Machtmissbrauch an Schulen war lange ein Tabuthema. Auch heute wird es von vielen noch ausgeblendet. Und wir nehmen gleich vorweg: Ja, es gibt auch gute Lehrkräfte und dabei handelt es sich vermutlich um den Großteil der Lehrkräfte. Aber es gibt eben auch die anderen. Und es gibt die Kinder, die Schutzbefohlenen, die wir der Schule für mehrere Stunden am Tag anvertrauen, ohne selbst Einfluss darauf nehmen zu können. Nicht zu vergessen die Problematik auf manchen Schulhöfen. Mobbing, Ausgrenzung und Gewalt werden oft nicht ausreichend angegangen. An einigen Schulen sind die Kinder emotionaler Gewalt in Form von Degradierung, Bloßstellung, Drohungen, Ungleichbehandlung und Machtausübung regelrecht ausgeliefert. All diese Situationen werden viel zu wenig besprochen.

Machtmissbrauch an Schulen: Kein Lehrkräfte-Bashing

In diesem Artikel soll es nicht darum gehen, auf Lehrkräfte verbal „einzuhauen“. Es gibt sehr viele engagierte Lehrende, die nur das Beste für die ihnen anvertrauten Kinder wollen. Vielmehr soll dieser Artikel sensibilisieren für die Grauzone. Körperliche Bestrafung an Schulen ist 1973 abgeschafft worden, doch die emotionale Gewalt findet in manchen Unterrichten immer noch statt. Oftmals haben wir als Eltern gar kein Gespür dafür, weil wir selbst eine solche Behandlung in der Schule erfahren haben. Sie triggert uns, aber wir halten sie häufig ein Stück weit für normal.

Formen des Machtmissbrauchs an Schulen

Bekritzelte Mauer auf einem Schulhof

Zu Machtmissbrauch an Schulen zählt auch Mobbing auf dem Schulhof. © Paul Sableman under cc

In den vergangenen Jahren hat sich viel an den Schulen verbessert. Aber das sollte kein Grund sein, nicht weiterhin auf die Missstände und den Machtmissbrauch an manchen Schulen hinzuweisen. Dabei wissen wir doch aus jüngsten Studien, dass es auch die emotionale Gewalt ist, die einen nicht unerheblichen Schaden bei den Kinderseelen und der psychischen Gesundheit anrichten kann.

Die Formen des Machtmissbrauchs an Schulen können sich auf unterschiedliche Weise zeigen:

Herabsetzung durch Lehrkräfte

Einschüchterung, Demütigung, unfaire Benotung oder übermäßige Strafen durch Lehrkräfte treten beispielsweise in manchen Unterrichten auf.

Der Psychoanalytiker und Professor für Pädagogische Psychologie und Schulpädagogik Kurt Singer hat eine Auflistung von problematischen, destabilisierenden Lehrerverhaltensweisen verfasst:

Jugendliche klagen weniger über die Schule an sich. Sie fürchten die Macht jener Lehrer, die sie mit missglückten Arbeiten bloßstellen, verächtlich machen, auslachen, ihre Noten öffentlich bekanntgeben, Kinder mit ironischen Bemerkungen beleidigen, sie ungefragt aufrufen, „drannehmen“ und sie in eine peinliche Situation versetzen, sich abfällig über die „Dummheit“ einzelner Kinder äußern. … Sogar Begriffe aus der Foltersprache werden ausgesprochen: „Dann muss ich die Notenschraube anziehen.“ Von macht-behauptenden Lehrern fühlen sich die Schüler ungerecht behandelt, beleidigt, beschimpft, verspottet, klein gemacht. Angst im Unterricht hat sogar einen speziellen Begriff: Schulangst. Kindern Angst einzujagen, ist seelische Gewalt; sie behindert die jungen Menschen in ihrer Leistungsfähigkeit.

zitiert nach Kurt Singer, Schüler vor verletzendem Lehrerverhalten schützen

Jede Personalabteilung würde Sturm laufen, gäbe es ein solch herabsetzendes Verhalten in Konzernen. Aber in der Schule lassen wir es so manches Mal zu. Schule ist halt so. Das denken wir.

Modelllernen als erfolgreiche Lernform

Wenn wir in der Gesellschaft einen insgesamt gewaltfreieren Umgang möchten, dann haben wir an den Schulen die einmalige Chance, es anders zu machen. Sicherlich werden wir nicht alle Heranwachsenden abholen können und es lassen sich auch nicht immer die Lasten des sozialen Hintergrundes in problematischen Familien wettmachen. Aber es wäre doch schon ein Erfolg, wenn wir einen Teil davon ausgleichen könnten. Modelllernen gilt als eine der erfolgreichsten Lernformen in der Natur. Wir als Gesellschaft entscheiden, wie dieses Modell aussehen soll.

Mobbing auf dem Schulhof

Auch das Mobbing durch andere Heranwachsende zählt in Teilen zum Machtmissbrauch an Schulen, wenn es von der Schule nicht angemessen geahndet oder sogar ignoriert wird. Knapp ein Drittel aller Kinder gibt an, schon einmal in der Schule oder auf dem Schulweg gemobbt worden zu sein. Den Betroffenen von Mobbing bleibt oft kaum eine Wahl. Die Schulpflicht verlangt es ihnen ab, dass sie sich wieder und wieder an den Ort ihrer Drangsal begeben. Auf nicht wenigen Schulhöfen wird das Mobbing mit einer schnellen Bemerkung seitens der Lehrkräfte abgetan oder ausgeblendet. Gehen die Eltern nicht aktiv dagegen vor, bleiben viele Kinder sich selbst überlassen. Und auch den Eltern sind oftmals die Hände gebunden. Sie haben nur einen begrenzten Spielraum, was die Schule betrifft. Nicht immer lassen es die Gegebenheiten zu, dass ein Kind die Schule wechseln kann. An einigen Schulen kann letztendlich aufgrund der zunehmenden Verrohung unter den Jugendlichen die Sicherheit auf den Schulhöfen nicht mehr gewährleistet werden.

Machtmissbrauch durch Lehrkräfte: Bevorzugung und Diskriminierung

Seitens mancher Lehrkräfte werden bestimmte Heranwachsende bevorzugt. Mitunter existiert sogar eine diskriminierende Behandlung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, sozialem Status oder anderen Faktoren.

Verweigerung der Rechte

Heranwachsende stehen im Klassenraum und diskutieren ein Thema

Nicht immer läuft der Unterricht so diskussionsfreudig ab, sondern es herrscht ein Ungleichgewicht. © patrizia tirel under cc

Auch die Meinungsfreiheit ist in einigen Unterrichten eingeschränkt. Viele Lehrende schätzen es, wenn unterschiedliche Ansichten zur Sprache kommen, doch einige lassen nur bestimmte Antworten zu, die nah an ihrer eigenen Meinung oder den vorgegebenen Antworten sind.

Ferner gibt es an manchen Schulen keinen Zugang zu einem fairen und transparenten Beschwerdeverfahren.

Psychischer Druck durch Lehrkräfte

Einige Lehrende nutzen psychischen Druck oder Drohungen regelrecht dazu, um die Heranwachsenden zu kontrollieren oder zu disziplinieren. Sicherlich kann das auch aus einem Ohnmachtsgefühl entstehen, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, um Ruhe in den Unterricht zu bekommen. Doch letztendlich zählt es dennoch zu den Formen des Machtmissbrauchs an Schulen und zeigt die Ausweglosigkeit auf, die an manchen Schulen herrscht.

Versagensangst bei Kindern

Studien zeigen, dass wir offenbar weniger aus rückgemeldeten Fehlern lernen, als man es annehmen könnte. Die Psychologinnen Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach von der University of Chicago zeigten in fünf Studien an über 1.600 Probanden, dass wir nicht unbedingt aus Fehlern lernen. Vielmehr scheint sogar das Gegenteil der Fall zu sein: Bekommen wir Fehler rückgemeldet, scheinen diese sogar einen Lerneffekt zu verhindern.

Ein im Rahmen der Studie durchgeführter Follow-up-Test zeigte, dass die Teilnehmenden weniger aus dem Fehler-Feedback gelernt hatten als aus dem Feedback, bei dem ihnen ihre richtigen Antworten bestätigt wurden. Diejenigen, denen die Fehler rückgemeldet worden waren, machten in dem nachfolgenden Test mehr Fehler als diejenigen, denen die eigenen Erfolge zurückgemeldet worden waren. Auch in anderen Kontexten, wie in Zusammenhang mit den Mitarbeitenden eines Call-Centers, zeigten sich die Ergebnisse in ähnlicher Form.

Nimmt man diese Studienergebnisse als Grundlage, profitieren wir gar nicht so sehr von den Fehlerrückmeldungen. Und diese härten uns anscheinend auch nicht ab oder stärken uns weiterzumachen. Was ja als häufiges Argument für direkte Leistungsvergleiche herangezogen wird. Vielmehr sorgen vermutlich Schamgefühle und die Angst vor negativem Feedback sowie vor Ablehnung dafür, dass die Kinder „dicht machen“ und sich von der Kritik abschotten. Dieses Dichtmachen könnte noch dadurch potenziert werden, wenn die Kinder bereits im Elternhaus keine bedingungslose Wertschätzung erfahren haben und damit beschäftigt sind, ihren Selbstwert zu schützen.

Eine weitere Belastung ist, dass die Jugendlichen an den Gymnasien mitunter einen Tag mit teilweise zehn Unterrichtsstunden bewältigen müssen. Außerdem gibt es Hausaufgaben und Testvorbereitungen an den Nachmittagen und Wochenenden. Das ist ein höheres Pensum als viele Arbeitnehmende haben. Die individuelle Entwicklung der Kinder und die Ausbildung verschiedener sozialer und individueller Fertigkeiten kommt dabei viel zu kurz.

Gute Vorbereitung auf das Leben?

Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang auch, inwiefern das momentane Schulsystem die Kinder tatsächlich gut auf das Arbeitsleben vorbereitet. Es gibt eine Menge Studien- und Ausbildungsabbrüche. Die Lerninhalte sind kaum an die heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen angepasst. Viele Heranwachsende besitzen keine ausreichenden Skills für das Arbeitsleben, so hört man es vielerorts von den Arbeitgebenden.

Psychische Gesundheit in Gefahr

Viele Kinder weisen bereits Symptome psychischer Erkrankungen auf. Ängste, depressive Symptomatiken und ein vermindertes Selbstwertgefühl müssen nicht ausschließlich auf die Situation in der Schule zurückzuführen sein. Letztendlich können sie dadurch aber zusätzlich verstärkt oder eben vollumfänglich dadurch verursacht werden. Und das, obwohl sie vielleicht durch eine Schule ohne emotionale Gewalt abgemildert werden könnten.

Auch kann sich bei vielen die Leistung in der Schule aufgrund der Angst und dem übermäßigen Druck verschlechtern. Dann sind die Kinder in einem Teufelskreis aus Leistungsdruck und nicht erfüllten Erwartungen gefangen.

Kind schaut an seinem ersten Schultag ängstlich

Mit dem Start in die Schule beginnt für manche Kinder ein Weg voller Angst. © Isaac Boateng under cc

Nicht wenige Kinder verlieren das Vertrauen in das Schulsystem und in Autoritätspersonen. Ihre emotionale und soziale Entwicklung kann beeinträchtigt sein und ihnen bleibt versagt, sich mit Selbstbewusstsein, Eigenverantwortung und einer gesunden Abgrenzung in ein gesellschaftliches System einzugliedern. Wer zum Beispiel daheim und in der Schule immer kritisiert wird und nie „gut genug ist“, der wird selbst auf konstruktive Kritik empfindlicher reagieren. Einfach weil diese tiefer reingeht, da sie die eigenen Selbstwertzweifel bestätigt.

Nicht wenige Heranwachsende glauben, dass es „sowieso keinen Zweck hat“ und das Leben in unserer Gesellschaft „einfach öde“ ist. Menschen, die sich nicht angenommen fühlen und ständig damit konfrontiert werden, dass sie „versagen“, werden ihrerseits das System aus einem Selbstschutz heraus ablehnen. Ist der Grundstein einer herabsetzenden, lieblosen Behandlung bereits im Elternhaus gelegt, geschieht das umso wahrscheinlicher. Einige der betroffenen Heranwachsenden werden sich in sich selbst zurückziehen, sich vielleicht auch in Suchtverhalten flüchten, um sich „wegzumachen“ oder mit stärkerer Aggressions- und Gewaltbereitschaft in die Offensive gehen, um sich nie wieder ausgeliefert, fremdbestimmt oder minderwertig zu fühlen.

Wer gegängelt wird und sich nicht als gut genug empfindet, der wird auch nur mit einer geringeren Frustrationstoleranz den Anforderungen im Alltag begegnen können. Alles wird zu viel und zu einer Belastung, wenn der eigene Selbstwert davon immerzu bedroht ist. Eine Stärkung des Selbstwertes ist also essenziell, um mit den Anforderungen im Berufsalltag umgehen zu können. Alles andere kann oft mit Ängsten, Aufgeben und „störrischem“ Verhalten in Zusammenhang stehen.

Burn-out bei Lehrkräften

Auf der anderen Seite sollte auch die emotionale Überforderung der Lehrkräfte nicht außer Acht gelassen werden. Viele von ihnen haben sich jahrelang aufgerieben, für die Kinder engagiert und sind immer wieder gegen Mauern gelaufen. Das Budget für eine Verbesserung des Unterrichtes ist knapp und der Lehrplan eng getaktet. Da bleibt keine Zeit, um auf einzelne Kinder einzugehen.

Um nicht selbst zu erschöpfen, mussten sich viele Lehrende emotional schützen. Auch das Verhalten von manchen Heranwachsenden kann stark herausfordernd sein. Wie sehr werden Lehrende dahingehend unterstützt und aufgefangen? Eigentlich kaum. Letztendlich sind sie es, die alleine vor der Klasse stehen und so einiges an Beleidigungen abfangen müssen.

Wandel im Schulsystem erforderlich

Es ist also nicht pauschal die eine oder die andere Seite schuld und schwarze Schafe gibt es überall. Es ist ein Konglomerat an Missständen im Schulsystem, bei dem an verschiedenen Punkten angesetzt werden muss. Der Standard eines der am weitesten entwickelten und reichsten Länder der Welt sollte sich auch in einem innovativen Schulsystem widerspiegeln, welches das Potenzial und die Innovationsfähigkeit jedes einzelnen Kindes aktiviert und einen Diversität anerkennenden, respektvollen Umgang auf Augenhöhe als Maßgabe hat.

Angstmachender Unterricht und das kränkende, bloßstellende Verhalten mancher Lehrkräfte nehmen die Freude am Lernen und bremsen die kindliche Entwicklung aus. Versagensängste, Schulängste und soziale Ängste können eine Folge davon sein. Finden Kinder sich damit ab, dass sie „nicht gut“ sind, haben wir als Gesellschaft pädagogisch versagt. Der Selbstwert eines Kindes wird geschwächt, vor allem, wenn dieser schon aus dem Elternhaus heraus geschwächt ist. Schulen haben eine gewisse Macht und diese sollte nicht zu einem Machtmissbrauch an Schulen führen. Sie sollte orientierende Werte und Leitsätze für das Leben vorgeben und praktizieren, ebenso wie einen vernünftigen, konfliktfreien Umgang in einer Gruppe. Ein pädagogisch und psychologisch wertvoller Umgang mit den Heranwachsenden ist eine Säule des Fundamentes Schule.

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