Dass wir anstrengende und verrückte Zeiten erleben, wird kaum jemand bestreiten. Eine Krise jagt die andere, ein Ende ist nicht in Sicht.
Dabei teilen wir alle mehr oder weniger die Sehnsucht, dass es wieder besser werden möge, vor allem alle, die sich noch daran erinnern, dass es tatsächlich mal anders war. Eine gewisse Verklärung ist immer dabei, denn wir erleben nun schon viele Jahre, in denen zumindest einige Menschen den Krisenmodus ausgerufen haben.
Corona war sicher eine Zäsur, die in Erinnerung bleibt, aber auch davor war beileibe nicht alles Gold, was glänzt. Lag vor dem Jahresende 2019, als die Corona Pandemie schleichend begann, die gute alte Zeit? Nun, im Grunde waren viele Leute noch immer total gestresst von der Flüchtlingskrise und den Silversterübergriffen 2015/16, es waren die Zeiten der #MeToo Debatte, das war vielfach hoch emotional.
Aber davor war alles gut und die Welt in Ordnung? Wie man es sieht, im März 2011 war die Nuklearkatastrophe von Fukushima, samt anschließender erregter Diskussionen. Davor war 2007/8 eine fette Bankenkrise, die Teile der Welt kräftig durchgeschüttelt hat und noch kurze Zeit davor diskutierte man wild über die Terrorattacke vom 11. September 2001 auf das World Trade Center. Auch da war wieder mal Zeitenwende.
Also alles ganz schrecklich? Kann man so sehen, muss man aber nicht, die andere Sicht ist: Was haben wir nicht schon alles überstanden? Mit jeder Krise lernen wir dazu im Krisenmodus nicht panisch zu werden sondern einfach weiter zu machen. Wie die Künstler in der Ukraine. Sollen die aufhören Kunst zu machen? Nein, sie machen weiter, auch weil den Alltag, die Normalität aufrecht zu erhalten eine eigene Kraft ist.
Warum uns Menschen faszinieren, die ihr Ding gefunden haben
Vielleicht sind wir auch nur zu satt und vielleicht ging es uns auch nur zu gut? Nein, das wäre unempathisch dem realen Leid jener gegenüber, die durch diverse Umstände nicht die Gelegenheit hatten ausreichende Resilienz, also psychische Widerstandskraft zu bilden.
Aber so wie die ukrainischen Künstlerinnen weiter machen, so wie wir uns disziplinieren können immer wieder neu zu beginnen, so gibt es auch Menschen, die das gar nicht müssen, sondern die ihr Ding, ihren Lebensmittelpunkt oder ihre Bestimmung gefunden haben. Uns kann Bewunderung, manchmal sogar Neid befallen, aber der ist gut um zu erkennen, was der oder die andere hat, was wie nicht haben.
Es ist genau dieses Gefühl zu wissen, wofür man morgens aufsteht und das ist einer der Faktoren des Empfindens von Glück, der Sinn im Leben. Mit einem Gefühl für die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens lässt sich auch nahezu unerträgliches Leid ertragen, wie wir bei Viktor Frankl sehen können, aber nicht nur bei ihm. Aber es ist auch in normalen oder eben stressiger werdenden Zeiten etwas, was uns trägt und hilft.
Darum können wir auch neidisch reagieren, wenn wir merken, dass andere da einen Schatz haben und wenn wir mal näher hinschauen, ist der Inhalt, das was sie gefunden haben, oft vollkommen egal. Was uns beeindruckt, ist die Lust und Hingabe mit der Menschen mitunter Allerweltsdinge tun, die wir auch jederzeit tun könnten, nur würden wir sie nicht mit einer solchen Befriedigung machen, uns könnten sie sogar lästig sein. Wichtig ist in dem Zusammenhang aber auch zu sehen, dass es nicht die eine Tätigkeit sein muss, in der man aufgeht, sondern sich die Befriedigung bei vielen Menschen in mehrere Bereiche teilt und auch das ist völlig in Ordnung. Man muss nicht ausschließlich joggen, Rosen züchten oder Teesorten verkosten, man kann auch breiter oder anders aufgestellt sein.
Flexibel sein oder Anker werfen?
Soll ich mich neuen Situationen einfach anpassen oder mich in meine private Trutzburg zurück ziehen? Auch hier ist es so, dass man für beide Varianten überragende Beispiele finden kann. Manche Menschen haben bis ins hohe Alter überhaupt keine Schwierigkeiten damit sich an Neuerungen anzupassen und sind geradezu von einer Lust danach getrieben.
Für andere sind schon geringe Änderungen zu viel, doch auch hier gibt es Künstler, die ihren privaten Raum so ausgestalten, dass er zur Kraftquelle für nahezu alle Lebenssituationen wird. Man muss schauen, in welches Lager man selbst gehört, die meisten von uns werden sich irgendwo zwischen den extremen Ende befinden und sich zu einem Teil an Neues anpassen – jungen Menschen fällt das leicht, weil das was für Ältere neu ist, ihr normales Umfeld ist, sie müssen sich nicht umgewöhnen –, zu einem anderen Teil eine Welt aus Gewohnheiten errichten, die einen bekannten Rahmen bietet – was wiederum den Älteren leichter fällt.
Ein Stück ist die digitale Welt so eine Art Heimat geworden, weil wir sie überall hin mitnehmen können. Wir können überall unsere Musik Playlist hören, wir haben mit unserer Gruppe in Social Media Kontakt, wo auch immer wir gerade auf der Welt sind, wir können uns immer wieder in das gewohnte digitale Umfeld bringen. In eine Welt, in der wir uns auskennen. Routinen und Gewohnheiten, die uns in einen Bereich bringen, in dem wir uns auskennen und in dem wir kompetent sind, sind ein guter Anker im Leben.
Erkennen und sortieren, was jetzt gerade für mich wichtig ist
Ein Problem unserer Zeit ist, dass wir keinerlei Mangel an guten Tipps haben, bei denen gesagt wird, was wirklich hilft. Diverse Streaming-Plattformen, Bücher, Websites, Zeitschriften, dazu noch Freunde und Bekannte. An den meisten Tipps ist auch irgendwas dran, denn es ist glaubhaft, dass sie irgendwem geholfen haben.
Ich erinnere mich an eine viele Jahre zurück liegenden Radiosendung, die beispielhaft war. Thema der Sendung waren Allergien, Hörer durften anrufen, eine Expertin war eingeladen. Es wurde dies und das erklärt, schließlich rief eine Frau an, die ehrlich begeistert vom Ende ihrer Allergie Odyssee berichtete. Sie hatte mehr oder weniger alles probiert, was die Küche hergab, das einzige was dabei nicht passierte war, dass ihre Allergien verschwanden.
Aber, das war die Pointe des Anrufs, das änderte sich, denn die Frau fand doch noch etwas, was ihr half: Brennnessel Tee. Irgendwer gab ihr den Tipp, sie versuchte es und mit einem mal gingen alle Allergien, die sie über viele Jahre quälten und sich jeder Therapie widersetzten zurück und verschwanden schließlich völlig. Verständlich, dass die Frau begeistert war und ihren Tipp nun der Welt schenken wollte.
Ein schwieriger Punkt. Auf der einen Seite kann man verstehen, dass die Frau ganz aufrichtig ihre Erfahrungen teilen wollte und was hier an dem Allergie Beispiel dargestellt wird, kann man auf viele andere Bereiche übertragen. Wir alle haben schon mal von jemandem gehört, der von einer langen, quälenden, vielleicht sogar potentiell tödlichen Erkrankung geheilt wurde, durch die eine Therapie oder Lebensänderung. Es bringt nichts und ist auch ethisch nicht zu vertreten, an diesem Punkt hämisch zu werden und die Erlebnisse zu bezweifeln und die Menschen, wie es leider nicht selten geschieht, noch der Lächerlichkeit preiszugeben.
Dennoch würde auch ich erwarten, dass Brennnessel Tee nicht die Lösung sämtlicher Allergie Probleme ist, aber ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass es die Lösung bei der erwähnten Anruferin war. Es geht darum das Prinzip zu erkennen. Das lautet, dass es auch in verfahrenen Situation oft etwas gibt, was helfen kann, manchmal gegen jede Wahrscheinlichkeit. Nur was das ist, ist eine hoch individuelle Geschichte.
In drei Folgen zur Weltbild-Methode habe ich versucht dieses Prinzip ausführlich darzustellen, dort anhand des chronischen Schmerzsyndroms, aber die Grundidee ist breiter und auf anderen Krankheiten und Lebensbereiche übertragbar. Sehr kurz heruntergebrochen: Wenn ich mich kenne, weiß, was mir gut tut, wovon ich überzeugt bin und wovon gar nicht, kann man die aktuelle besten Ansätze, die den meisten Menschen in der Situation helfen, mit dem was ich über mich weiß, kombinieren. Wer die ausführliche Version nachlesen will, hier noch mal die drei Teile: Gesundheit und Psyche (2), Gesundheit und Psyche (3), Gesundheit und Psyche (4).
Die Fehler gegenwärtiger Ansätze erkennen
Ich glaube, dass die beste des Zeit des Naturalismus – das ist mehr oder weniger das naturwissenschaftliche Weltbild – vorbei ist und sich diese Idee inzwischen in einer Art Abwehrgefecht befindet. Aber es gibt andere Diagnosen, etwa die, dass wir zu kapitalistisch sind, zu narzisstisch, zu sehr von Social Media und bewussten Fake News beeinflusst. Letztlich sind das alles Schlagwörter, die unterschiedlich interpretiert werden, aber eine Gemeinsamkeit fällt auf.
Wir wenden uns von der tieferen Beschäftigung mit der Innenwelt ab. Wir versuchen und das vermutlich seit über 200 Jahren, Erklärungen vornehmlich über die Funktionsweise von Außenwelt zu erklären, sogar noch die unserer Innenwelt, unserer Psyche. Neurotransmitter hier, Lebensumstände da, fertig ist die Erklärung, statistisch nachbearbeitet, so dass man das hat, was den meisten hilft und wenn man da nicht zugehört, hat man eben Pech gehabt.
Nach und nach wird die Relevanz der Innenwelt gerade wiedererkannt und eingearbeitet, etwa, wenn man im Subjekt mehr sieht, als nur einen Träger von objektivierbaren Eigenschaften, wie in den drei verlinkten Artikeln ausgeführt.
Es war verlockend, auf die Beschäftigung mit der Innenwelt zu verzichten, weil es Ersatz zu geben schien und die Konsequenzen nicht sofort eintraten. Nietzsche warnte hellsichtig vor der Ungeheuerlichkeit des Schrittes, Gott zu töten, wir verbuchen das nur darunter, dass Nietzsche irgendwie atheistisch war, doch das verfehlt den Punkt. Erschreckend viele Menschen polemisieren gegen Moral und halten diese für ein Relikt der Kirche oder eine politische Marotte, Moral und Moralismus dabei nicht unterscheidend.
Neben Sinn und stabilen Beziehungen, brauchen wir ein inneres Wertesystem, was uns die Möglichkeit gibt, das für uns aktuell Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, für manche Menschen ist religiöser Glaube etwas, was wie trägt, für andere kann es Spiritualität sein, der Unterschied wird hier diskutiert.
Immer mehr Unzufriedenheit, immer mehr Narzissmus?
Die Unzufriedenheit schreibt man wieder dem Außen zu. Aber wir müssen bedenken, dass wir die Wurzel der Unzufriedenheit in den Zeiten gelegt haben, als es uns immer besser ging. Bereits 1979 schrieb Christopher Lasch von einer narzisstischen Gesellschaft, gemeint waren damals die USA, aber mit Zeitverzögerung kann man die Diagnose sicher auch hier stellen, das Prinzip Narzissmus kennen wir auch.
Inmitten von Wohlstand, Fortschrittsglauben und einer gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung. Narzissten beschäftigen sich sogar mit dem Innen, aber stets mit dem eigenen und das auch nur in einer idealisierten Variante. Alles nur glitzernde Oberfläche. Von Tiefe geredet wird viel, aber selten erreicht. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass Narzissmus eine Kompensation ist, ein Panzer, ein Schutz gegen das grausame Gefühl der Kleinheit.
Unsere großen Anker sind tiefe, verlässliche Beziehungen, einen Sinn in seinem Leben zu sehen, ein inneres Wertesystem zu haben, an dem man sich orientieren kann und das einem die Möglichkeit gibt, wichtige und unwichtige Themen zu trennen. Religion und Spiritualität sind für einige Menschen weitere Anker. Alle diese Anker können uns in der Regression Halt geben. Kleinere Anker sind Routinen, einfach weiter zu machen, ebenso Anpassung und Privatheit in dem Maße, was mir gut tut.
Um das zu wissen, muss ich mich selbst kennen und dafür muss ich nach innen schauen. Hier schließt sich der Kreis. Dies ist keine erste Hilfe, die haben wir jeweils psychologisch und spirituell dargestellt, aber es kennzeichnet die Stellen, an denen es sich zu graben lohnt. Gerade, wenn wir verrückte Zeiten erleben.