Im Angesicht der Flüchtlingskrise wurde in den vergangenen Jahren hier und da in westlichen Gesellschaften von mangelnder Empathie gesprochen. Der »Generation me« wird vorgeworfen, zu viel an sich und zu wenig an andere zu denken. Psychothriller, Horrorfilme etc. überbieten sich in ihrer Radikalität, mit dem Ziel, den Zuschauer auch endlich mal wieder emotional zu erreichen. Um ein »andersartiges« kinematografisches Erlebnis zu kreieren. Sind wir demnach kaum noch fähig zur Empathie? Können wir uns ausreichend in andere hineinfühlen? Wo stehen wir?
»I feel you«
Zunächst einmal: Was genau bedeutet Empathie? Was kann Empathie und wann gerät sie per Definition an ihre Grenzen?
In der Psychologie spricht man bezüglich der Empathie von einer »Fähigkeit zu kogn. Verstehen (Kognition) und affektivem Nachempfinden der vermuteten Emotionen eines anderen Lebewesens.«
Wie fähig zur Empathie bist du?

Empathie bedeutet Zuhören, Einfühlen und Verstehen. © Anne Worner under cc
Diese Fähigkeit zur Empathie ist keineswegs in Stein gemeißelt. Sie ist unter anderem abhängig von der individuellen Disposition eines Menschen. So scheinen manche Menschen die Gedanken und Emotionen anderer regelrecht aufzusaugen, hochempathisch zu sein. Im Gegensatz zu Personen, die abgestumpft und gefühlskalt wirken. Auch situative Faktoren, tagesabhängige Gemütsverfassungen und wie man zu dem jeweiligen Menschen beziehungsweise der Menschengruppe eingestellt ist, kann emphatische Fähigkeiten beeinflussen.
Unterschieden wird zwischen einer Empathie mit höherem affektiven Anteil (das heißt also Mitfühlen/Miterleben der Emotion) und einer Empathie mit höherem kognitiven Anteil (Einfühlen und das verstandesmäßige Nachvollziehen der Emotion). Beide Arten der Empathie haben ihre Berechtigung; beide erfüllen einen gewissen Zweck.
Zweckmäßigkeit der Empathie
Psychologen haben in einer Vielzahl von Studien erforscht, mit welchem Erleben und Verhalten Empathie in Zusammenhang stehen kann. Einige Ansätze zeigen, dass Empathie – naheliegend – mit prosozialem Verhalten verbunden ist (Empathie-Altruismus-Hypothese). Andere Ansätze wiederum befassen sich mit der Kehrseite der Medaille von Empathie: Denn durch das Einfühlen in andere ist nicht nur Beeinflussung im positiven Sinne (therapeutische Interventionen) möglich, sondern auch im negativeren Sinne (Manipulation in der Werbung). Entscheidend ist dementsprechend nicht nur, wie stark empathisch jemand ist, sondern welchen Zweck er schlussendlich mit dieser Fähigkeit verfolgt.
Empathie im Ungleichgewicht

Empathie kann zwei Seiten haben, wenn man nicht verantwortungsvoll damit umgeht. © Raxon Rex under cc
Beziehen wir uns einmal auf einen durchschnittlichen Menschen mit einem »durchschnittlichen« Maß an Empathie. Er geht arbeiten, folgt seinem Alltag, hat womöglich seine Sorgen und Nöte. Sieht dieser in den Abendnachrichten Kriegsschauplätze, zerrüttete Familien, hungernde Kinder, wird er ein gewisses Maß an Empathie fühlen. Und wie verhält es sich hinsichtlich eines Hurrikans, der an der US-Ostküste gewütet hat und haufenweise Menschen ihr Heim kostete? Was ist mit dem Obdachlosen an der Straßenecke im Winter? Können wir uns jederzeit in all diese Szenarien einfühlen? Wehren wir nicht manchmal emphatische Gefühle von Vornherein ab, um uns selbst zu schützen und lebensfähig zu halten?
Empathie trifft Unterscheidungen
Aus Studien weiß man, dass Empathieunterschiede durchaus zur Ausgrenzung und Abwertung von Menschen, die man nicht als zur eigenen Gruppe zugehörig erachtet, führen können. Provokant gesagt, könnte unser Empathieempfinden darüber entscheiden, ob wir handeln oder nicht. Der Psychologe Batson von der Kansas University zeigte mit seinem Elaine-Experiment auf, dass Menschen sich für andere einsetzen, wenn sie sich mit ihnen verbunden fühlen, dann sind sie fähig zur Empathie.
Eine fiktive Kommilitonin wurde für die Probanden des Experimentes skizziert, mal sehr intim, mal eher sachlich distanziert. Im zweiten Schritt des Experiments wurde den Probanden suggeriert, dass Elaine schmerzhafte Elektroschocks erhalten würde. Bei den Probanden, welche eine sachliche Skizzierung von Elaine erhalten hatten, sprach sich nicht einmal jeder Fünfte dafür aus, Elaines Leiden ein Ende zu setzen. Wohingegen bei dem persönlicheren Text über Elaine etwa achtzig Prozent der Probanden sich für Elaines Wohlergehen einsetzten.
Empathie zwischen »Freund und Feind«

Neben Empathie sind auch scharfsinnige Lösungen gefragt. © jeanbaptisteparis under cc
Eine neurowissenschaftliche Studie veranschaulicht sogar kognitionspsychologische Korrelate im Gehirn, wann wir Empathie fühlen und mit wem nicht. Erzählt man den Probanden, sie bekämen gleich Elektroschocks, wiesen sie ein bestimmtes Hirnaktivitätsmuster auf (u.a. im Anterior Insula Cortex). Das gleiche Aktivitätsmuster findet sich, wenn man den Probanden erzählt, ihre Freunde würden Elektroschocks erhalten. Waren demgegenüber Fremde potentiell betroffen, regte sich nichts dergleichen an Empathie-Korrelaten im Gehirn.
Ergo: Empathie ist notwendig, wenn wir verstehen und handeln wollen. Doch sie kann auch ausbleiben. Was dann?
Emotion und Kognition
Empathie ist eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen. Wir tun gut daran, uns diese zu bewahren. Doch wir müssen auch um die Grenzen der Empathie wissen. Aus den unterschiedlichsten Gründen sind wir nicht immer fähig zur Empathie. Aber selbst dann müssen wir handlungsfähig bleiben und generelle Problemlösestrategien mit kühlem Kopf erarbeiten.