Es gibt religiöse, atheistische, agnostische, demokratische, totalitäre, patriarchale, matriarchale, fundamentalistische, kommunistische, liberale, biologistische, physikalistische, psychologistische, egozentrische, soziozentrische, pluralistische und zig sonstige Weltbilder.
Doch auch der, der nicht auf Anhieb irgendwelche „-ismen“ parat hat, zu denen er sich bekennt, hat ein Bild von der Welt, eine manchmal auch nur implizite Vorstellung davon, wie die Welt und die Menschen in ihr funktionieren.
Wenn sich jemand vertrauensvoll zu uns herüberbeugt und sagt: „Jetzt mal unter uns: …“, dann will er uns oft mitteilen, wie er meint, dass die Dinge wirklich funktionieren, worum es in Wahrheit geht. Um Geld, um Sex, um Macht, um Klatsch und Tratsch, um Wissen, Kontakte und Einfluss oder eine Mischung dieser Faktoren.
Zum Streit kommt es oft dann, wenn der eine es so sieht, der andere denselben Sachverhalt aber ganz anders deutet – und wir alle wissen, dass es das sehr häufig gibt. Eine Reaktion darauf ist, zu prüfen, wer denn nun Recht hat. Aber nicht selten erlebt man, dass beide (und noch weitere) Sichtweisen eine innere Folgerichtigkeit haben und die Interpretation durchaus Sinn macht, wenn man von bestimmten Voraussetzungen (Prämissen) ausgeht.
Es ist zwar richtig, dass man von diesen Voraussetzungen keinesfalls ausgehen muss, nur gilt das wiederum auch für alle anderen Voraussetzungen, die man sich vorstellen könnte. Man kann es so sehen oder anders, wenn man sich allerdings einmal für eine bestimmte Sichtweise entschieden hat, ergeben sich aus den Prämissen logisch zwingende (inferentielle) Ableitungen, die man nicht mehr ohne Weiteres verweigern kann.
Man muss nicht an Gott glauben. Hält man religiöse Sichtweisen allerdings für plausibel und teilt einige religiöse Prämissen, so ist man auch gezwungen zum Beispiel die Hölle zu vermeiden, folgt man bestimmten religiösen Lesarten. Und das Gesagte gilt selbstverständlich nicht nur für Religionen, wer sich als Demokrat, Soziobiologe oder was auch immer sieht, ist in analoger Weise auf die Folgen aus den Prämissen dieser Sichtweise festgelegt.
Weltbilder geben uns Orientierung und Sinn
Festgelegt, das klingt erst mal unfrei, doch Weltbilder haben die wesentliche Funktion, uns Orientierung und Sinn zu geben. Wenn wir ein paar Prämissen akzeptiert haben, können wir uns ganz gut im Leben bewegen, wissen, was gut und schlecht ist, wie wir uns das Verhalten bestimmter Menschen und Institutionen erklären können und oft auch, wofür wir leben. Anfangs wachsen wir in diese Prämissen ganz organisch hinein, durch unsere familiäre und kulturelle Umgebung.
Zwar machen Kinder schon etliche und sogar recht dramatische Wechsel in ihrem Weltbild durch, aber das sind noch keine freien Entscheidungen in dem Sinne, der die Wahl unseres Weltbildes möglicherweise später bestimmt. Klar ist jedoch, dass unsere grundlegenden Weltbilder, in die wir hineingeboren sind, lange nachhallen und vermutlich zeitlebens eine Rolle spielen.
Die Frage ist, ob wir später, wenn wir selbst denken können, eigentlich die Wahl haben. Denn dann sind wir doch frei uns alles anzuschauen und die Dinge, die wir bei den Eltern vielleicht nicht schätzen, zu ändern. Wir müssen unser Weltbild ja nicht beibehalten.
Weltbilder nach Wunsch?
Ganz so ist es nicht. Wie schon bei den Wunderheilungen anklang, kann man nicht einfach das glauben, was man für die bequemste oder aktuell brauchbarste Variante hält. Das Weltbild was man hat, mixt man nicht einfach nach Belieben, sondern es ist ein Amalgam, aus unseren tiefsten Überzeugungen und wir glauben wirklich, dass die Dinge so sind, wie wir meinen. Genau deshalb reagieren wir auch so emotional und verständnislos auf andere Deutungen. Wie kann man nur so denken?
Die Reaktionen reichen von Fassungslosigkeit über Entwertung („Wer so denkt, kann nicht alle Tassen im Schrank haben.“) bis hin zu echtem inspirierenden Interesse, dass man die Dinge tatsächlich auch so sehen kann.
Wann ändert man sein Weltbild?
Deshalb bleiben Weltbilder bei vielen Menschen im Laufe ihres Lebens nicht konstant, sondern ändern sich. Das ist dann der Fall, wenn ein Weltbild seine erklärende Kraft einbüßt. In dem Moment, wo etwas passiert, was nicht mehr zum aktuellen Weltbild passt, hat man zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man das Weltbild den Beobachtungen anpassen, zum anderen die Beobachtungen dem Weltbild. Wenn jemand einen bestimmten Grund äußert, der erklärt, warum er etwas gesagt oder getan hat, kann man behaupten, dies sei nicht der wahre Grund, in Wirklichkeit würde dieser Mensch anders denken und sich entweder verstellen oder seine eigenen Motive nicht kennen.
In aller Regel legt man größten Wert darauf, dass die eigene Sichtweise tatsächlich stimmt und lässt sich durch andere Hinweise selten irritieren. Komischerweise auch dann, wenn man ein Weltbild hat, das einen im Grunde herunterzieht, die Welt und ihre Bewohner in einem denkbar schlechten Licht erscheinen lässt. Wer denkt, dass Frauen einzig und allein auf Geld aus sind, Männer prinzipiell gewalttätig oder alle Menschen durchtrieben, müsste eigentlich froh sein, korrigiert zu werden, doch das ist oft nicht der Fall. Unbewusst bringt man in intimen Paarbeziehungen den anderen sogar dazu, das zu tun, was der größten eigenen Angst entspricht. Eine eigentümliche Konstellation: Der Sinn dahinter ist wohl, dass man insgeheim doch möchte, dass nicht alle Menschen so sind, wie man befürchtet, aber man lässt sich nicht ohne erhebliche Gegenwehr davon überzeugen.
Entweder man wählt den Partner unbewusst im Rahmen eines Wiederholungszwangs, so dass er oft genau das lebt, was man eigentlich nie mehr erfahren wollte (Alkoholikerkinder suchen sich oft trinkende Partner, Kinder gewalttätiger Eltern schlagende Partner und so weiter), doch selbst wenn das nicht der Fall ist, gibt es in der Partnerschaft subtile Provokationen, die den anderen dazu bringen, am Ende doch so zu reagieren, wie er es eigentlich nie tun würde, wie es der andere jedoch insgeheim befürchtet hat. Der zahmste Ehemann wird solange provoziert, bis er einmal zuschlägt und so hat seine Frau am Ende doch Recht gehabt, wusste sie doch schon immer, wie die Männer wirklich ticken. Ihr Weltbild ist gerettet, wenn auch zu einem hohem Preis und unbewusst, der Mechanismus gilt natürlich für beide Geschlechter.
Gelingt es mehrfach, die wechselseitgen Provokationen zu überstehen, haben beide die Chance, gerade durch ihre Beziehung, ihre größten Kindheitsängste zu überwinden, sich weiter zu entwickeln und ihr Weltbild zu revidieren, durch die mehrfache Erkenntnis, dass es offenbar doch anders geht. Doch es ist erstaunlich, dass Psychologen einmütig immer wieder attestieren, wie wichtig dieses eigene Weltbild ist und wie verbissen man darum kämpft … auch dann, wenn es ein desaströses Weltbild ist.
Weltbilder sind meistens hierarchisch organisiert
Oft ist das folgende Weltbild größer und umfassender, weil es alte Perspektiven mit neuen Aspekten vereint. Der Blick, das Weltbild wird dann umfassender und ambivalenter, lässt Raum für Zwischentöne. Das wäre der Paradefall.
Manchmal schafft man den Sprung nicht und hält deshalb und danach umso fester am bisherigen Weltbild fest, Regression heißt das in der Psychologie.
Manches neue Weltbild ist auch deshalb ein Rückschritt, weil der Geist nachlässt, wie bei Demenzerkrankungen.
Die Funktion der Weltbilder sind Sinn und Orientierung, Motivation und die Potenz zur Weiterentwicklung. Weltbilder sind keine abstrakte Größe, die irgendwo über uns schwebt und mit denen man die Welt ein wenig zurecht erklärt, sondern sie sind zutiefst mit dem verbacken, was man als den eigenen innersten Kern empfindet, dem wofür man lebt, einsteht und auf der Welt ist.