Zeitschriften als Negativbild

Ist die mediale Berichterstattung das Negativ der Realität? © quapan under cc

Ist der Vorwurf, dass es eine Lügenpresse gibt gerechtfertigt oder sind wir eine verlogene Gesellschaft? Der Versuch einer Einordnung.

Seit Monaten geistert der Begriff der Lügenpresse durch die sozialen und andere Medien und hat für Wirbel, Empörung und Verstörung gesorgt. Was ist das psychologische Motiv hinter diesen Vorwürfen? Im ersten Teil wird es dabei um die Rolle der Gesellschaft selbst gehen, um zweiten um die der Medien, ihrer versteckten und offenen Botschaften.

Der Vorwurf

Der Vorwurf lautet kurz gesagt, dass es in der Presselandschaft, vor allem in den sogenannten Leitmedien, eine verzerrte Darstellung einiger Themen gibt. Es wird nicht wertfrei berichtet, was ist, sondern es wird eine bestimmte Linie verfolgt und damit soll eine spezifische Stimmung erzeugt werden und andere, real existierende Stimmungen bestimmter Gruppen unterdrückt werden. Extreme Vertreter dieser Sichtweise glauben der Berichterstattung der Leitmedien aus Prinzip nichts mehr und kehren das, was diese berichten ins Gegenteil um. Grob gesagt wird aus Schwarz dann Weiß, aus Gut wird Böse und umgekehrt.

Das Problem der Haltung, aus Schwarz einfach Weiß zu machen ist weniger der Inhalt, als viel mehr die Tatsache, dass man noch immer an der ursprünglichen Lesart haftet, nur eben von der anderen Seite. Das ist so ein wenig, wie bei den psychologischen Doppelbindungen, die Paul Watzlawick treffend analysierte. Bei Scheinalternativen wie: „Haben sie endlich aufgehört ihre Frau zu schlagen?“ oder „Trinken sie eigentlich inzwischen angemessene Mengen Alkohol?“, kann man mit Ja/Nein oder Schwarz/Weiß nicht gewinnen. Man kann nur den Schritt heraus machen und eine Metaposition einnehmen, die Doppelbindung erkennen und zurückweisen. „Ehrlich gesagt, habe ich nie meine Frau geschlagen und finde ihre Frage irritierend bis unverschämt.“ So zieht man Doppelbindungen den Zahn. Und auch bei den Meldungen in der Presse und über die Presse ist man gut beraten, sich sein eigenes Bild zu machen.

Die Sache mit der Wahrheit

Die Wahrheit ist ein überaus kompliziertes Thema, was einen zunächst verwundern könnte, zählt sie doch zu den gebräuchlichsten und intuitiv klarsten Begriffen, die wir kennen. Ein eigener Versuch einen Artikel über das Thema zu schreiben ist bislang daran gescheitert, dass das Thema förmlich explodiert ist und zu umfangreich wurde. Und doch kann man Wahrheit auf eine einfache Formel für den Alltag runterbrechen, die praktikabel ist. Die Wahrheit zu sagen heißt, nicht zu lügen, also nicht bewusst und wissentlich etwas Falsches zu sagen. Nichts dazu erfinden und nichts Wesentliches weglassen. Eigentlich einfach … eigentlich.

Aber schon hier wird es kompliziert. Wer weiß denn eigentlich über ein Thema tatsächlich Bescheid? In aller Regel derjenige, der dabei war. Denken wir mal nicht an einen politischen Sondergipfel, ein Kriegsgebiet oder einen Autounfall, sondern an so etwas Banales wie eine Familienfeier. Für die meisten kein Stress, kein Schock, keine Notwendigkeit, das, was geschehen ist, verbiegen zu müssen. Doch wenn wir Beteiligte fragen, wie denn eigentlich die Feier war, stimmungsvoll oder dröge und weitere Kriterien abklopfen, wir werden einiges hören, was übereinstimmend berichtet wird, aber wir werden mitunter kräftige Unterschiede in der Einordnung finden. Wie war die Feier denn nun wirklich? Wen wollen wir fragen, wer hat die Deutungshoheit, wer weiß es besser, als der andere?

Aber auch das ist gar nicht der Punkt, wenn es um die Frage geht, ob wir eine verlogene Gesellschaft sind, oder eine belogene. In vielen Lebensbereichen ist im Grunde sehr gut bekannt, wo der Hase her läuft und man muss schon mit einiger Anstrengung wegschauen um nicht zu merken, was gespielt wird. Dabei geht es gar nicht um obskure Bereiche wie Geheimpolitik oder irgendwelche Verflechtungen mächtiger Strippenzieher, sondern um die Bewältigung des Alltags.

Wer hätte das gedacht?

Ist es wirklich eine Überraschung für irgendwen, zu hören, dass im Spitzenport gedopt wird? In jedem kleinen Fitnessstudio und Unihörsaal dopt man sich inzwischen, warum sollte es dort, wo es im Zweifel um viel Geld und Erfolg geht anders sein? Die üblichen Buhknaben waren Kraft- und Fahrradsport, aber die Aussage im Fußball gäbe es kein Doping, weil man da keine Vorteile mit erziele würde ist nun wirklich dummdreist und die Doping-, Schmerzmittel und sonstige Helferlein inzwischen exakt auf jede Sportart abgestimmt. Wir wollen das einfach nicht wissen.

Alle paar Jahre wird irgendeine Idee gehyped, mit der man supergesund wird, abnimmt und was auch immer und dabei einen ungesunden Lebensstil pflegen kann. Dabei sind die Säulen der Gesundheit seit Jahrzehnten, außer einer kleinen Gruppe von bildungsfernen Menschen, die tatsächlich einfachste Zusammenhänge oft nicht verstehen, jedem bekannt. Selbst wenn sich ungesunde Lebensweisen über Jahre, durch bestimmte Umstände einschleifen, weiß im Grunde jeder, wo der Hase lang läuft und man hat sein Schicksal hier viel mehr in der Hand, als man oft wahrhaben möchte, denn das ist anstrengend, zumindest in der Umstellung. Die andere gefährdete Gruppe ist die, die zum Gesundheitswahn neigen.

Einen eigenartigen Sonderfall stellt die Medizin dar. Jeder, der das Medizinsystem von innen kennt und nicht in einem großen Umfang finanziell davon profitiert, wird der These zustimmen, dass, wenn hier ohnehin nicht sehr viel schief läuft, es immerhin noch gehörig Luft nach oben gibt. Die Berichte von Einflüssen des Lobbyismus gerade auf dem Markt Medizin sind Legion, dass in Deutschland eine Unzahl an überflüssigen Operationen durchgeführt und fragwürdigen Diagnosen gestellt wird, ist ebenfalls oft genug durch die Presse gegangen.

Dennoch ist zum Arzt gehen ein Hobby der Deutschen. Trotzdem vertrauen viele hier blind der erstbesten Meinung und sind der Auffassungung, ihr Arzt, sei aus anderem Holz. Oft kann der einzelne Arzt, der sich bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit aufopfert wenig dazu, aber es gibt mehr und mehr aggressive Lobbygruppen, die in der Öffentlichkeit Stimmung machen und sich in Internetforen, sozialen Medien oder bei Wikipedia ausbreiten. Bei manchen weiß man nicht, ob sie gekauft sind oder in eigener Sache meinen die Welt retten zu müssen und dafür sorgen, dass kritische Gedanken hier gar nicht erst aufkommen. Dabei ist die Frage, ob unser Medizin-, Alten- und Krankenpflegesystem einzig und allein unter wirtschaftlichen Aspekten geführt werden sollte, etwas, was sehr dringend und intensiv diskutiert gehört.

Das Daten sammeln ist ebenfalls ein Thema, was man im Grunde nicht hoch genug hängen kann, aber der Kontrast zum Desinteresse am Thema und zum Unwillen, etwas daran zu ändern, ist erheblich. Hat man irgendwie alles schon mal gehört und kann man ohnehin nichts dran machen, lautet die verbreitete Einstellung. Oder, die Dimension des Themas ist nicht bewusst. Vielleicht findet man es auch nicht schlimm, wenn „die Richtigen“ Daten sammeln, aber was, wenn es „die Falschen“ tun? Überall wird heute datentechnisch eingebrochen, im Bundestag und bei der Kanzlerin, aber unser Geldinstitut, unsere Arztpraxis oder Finanzamt sind totsicher?

Die Liste der Themen geht nicht aus. Ob es Verstrickungen zwischen Autoindustrie, potentiellen Testern und der Regierung gibt, wie bei den großen ADAC und VW Skandalen, ob es in der Energiepolitik oder Gentechnik Versuche gibt uns Unvermeidlichkeiten vorzugaukeln oder ob ganz einfach eine Gesellschaft den Takt einer Selbstausbeutung als Lebensziel annimmt und übernimmt, was Themen wie krank zur Arbeit zu gehen, unbezahlte Überstunden zu machen und Arbeit als das dominante Ereignis im Leben überhaupt zu sehen, nicht jeder kann alles sehen und wissen, aber so gut wie jeder hat Bekannte und Verwandte, die im einen oder anderen Bereich arbeiten und über mehr oder weniger Insiderwissen verfügen.