Fledermäuse fliegen im Mondschein über Friedhof

Kann unser Blick auf den Tod sich fundamental ändern? © Steven Penton under cc

Tod und Sterben sind keine schönen Themen, passen aber zur dunklen Jahreszeit und zur trüben Weltlage. Zeit für ein wenig Licht am Ende des Tunnels.

Unser Umgang mit Tod und Sterben

Unser Umgang mit den Themen Tod und Sterben ist nicht gerade großartig. Das betrifft zum einen die Sterbehilfe, bei der Veränderungen, wie bei gesellschaftlichen Prozessen üblich, erst langsam anlaufen. Aber immerhin tut sich etwas.

Gleichzeitig ist man aber der Auffassung, dass beim Thema Tod die Messe gelesen ist. Nichts neues in Sicht, außer vielleicht seltsamen technischen Spielereien, für Superreiche, zu denen dann doch niemand gehört und deren Nutzen mehr von der Hoffnung lebt. Kryotechniken, bei denen man sich einfrieren lässt, in der Hoffnung, dass die Wissenschaft dereinst so weit ist, den toten Körper wieder aufzutauen und möglichst zu verjüngen und die Todesmechanismen abzustellen.

Die Detailfragen hierzu sind reichlich und klappen tut es bislang nicht. Die andere Hoffnung ist der Bewusstseins Upload in einen Computer, der stark genug ist, die Umwelt so zu simulieren, wie wir wie kennen, so dass wir keinen Unterschied merken und so würden wir unsterblich werden. Auch hier mehr Fragen als Antworten, man muss sehr wissenschaftsgläubig sein, damit die Hoffnung zieht.

Wir haben nach und nach die Religionen abgeschafft, deren Lohn für Gehorsam das Versprechen auf eine bessere Zukunft im Jenseits war. Aber immer weniger Menschen in Deutschland sind konfessionell gebunden, 2027 sollen es weniger als 50% sein, auch wenn man die höhere konfessionelle Bindung von Einwanderern mit einbezieht. Selbst wer noch in der Kirchen ist, ist nicht mehr unbedingt gläubig.

Der Glaube konnte die Angst vor dem Tod mindern, aber wenn er nicht mehr existiert, kann man ihn nicht bei Bedarf und für Einzelfragen wieder anknipsen. Zumal die Verfehlungen der Kirchen im Diesseits nun wirklich erheblich sind und dazu aktuell wenig Motivation besteht.

Horror vor tödlichen Krankheiten

Jede Krankheit ist einmal vorbei, jeder Sterbeprozess beendet, dann ist man tot und alles ist friedlich. Doch genau diese ewige Ruhe befriedigt uns nicht, sondern führt in vielen zu einem Horror vor dieser Leere, vor dem Nichts, das man in den meisten Fällen erwartet. Weil man meint, dass mit dem Ende des biologischen Körpers alles aus ist, stellt man sich den Tod oft als Ich-Wahrnehmung ohne Außenreiz vor. Schwarz, still, einsam.

Der Fehler ist, dass man noch immer denkt, man würde weiter existieren in einem Zustand unendlich ausgedehnter Leere, dass man aber gar nicht existiert kann man sich nicht vorstellen, weil man es nicht kennt und nie erlebt haben kann. Solange wir denken leben und existieren wir. Das andere, was wir uns nicht vorstellen können, ist Existenz ohne Ich.

Viele wollen auch etwas anderes, nämlich erst mal leben. Der Tod ist akzeptabler, bei manchen sogar noch immer willkommen, wenn er am Ende eines reichen Lebens steht. Man hat es gelebt, nun ist auch gut, man ist bereit abzutreten. Den besten Fall stellt man sich so vor, dass man abends friedlich einschläft und morgens nicht mehr wach wird.

Doch oft läuft es ganz anders, nämlich so, dass gar nicht so wenige Menschen von einem Horror vor tödlichen Erkrankungen gepeinigt werden. Nicht wenn diese vor der Tür stehen, sondern in jungen Jahren. Nicht zufällig in der Zeit, wenn man mit dem Gedanken spielt sich von den Eltern zu trennen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Eine Zeit der Freiheit, aber für viele auch eine der gewaltigen Unsicherheit.

Zudem gibt es so viel zu erleben. Welcher Weg ist der richtige? Werde ich es schaffen? Hat das alles überhaupt einen Sinn? Und in gar nicht so wenigen Fällen werden diese Zweifel und Unsicherheiten somatisiert und als Angst vor einer tödlichen Erkrankung erlebt. Man weiß, was man dann nicht machen sollte, nämlich die Symptome im Internet recherchieren, tut aber genau das und der Lohn sind Angst und Panik, die wirklich kein Spaß sind.

Ist man hypochondrisch begabt, glaubt man vielleicht noch, dass man jetzt gerade doch nicht die befürchtete schwere Krankheit hat, aber was gibt einem die Sicherheit, dass sie nicht genau in dem Moment beginnt, wenn man die Notfallaufnahme verlassen hat? Die könnten auch etwas übersehen haben. Bei mir könnte alles ganz anders sein.

Vertrauen und Zuversicht kennen wir eher aus dem religiösen Kontext, unser Weltbild mahnt uns, alles in ein Leben packen zu müssen, was wir erleben wollen. Doch auch die Religion betreffend gibt es gibt eine interessante Frage:

Was hat das religiöse Weltbild eigentlich ins Trudeln gebracht?

Gewöhnlich ist die Betrachtung der Religion in unserer Zeit eine unterm Strich nicht sehr überzeugende Projektion aus unserem Weltbild in die Vergangenheit. Die damaligen Menschen waren viel näher an der Natur und ihren Phänomenen, es ist nicht überzeugend, dass sie sich vorm Gewitter so ängstigten und über Glühwürmchen so staunten, dass sie einen ganzen Götterhimmel erfanden.

Viel wahrscheinlicher erscheint es mir, dass die anderen Bereiche ein ganz normaler Bestandteil des Lebens waren, etwa weil tote Gemeinschaftsmitglieder oder Jagdgefährten im Traum erschienen. Vielleicht sah man Feuer, Wasser und den Mond als so lebendig an wie Tiere und Pflanzen, weil sie sich alle bewegen und verändern, vielleicht gab es rituelle Akte mit halluzinogenen Drogen, die diese Eindrücke noch einmal verfestigten. Das ist an der Erlebenswelt der Frühmenschen vermutlich näher dran, als unsere projizierte Angst nachts durch einen Wald zu gehen.

Religiöse Sichtweisen mit ihren animistischen und magischen Vorformen waren sehr stabile Systeme und ganz offensichtlich waren unsere Vorfahren damit in der Lage zu überleben. Aber wie auch immer es war: Warum hat das irgendwann nicht mehr geklappt?

Einerseits wird auf die Erkenntnisse der Wissenschaft und das Zeitalter der Aufklärung verwiesen, aber ein weiterer wichtiger Grund werden die praktischen und technischen Möglichkeiten des Zeitalters der industriellen Revolution gewesen sein. Sie hatten viele Auswirkungen, eine davon war, dass Gott als Erklärung einfach nicht mehr nötig war.

Licht, Arbeit, Einkommen, das alles ließ sich nun von den Menschen selbst planen und erzeugen. Es führte in neue Abhängigkeiten, aber Gott war tot. Man brauchte ihn nicht mehr, als Quelle der Erklärung und Beschaffung, der Rest war Gewohnheit, die man nicht einfach so einstellt, sondern die langsam vergeht.

Wissenschaft und Technik haben den Fokus von der Innenwelt in die Außenwelt verlegt und Fragen nach dem Warum durch ein Wie ersetzt. Es war überflüssig sich mit dem Sinn zu befassen, wenn man es selber beeinflussen konnte und damit sind wir über 200 Jahre gut gefahren. Die Wissenschaft hatte einfach gute Erklärungen und die Technik konnte bauen, was man haben wollte.

Was bringt das wissenschaftliche Weltbild ins Trudeln?

Der Deal war unausgesprochen, aber wurde immer klarer: Vergiss’ Sinn, Wert und solche Kinderfragen, über die Erklärungen des Wie, der Funktion haben wir alles, was wir brauchen und das sind Erklärungen der Materie oder solche, die auf sie zurück greifen.

Aber erstens, ist längst nicht mehr klar, was Materie überhaupt sein soll, zweitens, korrelieren die Daten oft nicht, wie sie sollten, drittens, ist die Fixierung auf den Nutzen oft willkürlich und viertens, sind manche Theorien logisch absurd. Über jeden dieser vier Punkte könnte man sehr viel schreiben und müsste es wohl auch.

Gesetzt, das würde stimmen, wieso hat man das nicht längst gemerkt und abgeschafft? Zum einen verhindert die Spezialisierung innerhalb der Wissenschaft oft die Kenntnisse weiterer Bereiche in ihr. Der Kosmologe muss nicht zwingend etwas vom Bewusstsein verstehen und umgekehrt. Mindestens so wichtig ist ein psychologischer Punkt: Unser Weltbild versorgt uns mit Orientierung und dem Gefühl sich gut auszukennen, zu wissen, wie die Dinge funktionieren.

Also begnügt man sich mit Floskeln, die es weiter stabil halten, meint, dass das alles schon irgendwie stimmen wird, wenn nicht, würde man es ja merken, also irgendwer. Psychologisch verständlich, aber logisch zirkulär. Aber vergessen wir nicht den anderen, vielleicht wesentlichen Punkt, warum die Religion in Europa ins Trudeln geriet: Es gab eine Praxis, es war konkret etwas da, was man tun und nutzen konnte. Man musste nicht auf die Folgen von Gebeten und einem gottgefälligen Leben warten.

Materie und Bewusstsein, Tod und Sterben

Seit über 200 Jahren setzen wir darauf, dass am Ende der funktionalen Erklärungskette steht, dass es Materie irgendwie immer schon gab. Bewusstsein muss dann irgendwie aus ihr entstanden sein. Davor dachte man lange Zeit, dass Bewusstsein primär gewesen sei und sah Materie dann irgendwie als eine Form der Erstarrung desselben, konnte aber auch nicht erklären, wie nun Bewusstsein Materie erschafft. Der Dualismus in der Mitte, sowie seine Nachfolger, wie Panpsychismus oder Neuer Realismus kranken alle daran, dass unklar bleibt, wie getrennte Welten interagieren können, das ist ein theoretischer Mühlstein um den Hals.

Die abermalige Wende geht in Richtung Bewusstsein und verbindet ungleiche Partner. Die ältesten indischen Weisheitslehren sprechen davon und mit Sri Ramana Maharshi hat ein moderner Vertreter der alten Lehren noch einmal kräftig in die Glut gepustet und wir beginnen aktuell, durch einige brillante Interpreten, breiter zu verstehen, was er meinte.

Zugleich finden wir mit Bernardo Kastrup einen Mann der Wissenschaft und Computertechnik, der in die Philosophie gewechselt ist und für seinen Ansatz, den er Analytischer Idealismus nennt, ausschließlich auf Daten aus der Wissenschaft zurück greift.

Zwischen beiden gibt es Unterschiede im Detail, viel gravierender sind aber die Übereinstimmungen und in diesen sagen beide, dass es nur Bewusstsein gibt. Materie ist lediglich eine Erscheinungsform für ein Bewusstsein, das sich aus einem größeren Bewusstsein abgekapselt und ein Ich gebildet hat. Für Ramana ist das Ich eine Illusion, für Kastrup eine Dissoziation, in beiden Fällen eine vorübergehende Täuschung, die, wenn sie überwunden wird, wieder in das eine große Bewusstsein zurück führt.

Was das mit Tod und Sterben zu tun hat wird unmittelbar klar. Es gibt den Tod nicht als das Ende, mit dem dann alles für immer aus und vorbei ist. Nun könnte man sagen, dass die Religionen das schon immer behaupteten. Aber etwas ist anders, denn wir müssen nicht mehr unbedingt auf Vertrauen, Glauben und Hoffnung setzen, was gut ist, denn wir haben von all dem viel verloren.

Das Sterben selbst ist heute vielfach leichter geworden, weil wir bei schweren Erkrankungen auf diverse Formen der Sterbehilfe und Palliativmedizin zurückgreifen können, in der die sedierende und schmerzstillende Medikation oft einen fließenden Übergang zur Sterbehilfe darstellt. Hier hat man technische Fortschritte gemacht und die Einstellung hat sich verändert. Es gibt Luft nach oben, aber alles in allem stimmt die Richtung.

Die Morgendämmerung eines neuen Weltbildes

Wir leben in in verheerenden Zeiten. „Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das Rettende auch.“ So sagt es Hölderlin und vielleicht ist das mehr als ein frommer Hoffnungsschimmer. Skepsis gegenüber dem Naturalismus gab es schon länger und es ist eine eigene, weitgehend unerzählte Geschichte, die Einwände und ihre Abwehr darzustellen.

Was wir heute haben, ist eine Flut von Berichten aus der Geschichte, von Mystikern, den Leuchttürmen der Menschheit. Wir haben zahllose private Experimente der Gegenwart, von Menschen, die Dinge erlebt haben, die nicht in unser Weltbild passen, von Wunderheilungen über Nahtoderfahrungen, bis zu Experimenten mit Halluzinogenen. Wir haben wissenschaftliche Daten, die nicht zum wissenschaftlichen Weltbild passen.

Doch das ist nicht alles und es wäre nicht genug, denn die Idee, dass Fakten alles irgendwie von selbst aufklären und kontroverse Diskussionen beenden, können wir getrost vergessen, wenn wir auf die Diskussionen der Gegenwart blicken. Wir haben zusätzlich Praktiken, die uns in die Lage versetzen, nicht nur glauben zu müssen, wir können selbst experimentieren und sind sogar dazu aufgefordert.

Und da ist noch etwas. Sowohl Ramanas Interpreten, als auch Kastrup versuchen philosophische Argumente vorzulegen, die uns mit den Experimenten nicht allein lassen. Wenn wir ein bestimmtes Weltbild haben und private Erlebnisse, die zu diesem völlig quer stehen, muss es uns nicht unbedingt besser gehen, im Gegenteil, das kann zutiefst verwirren.

Vergessen wir nicht, dass wir bereits Kinder eines bestimmten Weltbildes sind. Egal wie religiös oder esoterisch wir sein mögen, wir sind voll mit den Überzeugungen des Naturalismus. Es bringt nichts, sich den Tod schön zu reden. Logikspielchen bringen nichts gegen tiefe Gefühle der Angst und Verunsicherung. Wissen allein auch nicht. Wenn wir lesen, dass es Menschen mit einer religiösen Einstellung in bestimmten Bereichen statistisch besser geht, dann können wir nicht mal eben, wenn wir in einer solchen Situation sind, so tun, als seien wir religiös, wenn wir es zuvor nicht waren, um von dieser Einstellung zu profitieren.

Dass Psychotherapie funktioniert, zeigt uns, dass auch unsere Gedanken auf unsere Gefühle einwirken können, aber Denken und Denken können zwei Paar Schuhe sein. Kaum etwas kann flüchtiger sein, als ein kurzer Gedanken, doch an kaum etwas halten wir so fest, wie an unseren tiefen Überzeugungen. Wir leben sie, sind durchdrungen von ihnen, Gedanken und Gefühle laufen bei unseren Überzeugungen parallel.

Es tut sich etwas. Nicht nur beim Thema Tod und Sterben. Wir können langsam immer tiefer gehen, Gedanken und Gefühle, Theorien und Praxis verbinden und wenn das gelingt, hat es Auswirkungen auf viele Lebensbereiche, auch auf die Angst vor dem Tod und Verzweiflung. Wir werden es weiter beobachten und entfalten.