Das Herz der Weltbild-Methode

Berg, Insel, Sonne hinter Wolken, Meer

Der idele Ort kann im Innen oder Außen sein. © Paul Bica under cc

Wie schon öfter erwähnt, besteht ein wesentlicher Anteil der Weltbild-Methode darin, den anderen ins Boot zu holen, das heißt, ihn zum vom Objekt zum Subjekt zu machen, ihn zum Teil zu verpflichten. Und da Verpflichtung auf freiwilliger Basis Verantwortung bedeutet und dies wiederum die Kehrseite der Freiheit ist, geht es darum, den Handlungsspielraum und Möglichkeiten des anderen zu vergrößern.

Wer seit Jahren unter chronischen Schmerzen leidet hat von zig guten Tipps gehört und viele Ansätze ausprobiert, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Warum sollte Vorschlag Nummer 27 nun also auf einmal helfen? Diese Skepsis ist normal. Aber man kann diese Frage dem Leidenden, nach all den Teil- oder Misserfolgen stellen: „Was glauben Sie denn, was Ihnen helfen würde?“ Das muss nichts Reales, es kann eine leise Phantasie sein, eine vage Hoffnung, die sich aber auch auf realistische Ereignisse beziehen kann. Die Palette ist breit: Ein ganz neues Medikament, ein Naturheilmittel, eine Wohnortveränderung, Gott, neue wissenschaftlich erprobte Methoden, ein Wunderheiler, das sind nur ein kleine Ausschnitte eines großes Spektrums.

Manche dieser Vorstellungen kann man realisieren. Vielleicht ist ja jemand im warmen Süden tatsächlich schmerzfrei, vielleicht wird morgen ein neues Mittel oder ein ganz neuer Ansatz gefunden, möglicherweise hat jemand nachts einen visionären Traum, aber nicht immer wird man die passende Hilfe aus der Ärmel schütteln oder verordnen können. Man kann aber dennoch die Antwort für bare Münze nehmen und damit arbeiten. Zunächst einmal dankbar akzeptieren, dass man nun weiß, wovon der andere wirklich überzeugt ist und auf keinen Fall sollte man das entwerten. Das ist manchmal schwer, weil man selbst zumeist einer Richtung ideologisch anhängt und sei es nur ein Stück weit. Auf damit zusammen hängende Fragen und Lösungsansätze gehen wir im nächsten Teil ein, aber die Problematik ist unmittelbar ersichtlich.

Ein Arzt, Therapeut oder Berater kann der Auffassung sein, dass ein rein pharmakologischer Weg oft mehr schadet als nutzt und ihn innerlich ablehnen. Oder er kann, wenn jemand denkt, ein Wunderheiler könne ihm helfen innerlich die Augen verdrehen. Bestenfalls ringt er sich noch ein: „Na, versuchen Sie Ihr Glück“ ab, im schlechteren Fall folgt eine Tirade über Betrüger, die Pharmalobby und dergleichen. Dann hat man vielleicht sein Mütchen gekühlt, aber niemandem ist damit geholfen. Doch auch wenn man die neue Wunderpille oder den Geistheiler nicht zur Hand hat, kann man konstruktiv mit der Information umgehen, etwa so: „Nehmen wir mal an, Sie würden die Tablette einnehmen oder Sie würden den Geistheiler finden, was glauben Sie, wo und wie Sie die Wirkung zuerst bemerken würden?“

Die Körperregion, die Art, wie der Betreffende wohl empfinden würde kann man sich nun beliebig detailliert beschreiben lassen und so den anderen immer mehr in die emotionale Bilderwelt verwickeln. Der Phantasie oder Imagination sind ja zum Glück keine Grenzen gesetzt, es muss daher auch nicht realistisch zugehen. Aber Realität und Phatansie sind nun bei weitem nicht so von einander getrennt, wie man zuweilen hört und glaubt. Während man sich vorstellt, wie es sich anfühlen könnte, wenn die Schmerzen etwas nachlassen, immer plastischer und genauer, geschehen mehrere Dinge gleichzeitig: Zum einen übt man den Umgang mit inneren Bildern, was wichtig ist, da die Menschen hier unterschiedlich begabt sind, zumindest, wenn es um bewusste Erfahrungen geht. Des weiteren erlebt man in unterschiedlicher Intensität und unterschiedlich langer Zeit, dass die Schmerzen geinger werden. Sei es, dass sie wirklich nachlassen oder man nur abgelenkt ist oder irgend etwas dazwischen, man erlebt es direkt. Und das ist immer überzeugend.

Das Fenster zur Heilung öffnen

Die Zeitspanne in der man eine Besserung merkt kann gering sein, aber das macht nichts. Wichtig ist, erst einmal einen Zipfel zu ergreifen, ein Fenster zur Heilung zu öffnen. Vielleicht nur einen klitzekleinen Spalt breit, vielleicht reißt jemand das Fenster sofort groß auf und springt hinaus, in die neue Welt. Das ist im Einzelfall verschieden.

Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit einer älteren Frau, die von chronischen Schmerzen geplagt war und bei der die behandelnden Ärzte in großer Sorge waren, weil die Dosis an Schmerzmitteln, die sie brauchte sehr hoch und das therapeutische Maximum bald erreicht war. Es wurde schnell klar, dass ihre Schmerzen nicht nur auf der körperlichen Ebene vorhanden war, sondern auch tiefe emotionale Aspekte umfassten. Ich fragte sie, ob sie eigentlich Momente hat in denen es ihr gut geht und die Antwort kam sofort: Jeden Morgen, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnt, setzt sie sich mit einer Kollegin hin und frühstückt etwa 15 Minuten gemeinsam mit ihr. Sie beschrieb ein wunderschönes kleines Ritual, was sich jeden Werktag wiederholte. Die Frau war natürlich hoch motiviert zu arbeiten, weil dieses Frühstücksritual ein Quelle des Glücks und der Kraft in ihrem Leben war.

Fenster zur Heilung lassen sich innerlich und äußerlich öffnen. Durch solche oder ähnliche Rituale, durch Reisen, in die innere Welt. Beiden gemeinsam ist die Achtsamkeit oder Bewusstheit, die man dem Augenblick widmet. Auch das ist etwas, was wir verstehen müssen. Wenn von Ritualen oder Innenwelten die Rede ist, dann klingt das für unsere Ohren oft nach Flucht, nach Rückzug, nach Verweigerung der Realität. Doch es ist das exakte Gegenteil, denn Achtsamkeit oder Bewusstheit lassen uns so intensiv in der Realität ankommen, wie sonst nichts. Während eines Rituals – nicht einer leeren Zwangshandlung, diese ist ein verpfuschtes Ritual – widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit für eine bestimmte Zeitspanne einem Bereich des Lebens, einer bestimmten Situation.

Wenn wir kurz auf markante Punkte in unserem Leben zurückblicken, dann erinnern wir nicht solche, in denen die Zeit einfach so verstrich, während wir mit drei Dingen gleichzeitig beschäftigt waren und im Modus gleichmäßiger Ablenkung und kurzer Aufmerksamkeitsspitzen waren, sondern es waren solche, die unserem Leben eine bestimmte Wendung brachten, in denen wir präsent waren. Eine besondere Liebesnacht, eine Prüfung, der erste Kuss, ein Sportereignis, die Hochzeit, Erlebnisse mit einem Tier, ein Konzertbesuch, ein intensives Gespräch, vielleicht auch ein traumatisches Ereignis. Es sind in Knotenpunkte im Band unseres Lebens, jene Momente, die wir noch erinnern, wenn wir auf dem Sterbebett liegen und die uns hoffentlich sagen lassen, dass sich das Leben dafür gelohnt hat.

Unser Bewusstsein ist dann wie ein Laserstrahl, wir sind ganz fokussiert und mehr Realität geht nicht. Realität ist nicht jederzeit alles mitzubekommen, das bedeutet oft Reizüberflutung. Wenn alles auf einmal auf uns einströmt, sind das eher angstbesetzte oder sogar dissoziative Zustände, in denen wir mit der Welt gerade nicht verbunden sind. Verbindung setzt Offenheit voraus, im Moment anzukommen und sich auf die Welt einzulassen. In einer dissoziativen Erfahrung steigt man aus der Welt aus, ist zwar ganz bei sich, aber in einem für die Welt verschlossenen Zustand. Das lässt einen die Welt wieder ertragen, indem man mit ihr scheinbar nichts mehr zu tun hat. In der Meditation lässt man die Welt und ihre Eindrücke ebenfalls vorbeiziehen, aber man ist dabei ganz offen und präsent.

Wer in diesem meditativen Zustand ist, verdrängt nichts und doch haben viele eingefahrene Gewohnheiten in diesem Zustand keinen Raum. Es sind diese Gewohhnheiten, die uns die immer gleichen Wege wiederholt gehen und bereits wissen lassen, was kommt. Es sind Gewohnheiten, die unserem Leben Stabilität geben, aber es zuweilen auch langweilig machen, oder schlechte Muster sich immer mehr einschleifen lassen. „Was fehlt hier?“, fragt der Zen-Meister und meint, hier, in diesem Moment, wenn man ganz präsent ist? Nichts! Genau hier und jetzt ist alles in Ordnung. Aufmerksamkeit ist der Tod der Gewohnheit, macht jeden Moment einzigartig, lässt ihn frisch und klar werden. Wir haben die Wahl, aber das müssen wir wissen, begreifen und vor allem erfahren.

Alle Einwände die kommen, dass zwar genau jetzt möglicherweise alles in Ordnung ist, aber dass ja ansonsten alles in Unordnung ist und man die Realität doch nicht ausblenden kann, die einen doch wieder einholt und in der es Leid, Terror und eben chronische Schmerzen gibt, zielen als Kritik an der Sache vorbei. Es geht nicht darum, sich die Welt schönzureden, die Augen zu verschließen und sich einzugraben. Nicht Abstand von der Welt, nicht Weltflucht, nein, im Gegenteil, ankommen. Aber Welt ist nicht das, was die Nachrichten bringen. Welt ist viel mehr, ist die Wolke meiner Beziehungen, Phantasien, Begriffe, Bilder und Assoziationen, Möglichkeiten, Gewohnheiten und Normalitäten die immer mitlaufen und das scheinbare Außen begleiten. Wie viel Aufmerksamkeit ich der Welt schenke und welchen Bereichen meines Soseins, ist meine Sache.