Mann mit Brille, Kamera und Mikro

Alles im Blick und im Griff? © Tony Webster under cc

Wenn Massenmedien problematisch sind, dann liegt das zu einem großen Teil an ihrer Allgegenwart. „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, schrieb der Soziologe Niklas Luhmann.[1] Das ist ganz sicher etwas übertrieben, aber auf der anderen Seite prägen Massenmedien unser Bild von der Welt, von damals und heute, weit mehr und anders, als wir oft denken.

Geschichte kennen wir, die meisten von uns, natürlich zum einen, aus dem Geschichtsunterricht. Jenes etwas dröge Fach, was viele Kinder nicht interessiert, weil es um trockene Zahlen und Daten geht, Zusammenhänge, zu denen man kaum einen emotionalen Bezug aufbauen kann und zum anderen, aus dem Fernsehprogramm. Ritter und ihre Burgen, Piraten und ihre Seeschlachten, Cowboys und Indianer, Sissi und die prunkvollen Feste, römische Kaiser, ihre Macht und ihre Orgien und die eine oder andere Person von historischem Rang wird uns so vorgestellt und diese Bilder bleiben oft ein Leben lang haften.

Sie sind aber, wenn man sich mal die Mühe macht, sich näher mit den Themen zu beschäftigen, oft falsch, manchmal sogar grob falsch. Einer der Bereiche, in denen das besonders auffällig ist, ist das Mittelalter und was man davon zu wissen glaubt. Hier kann man das nachlesen.

Doch neben den falschen oder einseitigen historischen Fakten gibt es noch einen anderen Bereich, der weniger mit bewussten Lügen oder fahrlässigen Einseitigkeiten zu tun hat, als viel mehr mit subtilen Vorgaben. Das ist nicht zwingend und vermutlich sogar hoch selten von langer Hand geplant. Dahinter steckt nicht die ganz große Verschwörung, im einen oder anderen Fall aber der kurzfristige Vorteil und oftmals sind es Darstellungen, die gar nicht böse gemeint sind, sondern einfach Abbild ihrer Zeit.

Wenn wir heute Bilder aus den 1970ern anschauen, dann sehen wir lange Haare, Schlaghosen, bunte Röcke, grellfarbige Tapeten und gerundete Plastikmöbel. Das kommt uns heute fremd vor, aber die Fremdheit resultiert daraus, das heute ein anderer Standard gilt. Das merken wir nicht, weil alle so sind, es ist die Normalität von heute. In 30 Jahren wird man auch das als merkwürdig empfinden. Was für Mode, Mobilität und Inneneinrichtung gilt, gilt auch für unsere Denkweise.

Auch hier kann es sein, dass wir etwas als vollkommen normal empfinden, was vor 20, 50 oder 100 Jahren völlig abwegig erschien und seltsam finden, was dereinst zum guten Ton gehörte. An sich ist nichts daran problematisch, nur übt die Normalität einen subtilen Druck aus und ermöglicht die Unterscheidung zwischen jemandem, der ist, wie er zu sein hat und jemandem, der abweicht. Das nicht nur bezogen auf die Form der Hose oder Länge der Haare.

Gesinnungswandel

Einige Streiflichter sollen den Gesinnungswandel in der Gesellschaft beleuchten:

  • Heute ist Klimawandelskeptiker ein Begriff, der einen annähernd realitätsverweigernden Menschen abbilden und dadurch diskreditieren soll. Der gesellschaftliche Druck kommt heute jedoch genau aus dem Lager, das die ersten Stimmen, die in den 1970ern vor einer gedankenlosen Ausbeutung der Natur und Folgen für die Umwelt warnten als politisch motivierte Übertreibungen darstellten.
  • Homosexualität ist heute als normale Form der Sexualität anerkannt, war jedoch bis 1973 in Deutschland strafbar, durch den erst 1994 restlos abgeschafften Paragraphen 175. Dafür ist Pädophilie in den Fokus der öffentlichen Erregung gerückt und zum neuen Tabu geworden.
  • Man muss kein Greis sein, um die Zeit noch selbst erlebt zu haben, als es schlicht keinen Computer in Haushalten gab, vom Internet mal ganz zu schweigen. Heute ist eine Existenz ohne Smartphone für manche vollkommen undenkbar und es ist nicht klar, ob das Mediensucht oder neue Kultur ist.
  • Der Wandel der Vaterrolle über die Jahrzehnte ist von uns beschrieben worden und die merkwürdige Vorstellung von Ehre, die wir heute so gar nicht mehr nachvollziehen können, trieben unsere Vorfahren vor gerade mal 100 Jahren in den ersten Weltkrieg, verbunden mit dem Gefühl, dass es eine größere Schmach sei, nicht zu kämpfen, als auf dem Schlachtfeld Gliedmaßen oder sein Leben zu verlieren. Die Reihe ließe sich beliebig erweitern.

Medien bilden das ab. Sie machen weniger Meinungen, als diese zu transportieren und zu verwursten. Einschätzungen und Kommentare sind von dem merkwürdig ungreifbaren Phänomen Zeitgeist natürlich genauso durchdrungen, wie die dauerhafte Anwesenheit eine normative Kraft ist. Dadurch dass etwas so ist, wie es ist, entsteht oft der Eindruck es müsse auch so sein. Das wird auch als „die normative Kraft des Faktischen“ bezeichnet.

Bewusste Einflussnahmen durch Massenmedien

Doch ohne Zweifel gab und gibt es Versuche der Beeinflussung der Bevölkerung von Seiten der Medien oder von politischer Seite durch bestimmte Medien. Es gibt eine nicht genau zu definierende Grenze, vermutlich ist es keine scharfe Linie, sondern eher eine Grauzone, ein schleichender Übergang in dem Medienkritik in Verschwörungsdenken umkippt. Je nach dem, welchem Lager man sich selbst zurechnet, findet man, dass die betroffenen Journalisten entweder zurecht umstritten sind oder zu unrecht am Pranger stehen. Denn wie wir in einigen Artikeln beschrieben haben, gehört auch die systematische Diskreditierung Andersdenkender mittlerweile zum Spiel und in den sozialen Medien finden sie ihr Echo.

Betrachten wir nun drei Phänomene der Einflussnahme, die aufzeigen, wo Massenmedien problematisch sind.

Politische Richtungen

Es gibt aktuell zwei größere Lager, die die politische Einflussnahme durch die Presse betrachten und einschätzen. Da ist zunächst die gewissermaßen klassische Sichtweise, die davon ausgeht, dass es durchaus Interessen und Einflussnahmen auf die und in den Redaktionen gibt, aber wer sich ein wenig in der Presselandschaft auskennt, der kennt auch seine Pappenheimer, kann populäre Presse und Qualitätsjournalismus unterscheiden und auch das politische Lager oder die Strömung erkennen, die hinter einer Zeitung steht, denn „unabhängig“ sind sie offiziell alle. Insgesamt eine unaufgeregte Haltung, die jedoch eigene Kenntnisse verlangt, allerdings auch nicht übermäßig viele, alles noch deutlich im Bereich des Zumutbaren. Die Lösung ist einfach. Man liest und informiert sich quer durch die Medien und so gewinnt man ein kompletteres Bild.

Mehr Dampf und Brisanz bekommt das Thema jedoch durch die neue Sicht auf die Medien. In dieser Interpretation gibt es keine deutlich verschiedenen Lager innerhalb der Presse, sondern hier wird die gesamte Presselandschaft als „gleichgeschaltet“ betrachtet und jeder Medienvertreter ist einer der „Lügenpresse“.

Lügenpresse

So richtig durchgehalten wird diese Sicht freilich nicht. In einer Auswertung der Süddeutschen Zeitung (Onlineausgabe) ergab sich, dass die oft extrem medienkritisch sich gebärdenden Pegidaanhänger gerne Medien konsumieren, verlinken und sich auf diese beziehen. fokus.de und welt.de liegen bei dieser Auswertung vorne.[2]

Warum man ausgerechnet den eigene Quellen den größten Glauben schenkt und mit ihnen oft im schroffen Kontrast zur allgemeinen Kritik und dem großen Misstrauen blindes Vertrauen schenkt, warum die auserwählten Vertreter nicht eigenen oder fremden Interessen folgen, ist ein weiterer Widerspruch, den man zwar verstehen kann, aber als Selbstwiderspruch benennen muss.

Modische Strömungen

Zwei Frauen auf dem Laufsteg

So sollst Du sein. Subtile Beeinflussung durch die immer gleichen Botschaften. © Patrick Raczek under cc

Vielleicht weniger harmlos als man oft meint, ist die unübersehbar große Zahl an Klatschzeitschriften, bei denen klar ist, dass Wahrhaftigkeit und Niveau hier nahezu keine Rolle spielen. Die Welt der Reichen und der Schönen, von Klatsch und Tratsch, der Kochrezepte und neusten Diäten, der Mode und Schminktipps trieft von durchsichtigem Kitsch und Klischee. Gelesen werden sie fast ausschließlich von Frauen, durchaus auch aus gebildeteren Schichten. Das männliche Pendant sind die Sport-, Heimwerker- und Automagazine.

Das Bild was dort für und von Männern und Frauen gezeichnet wird, ist gleichermaßen seicht und primitiv. Gelesen wird es vor allem vermutlich zur Entspannung, um in eine andere Welt abzutauchen, von der man irgendwie weiß, dass es nicht die eigene ist und sein wird, die einen aber manchmal zum Träumen anregt. So weit, so gut. Weniger gut ist, dass sich hier scheinbar ein Idealbild in den Köpfen festsetzt, dass stärker wirkt, als uns lieb sein kann. Gerade wenn es um die optimale Figur geht, kommt man in eine komplexen Strudel stiller und offener Erwartungen von Seiten der Eltern, der Peergroup und den Massenmedien der klassischen Art, sowie den sozialen Medien. Das Robert Koch Institut kommt zu der Einschätzung: „Bei jedem dritten Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren gibt es Hinweise auf eine Essstörung, bei den Jungen sind 13,5 Prozent auffällig.“[3]

Anspruch an ein immer perfekteres Leben und seine Verwurzelung in einem zunehmenden Narzissmus in der Gesellschaft, wurde in diesem Rahmen schon thematisiert. Dass hinter den Beauty- und Lifestyle-Tipps oft ziemliche verachtende Botschaften stecken, bringt dieser Artikel der taz schön auf den Punkt. Die Botschaft lautet auf einen Satz eingedampft: „Du bist hässlich und unvollkommen.“ Doch die Bilder und Botschaften streift frau eben nicht einfach so ab, bei tausendfacher Wiederholung wird dann irgendwann vergessen, dass die hier skizzierte Welt nur eine Scheinwelt ist. Die Lüge ist hier fester Teil der Inszenierung.

Alles für die Quote

Es ist nicht zwingend politische Opportunität oder der große Wunsch die Welt zu lenken, der zu einem realen großen Problem wird, sondern der Wunsch nach Quote. Einschaltquoten, Klickzahlen und der vermeintliche Zwang zur Aktualität sind Gift für guten Journalismus. Dennoch wird dieses Gift in großen Schlucken konsumiert und die Verlockung halbgare und unbestätigte Informationen zu veröffentlichen, einfach damit kein anderer schneller ist, ist riesig.

Der Meinung, dass gerade auch die öffentlich-rechtlichen Medien einen Niveaurutsch durchleben ist auch Wolfgang Herles, der darüber das Buch Die Gefallsüchtigen geschrieben hat und hier zum Thema interviewt wird. Tenor: Es sind keine redaktionellen Vorgaben oder politischen Einflussnahmen, die die Qualität der Presse herabsetzt, sondern die jagt nach Quoten und Klicks, die diesen Trend befördern.

Analog zu den personalisierten Daten mit denen Internetgroßkonzerne arbeiten, um dem Kunden scheinbar entgegenzukommen ist es auch hier. Man richtet sich danach was der Zuschauer sehen und der Leser lesen will und wird damit Teil der Boulevardisierung des Lebens: Emotionalisiertes, Lautsprecherisches, Personalisiertes und Skandalisiertes, das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Wir bekommen, was wir wollen, in kleinen, gut verdaubaren Häppchen. Schonkost ist an sich gut, wenn das Verdauungsorgang erkrankt ist. Aber dass die Eindrücke der Welt zunehmend als süßen Einheitsbrei präsentiert bekommen, ist deutlich weniger als wir verkraften können und ungesund.

Es ist genau diese Seichtheit, die uns dazu bringt, alles auf Personen und ihre scheinbar verbogenen Absichten reduzieren zu müssen und schon dann überfordert zu sein, wenn die Option im Raum steht, dass kein Strippenzieher seine Finger im Spiel hat. Es war wieder der oben erwähnte Niklas Luhmann, der darauf aufmerksam machte, dass unpersönliche Systeme selbst eine Art Eigenleben entwickeln und Individuen lenken können.

Die Wahrheit über die Lügenpresse

So hätte die Überschrift dieses Artikel lauten können, wenn sie zugespitzt und emotionalisiert formuliert gewesen wäre. Im Zuge der allgemeinen Hysterisierung aller möglichen Debatten wird es bereits als Zumutung empfunden, wenn man den Rat gibt, mal auszuatmen und den Ball flach zu halten. Wer nicht binnen Sekunden in den Chor der Übererregten einstimmt, der wird selbst verdächtig. Der hat was zu verbergen. Pauschale Verdächtigungen und allgegenwärtige Aggression werden aber irgendwann zu einem Großbrand, den man bekanntermaßen nicht damit löscht, dass man weiteres Benzin hineinschüttet und Verdächtigungen aus dem tiefen Tal des primitiven Affekte bedient, hektisch nach Schuldigen und jenen sucht, die vermeintlich davon profitieren.

Und unheilige Allianz von Quote und Werbung

Jenseits der öffentlich-rechtlichen Medien, die, das zu erwähnen gebietet die Fairness, keinesfalls nur schlecht sind, sondern immer wieder wunderbare Features, Gespräche, Diskussionen und Reportagen im Programm haben, die ich regelmäßig mit Gewinn vor allem im Radio höre, gibt es jene Medien, Fernsehsender, Blogs, und Angebote, die sich selbst finanzieren müssen. In den Werbepausen merkt man dann schnell, wer die Sendung schaut und welches die Zielgruppe ist. Die jungen Mädchen, die hipp, modisch und sexy zu sein haben. Der dynamisch-sportliche Mann, der erfolgreich aber kumpelhaft seinen Weg geht. Die reife Frau, der die Salbe gegen Gelenkschmerzen und diskrete Einlagen helfen sollen, weiter so zu sein, wie man sie haben will.

Idealerweise kosten solche Sendungen nicht viel und sind ziemlich exakt auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten. Billigformate und passende Zielgruppen helfen der Werbung die richtigen Kunden anzutreffen. Hier ist der Inhalt der Sendung vollkommen nachrangig, Hauptsache man kann nachweisen, dass genügend Leute der relevanten Gruppe eingeschaltet haben, dann ist man attraktiv für die Werbeindustrie und das generiert Einnahmen, die jeder braucht, der nicht nur aus Hobby schreibt und sendet.

Doch das alles ist nichts gegen die subtile Beeinflussung, die viel tiefer geht.

Subtile Beeinflussung 2.0 – Spitzenphilosophie und niveaufreies Fernsehen

Etwas Spitzenphilosophie gefällig? Über unseren Köpfen finden philosophische Diskurse statt, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, nicht etwa, weil sie geheim gehalten würden, sondern weil es nicht gelingt, die oft komplexen Gedanken in 140 Zeichen, oder 90 Sekunden Formate zu pressen. Verfügbar ist das alles. Dass Philosophie zugleich immer populärer wird und man mit Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Thomas Metzinger, Richard David Precht und Markus Gabriel auf einmal wieder Philosophen in den Bestsellerlisten findet ist eine erfreuliche Begebenheit, auch wenn der eine oder andere akademische Philosoph die Nase rümpft.

Jürgen Habermas und Robert Brandom gehören zu den Big Playern in der Philosophie. Auf dem Buchrücken von Brandoms Werk Expressive Vernunft, steht eine Kritik von Habermas, in der er Brandoms Buch als „Meilenstein in der theoretischen Philosophie“ bezeichnet und für Brandom ist Habermas ein philosophischer Held.[4]

Doch dass die beiden einander schätzen, bedeutet nicht, dass sie nicht in einigen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, oder noch genauer, aus unterschiedlichen Lagern kommen. Lauschen wir deshalb, was Habermas zu sagen hat:

„Wie die analytische Tradition insgesamt vernachlässigt Brandom die kognitive Relevanz der Rolle der zweiten Person. Er misst der performativen Einstellung des Sprechers gegenüber einem Adressaten, die für jedes Gespräch konstitutiv ist, kein Gewicht bei und begreift die pragmatische Beziehung von Frage und Antwort nicht eigentlich als dialogischen Austausch. Dieser Objektivismus verrät sich beispielsweise bei der Behandlung des Problems, wie der methodischen „Vorrang des Sozialen“ gewahrt werden kann, ohne dem Konsens der Sprachgemeinschaft in Fragen der epistemischen Geltung das letzte Wort zu überlassen. Brandom stellt dem kollektivistischen Bild einer Autorität gebietenden Sprachgemeinschaft das individualistischen Bild paarweise vereinzelter Beziehungen gegenüber. Je zwei einzelne Subjekte schreiben sich gegenseitig „commitments“ zu und sprechen einander „entitlements“ zu oder ab. Jede Seite bildet ihr Urteil monologisch, nämlich so, dass sich keiner „mit“ dem jeweils anderen in der intersubjektiven Anerkennung eines Geltungsanspruchs „treffen“ kann. Brandom spricht zwar von „Ich-Du-Beziehungen“, tatsächlich konstruiert er diese aber als Beziehung zwischen einer ersten Person, die sich auf die Wahrheit einer Aussage festlegt, und einer dritten Person, die der anderen – unter Vorbehalt einer eigenen Beurteilung – einen Wahrheitsanspruch zuschreibt. Der für die ganze Diskurspraxis grundlegende Akt des Zuschreibens vergegenständlicht die zweite Person zu einem beobachtbaren Dritten. Es ist kein Zufall, dass Brandom den Interpreten vorzugsweise mit einem Publikum gleichsetzt, das die Äußerungen eines beobachtbaren Sprechers beurteilt – und nicht mit einem Adressaten, von dem der Sprecher erwartet, dass er ihm eine Antwort gibt. Weil er die Möglichkeiten einer dialogischen Einstellung gegenüber zweiten Personen gar nicht erst in Betracht zieht, sieht Brandom sich am Ende genötigt, den internen Zusammenhang von Objektivität und Intersubjektivität, zugunsten eines „Vorrangs des Objektiven“ aufzulösen. Die epistemische Unabhängigkeit von der kollektiven Autorität der jeweiligen Sprachgemeinschaft scheint der einzelne nicht anders als durch einen monologischen Abstand sichern zu können. Diese individualistischen Beschreibung verfehlt die Pointe der sprachlichen Verständigung.“[5]

Was hat das mit unserem Thema „Wenn Massenmedien problematisch sind“ zu tun? Habermas sagt hier, dass dass Wesentliche einer Begegnung zwischen zwei Menschen tatsächliche ihre Begegnung ist. Hier werden neue Impulse gesetzt, neue Wege geebnet, neue Einsichten gewonnen, im besten Fall, nämlich in dem, wenn die Begegnung, der Austausch, das sich aufeinander Einlassen, das horizonterweiternde Verstehen des anderen tatsächlich stattfindet.

Seine Kritik an Brandom ist hier, dass dieser eine Situation beschreibt in der das gerade nicht der Fall ist. In Brandoms Ansatz begegnen sich nicht zwei Menschen, sondern sie bewerten einander, schreiben einander Eigenschaften zu und rastern den anderen ab. Die Frage ist, ob diese Ansätze des Aufstellens von Behauptungen über den anderen und der Möglichkeit des anderen, darauf zu reagieren und Habermas‘ Vision eines Diskurses, der sich so gut es geht auf den anderen einlässt, sich nicht begegnen können, aber wichtiger ist, dass wir die Kritik von Habermas tatsächlich verstehen.

Stell Dir vor, es wird eklig und keiner merkt es

Kandidaten von DSDS

DSDS, eine beliebte Show mit manchmal fragwürdigem Inhalt. © Rafa News under cc

Weite Teile der privaten Fernsehlandschaft sind dadurch geprägt, dass man den anderen wie einen Tanzbären, der Kunststücke vorführt, anglotzt und dessen Performance danach bewertet, wie es früher nur die „Kampfrichter“ beim Eiskunstlauf taten. Wettkampf und Bewertungen aller Orten. Das begann mit DSDS, das seinen Reiz vermutlich weniger aus dem Interesse an den künstlerischen Darbietungen der Gecasteten bezog, als viel mehr aus den mitunter schwer entwertenden Kommentaren der Jury. Da sitzen Leute über andere Gericht. Nun gut, wer’s braucht, kann man sagen und damit die Sache auf sich beruhen lassen. Doch dieses Format der wechselseitigen Bewertung greift immer weiter um sich, nicht nur von den Gesangsacts auf das Modelcasting, es gibt in der private Fernsehlandschaft so gut wie keinen Lebensbereich mehr, bei dem nicht Noten von 1 bis 10 vergeben und ausführlich kommentiert werden. Und wer sich dumm anstellt, wird schlecht benotet, abgewatscht und hat das dann auch verdient, so meinen manche. Ob man andere bekocht, heiratet oder wie man supertoll einkauft, kein Lebensthema ist privat oder abseitig genug, als dass es nicht in aller Öffentlichkeit vorgeführt und benotet wird.

Das Leben als Bühne, das Private wird öffentlich und es schleicht sich das Gefühl ein, unter ständiger Beobachtung und Bewertung zu stehen. Eine lebenslang ausgedehnte Schulzeit mit Noten und Klassenbucheinträgen. Voyeurismus und Exhibitionismus als Lebensmodell. Wie kann man das ertragen oder auch noch mögen? Es gibt zwei Antworten.

Zum einen ist da immer das Element der Entlastung. Da gibt es welche denen geht es noch schlimmer. So dämlich stell ich mich ja nicht an. Doch die Befreiung und der Triumph ist nur kurz, denn der kritisch bewertende Blick, mit dem man auf den anderen herabblickt, ist jener, dem man sich selbst ausgesetzt fühlt. Soll heißen, auch man selbst fühlt sich bewertet und auf einer Bühne. Doch es kann sein, dass man das vollkommen normal findet. Und das ist vor allem bei narzisstischer Pathologie der Fall. Alles was man macht, jede Geste, jede Lebensregung von einem selbst scheint wichtig und wert beachtet zu werden. Was man zum Mittag isst, ob man in einer Kneipe zum Klo geht oder im Supermarkt einkauft – alles ist bedeutsam genug, für die Nachwelt festgehalten zu werden und man ist der Überzeugung, alle Augen wären auf einen gerichtet. Das kann sogar manchmal sein, wenn man entsprechend auffällig auftritt oder gekleidet ist oder aus Angst sich linkisch zu verhalten, dann tatsächlich so verhält. Die einen genießen das, andere verkrampfen dabei.

Was hat es damit zu tun, ob Massenmedien problematisch sind? Der Trend, jeder Facette der eigenen Existenz eine immense Bedeutung zuzuschreiben ist vor allem durch die sozialen Medien kräftig verstärkt worden. Es ist nicht klar, ob die sozialen Medien nur Verstärker oder auch Auslöser sind, doch wir leben zum ersten Mal in einer Zeit, in der jeder Privatmensch so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, wie es sonst nur Showstars oder Angehörige von Königshäusern konnten. Wer will, kann sein ganzes Leben veröffentlichen und kein Lebensbereich ist ausgenommen: Essen, Sex, Urlaub, Freizeitaktivitäten, Meinungen zu jedem Thema. Es muss nur interessieren und da die Konkurrenz inzwischen groß ist, muss das, was man anzubieten hat immer greller, lauter, krasser werden. Wie Selfies, die oft unter lebensgefährlichen Bedingungen gemacht werden, als Frau wirkt man oft, indem man süß, sexy und mitunter pornographisch daherkommt oder sich eine andere besondere Nische sucht, wie Schminktipps, die dann auf einmal auch bei YouTube populär werden.

Liken, klicken und bewerten

Frau  mit Kugel mit Antennen als Kopf

Wenn die eigene Welt nur noch medial vermittelt existiert, sind Massenmedien problematisch. © quatro.sinko under cc

Wenn ich jemanden bewerte, dann tue ich das stets vor dem Hintergrund einer inneren Skala, einer Hierarchie anhand derer ich überhaupt beurteilen kann, wie jemand seine Sache gemacht hat. Nicht diese innere Werteskala ist das Problem, denn die brauchen wir sogar, sie ist ungeheuer wichtig. Interessant ist, anhand welcher Kriterien man die anderen bewertet. Wann ist jemand interessant, wann, nicht mal der Rede wert? Wenn ist eine Performance, eine Aufgabe, ja sogar ein Leben gelungen, wann missraten? Was sind meine Kriterien, durch welche Brille sehe ich die anderen? Sich das klar zu machen, ist sehr wichtig, aber weniger wegen der anderen. Die nehmen meine Bewertungskriterien vielleicht ernst, aber möglicherweise ist es ihnen auf vollkommen schnuppe. Wer genügend Ich-Stärke hat, weiß, dass man es im Leben nicht allen recht machen kann und hat auch gar nicht den Anspruch, das zu tun. Das muss man wieder unterscheiden, von demonstrativer, kalter Entwertung, bei der einem das Urteil des anderen sowas von egal ist und der Zurückweisung von unbegründeter Kritik. Der normale Umgang mit Kritik ist der, dass man sie prüft und schaut, ob sie auf die Sache beschränkt und begründet ist, oder die ganze Person angreift. Sachlich begründet ist Kritik ein Akt der Freundschaft und konstruktiv, schießt sie übers Ziel ist sie destruktiv.

Die Bewertungskriterien verweisen auf mein Weltbild, sie sind ja ein Teil davon. Wenn ich sage, wer wie zu sein hat und ob jemand dem entsprochen hat oder nicht, drücke ich damit mein Weltbild aus. Dieses Weltbild ist es auch, was ich anderen in die Schuhe schiebe, ich denke, dass diese mich genau so bewerten, wie ich die anderen bewerte. Wenn mein Blick kalt und streng ist, erlebe ich mich ebenfalls in einer kalten und strengen Welt. Wenn ich jemandem seinen Fehler genüsslich aufs Butterbrot schmiere, bin ich am Boden zerstört, wenn ich eigene Fehler mache.

Doch die heutige Kritik ist eine, die oft gar nicht mehr in einen Dialog eintritt. Wenn äußerlich die Tafel mit leider nur 6 Punkten hochgehalten wird, dann ist das noch erfrischend offen, problematischer ist, wenn wir das innerlich auch tun und mit dem Lebensgefühl der ständigen Benotung und des benotet Werdens durch die Welt gehen. Ein nicht unbedeutender Teil der Billigformate der privaten Fernsehlandschaft bedient genau dieses Muster. Wer äußerlich oder innerlich Noten verteilt, der ist aus dem Dialog schon so gut wie ausgestiegen. Dessen Leben schrumpft zusammen, auf einen unausgesetzten Monolog, auch dann, wenn sich zwei Subjekte gegenüberstehen, die sich wechselseitig bewerten und auch noch erklären, warum diese Hose gar nicht geht, das Fleisch zu dunkel gebraten war oder das Hochzeitskleid zu spießig. Wer benotet, hat sein Urteil gesprochen und kommt mit dem anderen gar nicht mehr in einen echten Dialog. Das ist es, was Habermas oben kritisiert und das ist das Bild und damit auch die Lebensart, die wir nach und nach verinnerlichen, transportiert und verstärkt durch die Massenmedien.

Aus psychologischer Sicht ist dieser hintergründige Effekt viel gefährlicher als die eher vordergründige Sorge belogen zu werden. Dann schaut man eben an anderer Stelle nach, die Angebote sind reicher denn je, auch die medienkritischen. Doch das Klima eines grundsätzlichen und zu weit reichenden Misstrauens (zur Differenzierung: hier), dass die doch alle lügen und jeder nur an seinen Vorteil denkt, wird aus derselben Quelle gespeist. Der kalte und instrumentelle Blick, der den anderen nur noch Mittel zum Zweck sein lässt, jemand, den ich benote, über den ich urteile, zu dem ich aber nicht mehr durchdringe.

Wie begegnen wir einander wieder?

Brandoms Darstellung ist nicht die eines Spinners, sondern, wie erwähnt, eines Spitzenphilosophen. Der Kern von Habermas‘ Kritik ist dieser: „Je zwei einzelne Subjekte schreiben sich gegenseitig „commitments“ zu und sprechen einander „entitlements“ zu oder ab. Jede Seite bildet ihr Urteil monologisch, nämlich so, dass sich keiner „mit“ dem jeweils anderen in der intersubjektiven Anerkennung eines Geltungsanspruchs „treffen“ kann.“(ebd. S.81) Der Aspekt der wechselseitigen Bewertung, des sich Zuschreibens von Verpflichtungen und Berechtigungen, was aber letztlich nur eine ausgedehnte Variante des Beurteilens ist. Das ist nicht unüberbrückbar weit entfernt, von einer intersubjektiven Begegnung, wenn es uns gelingt, den anderen nicht dauernd auf Distanz zu halten und damit eine Asymmetrie der Kommunikation, ein Lehrer/Schüler-Verhältnis zu überwinden.

Wie begegnen wir uns wieder? Wir können und sollten dem anderen zu gegebener Zeit schon unsere Sicht der Dinge, taktvoll aber klar, unterbreiten, aber das ist nicht das Ende der Geschichte, sondern nur die Ouvertüre. Nun sollten wir dem anderen Raum geben, vor allem in uns, um uns seine Sicht und darüber hinaus sein Weltbild zu unterbreiten. Wenn man einzig und allein auf seiner Persperktive beharrt und dem anderen – gleich wie geduldig – erklärt, was er falsch gemacht hat, hält man ihn wieder auf Distanz, weil man ihm sagt: Deine Gesamtsicht interessiert mich nicht, übernimm bitte meine. Wichtig wäre der Versuch, den anderen erzählen zu lassen, ihm zuzuhören und den Versuch zu unternehmen, ihn so gut zu verstehen, wie es eben geht.

Der Lohn ist nicht nur eine bessere Kommunikation, sondern die Möglichkeit zu einer erweiterten Sicht auf die Welt, sondern zu einem Ausbruch aus dem monologischen Gefängnis, das den Kontakt zur Welt verloren hat und sich nur noch in narzisstischer Selbstdarstellung ergeht. Es ist längst bekannt, dass Narzissmus ein Notprogramm ist, das den eigenen Selbsthass kompensieren soll. Dieser Selbsthass ist die Folge einer dauernd erlebten Entwertung und viele Massenmedien transportieren dieses entwertende Muster. Das ist in der Tat ein Problem, bis hinein in die sogenannten Qualitätsmedien.

Der Tragödie letzter Teil

Schlimmer geht es nimmer? Doch. Das Internet war mal konzipiert als herrschaftsfreier Raum, in dem nur die Nachricht zählen sollte, sonst nichts. Längst sind wir meilenweit davon entfernt. Nachdem schnell klar, wurde, dass selbst zu bildarmen Zeiten Emotionen im Internet eine große Rolle spielten, ist der Trend zur Selbstdarstellung heute allgegenwärtig. Auf YouTube tummeln sich bevorzugt die 12 – 29 Jährigen, und Facebook hat seinen Schwerpunkt eher bei den um die 30-Jährigen. Die Rolle von Facebook als „hatebook“ oder „hassbook“ ist inzwischen bekannt und der Großkonzern versucht etwas daran zu ändern, auf YouTube ist die Selbstdarstellung per Video fester Bestandteil, wie das Deutschlandradio Kultur in Wirtschaftsmacht YouTube darstellt.

Dass Massenmedien problematisch sind, zeigt sich auch hier und vielleicht vor allem hier. Doch kein Trend ohne Gegenbewegung und so ist festzustellen, dass bereits erste Jugendliche im Alter von 14 oder 15 Jahren online-müde werden und die Limitierungen einer Dauerreichbarkeit spüren. Denn die vermeintliche Freiheit maßgeschneiderter Angebot kippt irgendwann in ihr Gegenteil wie wir hier näher erläuterten.

Es tut sich was

Doch auch die Medien selbst haben in Teilen erkannt, dass sich etwas ändern muss. Der konstruktive Journalismus ist Teil einer solchen Antwort. Medienkritik wie sie etwa hier versucht wird ist ein weiteres Element und es ist gut, dass es diese und andere Ansätze gibt. Auch sie können sich natürlich in Nischen vergraben und wie immer gibt es auch hier eine Gefahr, nämlich die zu großer Selbstreferentialität. Wer über Medien schreibt, sieht die Welt im äußersten Fall nur noch durch die Brille der Medien und bestätigt damit, das Statement von Luhmann, auf das wir ganz am Anfang verwiesen haben. Die exzessive Beschäftigung verkennt, dass die Rolle der Massenmedien oft gar nicht so prägend und dominant ist, wie man befürchtet. Zumindest sollte man seinen Mitmenschen Reflexionsvermögen zutrauen und irgendwann mal den unseligen Trend hinter sich lassen, der Masse oder der schweigenden Mehrheit zu misstrauen. Man muss die Menschen nicht lebenslang erziehen, es reicht oft, sie zu informieren und darauf zu vertrauen, dass sie sich ihr eigenes Urteil bilden. Man sollte geduldig erklären und den eigenen Standpunkt erläutern, aber man kann nicht darauf bestehen, dass andere dann sofort freudestrahlend den eigenen Standpunkt übernehmen. Wozu auch, schließlich ist man selbst zuweilen auch im Irrtum und wer meint ihm passiere das nicht, ist vielleicht längst selbst Opfer der eigenen Selbstgefälligkeit geworden. Auch kluge Menschen irren sich zuweilen und stehen nicht außerhalb der Kritik, mitunter sind gerade sie es, denen man das öfter erklären muss.

Quellen:

  • [1] Nikals Luhmann, zitiert in: http://www.bpb.de/izpb/7488/editorial
  • [2] https://www.sueddeutsche.de/politik/facebook-auswertung-das-gefaehrliche-weltbild-von-pegida-1.2835993
  • [3] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
  • [4] Robert B. Brandom, https://www.argumenta.org/article/towards-reconciling-two-heroes-habermas-and-hegel/
  • [5] Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S.81