Nebel am Sandstrand bei Ebbe

Tagträume: Gedanken schweifen lassen © Sergio Tudela Romero under cc

Wenn die Gedanken abschweifen und der Verstand sich in Phantastereien verliert, beschäftigen Tagträume das Gehirn. Während manche dieser entspannten Flucht aus dem Alltag nicht abgeneigt sind, verachten und verpönen andere „Mind-Wandering„.

Zwangsverordnete Tagträume: Lieber nicht?

In einer 2014 durchgeführten Analyse von Wilson et al. zeigte die Zusammenfassung mehrerer Studien, dass viele Probanden keinen Nutzen oder Freude darin sahen, eine vorgegebene Zeit mit sich allein verbringen zu können. Den Probanden wurde in einem separaten Raum eine Dauer von sechs bis fünfzehn Minuten eingeräumt, um für sich zu sein und über etwas nachzudenken. Die Ergebnisse der Studien überraschen, denn die Mehrheit der Probanden zog es vor, stattdessen lieber profane alltägliche Aktivitäten zu vollführen, ja gar sich selbst versuchsweise milde Elektroschocks zu verabreichen, anstatt den eigenen Gedanken nachzuhängen.
Über die Studien hinweg variierte das Setting: vom Laborraum über eine festgeschriebene „Zwangsruhepause“ zu Hause; von studentischen Versuchsteilnehmern hin zur Allgemeinbevölkerung.

Demnach scheint es also, dass viele Menschen lieber „irgendetwas tun“ (auch etwas vermeintlich Schmerzhaftes), anstatt ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, zumindest – so die Einschränkung – wenn diese Pause zwangsverordnet ist.
Doch der herbe Beigeschmack bleibt: Fällt es schwer, aus dem tretmühlenartigen, Leistung erbringenden Alltag auszubrechen und einfach „die Seele baumeln zu lassen“? Sehen Viele keinen Sinn im Tagträumen? Wird das Schweifen lassen der Gedanken verachtet, haftet ihm womöglich gar die Nachbarschaft zur Faulheit an? – Dennoch, allen Vorurteilen zum Trotz, stehen Tagträume „unter Verdacht“, auch einen Nutzen für das Gehirn zu haben.

Tagträume scheinen nutzbringend zu sein

Aus der neurowissenschaftlichen Forschung weiß man, dass beim Tagträumen, beziehungsweise allgemein wenn Personen internal fokussiert sind und ihre Aufmerksamkeit nicht auf die externe Umgebung ausgerichtet ist, ein Netzwerk verschiedener Gehirnareale aktiviert ist, das sogenannte „Default Network“ (Buckner et al., 2008). Das Netzwerk ist unter anderem dann aktiv, wenn Personen sich an etwas erinnern, über die Zukunft sinnieren oder die Perspektive anderer einnehmen – kurzum: Es arbeitet, wenn der Mensch als solcher keiner aktiven Tätigkeit im klassischen Sinn nachgeht.

Tagträume, um gedanklich neue Wege zu gehen?

Auch wenn die Forschung zum Nutzen von Tagträumen noch relativ jung ist, so gibt es doch erste Hinweise darauf (wie Mooneyham und Schooler von der University of California in einem Review aus dem Jahr 2013 zusammenfassen). „Mind-Wandering“ scheint eine Rolle zu spielen in Bezug auf autobiografisches Planen, also das Nachdenken über persönliche Ziele und deren Umsetzung. Daneben scheint Tagträumen mit kreativem Problemlösen in Zusammenhang zu stehen und neue Lösungen für altbekannte Probleme liefern zu können. Weitere Forschung ist allerdings notwendig, da die Ergebnisse diesbezüglich breitgefächert sind.

Ab und an mit dem Gehirn im „Default Network zu verweilen“, um sich inspirieren zu lassen und mit sich allein zu sein, könnte demnach Sinn machen. Doch neben den vermuteten Vorteilen in Bezug auf neue Wege, Motivationen und einen kreativen Geist: Können Tagträume hemmen und den Menschen im realen Leben einschränken? Im zweiten Teil unserer Serie über Tagträume werden Studien vorgestellt, die diesbezüglich aufschlussreich sein könnten.

Quellen:

  • Buckner, R.L., Andrews-Hanna, J.R., & Schacter, D.L. (2008). The brain’s default network: anatomy, function, and relevance to disease. The Year in Cognitive Neuroscience – Annals of the NY Academy of Scienes, 1124, 1-38.
  • Mooneyham, B.W. & Schooler, J.W. (2013). The costs and benefits of mind-wandering: a review. Canadian journal of experimental psychology, 67(1), 11-8.
  • Wilson, T.D., Reinhard, D.A., Westgate, E.C., Gilbert, D.T., Ellerbeck, N., Hahn, C., Brown, C.L., Shaked, A. (2014). Just think: The challenges of the disengaged mind. Science, 345(6192), 75-77.