Die einen urteilen abfällig darüber. Für die anderen bietet es eine langersehnte Erklärung ihrer chronischen Erschöpfungszustände. Wieder andere halten es für ein gesellschaftskritisches Phänomen unserer Zeit. Burnout ist gefangen: irgendwo zwischen Diagnostikstreitigkeiten um eine rechtmäßig anerkannte psychische Erkrankung und Sozialdarwinismus à la »nur die Starken können in den Vorläufern der Arbeitswelt 4.0 bestehen«. Die Fehde ist wissenschaftlich und sozialpolitisch entbrannt. Wem das alles nicht hilft? Den Betroffenen.

Burnout: Wer und wie viele?

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Burnout: Psychische Erkrankung oder systemisches Problem unserer Zeit? © darkday under cc

Da Burnout als psychische Erkrankung diskutabel ist, fällt es umso schwerer, die Prävalenz auszumachen. Dementsprechend schwanken die Häufigkeiten der Betroffenen, je nachdem, welche Maßstäbe man anlegt. Berücksichtigt werden muss darüber hinaus die Abgrenzung zur Depression. Die Weltgesundheitsorganisation ordnet in der »International Classification of Disorders«, dem internationalen psychiatrischen Klassifikationssystem, Burnout nicht als Erkrankung sondern als Zustandsbild (Z73) ein, als »Zustand der körperlichen Erschöpfung«.

Gemäß der Erfassung der Lebenszeitprävalenz des »Burnout-Syndroms« seitens des Robert-Koch-Instituts liegt die Häufigkeit circa zwischen 5-8 %, einmal im Leben an einem Burnout-Syndrom zu erkranken bzw. derart »klinisch eingeordnet« zu werden. Frauen scheinen geringfügig häufiger »diagnostiziert zu werden« als Männer, was durchaus auch daran liegen könnte, dass sie eher über diese Problematik mit einem Arzt sprechen würden, wohingegen Männer ein berufliches Nichtbestehen vor sich selbst wahrscheinlicher als Schwäche auslegen.

An Erkrankungs-Peaks können die Lebensjahre zwischen 30 und 59 ausgemacht werden.
Tendenziell zeigen die vom Robert-Koch-Institut ermittelten Häufigkeiten für das Auftreten eines Burnout-Syndroms eine leichte Verschiebung in Richtung Betroffener mit höherem sozialen Status. Demgegenüber scheint die Depression mit einem häufigeren Vorkommen bei Personen mit niedrigerem sozialen Status einherzugehen. Eine wesentliche Abgrenzung, welche ursächlich möglicherweise für zu hohen Leistungsdruck und zu starke Arbeitsbelastung spräche.

Burnout = psychische Erkrankung? Stigma vs. Abschwächung

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Viele Burnout-Betroffene sehnen sich nach Ruhe. Doch Abschalten ist schwerer als gedacht. © Aparthotel Arabella**** – Nauders under cc

Natürlich ist aus klinischen, gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Gründen ein sorgfältig geführter Diskurs zur eventuellen psychiatrischen Klassifikation von Burnout sinnvoll. Jedoch ist der Grad ein schmaler zwischen der Gefahr einer Stigmatisierung der Betroffenen und der Abschwächung ihrer Leiden.
Unabhängig davon, ob es sich um eine psychische Erkrankung handelt oder nicht: Was den Betroffenen hilft, ist eine speziell für sie zugeschnittene Interventionsstrategie. Der Fokus liegt hierbei nicht nur auf Coping zur Bewältigung zukünftiger Arbeitsaufgaben, sondern auch bei zusätzlichen Stressbewältigungsmaßnahmen wie Sport, Entspannungstechniken oder Wellness. Selbstverständlich betrifft Burnout die Erkrankten nicht nur persönlich. Nein. Im wirtschaftspolitischen Kontext sollten ebenso die Umstände hinterfragt werden, denn die Burnout-Patienten scheinen auch Symptomträger zu sein. Sieht man Burnout als individuelle Angelegenheit, macht man es sich allzu leicht. Womöglich gestaltet sich das Problem größer als gedacht.

Alles eine Frage der Formulierung?

Dass Burnout nicht »bloß« eine mögliche psychische Erkrankung, stattdessen ein gesellschaftliches Problem ist, welches angegangen werden muss, zeigen folgende Häufigkeiten. Laut dem Robert-Koch-Institut geben etwa 17 % der erwerbstätigen Männer und Frauen an, ihre Gesundheit könne durch ihre Berufstätigkeit stark beziehungsweise sehr stark gefährdet sein. Das wäre gut jeder Sechste. Ein gesellschaftlicher Zustand, der durchaus Beachtung verdient.
Während der Anteil der Frauen bei den Burnout-Patienten höher ist, zeichnet sich in dieser (anonymeren) RKI-Umfrage ein anderes Bild: Nun sind es vor allem die Männer, welche signifikant häufiger ihre Gesundheit als durch die Arbeit gefährdet einschätzen (20 % bei den Männern versus 14 % bei den Frauen). Kommt es also darauf an, wie man die Frage formuliert? Ist Burnout eher weiblich; berufliche Belastung mit Kompensationsmaßnahmen wie Rauchen/Trinken eher männlich? Deutlich wird vor allem eines: die Angst vor einer möglichen Stigmatisierung durch Burnout.

Herausforderung für Organisationsentwicklung

Uhr mit Chronographen Breitling

Chronisches Erschöpfungssyndrom: Die Zeit als Taktgeber unseres Lebens © ToddonFlickr under cc

In ihren Arbeitszeitreporten stellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin heraus, dass offenbar jeder vierte Beschäftigte keine Pause zu machen scheint. Manche schaffen es einfach nicht, haben keine Lust oder ziehen es vor, ihre Arbeitszeit nach hinten raus zu verkürzen. Zudem berichten etwa 43 % der Beschäftigten, auch am Wochenende zu arbeiten. Der Ankündigungszeitraum für Änderungen der Arbeitszeit habe sich außerdem verkürzt. Die Handlungsspielräume bei der individuellen Gestaltung der Arbeit haben sich im Gegensatz dazu, zumindest in besser bezahlten Arbeitsbereichen, erhöht. Doch genau darin kann die Schwierigkeit liegen: Berufliche Flexibilität scheint zu einer individuellen (und auch ideellen) Facette geworden zu sein. Die Freiheit, sich selbst zu knechten, läge damit nicht mehr fern.

So einige Organisationen haben das Risiko von Burnout als eine mögliche psychische Erkrankung und folglich als ganzheitlichen Kostenfaktor erkannt und zeigen sich bemüht, ein ausgewogeneres Verhältnis von Arbeit und Freizeit zu schaffen. Doch was ist, wenn die Mitarbeiter vor dem Chef beziehungsweise vor eventuell im Unternehmen arbeitenden Organisationspsychologen ihre Belastung am Arbeitsplatz abschwächen, aus Angst, nicht genügen zu können? Der Weg ist noch weit hin zu einem wirklichen Gleichgewicht: der Verinnerlichung, dass andauernde wahrgenommene Belastung eher als Chance zur Optimierung der Arbeitsabläufe in einer Organisation und nicht als persönliche Schwäche ausgelegt wird – sowohl seitens der Unternehmer, als auch seitens der Gesellschaft, und allem voran seitens der Menschen, welche stets Gefahr laufen, soziale Vergleiche als Maßgabe zur Selbstaufwertung heranzuziehen.