gewisser Weise die Abgrenzung von den Eltern und wo diese auf die Barrikaden gingen und ihre Grenzen austesteten, können die Jugendlichen sich nur abgrenzen, indem sie betont vernünftig werden. Taten sie dann auch:

„Dabei scheint in diesen Entwürfen immer eine Biedermeierwelt durch, in der das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen.“[1]

Später heißt es dann:

„Im Umgang mit der verzweifelten Wut zeigen sich allerdings große Unterschiede zwischen Teenagern und Jugendlichen. Immer wieder erzählen die Jugendlichen Eskapaden aus ihrer eigenen wilden Teenager-Zeit, die von selbstzerstörerischen Akten wie Ritzen oder Komasaufen, Drogenexzessen, Mobbing, Cliquenterror, Bandenkriegen und Kleinkriminalität geprägt war. Aber sie berichten auch, dass sie mit 16 oder 17 Jahren plötzlich an einen Wendepunkt gelangt sind und in kurzer Zeit vom Saulus zum Paulus mutiert sind. Angesichts der Wucht ihrer Verzweiflungsakte packte sie eine ungeheure Angst vor der verspürten Zerstörungskraft ihrer Wut: „Dann wurde mir auf einmal klar, wenn ich jetzt mein Leben nicht ändere, dann lande ich im Abgrund.“

Solche biographischen Umschwünge in ein Übermaß an Selbst-Kontrolle, Anpassung und Vernunft lassen sich im Großen wie im Kleinen in fast allen Lebensbeschreibungen der Jugendlichen analysieren.[2]

Ist das nicht irgendwie gut, nett und behaglich? Vielleicht, aber es ist auch 12 Jahre alt. Die rheingold-Jugendstudie von 2010, an Menschen von 18 bis 24. Überschrieben mit „Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier“. Ein ganz anderer Sound als heute? Irgendwie schon, denn Drogen, Alkohol und Zigaretten sind out, Kompetenz ist ein Wert, besonders jene, die man herzeigen kann, man fordert Respekt und Höflichkeit, irgendwann wird es dann ‚Okay, Boomer‘ heißen, wenn jemand identifiziert wurde, der den Respekt versagt. Und doch heißt es:

„Den Opfern und Verlierern der Gesellschaft wird nicht Mitleid oder Solidarität entgegengebracht, sondern Verachtung und Schmähung. Häufig selbst von Jugendlichen, die sich selbst als eher links oder als solidarisch charakterisieren. Denn diese rigide Distanzierung von den Verlierern ermöglicht es ihnen, die Illusion eigener Kontrolle über das Lebens-Schicksal aufrecht zu erhalten. Man muss nur den Nachweis erbringen, dass die Loser selbst schuld an ihrem Los sind. Dann hat man die Möglichkeit, nicht die gleichen Fehler zu machen und seinem Leben eine bessere Wendung zu geben. Insgesamt haben die Jugendlichen ausgehend von ihrer Erfahrung das Bild einer Zweiklassen-Gesellschaft entwickelt. Die Welt ist klar geteilt in Winner und Loser, in Superstars und Hartz IV, in gut und böse.“[3]

Das ist vielleicht die Wurzel, denn da ist kein Übergang mehr, es existieren keine Graustufen, nur greller Kontrast.

Graustufen und Zwischentöne

Wer es geschafft hat, zieht sich in seine eigene Welt zurück und schaffte sich das Gute selbst. So war damals das Ideal, heute fühlt sich die Jugend wieder aufgerufen sich zu Wort zu melden, allerdings sinkt auch der Glaube daran, dass die Welt noch zu retten ist. 64% der Jugendlichen meinen nicht mehr daran, dass sich die Natur wieder erholen wird, aber immerhin noch etwa die Hälfte, dass sie selbst ein unbeschwertes Leben haben werden und etwas weniger, dass die Zukunft besser wird. Immerhin sehen 70%, dass die gestärkt aus der Pandemie hervor gegangen sind, 60% haben in dieser Zeit neue Fähigkeiten erworben.[4]

Vielleicht lernt man das Gute wieder ein wenig mehr zu schätzen, denn die krasse Trennung von gut und böse, Idealisierung und Entwertung kennen wir aus der Psychopathologie, die Welt des Narzissmus und der Borderline-Störung. Alles muss perfekt sein, maximale Kontrolle und Inszenierung sind das Gebot der Stunde und der Gesellschaft. Die Jugendlichen von damals, sind heute zwischen 30 und 36.

Der Zwang das perfekte Leben jederzeit in den Social Media zu dokumentieren, das Singuläre als Markenkern. Nicht der Pauschalurlaub, ich allein mit dem Rucksack durch Kolumbien oder Norwegen. Wenn schon Urlaub, dann anders und genial, gerne wird auch mal nachgeholfen, notfalls mit gefakten Bildern. Die Fassade muss stimmen, denn die Konkurrenz schläft nicht und Konkurrenz ist es ja, wenn nur einer oder sehr wenige Superstars werden können und die anderen Loser sind. Ungemütlich.

Wo alles etwas drüber ist und sein muss, noch das Unglück hat einzigartig zu sein, hat das Gute keinen Platz, es ist zu lau, die Spitzenaffekte regieren. Himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt, aber am liebsten triumphal. Weil es ja ohnehin jeder heute so macht? Dahinter kann der Alltag nur zurückfallen, daneben muss er verblassen. Wer das nicht aushält muss immer mehr und immer wieder in die Öffentlichkeit, sich darstellen, Exhibitionismus als Lebensform, in einer narzisstischen Welt ist das vergleichsweise normal.

Wenn die Kluft zwischen Anspruch, Inszenierung und Realität zu groß wird, droht das Kartenhaus einzustürzen. Also muss man ständig beweisen, dass es mega läuft, das Gute hat da kaum eine Chance. Dabei ist das was uns als Kind und auch später Stabilität und Urvertrauen im Leben gibt, ein mildes und stabiles emotionales Klima, so weit es eben geht frei von Spitzenaffekten.

Die Aneinanderreihung des Guten

Natürlich unterliegt unser Alltag den normalen Schwankungen und in den letzten Jahren schwankt er mitunter ziemlich stark, da muss man nicht sonderlich empfindlich sein. Wenn Glück als eine Sondersituation des Lebens gesehen wird, ist Zufriedenheit die Basis. Von hier aus gelingt der Sprung zu immer neuen Glücksmomenten leichter, als wenn man auf sein Unglück fixiert ist.

Zufriedenheit gewinnt man nicht dadurch, dass sich im Leben eine Sensation an die nächste reiht, der Kontrast zum Normalen wäre auch sehr groß, das immer wie ein Sprung ins kalte Wasser wirken würde. Seine Normalität strickt man sich in der Regel selbst. Manchmal durch die Verhältnisse gezwungen, aber doch immer auch mit Gestaltungsspielraum.

Den kann man in der Weise nutzen, dass man sich von einem zum anderen guten Erlebnis während des Tages hangelt. Wie gesagt, es muss nicht sensationell sein, sondern einfach gut. In Ruhe hinsetzen und etwas essen oder trinken, spazieren gehen, sich für ein paar Minuten hinlegen und ausruhen. Froh sein, sein Tagesziel ganz gut erreicht zu haben, etwa bei der Arbeit oder anderen, selbst gesteckten Zielen. Lesen, malen, schreiben, Sport machen, spielen, ein kurzes Gespräch für jeden ist es was anderes. Eben das, was einfach nett ist und Spaß macht.

Möglichkeiten für einen Ausschlag nach oben oder unten bietet uns das Leben schon ganz von selbst an, wenn es aufgefangen wird durch gute Momente, kann unser Leben immer zufriedener werden. Jedoch: Wenn uns das Gute nicht gut genug ist, so ist das nicht gut.

Quellen:

  • [1] „Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier“, rheingold-Jugendstudie 2010, https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/Sozialwissenschaften/BF/Lehre/Materialien/Jugendstudien/Kurzfassung_Rheingoldstudie.pdf., S. 1
  • [2] ebd., S.3
  • [3] ebd., S.6
  • [4] Die Ergebnisse der stern-Jugendstudie in Grafiken, 13.06.2022, 21:42, https://www.stern.de/gesellschaft/stern-jugendstudie–die-ergebnisse-in-grafiken-31946542.html