Psychosomatische Zusammenhänge durchziehen unser Leben. Oft meint man, Psychosomatik sei ein seltenes Bindeglied zwischen Körper und Psyche.
Demzufolge gibt es in der Vorstellung einige rein psychische, dann rein somatische oder körperliche Phänomene und Erkrankungen und eine Mitte, die irgendwie psychosomatisch zu sein scheint. Doch diese Sicht ist falsch, was man leicht erkennen kann, wenn man der Sache etwas auf den Grund geht. Das wollen wir versuchen.
Welche Ereignisse sind psychosomatisch?
Als einer der Klassiker der Psychosomatik galt das Magengeschwür. Man ärgerte sich, wurde sauer, der Magen auch und fertig ist das Magengeschwür. Bis man dann das Bakterium Helicobacter fand, was für die meisten Fälle der sogenannten Magengeschwüre verantwortlich war, was also nichts mehr mit dem schönen Zusammenhang.
Dabei ist der Ansatz völlig falsch. Fragen wir lieber, wann, unter welchen Bedingungen etwas als psychosomatisch gelten darf oder soll: Ist etwas nur dann psychosomatisch, wenn einem körperlichen Leiden einzig und allein eine ungelöste psychische Problematik voraus geht? Man kann es so sehen, kommt dann aber sofort in immense theoretische Schwierigkeiten. Man muss nämlich bei einer solchen Konstruktion irgendwann klären, wie denn die Psyche auf den Körper einwirkt. Dass beide verbunden sind, ist in der Psychosomatik gesetzt, aber wie eigentlich?
Dem steht das alte und schwere Dualismusproblem im Weg, was ausformuliert bedeutet: Wenn die Psyche irgendwas anderes als der Körper ist, also aus einem anderen ‚Material‘ besteht (also geistig oder seelisch ist) oder sich woanders befindet, dann braucht es irgendeinen Ort wo Psyche und Körper zusammenkommen, sonst können sie sich schlicht nicht beeinflussen. Diesen Ort, Punkt oder Bereich hat man bis heute nie gefunden.
Von der Zirbeldrüse des Descartes mal abgesehen, würden wir heute Neurotransmitter, Metaphern oder Überzeugungen im Verdacht haben Umschlagpunkte zu sein, aber wir haben noch immer keine wirklich guten Einblicke, wie das denn nun genau vor sich geht. Wie wird denn nun aus einem Neurotransmitterausstoß ein Gefühl, eine Einstellung, eine Überzeugung oder umgekehrt? Wir wissen es einfach nicht. Der Dualismus ist theoretisch unbefriedigend. Man kann behaupten, dass die Psyche für Rückenschmerzen sorgt, wenn man gestresst ist, aber man findet keine Erklärung, wenn man die Psyche vom Körper abkoppelt, aus beschriebenen Gründen.
Die Alternative ist irgendeine Art von Monismus, sprich: alles ist Materie oder alles ist Geist/Seele. Im Grunde ist hier auch nichts gut erklärt, aber wenigstens müssen wir keine zusätzliche Umwandlung dessen, was wir schon nicht gut erklären können hinzufügen. Wenn wir aber monistisch vorgehen, dann meint das, dass alles aus einem ‚Stoff‘ besteht, aber eben auch, dass alles unmittelbaren Zugang zu uns Menschen hat, die immer eine psychosomatischer Einheit sind.
Die Einflüsse selbst können stärker oder schwächer sein, mehr oder weniger stark wirken, aber das ist kein Wunder, sondern Alltag. Viele Umweltreize, innere Eindrücke, Gedankenfetzen nehmen wir überhaupt nicht wahr, sehr viele extrem kurz, bevor wir sie sofort wieder vergessen und oft schaffen es nur wenige Reize, vor allem wenn sie quer zu unseren Erwartungen stehen, unsere bewusste Aufmerksamkeit zu erregen.
Unser gesamter Zugang zur Welt ist psychosomatisch
Es kommt wenig in unserem Bewusstsein an, wenn wir uns nicht bewusst darauf fokussieren, das ist ein ganz angenehmer Normalfall, der zeigt, dass es uns recht gut geht. Wir funktionieren einfach, ohne uns sonderlich auf etwas außerhalb dessen, worum wir uns gerade kümmern wollen, wie Arbeit, Ausflug oder Fernsehsendung achten zu müssen.
Das wird sofort anders, wenn wir plötzlich unter Schmerzen, Sehstörungen oder Schwindel leiden, dann wird die Normalität unterbrochen und wir sind irritiert. Vielleicht nur für einen kurzen Moment, manchmal für länger. Das ist die Psychosomatik des Alltags, Signale des Körpers, die von der Norm abweichen verunsichern uns und verlangen nach einer Erklärung. Manchmal ist die ganz einfach: Wir erinnern uns, uns gestoßen zu haben, daher der Schmerz. Wir haben wenig geschlafen und hatten Stress, daher der Schwindel und die Sehstörung verschwindet vielleicht nach kurzer Zeit von selbst und wir vergessen sie ganz einfach. Wir geraten dann in Sorge, wenn die Symptome immer wieder kommen.
Unsere Sprache und Alltagserleben ist voll von psychosomatischen Beziehungen: Uns stockt der Atem. Wir spüren, wie sich der Magen zusammen zieht, wie eine unsichtbare Faust. Wir merken, wie wir schwitzen, zittern, das Herz pocht oder dass wir erröten. Wir haben Schiss, also Durchfall oder den Drang aufs Klo zu müssen, natürlich ist auch sexuellen Erregung eine psychosomatische Reaktion und ein freudiges Strahlen oder ein befreiender Jubelschrei ist nichts anderes. Psychosomatik ist also nicht nur unangenehm und auf Krankheiten bezogen, sondern meint einfach die Einheit von Psyche und Soma/Körper, die immer gegeben ist. Wir müssen diese Einheit nicht suggerieren oder künstliche herstellen, sondern uns nur bewusst machen, dass sie unser alltäglicher Hintergrund ist. Die Trennung zu vollziehen, ist der künstliche Schritt.
Was immer in unser Bewusstsein tritt ist psychisch und wirkt sich auch auf unseren Körper aus. Messbar als Hirnaktivität, Herzfrequenz, Hautwiderstand, Blutdruck, Muskelspannung, Atemfrequenz und -tiefe, Hormonregulation und so weiter. Der Zusammenhang kann mal stärker und mal schwächer sein, all das soll noch einmal illustrieren, dass es psychosomatische Zusammenhänge immer gibt und diese kein seltener Sonderfall im Leben sind, sondern der Normalzustand, was dann auch Krankheiten betrifft. Sie sind immer psychosomatisch.
Entweder direkt, so dass wir uns auch bei einem fiebrigen Infekt schlapp und heiß fühlen oder indirekt, indem eine Auswertung einiger Parameter beim Arzt uns in Sorge versetzt, manchmal sogar umhaut oder auch erleichtert. Probleme entstehen erst dann, wenn man versucht einige Krankheitszusammenhänge als psychosomatisch darzustellen und irgendwie künstlich abzutrennen, was eigentlich gar nicht nötig wäre.
Wie ist es denn in der Praxis?
Nicht nur in der medizinischen, auch in der forschenden Praxis und dem Alltag von Menschen ist die Einheit von Psyche und Körper sonnenklar. Wenn man sich mal in speziellen Internetforen umschaut, in denen Menschen sich einander weiter helfen, die mitunter gewaltige Angst vor körperlichen Erkrankungen haben, dann findet man sehr hohe Beitragszahlen in jenen Rubriken, die wir psychosomatisch nenen würden.
Sehr prominent ist die Herzneurose oder Herzangst vertreten, aber auch die Angst vor ALS, Krebs, Corona oder den Impfungen davor. Ein fließender Übergang zwischen Angststörungen, Hypochondrie und Konversionssymptomen, vor allem sind es Menschen, die so stark irritiert sind, dass manchmal ihr gesamter Alltag um Syptome, Blutwerte und medizinische Meßergebnisse kreist.
Bei wiki finden wir:
„Zum klinischen Anwendungsbereich der psychosomatischen Medizin zählen:
- körperliche Erkrankungen mit ihren biopsychosozialen Aspekten (z. B. Krebskrankheiten und ihre Bewältigung; siehe auch Psychoonkologie)
- physiologisch-funktionelle Störungen (als Begleiterscheinungen von Emotionen und Konflikten sowie als direkte oder indirekte Reaktion auf psychische oder physische Traumata; siehe auch Posttraumatische Belastungsstörung und Anpassungsstörungen).
- dissoziative Störungen (Konversionsstörungen): körperliche Symptome, die auf unbewusste Konflikte zurückgehen
- Hypochondrie: die Überzeugung, an einer Krankheit zu leiden, und krankhaftes Interesse an Gesundheit und Beschwerden seelische Störungen, die mit körperlichen Missempfindungen einhergehen: Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen.
- seelische Erkrankungen, die körperliche Auswirkungen haben: Essstörungen.
- Folgen verantwortungslosen Umgangs mit der eigenen Gesundheit (z. B. Konsum gesundheitsschädlicher, suchterzeugender Genussmittel und Drogen)
Die psychosomatische Medizin beschäftigt sich auch mit somatoformen Störungen als Sonderformen psychosomatischen Geschehens, bei denen kein organischer Befund nachweisbar ist und psychische Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptome eine bedeutsame Rolle spielen. Häufig vorkommende Beschwerden, die dieser Gruppe zugeordnet werden, sind unter anderem Schmerzen und funktionelle Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Bereiches und des Skelett- und Muskelsystems.“[1]
Kurz und gut, die Psychosomatik umfasst so gut wie jeden Bereich, ist aber zugleich immer noch ein Stiefkind. Vorbehalte gibt es nach wie vor auf Seiten der Ärzte und Patienten, auch wenn diese weniger werden, doch teilweise wird noch zwischen richtig krank und psychosomatisch fälschlich unterschieden.