Dass aus dem System auszusteigen und in der Welt umherzureisen, auch ohne vermeintlich große Flexibilität möglich ist, haben wir anhand einer fünfköpfigen Familie im ersten Teil dieser Serie gezeigt. Nun wollen wir die Extreme ein Stück mehr überspitzen: Wie steht es zum Beispiel um alleinerziehende Mütter oder Menschen im Alter als Aussteiger? Machbar?
Eine Puppenspielerin mit Kind
Antje K. kommt ursprünglich aus Niedersachsen. Nach ihrer Erzählung sei sie als Siebzehnjährige von ihrer ersten großen Liebe ungewollt schwanger geworden. Trotzdem der Kindsvater seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, habe Antje dank der Unterstützung ihrer Eltern eine Ausbildung absolvieren können, obwohl es nicht ihr Traumberuf gewesen sei. Ihre Tochter Evi sei früh im Kindergarten integriert gewesen und das schlechte Gewissen habe die junge Mutter im Alltag begleitet:
„Vielleicht lag es daran, dass ich nicht so früh im Leben festgelegt sein wollte. Was hat mich denn noch erwartet? Arbeiten gehen, mein Kind abgeben und nur noch die Wochenenden zur Verfügung haben? Ich hatte so wenig Zeit für mich und Evi, dass ich mich im Alter von vierundzwanzig Jahren entschlossen habe, Deutschland zu verlassen. Erst auf unserer Reise durch Europa habe ich meine Tochter als Mensch wirklich kennengelernt.“
Alleinerziehend aussteigen: Mit dem Zirkus unterwegs
Antje, schon immer mit Vorliebe fürs Schauspiel, habe Kontakt zu einer Theatergruppe aufgenommen und sei mit ihnen, nach Abmeldung ihrer kleinen Familie aus Deutschland, auf Reisen gegangen. Sie habe im Zirkuswagen einer älteren Dame schlafen können und im Gegenzug dafür kleinere Reparatur- und Aufräumarbeiten getätigt. Ihre Eltern hätten ihr einen kleinen finanziellen Puffer auf ihr Konto überwiesen und versichert, dass Antje bei Geldnot jederzeit mit ihrer Unterstützung rechnen könne. Doch dazu scheint es bisher noch nicht gekommen zu sein, auch wenn Antje sich manches Mal Essen und Unterkunft über Putzjobs habe verdienen müssen. Bis heute habe sich die Mutter zwei Theatergruppen angeschlossen, einem Zirkus und sei hin und wieder auch allein mit ihrer Tochter, ihrem Handwagen und ihrer Puppenbühne über die Dörfer Europas getourt. Evi, inzwischen zwölf, sei ebenfalls mit vollem Herzen dabei und die Beziehung beider eher als Freundschaft zu charakterisieren.
„Ich habe großes Glück mit meinen Eltern“, sagt Antje. „Sie bieten mir Unterstützung an, ohne mich zu verurteilen, auch wenn unsere Vorstellung vom Leben nicht ihrer entspricht. Aber ich bin stolz, sagen zu können, dass ich an ihren Notgroschen noch nicht rangehen musste beziehungsweise ihn wieder schnell aufgefüllt habe. Dennoch bin ich froh, ihn zu haben. Man muss nur beginnen, abseits der klassischen Pfade zu denken. Wir versuchen immer, so günstig es geht, unterzukommen. Geschlafen haben wir schon in Scheunen, oft in unserem Zelt, im Zirkuswagen, in Klöstern, am Strand. Oft haben wir die Bauern gefragt, ob wir auf ihrem Land ein Zelt aufstellen können. Die meisten sagen ja und ihre Frauen bringen sogar Essen vorbei. Einmal wären wir sogar fast sesshaft geworden. In Portugal habe ich mich in einen alleinstehenden Mann verliebt, der dort einen Hof besitzt. Leider ist es nicht von Dauer gewesen und so sind Evi und ich wieder unterwegs. So wie es aussieht, werden wir nun für längere Zeit mit dem Zirkus unterwegs sein, dem wir uns angeschlossen haben. Wir haben hier viele Freunde gefunden und ich einen Partner. Das fahrende Volk hält zusammen. Ich frage Evi oft, ob sie sich etwas anderes wünscht, aber sie mag dieses Leben genauso wie ich.“
Alt und Aussteigen?
Im Alter von neunundfünfzig Jahren hat Harald G. sein Leben, wie er es bis dahin kannte, vollständig aufgegeben. Nachdem sich seine Frau von ihm scheiden lassen habe und er auch im Beruf als Gebäudereiniger immer öfter krankheitsbedingt ausgefallen sei und eine Kündigung gedroht habe, beschloss Harald, dass sich etwas ändern müsse.
„Ich hatte die Wahl, Alkoholiker zu werden, eine Depression zu bekommen oder ich breche aus.“
Das Boot
Von einem Freund habe Harald, der einen Bootsführerschein hat, den Hinweis erhalten, dass in der Nähe der Müritzer Seenplatte ein altes Segelboot günstig verkauft werden solle.
„Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Schon immer habe ich es geliebt, auf dem Wasser zu sein. Ich habe dieses Boot vor mir gesehen und wusste, dass es nur diesen einen Weg für mich geben kann.“ Es war ein Wechsel, der sich innerhalb von einem Monat vollzogen hatte.
Inzwischen lebt Harald auf diesem Boot. Er hat einen Bootsplatz an einem Hafen gepachtet und bietet eigenständig Segeltouren an. Da Eis und Kälte im Winter den Bootsrumpf angreifen würden, „slippt“ man zum Winter das Boot und stellt es in einer Halle unter. Harald lebt für diese Zeit in einer kleinen Pension in der Nähe und kümmert sich tagsüber um die Instandhaltung des Bootes. Das Geld, was er im Sommer verdient hat, muss für diese Zeit reichen. Manchmal übernimmt er auch Arbeiten an anderen Booten und verdient sich etwas dazu.
„Auch wenn mein Boot klein ist und dort zu leben, wesentlich anstrengender ist, als in einer Wohnung, ich würde es immer wieder so machen. Es ist unvergleichlich, abends auf dem Boot zu sitzen und dem Plätschern der Wellen zu lauschen. Vielleicht finde ich auch noch mal eine Frau, die sich vorstellen kann, so zu leben. Aber eines steht fest. Am Ende meines Lebens muss man mich von diesem Boot runtertragen.“