Ein kleines Mädchen an der Hand eines Erwachsenen

Tiefe und vertrauensvolle Beziehungen sind die Hauptquelle psychischer Stärke. Man kann sie oft auch noch später erwerben. © Serendipiddy under cc

In Zeiten, in denen professionelle Hilfe immer schwieriger zu bekommen ist, können wir die psychologische Selbsthilfe stärken.

Früher war es oft eine hohe innere Hürde sich psychotherapeutisch helfen zu lassen, heute sind immer mehr Menschen immer öfter bereit dazu, doch durch die Zunahme an Spannungen und Störungen werden die Therapieplätze knapp. Zusätzlich besteht die Sorge, dass die Therapien schneller und oberflächlicher werden und sich immer mehr in Richtung Psychopharmakologie verlagern. Nicht selten handelt man sich damit eigene Probleme ein, bei denen irgendwann nicht mehr klar ist, was die Nebenwirkungen der Medikamente sind und was die ursprüngliche Problematik ist.

Die Elemente der psychologischen Selbsthilfe sind alle wirksam, unterscheiden sich aber je nach Art der eigenen Problematik und des eigenen Charakters.

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Sie sind nicht allein – Die ambivalente Gemeinschaft der Leidenden

Viele Menschen glauben, ihre Probleme seien so speziell, dass außer ihnen selbst niemand darunter leidet. Es ist für viele daher geradezu eine Erlösung, wenn sie erfahren, dass es noch andere und in vielen Fällen sogar sehr viele andere gibt, die dasselbe Problem haben, manchmal sogar bis ins Detail.

Psychologische Onlineforen sind heute ein guter Ort um diese Erfahrung zu machen, manchmal gibt es regionale Selbsthilfegruppen und enge Freunde können ebenfalls die Empathie aufbringen nachzuvollziehen, dass man ein bestimmtes Problem hat. Die Gemeinschaft derer, die ein bestimmtes Problem teilt, hat den großen Vorteil, dass diese wissen, wie es ist, etwa mit einem an einer Sucht erkrankten Menschen zusammen zu leben, eine soziale Phobie zu leiden oder depressive Phasen zu erleben.

Man muss sich nicht erklären, man fühlt sich vielleicht zum ersten mal angenommen, in einer Gemeinschaft derer, die weiß, wie es ist … .

So erlösend und gewinnbringend das sein kann, diese Münze hat zwei Seiten. So eine Gemeinschaft kann zwei Nachteile haben. Der erste wäre ein Mitglied der Gemeinschaft, das allen anderen erklärt, warum man sich keinerlei Hoffnung auf Heilung oder Besserung zu machen braucht, das sei alles schon probiert worden. Solche Zerstörer können andere Betroffene dadurch in den Keller zieht.

Der andere Punkt ist, dass in einer solche Gemeinschaft die Tendenz besteht, die Probleme und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Ursachen wieder und wieder durchzukauen, so dass man nie zu dem Punkt kommt, das Thema wirklich mal hinter sich zu lassen und für sein Leben damit abzuschließen.

Die Kunst und Chance besteht darin, die guten Seiten zu nutzen und zu merken, wann die Geschichte für mich zu kippen beginnt. Das muss man lernen zu erkennen und die immer größere Selbsterkenntnis ist ein weiterer Punkt, der aber durch all die Facetten hier vergrößert wird. Dennoch ist es auch ein eigener Punkt.

Lernen Sie Ihre Trigger kennen. Lernen Sie sich kennen.

Wer bin ich eigentlich, was will ich eigentlich? Niemand weiß das besser, als man selbst, könnte man denken, doch nicht immer ist das so. Man merkt es in dem Moment, wo man es versucht zu formulieren, wer man ist und was man will. Probleme mit dieser Art der Innenschau können viele Ursachen haben, eine häufige ist die Identitätsdiffusion, aber auch ohne psychologisch naiv zu agieren – indem man die Probleme verkennt oder bagatellisiert – kann man anfangen etwas an dieser Situation zu ändern.

Fragen Sie andere, wie Sie wirken und lernen Sie, Ihre Gedanken auszuformulieren, mündlich oder schriftlich. Beginnen Sie einfach mit dem, was Sie zu fassen kriegen, weitere Assoziationen werden kommen.

Klarer ist es manchmal, wenn man weiß oder lernt, durch welche Situationen man getriggert wird. Man sollte versuchen, diese Situationen zu meiden, wenn sie retraumatisierend sind. Retraumatisierend sind sie, wenn man Flashbacks hat, sich Bilder und Gefühle abrupt aufdrängen und erst einmal nicht stoppen lassen. Das ist wie eine körperliche Wunde, die wieder und wieder aufgeknibbelt sind. Das gehört in psychotherapeutische Hände (in der Regel der Traumatherapie), aber solange kann man versuchen, sich nicht wieder und wieder den Triggern auszusetzen.

Wenn Sie die Situationen nicht meiden können, versuchen Sie zu lernen, damit umzugehen. Der erste Punkt ist dabei die Gedanken mitzunehmen und sich klar zu machen: Es ist nicht hier und es ist nicht jetzt. Hier und jetzt bin ich sicher.

Lernen Sie Ihre Emotionen zu kontrollieren: Es gibt sogenannte Notfallkoffer mit Techniken, die man in dem Fall anwenden kann. Schauen Sie, welche für Sie die besten sind.

Erste Hilfe Maßnahmen trainieren

Die Grundidee hinter all diesen Maßnahmen ist, dass unser Gehirn, unsere Psyche, Bewusstsein oder unsere Aufmerksamkeit, wenn es sich nicht um Routinetätigkeiten handelt, nur auf einen Bereich fokussiert werden kann. Wenn man ein paar mal Angst hatte, schleift sich das Muster immer mehr ein, aber wir können es auch wieder durchbrechen.

Die Angst verengt unser Bewusstsein auf den einen Bereich, das Angstthema und seine Empfindungen, Körperreaktionen, Gefühle und Gedanken. Wir können es weiten und an jedem der Aspekte ansetzen. Bei einsetzender Angst kann man aufspringen und rückwärts laufen. Das erfordert unsere volle Aufmerksamkeit, die Angst braucht aber auch unsere volle Aufmerksamkeit. Vielleicht klappt das nicht, wenn man gerade in den Öffentlichkeit ist aber dann kann man das Bewusstsein weiten.

Länger ausatmen als einatmen und den Blick in die Ferne richten und die Peripherie, den Rand des visuellen Eindrucks., des Gesichtsfeldes wahrnehmen. Die 5,4,3,2,1 Übung machen: Bewusst 5 Gegenstände nacheinander anschauen. Danach 4 verschiedenen Geräuschen lauschen, nacheinander. Danach 3 Körperempfindungen. Dann 2 Gerüche und am Ende 1 Geschmack. Oder eben das, was Sie für sich im Notfallkoffer als passend gefunden haben.

Üben Sie das immer wieder, gerade auch dann, wenn Sie keine Angst haben.

Die Normalität ist ihr Freundin

Wenn Sie in der Lage sind irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen, so ist das wunderbar. Diese sind auf ihre Art sehr erdend, weil sie in die eigene Welt der Arbeit eingeflochten werden. Die erstaunliche Macht der Normalität sollte nicht unterschätzt werden, ist man dort eingebunden, wirkt diese sehr stabilisierend auf das Ich, weil der Alltag einfach verlangt, was er verlangt. Ob Werkbank, Büro, Außendienst, Supermarkt, Krankenhaus oder Bauernhof, alle haben ihr spezifisches Eigenleben.

Der Alltag ist der eine Aspekt, das Außeralltägliche ist das, was unser Leben lebenswert macht. Es sind auf verschiedene Arten hervorgerufene Erfahrungen der Einheit, des Flow. Man kann sie buchstäblich durch Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll evozieren, aber auch durch gemeinschaftliche Tätigkeiten, Singen, Mannschaftssport, Massenereignisse und spirituelle Praktiken. Sie bringen Sinn in unser Leben, weil sie uns Verschmelzungen auf verschiedene Arten erleben lassen.

Diese Verschmelzungen beruhen auf der einen Seite auf Lockerungen der Kontrollfunktionen, durch gesellschaftlich tolerierte, milde Regressionen. Für die Dauer eines Konzerts oder großen Sportereignisses, darf man sich so benehmen, wie man es im Büro nicht tun sollte. Jubeln, weinen, fluchen, grölen, singen, fremde Leute umarmen, all das ist für ein paar Stunden völlig okay und bereits auf der Rückreise verwandelt man sich wieder in den respektablen Mitmenschen, der man vorher auch schon war. Aber wir brauchen diese Ventile, bei denen wir Spannungen abbauen oder transformieren können, wir brauchen als das Gleichgewichte aus erdendem Alltag und außeralltäglichen Verschmelzungen, die das Salz in der Suppe des Lebens sind. Diese Erfahrungen füllen unseren emotionalen Tank mit positiver Energie.

Traumatisierungen und lang anhaltender Stress vermischen diese Bereiche, in für uns unkontrollierbarer Weise oder sorgen dafür, dass wir nur noch in einer der Welten unterwegs sind. Entweder fallen die Verschmelzungen flach, so dass wir Spannungen nicht mehr abbauen können oder antriebslos werden, oder wir sind nur noch in einem emotionalen Ausnahmezustand und können uns nicht mehr erden.

Schaffen sie sich eigene Rituale der Ruhe, in denen sie mehr und mehr selbst bestimmen können, wann sie vom Alltag in die andere Welt umswitchen. Mit jeder Wiederholung klappt das besser.

Rituale der Ruhe und des Schutzes

Durch Rituale der Ruhe können Sie sich einen inneren Raum schaffen, der mit jedem Besuch fester und stabiler wird. Wie Sie ihn ausgestalten, entscheiden Sie selbst, es ist nicht schlecht Elemente der äußeren und inneren Welt zu verbinden. Ein Ritual der Ruhe und des Schutzes sollte in einer äußerlich ungestörten Umgebung stattfinden, in der man sicher ist, für eine gewisse Zeit nicht gestört zu werden.

Man kann bestimmte Farben oder Dunkelheit, Gerüche, unaufdringliche, meditative Musikbegleitung, Kleidungsstücke und Handlungen, etwa, sich bequem hinzulegen kombinieren, möglichst in der immer gleichen Weise, so dass sich irgendwann schon durch die Vorbereitungen Ruhe einstellt.

Wichtiger als die Ausstattung der Außenwelt ist jedoch die der Innenwelt und da können Sie Ihrer Intuition freien lauf lassen. Es ist gut sich körperlich zu entspannen, immer wieder zum Atem zurück zu finden und sich dann einen inneren Ort zu kreieren, in dem man sich wohl und sicher fühlt. Irgendeine Landschaft, Insel, ein Phantasiereich, ein Haus, ein Raum, was immer es sei. Mit oder ohne innere Gefährten, gerade so, wie Ihre Intuition es will. Diesen Ort kann man nun immer genauer erkunden, einrichten und ausschmücken, man kann ihn auch innerlich noch mal über eine Tür, eine Brücke oder wie auch immer betreten und verlassen, so das klar ist, in welcher Welt man sich gerade befindet.

Wenn man sich wohl und sicher fühlt, kann man nach und nach von hier aus die belastenden und problematischen Bereiche seines Lebens anschauen, wie auf einer Leinwand oder als Zuschauer in einem Theater. Es ist zwar Teil der eigenen Innenwelt, aber man ist nur ein wenig verwickelt und immer auch etwas distanziert – Teilnehmer und Beobachter – und dann lässt man den Film oder eine bestimmte Szene laufen, schaut sie an, entspannt sich wieder und lässt sie einfach sein. Sie ist Teil meines Lebens, aber ich kann nun und in Zukunft bestimmten, wann ich mir diese Szenen anschauen und ich kann die Situation auch wieder bewusst verlassen, in die Ruhe und Geborgenheit zurück kehren, zu meinem sicheren Ort, bevor ich auch dieses Ritual wieder beende und in den Alltag eintauche. Ich trenne die Welten und ich bin es immer mehr, die oder der entscheidet, wann sie wieder betreten wird.

Diese Formen der Imagination sind ausgesprochen wirksam, vor allem breiten sie sich mehr und mehr aus und gewinnen jedes mal mehr Kraft, die sich dann irgendwann auch spenden.

Auf einen Reiz fokussieren

Des weiteren ist es hilfreich diese Übungen des Innen und Außen zu verbinden. Überforderung tritt oft dann auf, wenn zu viele Eindrücke auf uns einprasseln und wir das Gefühl haben überflutet zu werden. Manche haben dieses Gefühl häufig und profitieren oft davon, wenn sie die Notfall-Übungen im normalen Alltag vertiefen, indem sie das Knäuel der Wahrnehmungen entheddern.

Oder, wie es damals in Affektkontrolle hieß:

„Die Augen schließen und hören, was es zu hören gibt. Spüren, wie es ist zu gehen. Fühlen, wie der Atem fließt, sonst nichts. Einfach unverwandt in die Ferne blicken und schauen, ohne etwas zu fixieren. Sich hinsetzen und versuchen zu spüren, wie es ist, einfach da zu sitzen. Ankommen und sein Gewicht abgeben. Wind und Sonne auf der Haut spüren.

Es sind sehr einfache Übungen, die hier helfen können. Nicht viele Aktivitäten gleichzeitig, sondern bei einer bleiben. Sich immer wieder bewusste Inseln der Ruhe schaffen. Der Vielzahl der Reize mag man ausgeliefert sein, aber mit der Zeit lernt man immer mehr bei sich, bei einzelnen Empfindungen, zu bleiben. Ebenso lernt man, wie man sich bremst und nicht mehr sofort reagiert, weil zwischen dem Reiz und der Reaktion darauf eine Lücke entsteht, in der das Ich einen Ort zu wachsen findet, so dass man selbst besser entscheiden kann, welchen Affekten man nachgeht und welchen nicht.“[1]

So lernt man seine Empfindungen nach und nach kennen und sie zu unterscheiden.