Kampf- oder Fluchtreaktion, Erstarren und Unterwerfung werden als vier typische Reaktionen angesehen, die in Zusammenhang mit bedrohlichen Situationen und traumatischen Erfahrungen auftreten können. Sie sind evolutionär in uns verankert und dienen im Ursprung dem Überleben.
Kampf- oder Fluchtreaktion: Evolutionär verankert
Sehen Tiere sich einer bedrohlichen Situation gegenüber, reagieren sie sekundenschnell mit Kampf oder Flucht. Sind diese elementaren Überlebensreaktionen für sie nicht erfolgsversprechend, etwa weil der Gegner zu stark und zu schnell wäre, kann mitunter das Erstarren, also der Totstellreflex, dienlich sein. In einem weiteren Sinne zählt auch die Unterwerfung dazu, die gegenüber einem ranghöheren, stärkeren Tier im Rudel die eigene Sicherheit gewährleistet.
Kampf, Flucht, Erstarren und Unterwerfung beim Menschen

Auch Menschen weisen emotionale Überlebensreaktionen wie Kampf- oder Fluchtreaktion, Erstarren und Unterwerfung auf, die sich in der Psyche niederschlagen können. © Andrew Magill under cc
Auch wenn es für uns Menschen, zumindest in westlichen Kulturen mit einer ausreichenden sozialen Absicherung, in der Regel nicht mehr im klassischen Sinne um Leben und Tod (in Form einer Jagd oder Revierverteidigung) geht, können auch wir instinktiv in solche Überlebensautomatismen verfallen. Denn auch wir sind in unserer Gesellschaft Bedrohungen ausgesetzt.
Menschen, die beispielsweise in der Kindheit traumatisiert wurden, die körperlich, sexuell oder emotional missbraucht wurden, haben meistens ein Leben lang mit den seelischen Belastungen zu kämpfen. Sie waren in einer Situation, die stark bedrohlich war und in der es für sie keinen Ausweg gab. Andere erleben im Erwachsenenalter eine Vergewaltigung, Kriege und sonstige traumatische Ereignisse, mit deren seelischen Folgen sie fortan umgehen müssen. Bei vielen von ihnen entwickelt sich eine psychische Erkrankung, die einer professionellen Behandlung bedarf.
Wie zeigt sich Kampf- oder Fluchtreaktion heutzutage?
Kampf, Flucht, Erstarren und Unterwerfung sind auch heutzutage beim Menschen zu beobachten. Befinden wir uns in einer bedrohlichen Situation, werden diese elementaren Überlebensreaktionen ausgelöst. Sie können aber auch ausgelöst werden, wenn wir aufgrund unserer emotionalen Empfindungen anhand von vergangenen Erfahrungen eine bestimmte Situation »lediglich« als bedrohlich bewerten. Sahen sich Menschen in ihrem Leben bereits bedrohlichen Situationen ausgeliefert, werden viele von ihnen auch später schneller zu solchen Reaktionen neigen. Sprich: Wenn sie sich getriggert fühlen.
Der US-amerikanische Psychotherapeut Pete Walker hat für Kampf (Fight), Flucht (Flight), Erstarren (Freeze) und Unterwerfung (Fawn) die 4Fs als Traumatypologie bei komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen geprägt (und zudem die Fawn-Response etabliert).
In Folge von starken negativen Ereignissen und Traumatisierungen kann es unter anderem zu einer Tendenz für diese Reaktionen kommen. Schauen wir uns einige Beispiele dafür an.
Kampfreaktion: impulsgeleitet
Manche Menschen, die zum Beispiel in der Kindheit deutlichen negativen Belastungen ausgesetzt waren, die sie nicht verarbeiten konnten, neigen vielleicht bis heute zu stark impulsgeleiteten Reaktionen. Sie fühlen sich schneller bedroht, fahren emotional dann schnell hoch und schalten auf Angriffsmodus. Sie regen sich lautstark auf, laufen offensiv umher und streiten. Bei einigen sind diese Verhaltensantworten bis in die Persönlichkeit vorgedrungen. Sie sind lieber generell bedrohlich, als dass sie sich noch einmal ausgeliefert fühlen müssten.

Die Kampf- oder Fluchtreaktion findet sich auch im Tierreich. © Balakrishnan Valappil under cc
In diese Gruppierung ließen sich zum Beispiel manche narzisstische Personen sowie allgemein Menschen mit dissozialen Verhaltensweisen einordnen. Sie bilden den Pol mit einer stärkeren Ausprägung ab.
Selbstverständlich gibt es außerdem auch noch abgeschwächtere Ausprägungen, die durchaus positiver Natur sein können. Dazu zählen beispielsweise Menschen, die in einem sozial verträglichen Rahmen durchsetzungsstark sind, die gut für sich einstehen, deutlich auf ihre Grenzen achten und sich den Willen von niemandem aufzwingen lassen.
Fluchtreaktion bei Angst
Andere Personen haben vielleicht ein weniger offensives Temperament. Sie »flüchten« beispielsweise aus einer konfliktreichen Situation. Oder sie sind achtsam auf der Straße unterwegs. Erscheint ihnen eine Person als nicht geheuer, wechseln sie lieber die Straßenseite. Das muss nicht zwangsläufig nur nachts geschehen oder in einer einsamen Gegend. Besteht eine höhere Angstneigung, fühlt man sich vielleicht auch bei Tage inmitten von anderen Menschen auf der anderen Straßenseite sicherer und meidet eine potenzielle Konfrontation mit der bedrohlich wirkenden Person.
Menschen, die zu einer »Fluchtreaktion« neigen, sind oft ängstlicher Natur. Sie flüchten sich zum Beispiel in Arbeit und neigen zu Perfektionismus, um die Kontrolle herzustellen. Auch der soziale Rückzug und die Flucht aus dem Alltag können sozusagen als Fluchtreaktion gedeutet werden.
Vereisen als Verdrängung
Manche Menschen reagieren einfach gar nicht mehr, wenn sie sich in einer für sie bedrohlichen Situation befinden. Sie verfallen in eine Starre und können sich nicht mehr bewegen. Sie verstecken sich in sich selbst oder sie neigen zur Dissoziation, indem sie bestimmte Gefühle, Wahrnehmungen oder Erinnerungen abspalten.
In abgeschwächter Form »vereisen« wir, wenn uns die Worte fehlen, etwa weil wir verbal attackiert werden. Manche Menschen, denen die Schulden über den Kopf wachsen, vereisen, sobald sie die nächste Mahnung per Post erhalten. Sie schaffen es nicht mehr, darauf zu reagieren und blenden die Problematik aus. Vielleicht haben diese Menschen sich schon früher in der Kindheit ihren Bezugspersonen hilflos ausgeliefert gefühlt und wussten nicht, wie sie auf deren bedrohliches Verhalten reagieren sollten. Also hielten sie es einfach aus und ertrugen in Starre den Zustand.
Unterwerfung als emotionale Abhängigkeit

Nicht immer ist eine Partnerschaft ein sicherer Hort, manchmal beinhaltet sie auch Unterordnung und Kontrolle. © Hernán Piñera under cc
Haben Menschen sich bereits in der Kindheit anderen Personen unterordnen müssen, um zu »überleben«, zeigen sie diesen Modus oft auch lange als Erwachsene. Sie geraten in emotional abhängige Partnerschaften, bei denen sie ihre eigenen Bedürfnisse zurücknehmen und denen der anderen Person den Vorrang geben. Damit zusammenhängend stellen sie ihren Wert unter den der anderen Person, umschmeicheln und umsorgen sie, in der Hoffnung einer schlechten Behandlung zu entgehen.
Mögliche Traumareaktionen?
Der Grund, warum der Titel dieses Artikels als Frage formuliert ist, liegt darin, dass die Übergänge zwischen negativen und traumatischen Erfahrungen fließend sind. Ob eine Erfahrung als traumatisch gilt, wird von jedem Menschen unterschiedlich bewertet. Dementsprechend können die vier Reaktionsarten durchaus Traumareaktionen sein, müssen sie aber nicht ausschließlich. Darüber hinaus unterliegen auch die Einordnungen als Kampf- oder Fluchtreaktion, Vereisung und Unterwerfung einem Kontinuum. Mal sind sie stark, mal weniger stark ausgeprägt. Das menschliche Verhalten ist sehr komplex und manchmal können wir die elementaren Überlebensmechanismen noch darin erkennen. Außerdem spielen beim menschlichen Verhalten Gewohnheiten mit rein, genauso wie Modelllernen und andere Verhaltensweisen.
Fazit: Rudimentäre Verhaltensweisen – Was tun?
Wenn du dich in manchen Situationen deinem Verhalten und emotionalen Erleben ausgeliefert fühlst, kannst du durchaus etwas tun, um dich besser regulieren zu können. Selbstverständlich kannst du unterstützend eine psychotherapeutische Intervention in Betracht ziehen, damit die negativen Erlebnisse und Bindungserfahrungen aus deiner Vergangenheit aufgearbeitet werden können. Texte im Internet ersetzen niemals die Komplexität einer therapeutischen Behandlung und sind auch nicht auf den Einzelfall zugeschnitten.
Darüber hinaus kannst du für dich erkennen lernen, in welchen Situationen und Konstellationen dein seelisches und emotionales Erleben in diese elementaren Reaktionen wie Kampf- oder Fluchtreaktion, Erstarren oder Unterwerfen „umschwenkt“. Reaktionen, die einst beim Überleben halfen, treten heutzutage oft in Situationen auf, die objektiv betrachtet keinerlei Bedrohung aufweisen. Jedoch werden sie individuell als überfordernd oder emotional schmerzlich wahrgenommen.
1. Den Anfangspunkt erkennen
Du kannst für dich lernen, bewusst wahrzunehmen, ohne dich zu bewerten, zu verurteilen, zu beschämen oder herabzusetzen. Bemerkst du eine solche Reaktion in dir, frage dich: „Was passiert gerade in meinem Kopf, in meinem Körper?“ Spüre in dich hinein. Nimmst du Körpersignale wahr? Womöglich ein Engegefühl im Brustbereich oder einen aufgewühlten Magen. Eventuell fängst du an zu zittern, dein Atem wird schneller oder verflacht sich. Diese oder ähnliche körperliche Empfindungen stehen für die Aktivierung deines autonomen Nervensystems. Dein Körper geht in Habachtstellung. Bemerkst du diesen Alarmmodus deines Organismus, gehst du bereits innerlich mehr auf Distanz zu den rudimentären Reaktionen. Du wechselst von deinem Innenleben in die Beobachtungsperspektive.
2. Schaffe Raum zwischen Reiz und Reaktion
Registrierst du, dass du in einen der Überlebensmodi „abgerutscht“ bist, bemühe dich um eine Unterbrechung der Vorgänge mit dem Verstand. Bemerke sachlich, dass es so ist, und versuche bewusst, gegenzuregulieren. Du kannst zum Beispiel aufstehen und dich aus der Situation entfernen. Du kannst tiefe Atemzüge nehmen, deine Muskeln gezielt anspannen und wieder lockern. Im Geiste könntest du auch mit dir sprechen: „Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit. Dein Körper reagiert auf etwas von früher.“
Diese vernunftgeleitete, liebevolle Selbstzuwendung aktiviert jene Areale deines Gehirns, die für reflektiertes Denken stehen, Emotionen regulieren und Impulsen Einhalt gebieten können.
3. Bewerte die Situation neu
Sobald die Emotionen sich mehr ebnen, folgst du deinem Verstand, um die Situation neu einzuordnen. Frage dich beispielsweise: Welche Aspekte haben mich getriggert, sodass es zu den emotionalen Überlebensreaktionen kam? Gab es vergangene Erfahrungen oder Glaubenssätze, die in dem Moment auf mich eingewirkt haben? Stelle dir auch vor, wie du aus der Perspektive einer reifen, erwachsenen Person mit so einer Situation umgehen magst. Oft hilft es, sich das Idealbild vorzustellen, von dem, wie man reagieren möchte. Oder sich vorzustellen, wie eine Person, die man bewundert, reagieren würde. Das alles gewährt einen Handlungsspielraum.
Rückblickend kannst du ebenfalls auch länger zurückliegende Situationen auswerten und ein Resümee ziehen. Möglicherweise kommt es bei bestimmten Situationen oder Konstellationen immer wieder dazu, dass du emotional gefordert wirst. Wenn du verstehst, was genau dich getriggert hat, warum du so reagierst, kannst du zukünftig rechtzeitig gegensteuern und für dein Wohlergehen Sorge tragen. Indem du dich beispielsweise aus der Situation entfernst.
4. Kreiere eine Notfallkarte
Eine innere Notfallkarte hält kurze, beruhigende Sätze bereit, durch die dein inneres Kind oder Unterbewusstsein erreicht werden kann. Sätze wie: „Ich bin sicher“, „Ich bin richtig“, „Alles ist gut“, „Ich bekomme das hin“, sind ruhig, eingängig und tröstlich. Einfache Handlungen sind ebenso hilfreich. Trinke Wasser, wechsele den Raum, halte die Hände unter kaltes Wasser. So kommt dein Gehirn und dein Erleben in einen anderen Kontext. Du kannst dir auch ein Ritual antrainieren, wie bewusste, kurze Atemübungen, die dich zurück in dein ruhiges Ich bringen.
Indem du dir selbst Werkzeuge an die Hand gibst, wirst du für dich zu einem verlässlichen Anker. Du lernst, Signale, die dich vor einem Grenzübertritt oder einer Bedrohung warnen, wahrzunehmen und emotional reif darauf zu reagieren. Deine elementaren Überlebensreaktionen zeigen dir, dass dein System Schutz sucht. Denn traumatische Erfahrungen haben einen Einfluss auf das Gehirn und es muss bewusst umlernen. Deine Aufgabe ist es, dir selbst zu zeigen, dass du diesen Schutz in dir selbst finden kannst.