Die Idee, dass es egoistische Systeme gibt, begleitet uns auf Schritt und Tritt. Meistens wird das Thema gesellschaftspolitisch behandelt, in der Lesart egoistischer und abgehobener Kräfte in der Poltik, der Wirtschaft oder bestimmten Lobbygruppen gibt, die einzig ein Interesse daran haben, ihre Ideen, mehr oder minder rücksichtslos durchzusetzen.
Doch auch im Kontext von Biologie, Soziologie, Philosophie und Psychologie begegnet uns egoistischen Systeme, wenngleich die Auseinandersetzungen dort oft nicht weniger polemisch und leidenschaftlich geführt werden.
Egoistische Gene
Der Begriff der egoistischen Gene („selfish genes“) wurde von dem englischen Biologen Richard Dawkins popularisiert. Gegen die Deutung, aus dem Konzept folge, der Mensch sei aufgrund seiner egoistischen genetischen Ausstattung zwingend ein Egoist hat sich Dawkins verwahrt, zum Teil zurecht, wir gehen in Egoismus(2) näher darauf ein. Als reizvoll wird jedoch die Idee angesehen, dass alles Leben einer egoistischen Grundkraft folgen könnte, anhand derer man elegant auch die Kooperation der Wesen erklären kann.
Für uns ist jedoch entscheidender, dass man durch die Theorie der egoistischen Gene von der Idee der Arterhaltung in der Evolution abrückte. Doch noch etwas anderes schien neu. Denn es ging nun um eine neue Größe, denn im Fokus stand nicht alein die Frage, Individuum oder Art, sondern der Egoismus der Gene.
Aber können Gene egoistisch sein, ihre Interessen durchsetzen wollen? Schwierig, denn wollen können im Grunde nur intentionale Wesen etwas und ob Gene Absichten haben ist mehr als fraglich. Mit diesem Egoismus ist die erfolgreiche Weitergabe von Informationen gemeint. Leben ist in der Biologie noch immer nicht abschließend definiert, doch die erfolgreiche Weitergabe von Informationen ist eine wesentlicher Teil von Leben und biologischer Fitness.
Interessant und eigentlich herausfordernd ist, dass der Mensch, das einzelene bewusste Individuum, dabei gar nicht mehr so sehr als autonomes Wesen erscheint, sondern im Grunde nur ein Container, ein Transportmittel für die Gene ist. Sie sind die eigentlichen Hauptakteure des Spiels und nicht das Individuum, das sich eigentlich auf einer Dienstbotenrolle reduziert sieht. Das Individuum hat seine Schuldigkeit getan, wenn es seine Gene weitergeegben hat oder seinen Mangel an biologischer Fitness bewiesen, wenn es sich nicht fortgepflanzt hat. Das es Menschen gibt, die bewusst auf Nachkommen verzichten, ist in diesem Konzept nicht vorgesehen und nur ein Beweis für eine Mangel an biologischer Fitness.
Diese Argumentation ist erstens, zirkulär und zweitens, fragwürdig.
Wenn die bloße Replikation von Informationen das Kriterium für Erfolg sein soll, was ist dann mit der kinderlosen Schriftstellerin, deren Ideen vielleicht ein Millionenpublikum erreichen, bewegen und sich in ihnen als Idee fortpflanzen? Dass die Weitergabe von Information nicht allein auf genetischem Weg erfolgen muss, ist auch Dawkins aufgegangen und er prägte den Begriffe der Meme.
Meme
Meme sind auf den einfachsten Nenner gebracht gedankliche Einheiten die weitergegeben werden, also sich fortpflanzen können und sollen ein begriffliches Äquivalent zum Gen darstellen. Diese Einheiten könne kurze Sätze, Verhaltensmuster, aber auch komplexe Theorien und Weltbilder. Die Unklarheit macht den Begriff nach wie vor wissenschaftlich umstritten, aber klar ist, dass Informationen sich nicht nur genetisch fortpflanzen. Nicht nur die kinderlose Schriftstellerin, auch Politiker, Philosophen, Wissenschaftler, Künstler oder andere gesellschaftlich bedeutende Menschen können alternativ, konträr oder zusätzlich zur biologischen Fortpflanzung noch ganz anders Ideen weitergeben, über Bücher, Ansprache, Lieder und dergleichen.
Sprache und Kommunikation als egoistische Systeme
Die Idee ist plausibel und deshalb auch keinesfalls neu. Unter anderem Namen als Mem kursiert zentral in den Ideen des Systemtheoretikers Niklas Luhmann und des Philosophen Martin Heidegger. In Luhmanns eigenwilliger Terminologie drückt sich der uns nun schon bekannte Gedanke aus, dass der Mensch nicht der eigentliche Akteur ist, der kommuniziert, sondern, dass die Kommunikation kommuniziert.
Sehr ähnlich lautend formulierte Heidegger, dass die „Sprache spricht, nicht der Mensch“. In beiden Fällen ist die Idee gemeint, dass man nicht einfach irgendwie kommunizieren kann, sondern es dafür bestimmter Formen bedarf und Sprache oder die tradierte Art der sozialen Systeme setzt diesen Rahmen, der Mensch ist darauf angewiesen zu entsprechen.
Wie eben bei den Genen, ist der Mensch auch hier eher ein Mittel zum Zweck, nämlich die Sprache oder anderer Traditionen weiterzuführen. Systeme haben immer ein gewisses Eigenleben und „wollen“ sich selbst erhalten. Der Mensch ist in ihren Bann gezogen, muss sich den Formen, Normen und Vorgaben dieser Systeme anpassen. Wieder gibt es egoistische Systeme, die uns ein Stück weit prägen, uns Grenzen setzen, konträr zum herkömmlichen Gedanken, dass wir es sind, die die Sprache irgendwie erfunden haben und sie als unser Hilfsmittel benutzen. Im letztgenannten Fall dient die Sprache uns, doch im Falle von Luhmann und Heidegger dienen wir der Sprache und der Kommunikation, ein ungewöhnlicher Gedankengang, aber einer, der nicht von der Hand zu weisen ist.
Und so sind neben Sprache auch die damit zusammenhängenden Normen und Praktiken vorstellbar, denen wir dienen, seien es solche der Wirtschaft, des Rechts, der Arbeitswelt, des sozialen Miteinanders und anderen Formen und egoistischen Systemen, die zu der Ebene der Biologie noch dazukommen. Doch damit ist da Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.
Teme
Die in Psychologie und Physiologie graduierte Forscherin und Autorin Susan Blackmore, erweitert den Gedanken der egoistischen Gene und Meme noch um den der Teme.
Teme sind „technische Meme“. Das heißt, technische Einheiten oder Systeme, die sich kopieren lassen oder dereinst selbst kopieren. Egoistische Systeme, die die, wie Gene und Meme uns dabei als Vehikel benutzen. Tun wir nicht oft schon, was die Technik will? Ist unser erster Griff morgens nicht oft der, zum Smartphone? Was, wenn die Replikatoren uns irgendwann nicht mehr brauchen?, fragt Blackmore. Teme klingen gruseliger, doch am Prinzip ändert sich nichts, wie schon gesehen und erkannt, sind wir hier wieder nur die Dienstboten im Spiel, dessen Regeln wir nicht geschrieben haben. Transhumanisten gehen davon aus, dass wir weiter die Nutznießer des Spiels sind, Susan Blackmore sieht das kritischer. Wer sie ausführlicher zum Thema hören will, kann das hier tun.
Sexualität als egoistisches System
Zurück zur Psychologie. Auch hier finden das Prinzip, an prominenter Stelle bereits bei Freud. Auch er sieht „zwei Auffassungen des Verhältnisses von Ich und Sexualität wie gleichberechtigt nebeneinander stehen“[1] und fährt, ganz im Sinne unserer Idee, fort:
[2]Die eine, nach welcher das Individuum die Hauptsache ist, das die Sexualität als eine seiner Bestätigungen, die Sexualbefriedigung als eines seiner Bedürfnisse wertet, und eine andere, derzufolge das Individuum ein zeitweiliger und vergänglicher Anhang an das quasi unsterbliche Keimplasma ist, welches ihm von der Generation anvertraut wurde
Der Mensch scheint nicht nur von egoistischen Systemen umzingelt zu sein, sondern sogar selbst aus ihnen zu bestehen. Auch Freud sah es so und wenig Spielraum für „das arme Ich“. Führt das zwingend zum Egoismus?
Quellen:
- [1] Sigmund Freud, Triebe und Triebschicksale, 1915, Gesammelte Werke Band 10, S. 217, zit. in: Rainer Krause, Allgemeine psychodynamische Behandlungs- und Krankheitslehre. Grundlagen und Modelle, 2., vollständig überarbeitete Auflage, Kohlhammer 2012, S. 174
- [2 ]Sigmund Freud, Triebe und Triebschicksale, 1915, Gesammelte Werke Band 10, S. 217f, zit. in: Rainer Krause, Allgemeine psychodynamische Behandlungs- und Krankheitslehre. Grundlagen und Modelle, 2., vollständig überarbeitete Auflage, Kohlhammer 2012, S. 174