alte Frau gebückt im Garten

Bewegung kann bis ins hohe Alter sinnerfüllt sein und Freude machen. © barockschloss under cc

Die Weltbild-Methode stellt einen Ansatz dar, der unter anderem Menschen mit chronischen Schmerzen helfen soll. Später gehen wir der Frage nach, ob die Weltbild-Methode auch bei anderen Formen chronischer Erkrankungen hilfreich sein kann, doch der Fokus liegt zunächst auf den chronischen Schmerzen.

Ziel ist es, den Goldstandard der gegenwärtigen Therapie (falls vorhanden), mit den optimalen unspezifischen Verfahren und den spezifischen Verfahren der Weltbild-Methode zu kombinieren. Die unspezifischen und spezifischen Verfahren gilt es nun genauer zu erläutern. Es kann sein, dass von Fall zu Fall der therapeutische Goldstandard mit den unspezifischen und spezifischen Verfahren überlappt. Das wäre kein Fehler, sondern am Ende sogar ein wünschenswertes Ziel, dass nämlich die drei Blöcke, die wir heute haben, langfristig zu einem Gesamtkonzept verschmelzen.

Die Weltbild-Methode richtet den Blick intensiver auf jene Blöcke, die noch immer zu wenig Beachtung erfahren und demzufolge auch noch sehr viel Potential in sich bergen. Wir werden erst die unspezifischen Verfahren vorstellen, knapp, da viele von ihnen bekannt sind, und danach auf die spezifischen eingehen, darunter das Herzstück der Weltbild-Methode.

Die unspezifischen Verfahren

Es gibt heute wunderbar ausgearbeitete unspezifische Verfahren, die selbst zu eigenen Systemen ausgebaut sind. Bei Menschen mit chronischen Schmerzen ist der erste Punkt oft auch einer der unbeliebtesten:

Bewegung

Bewegung klingt schon für viele nur gelegentlich von Schmerzen geplagte Menschen wie eine Drohung. Bewegung geschieht bei Kindern noch aus der Lust an der Bewegung selbst. Sie toben, klettern, rennen, spielen Fangen und Fußball . Das ändert sich durch Übergewicht, weniger Spielmöglichkeiten, weniger Freunde und mehr Computer im Leben. Unser Lebenstil ist ein sitzender geworden, man spricht schon davon, dass Sitzen das neue Rauchen sei.

Wenn wir uns später bewegen, dann oft, „um zu“ und nicht mehr aus Freude an der Bewegung. Um irgendein anderes Ziel zu erreichen, um das es in Wirklichkeit geht. Oft, um abzunehmen oder weil der Arzt es verordnet hat. Für Menschen mit chronischen Schmerzen kommt neben der Unlust, die viele von uns befällt, noch der Schmerz hinzu. Und noch ein übler Effekt. Man sollte meinen, dass Menschen mit chronischen Schmerzen sich an diese gewöhnen und etwas abstumpfen. Doch gerade wenn eine Schmerztherapie bisher unzureichend war und nur aus Schmerzmitteln bestand, ist das oft nicht der Fall. Die Toleranz gegenüber normalen Schmerzen, die wir alle mal haben, zum Beispiel der Muskelkater nach Bewegungen, sinkt und diese Menschen lernen beim kleinsten Wehwehchen sofort, medikamentös gegenzusteuern, eine Gewohnheit, die oft schon die Grenze zur Sucht überschreitet. Eine effektive Schmerztherapie auch und gerade mit Opioiden ist ein Segen und unbedingt sinnvoll, um die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses zu vermeiden, als Dauermedikation ist dieselbe Therapie oft eine Katastrophe.

Die mehrfache Wirkung der Bewegung

Bewegung ist kein Abspeisen, keine etwas schlechtere Schmerz-Therapie. Ein Orthopäde sagte mir, mit einer Spritze bekäme er seine Patienten für 24 Stunden schmerzfrei, mit Bewegung dauerhaft. Der Grund ist, dass durch die Bewegung der Körper selbst schmerzhemmende Stoffe ausschüttet, natürlich nur, wenn man sich regelmäßig bewegt. Die richtige Bewegung richtet sich nach der Art der Schmerzen. Bei Knie- und Rückenschmerzen profitieren Jung und Alt von Bewegung. Beim Rücken, helfen besonders Wandern, Skifahren, Pilates. Ausdauersportarten senken die Schmerzen bei Neuropathien und Rheumatiker profitieren insbesondere vom Krafttraining. Und als Faustregel gilt ebenfalls: Lieber schneller wieder in die Aktivität kommen, als langsamer. All dies muss im Einzelfall mit einem Arzt und/oder Physiotherapeuten besprochen werden, aber die Untersuchung über den Nutzen der Bewegung bei Schmerzen sind klipp und klar.[1]

Über die primär schmerzstillende Wirkung der Bewegung hinaus profitieren Menschen mit chronischen Schmerzen aber noch auf weitere Weise davon. Schmerzen, gerade wenn sie chronisch werden, gehen so gut wie immer mit Depressionen einher. Man kann sich nun länger darüber unterhalten, ob die Depressionen daher kommen, dass man Schmerzen hat und sich dann die weiteren Folgen, wie Verzweiflung, Rückzug und dergleichen Bahn brechen oder ob man eher Schmerzen empfindet, weil man depressiv ist. Zielführender ist in dem Fall aber, beides zusammen anzugehen und zu nahezu jeder guten Therapie gegen Depressionen gehört eben auch Bewegung, man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe.

Dazu kommt, dass Bewegung zu Erfolgserlebnissen führt und deshalb und aus sich heraus glücklich macht, wenn man keine groben Fehler macht, was in der Regel heißt, sich zu über- oder unterfordern und dann schnell, im Misserfolg, abzubrechen. Zu Depressionen gehört mitunter, dass man sich selbst Erfolgserlebnisse nicht gönnt. Einerseits kann man das dadurch kurieren, dass man es bewusst doch tut und bemerkt, dass man ja doch etwas hinbekommt, sogar noch in Eigenregie, andererseits ist die Psyche dynamisch und manchmal etwas verrückt, so dass man sich Erfolge gerade deshalb nicht gönnt, weil es funktioniert (siehe auch: Probleme in der Therapie). So oder so vergrößert eine Zunahme der physischen Widerstandskraft und ein Erleben der Fortschritte die Ich-Stärke, was seinerseits ein sehr wichtiges Element ist, weil es zwischen Ich-Schwäche und Schmerzen offenbar ein erhebliche Korrelation gibt, auf die wir später gesondert eingehen.

Wenn wir der Bewegung im Rahmen der Weltbild-Methode so viel Raum geben, dann aus zwei Gründen. Erstens, weil die Weltbild-Methode eine ganzheitliche oder sogar integrale Methode ist, zweitens, um einen Verständnisraum zu öffnen, um den es jetzt geht:

Auf- und Abwärtsspiralen verstehen

Die Ohnmacht und Verzweiflung, die oft zu chronischen Schmerzen gehört, muss man verstehen und ernst nehmen. Menschen mit chronischen Schmerzen haben oft schon so viel versucht, viele Tipps gehört, geholfen hat letztlich nichts. Aber, wie auch bei anderen Problemen, hilft oft nicht das eine Verfahren, sondern ein ganzes Ensemble und es gilt dabei die jeweils richtige Komposition, für den einzelnen Menschen zu finden. Aber jeder sollte verstehen, dass auch, wenn man innerlich schon die Augen rollt und denkt: „Was soll ich denn noch alles machen?“ ein Zusammenspiel viel öfter hilft als ein einzelnes Verfahren, schon deshalb, da chronische Schmerzen ihrerseits nicht nur eine Ursache haben. Da greifen, biopsychosozial, eine Reihe von Effekten ineinander, die eben dazu führen können, dass Menschen mit chronischen Schmerzen nicht selten in eine Abwärtsspirale gelangen. Schmerzen, Selbstvorwürfe, Probleme mit Freunden, Freizeit und Beruf, so dass Rückzug, Vereinsamung und Depressionen dazu kommen können und das ganze Leben binnen kurzer Zeit zum Desaster wird, wo alles mit einer scheinbaren Lappalie, ein paar Schmerzen, begann.

Auf der anderen Seite profitiert man von positiven Synergieeffekten, die mehr sind als einfache Additionen. Vielleicht hilft einem Menschen das besonders, wovor er sich bislang immer gedrückt hat, möglicherweise ist es aber auch eine neue und andere Zusammenstellung von mehreren Verfahren, die man bereits kennt, oder eine andere Einstellung oder leichte Veränderung der Rahmenbedingungen, die dazu führt, dass sich eine immer schnellere Aufwärtsspirale einstellt. Das sind Zusammenhänge, die man verstehen sollte.

Achtsamkeit

So ist Achtsamkeit oft ein wunderbarer Katalysator und die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion ist eine Methode, die dem in großartiger Weise Rechnung trägt. Achtsamkeit bedeutet, Dinge des Alltags bewusst zu tun, denn oft ist es so, dass wir in unserem Zustand des halbautomatischen Funktionierens nur noch sehr unbewusst agieren. Alles fliegt an uns vorbei, wir sind irgendwie unbeteiligt am eigenen Leben und doch zugleich gehetzt. Weil wir uns kaum mehr die Zeit zu bewussten Handlungen, zum Ankommen nehmen, immer mit dem Verweis auf eine Notwendigkeit die scheinbar größer ist.

Schmerzen ändern das, allein schon deshalb, weil sie die Prioritäten im Leben fast immer verschieben. Was eben noch wichtig war, wird auf einmal weit weniger bedeutend und die vermeintlichen Banalitäten werden nicht selten zur stillen Sehnsucht: Nur mal wieder einen Tag, oder nur ein paar Stunden das machen zu können, was früher so selbstverständlich und nicht selten sogar lästig war. „Immer muss ich laufen.“ Wie gerne würde so mancher es mal wieder ohne Schmerzen tun. Einfach nur ein normales Leben führen. Mit Achtsamkeit unsere Handlungen, aber auch unsere Gedanken und Gefühle zu begleiten und einen inneren Raum für Trauer, Wut, Sehnsucht, Enttäuschung zu haben, ist ein weiterer wichtiger Baustein im Rahmen der Weltbild-Methode.

Spaß und Freude

Aber da ist noch der andere Pol. Es ist gut, sich verschiedene oft und gerne verdrängte Aspekte bewusst zu machen und zu bearbeiten, man muss nur drauf achten, dass auch dies ausgeglichen wird. Neben der Bewusstheit, die gerne wachsen darf und bei der die meisten Menschen ein deutliches Defizit haben, ist der Aspekt von Loslassen, Spaß und Freude ein weiterer und anderer wichtiger Baustein. Letzten Endes ist das kein Widerspruch, weil all die Disziplinen, die uns die Achtsamkeit nahe bringen wollen (in aller Regel spirituelle Disziplinen) in letzter Konsequenz Freiheit und ein Loslassen im Sinn haben. Nur kann man das nicht mechanisch verordnen, von 9:30 bis 11:00 Uhr fröhlich zu sein und dann von 11:00 bis 12:00 Uhr achtsam, anschließend Mittagessen. Das klingt wie Schulunterricht oder Reha, aber darum geht es ja nicht, wenn überhaupt, dann nur am Anfang. Mehr und mehr gilt es selbst die Regie zu übernehmen und die einzelnen Elemente ineinander fließen zu lassen, so wie es einem selbst gut tut. Wo im eigenen Leben ein fester Raum für Freude und Achtsamkeit entsteht, wird man sehr bald merken, wie die verschiedenen Bereiche ineinander greifen. Aber es ist schön, wenn beispielsweise von Beginn an bewusst wird, dass Bewegung gut ist und es besser ist, wenn man sie bewusst und achtsam ausführt und noch besser, wenn das Ganze auch noch richtig Spaß macht. Das Leben darf auch Freude machen, ab und zu muss man daran mal wieder erinnern.

Und auch hier kann man die Zeit zur Reflexion nutzen und sich fragen, welchen Stellenwert Begeisterung und Freude in den letzten Jahre im Leben eigentlich hatten.

Berührung

Ein nächster Punkt ist die Berührung. Menschen zu berühren und sich berühren zu lassen gibt in beiden Fällen etwas und zwar bereits die körperliche Berührung als solche. Das kann und wird im Fall von Schmerzen oft der Physiotherapeut oder Masseur sein, aber auch andere Arten der Berührung sind heilsam, nicht nur, wenn man als Mensch mit chronischen Schmerzen berührt wird, sondern auch berühren kann, etwa, wenn man ein Tier streichelt. Ein Effekt den Kinder noch erleben, wenn sie sich weh tun und die Mutter die betreffende Stelle streichelt und pustet. Es deutet vieles darauf hin, dass es für das Streicheln einen eigenen Sinn gibt, das heißt eine Region im Hirn, die es anatomisch verarbeitet.[2] Gerade mit Schmerzen geht oft ein Rückzug von Aktivitäten einher, bei denen es zu Berührungen kommt, sei es zärtliche Nähe, Sexualität, Tanz oder gemeinsamer Sport und man gerät so in eine biopsychosoziale Abwärtsspirale, die aber genau so in eine Aufwärtsspirale verwandelt werden kann.

Geführte Meditationen

Ein letzter Baustein, den ich hier vorstellen möchte, ist die geführte Meditation. Das sind geführte Bilderreisen in innere Welten, in denen der Rahmen vorgegeben ist, die aber dennoch genügend Raum für eigene Impulse lassen. Sie sind wunderbar, um den Weg nach Innen zu üben und vereinen mehrere positive Effekte. Sie sind entspannend, man lernt sich selbst kennen, trainiert imaginative Fähigkeiten, kann innere Weichen stellen und Entscheidungen treffen. Und sie als bewusstes Ritual ins eigene Leben einbauen. Man kann sie live oder über diverse Abspielmöglichkeiten genießen und die besten vereinen in sich viele Elemente aus anderen Bereichen, die psychologisch effektiv sind, wie das Kohärenztraining oder EMDR.

Die spezifischen Verfahren der Weltbild-Methode

Auch die unspezifischen Verfahren der Weltbild-Methode müssen natürlich individuell auf den einzelnen Menschen abgestimmt werden, aber es sind solche, von denen relativ sicher jeder profitiert, jeweils im unterschiedlich starken Ausmaß. Der wesentliche Unterschied zu den spezifischen Verfahren ist, dass diese in der Weise auf den Einzelnen zugeschnitten sind, dass er weit mehr als ein Lieferant „technischer Daten“ ist, sondern wirklich ein Partner, der von sich erzählen kann, von dem, was er denkt, fühlt und auch zu seinen Schmerzen empfindet. Deshalb ist der erste Punkt so banal, wie wichtig:

Zuhören

Eine besonders eindrucksvolle Stelle in Harro Albrechts Buch Schmerz: Eine Befreiungsgeschichte war für mich die Beschreibung, in der eine chronische Schmerzpatientin in Tränen ausbrach. Nicht weil sie Schmerzen hatte, sondern, weil ihr, nachdem sie eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich hatte, die jeweils nur ihre Krankenakte studierten und die Mittel etwas veränderten, sich einer der Therapeuten, ein Osteopath, Zeit nahm und sie fragte, wie es ihr geht. Das kannte sie bisher überhaupt nicht.[3]

Inzwischen kennt man die Bedeutung des Zuhörens und fragt in fortschrittlichen Einrichtungen, wie etwa dem DRK Schmerzzentrum in Mainz, nicht nur nach aktuellen Schmerzen und bisherigen Medikamenten, sondern ungleich mehr. Nach Beruf, Lebensstil, psychischen und sozialen Hintergründen, der Art der Arbeit, die man macht und sogar die Rolle der Weltbilder und Erwartungen wird in Ansätzen beachtet. Der Patient wird hier einem mehrstündigen Aufnahmegespräch, durch Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen unterzogen.[4]

Fehler der alten Sichtweise vermeiden

Man muss sich davor hüten, ins alte Fahrwasser zu kommen und die subjektive Seite des Menschen mit chronischen Schmerzen wieder zu verobjektivieren und wegzuerklären. Der Patient müsse sich eben etwas entlasten, Stress abbauen, sich mal die Seele frei reden und dann könne man mit der eigentlichen Therapie beginnen. Nein, das echte Zuhören ist zwar auf jeden Fall entlastend, aber es sollte keine einmalige Aktion sein, sondern nach Möglichkeit dauerhaft. Es gilt ja, den Leidenden ins Boot zu holen, ihn nicht zum Zuschauer in eigener Sache zu machen, sondern wirklich zu integrieren. Er kennt sich ja selbst am besten.

Es gilt zu fragen, was bisher gegen die chronischen Schmerzen versucht wurde und mit welchem Erfolg. Was nach Meinung des Gegenübers der Grund dafür war, dass etwas geholfen oder nicht geholfen hat. Das beliebteste Mittel bei Schmerzen ist Ablenkung, aber auch das ist individuell verschieden. Was tut unser Gegenüber bei schlimmen Schmerzen? Was sind seine Erfahrungen und Vorschläge in eigener Sache?

Man sollte beständig im Dialog zu bleiben, über die Schmerzen, aber auch nicht nur über sie. Es gibt dazu lehrreiche Analogien aus anderen Bereichen. Wenn ein Thema oder Bereich des Lebens bei einem Menschen besonders dominant ist, ist es bei manchen Menschen zur Gewohnheit geworden, ausschließlich über diese Themen mit anderen zu reden. Das können Schmerzen sein, aber auch Themen wie Gewicht oder Essen, diverse Körpersensationen, die man aus der Ferne vielleicht eher als Unpässlichkeiten bezeichnen würde, unter denen die Betroffenen aber extrem leiden, wie bei der Hypochondrie.

Bei der oben kurz erwähnten Patientin hatte die Frage des Osteopathen, wie es ihr geht eine öffnende Wirkung, sie begann zu weinen. Offensichtlich war sie noch in der Lage, mit dieser Frage etwas anzufangen. Wenn Menschen ihre Vorstellungen, Stimmungen und Bedürfnisse nur noch über den Umweg ihrer Körperempfindungen darstellen können, ist bereits einiges schief gelaufen und eskalisert. „Also meinem Magen geht es heute besser, aber da ist so ein Knacken in der Schulter und so ein Kribbelgefühl im Unterbauch.“ ist keine gute Antwort auf die Frage, wie es einem geht.

Menschen mit chronischen Schmerzen haben oft deutlich mehr als nur „Zipperlein“, aber dennoch ist es auch bei ihnen wichtig, den Fokus der Aufmerksamkeit über die Schmerzen hinaus zu erweitern, damit man den ganzen Menschen kennen lernt und eben nicht einen Schmerzpatienten und damit auch der „Schmerzpatient“ merkt, dass er mehr ist, nämlich ein ganzer Mensch. Nicht nur damals einer war, sondern auch heute einer ist. Es geht darum, einen Zugang zu einem möglichst breiten Spektrum realistischer Empfindungen zu gewinnen und Körperempfindungen wieder in direkte Empfindungen von Emotionen zu übersetzen.

Beziehungen sind wichtig

Paar Arm in Arm in Park

Die Einbeziehung des Partners kann eminent wichtig sein. © Gareth Williams under cc

Wir sind Beziehungswesen. Das Verhältnis von Schmerzen und Beziehungen ist vielschichtig. Schmerzen können einen Ruf nach Zuwendung darstellen, aber manchmal auch einen nach Abgrenzung. Manchmal hilft es enorm, wenn der Partner mit eingebunden wird, manchmal schadet es eher. Manche entspannen in Anwesenheit des Partners, andere verkrampfen. Das hängt wesentlich mit der Art und Weise zusammen, wie man seinen Partner erlebt. Als Kritiker, jemanden mit turmhohen Erwartungen oder als jemand, der mit einem im Zweifel durch dick und dünn geht? Auch das ist eine komplexe Situation, weil der Partner nicht zwingend so sein muss, wie er empfunden wird und sich hier verschiedenste Formen psychodynamischer Prozesse überlagern. Projektionen und sehr oft tief eingegrabene Kerben aus der Vergangenheit, inklusive Vorstellungen und Ängste darüber, wie Männer oder Frauen wirklich sind. Das ist zwar sehr vielschichtig, aber gleichzeitig ein wunderbarer Toröffner zu dem, worum es hier geht. Nämlich, schrittweise zu erfahren, wie jemand denkt, empfindet, welche Phantasien er über die Welt und über Beziehungen hat. Und auch hier fließen konventionelle Antworten und stille Erwartungen, Befürchtungen und unbewusste Ängste ineinander.

Wenn man sich und seine Schmerzen jemandem anvertraut, entsteht ebenfalls eine Beziehung. Eine, in der diese Muster oftmals abgebildet und wiederholt werden. Idealerweise nimmt der Mensch mit chronischen Schmerzen aus der Begegnung mit, dass und wie er sich später selbst helfen kann, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Aber der Idealzustand ist eher die Ausnahme. Nicht jeder Mensch ist diese Begegnung auf Augenhöhe gewöhnt. Wer aus einer Familie stammt, in der die Beziehung der Eltern sehr asymmetrisch ist und sich darüber hinaus einen Partner sucht, der sehr dominant ist, der kann mit einer Beziehung auf Augenhöhe kaum etwas anfangen, er ist es nicht gewohnt und kann auch nicht mal eben so umschalten. Wer gar nicht selbst aktiv und unabhängig werden will, oder seine Schmerzen nutzt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, wird gar kein großes Interesse an der Eigenregie haben. All das muss man bedenken und gegebenenfalls ansprechen.

Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass Beziehungen idealerweise symmetrisch sein sollten, ist es ethisch geboten, auch Menschen helfen zu können, die diese Form nicht kennen und nicht leben. Das muss man mit berücksichtigen und prüfen, ob jemand eventuell von der Begegnung und der klaren Ansage eines autoritären Arztes oder Therapeuten mehr profitiert, als von der symmetrischen Begegnung mit einem einfühlsamen Arzt. Gerade auch deshalb ist es wichtig, zu klären, wie die Vorstellungen des Menschen über die Welt und was die Lebewesen in ihr antreibt, sind.

Wofür tue ich etwas?

Es gibt Momente, die einem die Augen öffnen. Einer dieser Momente war bei mir, als ich eine private Begegnung zwischen einem Orthopäden und einer Frau mit Rückenschmerzen miterlebte. Die gebildete Frau litt unter Abnutzungserscheinungen der Wirbel und konnte ihren Wunsch klar ausdrücken. Es wäre schön, wenn es eine Maschine gäbe, die ihr die Rückenwirbel auseinander ziehen würden. In ihrer Vorstellung war das etwas zum Aushängen, wie eine Klimmzugstange oder Art „Streckbank“ und sie fragte, ob so etwas gäbe. Für den Arzt war die Sache klar, die Muskulatur war das, wonach sie suchte, allerdings begegneten sich die beiden nicht, weil der Frau die Rolle der Muskulatur gar nicht klar war und dem Arzt so geläufig, dass er gar nicht auf die Idee kam, man könne das nicht wissen. Vielfach gehen die Vorstellungen von unserer Muskulatur in die Richtung, dass diese eine Art Panzer darstellt und unflexibel macht. Neben der Tatsache, dass auch Wissen ein wichtiger Punkt ist, geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem die Wünsche, die ein Mensch mit chronischen Schmerzen hat, geäußert werden können. Wenn man sagen kann, dass man genau das Passende für jemanden hat, nämlich in diesem Fall die eigene Muskulatur, ist die Lust am Training ungleich größer, als wenn man es nur dröge verordnet.

Es ist aber nicht allein das Wissen, was motiviert. Wir kennen es von all den Versuchen, jemandem klar zu machen, dass ein Verhalten oder eine Gewohnheit schädlich ist, in den seltensten Fällen liegt dort tatsächlich ein Mangel an Wissen vor, oft gibt es einfach nichts, was hinreichend motiviert, um von einer lieb gewonnen oder manchmal zur Sucht gewordenen Gewohnheit zu lassen. Noch die besten Argumente verpuffen in den meisten Fällen und wenn jemand sein Verhalten nachhaltig ändert, dann oft aufgrund von vermeintlichen Kleinigkeiten, die für ihn aber irgendwie emotional bedeutsam sind. Wenn man genau weiß, wofür man etwas tut und davon auch noch überzeugt ist, ist die Motivation eine ganz andere, als wenn man von einem Termin eines Pflichtprogramms zum nächsten hechelt. Dann hat man den Eindruck, nicht mal Ruhe zu haben, wenn man krank ist. Ein Reha-Programm von heute hat mit einer Kur von früher nicht mehr viel gemeinsam. Dicht gestaffelte Termine, die man einhalten muss, will man keinen Ärger mit der Krankenkasse bekommen. Alles sehr effektiv und nachvollziehbar, aber es fehlt der Raum, um mal eine Zeit lang ganz auszusteigen. Wie viel Raum gibt man diesen Phantasien im eigenen Leben und wie weit ist man in der Lage, sie umzusetzen?

Wenn man den Nutzen, den etwas hat, nicht bestreitet, sich aber dennoch nicht danach richtet, dann kann Willensschwäche ein Grund dafür sein, oft ist es aber so, dass man einfach andere Schwerpunkte im Leben setzt. Man sollte wenigstens über die Möglichkeit nachdenken, dass Menschen mit chronischen Schmerzen oder auch depressive Menschen nicht nur nicht mehr können, aber so gerne würden, sondern einfach auch nicht wollen. In einer Gesellschaft, die sich zu einem nicht unbeträchtlichen Maße über Leistung und Effizienz definiert gilt das natürlich als Makel. Das ist immer im Einzelfall zu prüfen, einige wünschen sich nichts sehnlicher als wieder an der Normalität teilnehmen zu können und gewiss gibt es etliche Mischformen der Art: Wenn ich wieder könnte, würde ich ungefähr so weiter machen, aber manches würde ich doch ändern.

Es können etliche Gründe eine Rolle spielen, warum jemand etwas nicht tut, obwohl er oder sie im Grunde davon überzeugt ist. Faulheit oder Willensschwäche mögen Gründe sein, oft kommt auch Scham dazu. Scham über vermeintlich banale Dinge, dass man vielleicht bei Bewegungen keine gute Figur macht, aber auch, dass man sich von einem Weltbild verabschieden müsste. Da bricht dann manchmal ein ganzes Gedankengebäude zusammen und das kann durchaus der größere Schmerz sein, so dass man lieber beim gewohnten bleibt. Auch das muss man ansprechen und gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen.

Ressourcen, Kompetenzen und Resilienzen

In der psychosomatischen Arbeit in Krankenhäusern oder der Traumatherapie hat es sich bewährt, den Fokus auf Ressourcen, Kompetenzen und Resilienzen des Patienten zu legen. Das ist weitaus mehr als gutes Zureden, auch wenn aufmunternde Stimmen sicher helfen können. Hier geht es aber um eine Reflexion, ein gemeinsames Erarbeiten von Stärken, von schon Erreichtem, neben einer realistischen Einschätzung der Situation. Wenn man herausfindet, dass Bewegung gut wäre, aber man es dennoch nicht tut, kann man sich die Frage stellen: Warum bewege ich mich eigentlich nicht? Und: Welche Bewegung würde mir Spaß machen? Allein, in der Gruppe, mit dem Partner, mit Musik oder ohne, drinnen oder draußen, schnell und intensiv oder langsam und mit Gefühl?

Jeder von uns hat schon Krisen und schwierige Situationen überwunden. Wie hat man das eigentlich geschafft, worauf hat man vertraut, wo liegen die eigenen Stärken? Hier geht es nicht nur um Stärkung und Unterstützung, sondern auch darum, dass der andere wirklich überzeugt wird, dass er Aufgaben bewältigen kann, weil er es schon mehrfach getan hat. Der Blick in die Vergangenheit ist da ein gutes Hilfsmittel, um zu schauen, wie man es denn bisher hinbekommen hat und dabei bemerkt man oft auch, wenn destruktive oder entwertende Muster aktiv sind: „Ja, das habe ich hingekriegt, aber das war ja auch leicht und da ist ja nichts dabei.“ Für andere mitunter sehr viel. Der eine hat hier seine Stärken und Schwächen, der andere dort, aber wir alle habe welche.

Der Blick in die Zukunft ist nicht weniger wichtig, konkret und wirksam, auch wenn man sie natürlich noch nicht erlebt hat. Doch manches kann man geistig vorwegnehmen und ein riesiger Teil des Lebens spielt sich ja in einem Möglichkeitsraum ab. Nicht das, was ist, ist allein entscheidend, auch das, von dem man sich begründet vorstellen kann, dass es so sein könnte. Dem widmen wir uns jetzt.

Das Herz der Weltbild-Methode

Berg, Insel, Sonne hinter Wolken, Meer

Der idele Ort kann im Innen oder Außen sein. © Paul Bica under cc

Wie schon öfter erwähnt, besteht ein wesentlicher Anteil der Weltbild-Methode darin, den anderen ins Boot zu holen, das heißt, ihn zum vom Objekt zum Subjekt zu machen, ihn zum Teil zu verpflichten. Und da Verpflichtung auf freiwilliger Basis Verantwortung bedeutet und dies wiederum die Kehrseite der Freiheit ist, geht es darum, den Handlungsspielraum und Möglichkeiten des anderen zu vergrößern.

Wer seit Jahren unter chronischen Schmerzen leidet hat von zig guten Tipps gehört und viele Ansätze ausprobiert, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Warum sollte Vorschlag Nummer 27 nun also auf einmal helfen? Diese Skepsis ist normal. Aber man kann diese Frage dem Leidenden, nach all den Teil- oder Misserfolgen stellen: „Was glauben Sie denn, was Ihnen helfen würde?“ Das muss nichts Reales, es kann eine leise Phantasie sein, eine vage Hoffnung, die sich aber auch auf realistische Ereignisse beziehen kann. Die Palette ist breit: Ein ganz neues Medikament, ein Naturheilmittel, eine Wohnortveränderung, Gott, neue wissenschaftlich erprobte Methoden, ein Wunderheiler, das sind nur ein kleine Ausschnitte eines großes Spektrums.

Manche dieser Vorstellungen kann man realisieren. Vielleicht ist ja jemand im warmen Süden tatsächlich schmerzfrei, vielleicht wird morgen ein neues Mittel oder ein ganz neuer Ansatz gefunden, möglicherweise hat jemand nachts einen visionären Traum, aber nicht immer wird man die passende Hilfe aus der Ärmel schütteln oder verordnen können. Man kann aber dennoch die Antwort für bare Münze nehmen und damit arbeiten. Zunächst einmal dankbar akzeptieren, dass man nun weiß, wovon der andere wirklich überzeugt ist und auf keinen Fall sollte man das entwerten. Das ist manchmal schwer, weil man selbst zumeist einer Richtung ideologisch anhängt und sei es nur ein Stück weit. Auf damit zusammen hängende Fragen und Lösungsansätze gehen wir im nächsten Teil ein, aber die Problematik ist unmittelbar ersichtlich.

Ein Arzt, Therapeut oder Berater kann der Auffassung sein, dass ein rein pharmakologischer Weg oft mehr schadet als nutzt und ihn innerlich ablehnen. Oder er kann, wenn jemand denkt, ein Wunderheiler könne ihm helfen innerlich die Augen verdrehen. Bestenfalls ringt er sich noch ein: „Na, versuchen Sie Ihr Glück“ ab, im schlechteren Fall folgt eine Tirade über Betrüger, die Pharmalobby und dergleichen. Dann hat man vielleicht sein Mütchen gekühlt, aber niemandem ist damit geholfen. Doch auch wenn man die neue Wunderpille oder den Geistheiler nicht zur Hand hat, kann man konstruktiv mit der Information umgehen, etwa so: „Nehmen wir mal an, Sie würden die Tablette einnehmen oder Sie würden den Geistheiler finden, was glauben Sie, wo und wie Sie die Wirkung zuerst bemerken würden?“

Die Körperregion, die Art, wie der Betreffende wohl empfinden würde kann man sich nun beliebig detailliert beschreiben lassen und so den anderen immer mehr in die emotionale Bilderwelt verwickeln. Der Phantasie oder Imagination sind ja zum Glück keine Grenzen gesetzt, es muss daher auch nicht realistisch zugehen. Aber Realität und Phatansie sind nun bei weitem nicht so von einander getrennt, wie man zuweilen hört und glaubt. Während man sich vorstellt, wie es sich anfühlen könnte, wenn die Schmerzen etwas nachlassen, immer plastischer und genauer, geschehen mehrere Dinge gleichzeitig: Zum einen übt man den Umgang mit inneren Bildern, was wichtig ist, da die Menschen hier unterschiedlich begabt sind, zumindest, wenn es um bewusste Erfahrungen geht. Des weiteren erlebt man in unterschiedlicher Intensität und unterschiedlich langer Zeit, dass die Schmerzen geinger werden. Sei es, dass sie wirklich nachlassen oder man nur abgelenkt ist oder irgend etwas dazwischen, man erlebt es direkt. Und das ist immer überzeugend.

Das Fenster zur Heilung öffnen

Die Zeitspanne in der man eine Besserung merkt kann gering sein, aber das macht nichts. Wichtig ist, erst einmal einen Zipfel zu ergreifen, ein Fenster zur Heilung zu öffnen. Vielleicht nur einen klitzekleinen Spalt breit, vielleicht reißt jemand das Fenster sofort groß auf und springt hinaus, in die neue Welt. Das ist im Einzelfall verschieden.

Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit einer älteren Frau, die von chronischen Schmerzen geplagt war und bei der die behandelnden Ärzte in großer Sorge waren, weil die Dosis an Schmerzmitteln, die sie brauchte sehr hoch und das therapeutische Maximum bald erreicht war. Es wurde schnell klar, dass ihre Schmerzen nicht nur auf der körperlichen Ebene vorhanden war, sondern auch tiefe emotionale Aspekte umfassten. Ich fragte sie, ob sie eigentlich Momente hat in denen es ihr gut geht und die Antwort kam sofort: Jeden Morgen, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnt, setzt sie sich mit einer Kollegin hin und frühstückt etwa 15 Minuten gemeinsam mit ihr. Sie beschrieb ein wunderschönes kleines Ritual, was sich jeden Werktag wiederholte. Die Frau war natürlich hoch motiviert zu arbeiten, weil dieses Frühstücksritual ein Quelle des Glücks und der Kraft in ihrem Leben war.

Fenster zur Heilung lassen sich innerlich und äußerlich öffnen. Durch solche oder ähnliche Rituale, durch Reisen, in die innere Welt. Beiden gemeinsam ist die Achtsamkeit oder Bewusstheit, die man dem Augenblick widmet. Auch das ist etwas, was wir verstehen müssen. Wenn von Ritualen oder Innenwelten die Rede ist, dann klingt das für unsere Ohren oft nach Flucht, nach Rückzug, nach Verweigerung der Realität. Doch es ist das exakte Gegenteil, denn Achtsamkeit oder Bewusstheit lassen uns so intensiv in der Realität ankommen, wie sonst nichts. Während eines Rituals – nicht einer leeren Zwangshandlung, diese ist ein verpfuschtes Ritual – widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit für eine bestimmte Zeitspanne einem Bereich des Lebens, einer bestimmten Situation.

Wenn wir kurz auf markante Punkte in unserem Leben zurückblicken, dann erinnern wir nicht solche, in denen die Zeit einfach so verstrich, während wir mit drei Dingen gleichzeitig beschäftigt waren und im Modus gleichmäßiger Ablenkung und kurzer Aufmerksamkeitsspitzen waren, sondern es waren solche, die unserem Leben eine bestimmte Wendung brachten, in denen wir präsent waren. Eine besondere Liebesnacht, eine Prüfung, der erste Kuss, ein Sportereignis, die Hochzeit, Erlebnisse mit einem Tier, ein Konzertbesuch, ein intensives Gespräch, vielleicht auch ein traumatisches Ereignis. Es sind in Knotenpunkte im Band unseres Lebens, jene Momente, die wir noch erinnern, wenn wir auf dem Sterbebett liegen und die uns hoffentlich sagen lassen, dass sich das Leben dafür gelohnt hat.

Unser Bewusstsein ist dann wie ein Laserstrahl, wir sind ganz fokussiert und mehr Realität geht nicht. Realität ist nicht jederzeit alles mitzubekommen, das bedeutet oft Reizüberflutung. Wenn alles auf einmal auf uns einströmt, sind das eher angstbesetzte oder sogar dissoziative Zustände, in denen wir mit der Welt gerade nicht verbunden sind. Verbindung setzt Offenheit voraus, im Moment anzukommen und sich auf die Welt einzulassen. In einer dissoziativen Erfahrung steigt man aus der Welt aus, ist zwar ganz bei sich, aber in einem für die Welt verschlossenen Zustand. Das lässt einen die Welt wieder ertragen, indem man mit ihr scheinbar nichts mehr zu tun hat. In der Meditation lässt man die Welt und ihre Eindrücke ebenfalls vorbeiziehen, aber man ist dabei ganz offen und präsent.

Wer in diesem meditativen Zustand ist, verdrängt nichts und doch haben viele eingefahrene Gewohnheiten in diesem Zustand keinen Raum. Es sind diese Gewohhnheiten, die uns die immer gleichen Wege wiederholt gehen und bereits wissen lassen, was kommt. Es sind Gewohnheiten, die unserem Leben Stabilität geben, aber es zuweilen auch langweilig machen, oder schlechte Muster sich immer mehr einschleifen lassen. „Was fehlt hier?“, fragt der Zen-Meister und meint, hier, in diesem Moment, wenn man ganz präsent ist? Nichts! Genau hier und jetzt ist alles in Ordnung. Aufmerksamkeit ist der Tod der Gewohnheit, macht jeden Moment einzigartig, lässt ihn frisch und klar werden. Wir haben die Wahl, aber das müssen wir wissen, begreifen und vor allem erfahren.

Alle Einwände die kommen, dass zwar genau jetzt möglicherweise alles in Ordnung ist, aber dass ja ansonsten alles in Unordnung ist und man die Realität doch nicht ausblenden kann, die einen doch wieder einholt und in der es Leid, Terror und eben chronische Schmerzen gibt, zielen als Kritik an der Sache vorbei. Es geht nicht darum, sich die Welt schönzureden, die Augen zu verschließen und sich einzugraben. Nicht Abstand von der Welt, nicht Weltflucht, nein, im Gegenteil, ankommen. Aber Welt ist nicht das, was die Nachrichten bringen. Welt ist viel mehr, ist die Wolke meiner Beziehungen, Phantasien, Begriffe, Bilder und Assoziationen, Möglichkeiten, Gewohnheiten und Normalitäten die immer mitlaufen und das scheinbare Außen begleiten. Wie viel Aufmerksamkeit ich der Welt schenke und welchen Bereichen meines Soseins, ist meine Sache.

Direktes Erleben

halb geöffnetes Gitterfenster, dahinter Landschaft

Das geöffnete Fenster zur Heilung ermöglicht neue Ausblicke und Sichtweisen. © oatsy40 under cc

Ob der Schmerz oder das Elend der Welt ansonsten immer noch da sind, ist in dem Moment egal. Es ist das Herausfallen aus dem Moment, das Nachlassen der Achtsamkeit, was diesen Gedanken überhaupt erst Raum gibt. Schmerz ist ein subjektives, ein Bewusstseinsphänomen. Auch wenn als Gründe für den Schmerz hier und da objektive Parameter genannt werden, die es ohne Zweifel gibt: wenn man den Schmerz nicht bemerkt, ist er weg, selbst wenn die objektiven Ursachen noch da sein mögen. Vermutlich sind selbst Zen-Meister nicht in jedem Moment vollkommen präsent, aber darum geht es auch nicht, denn wir wollen zunächst das Fenster zur Heilung einen Spalt breit öffnen. Es geht darum, nicht nur von Möglichkeiten zu hören, die man glauben muss, sondern die direkte Erfahrung zu machen, die man nicht mehr glauben muss, denn man hat es ja soeben selbst erfahren.

Vielleicht nur für Minuten, aber was man in diesen Minuten erfährt, ist etwas über die prinzipielle Möglichkeit die Schmerzen zu reduzieren und zwar abhängig von dem, was man selbst tut, beziehungsweise von dem, wohin man sein Bewusstsein schweifen lässt. Und bewusst zu sein, heißt nicht zwingend, in jedem Moment hoch konzentriert zu sein. Es kann auch bedeuten, sich ganz fallen zu lassen, der Situation ganz hinzugeben, wie in Momenten, in denen man spontan lachen muss. Das kann nicht krampfhaft passieren, man kann es nicht verordnen, Spontaneität schon gar nicht.

Chronischer Schmerz lässt vereinsamen, schneidet einen ab von dem lebendigen Austausch mit der Welt. Das kann auch mal in Ordnung sein, weil man so gezwungen ist, bei sich anzukommen. Nicht immer eine schöne, aber oft ein heilsame Erfahrung, eine, in der es manchen Menschen gelingt ihr Leben neu zu betrachten und zu bewerten. Die Frage, ob diese Menschen dann einem übergeordneten, gar objektiven Sinn des Lebens finden und durch eine Krankheit oder Krise auf die „richtige“ Spur gebracht wurden, ob sie das nur glauben oder einfach nur die Zeit und Ruhe zum Nachdenken nutzten ist letztlich egal. Ob es ein Ziel für alle Menschen gibt oder nicht, ist eine Glaubensfrage, einfach weil wir sie nicht beantworten können. Wenn wir aber wissen, dass jemand daran glaubt oder diesen Gedanken vehement ablehnt, so hat das eben Konsequenzen für sein Leben, die unbedingt ernst zu nehmen sind, weil das seine Realität ist. Wir versuchen aufzudecken und im wörtlichen Sinne fest zu stellen, woran jemand glaubt, welche echten Überzeugungen er hat und damit zu arbeiten, die Reise genau hier beginnen zu lassen.

Eine bewusste Einheit bilden

Wir bemerkten an einigen Stellen, dass die Goldstücke überall herum liegen. Man muss das Rad nicht neu erfinden, oft reicht es, zu sammeln und neu zu ordnen. Imaginative Bilder, echte Überzeugungen, direkte Erfahrung und ihre Wirksamkeit in der Realität sind die Elemente, um die es geht. Bewusstes und Unbewusstes, Argumente und Bilder, objektives Wissen und subjektive Überzeugungen sind lange gegen einander ausgespielt worden.

Es wird oft nicht sauber getrennt, ob es um eine Möglichkeit geht leidenden Menschen zu helfen oder um philosophische Diskussionen um den ontologischen Status, vulgo, ob das denn alles auch so stimmt. Die philosophische Diskussion sollte geführt, schon weil es eine Vielzahl von guten Gründen dafür gibt, dass an der impliziten Behauptung nur was „stimme“ können heilen oder helfen, nicht so viel dran ist, wie einige denken. Das eine „stimmt“ ist eine Frage des unterstellten Weltbildes und die Weltbild-Methode versteift sich gerade nicht auf genau ein Weltbild, sondern akzeptiert, dass es mehrere gibt und man mit allen arbeiten kann. Das andere ist eine Frage der intellektuellen Redlichkeit, der wir uns bereits gewidmet haben. Redlichkeit ist keine Frage des Weltbildes, sondern der Bereitschaft sich innerhalb eines selbstgewählten oder favorisierten Ansatzes festlegen zu lassen.

Wenn wir Menschen helfen wollen, dann gehört dazu auch ihre Aufmerksamkeit zu schulen. Und zwar auch für die guten, freudvollen Momente in ihrem Leben, die wir leider oft sehr schnell wieder vergessen oder als normal abhandeln. Zu sehen, dass es einem jetzt gerade gut geht, muss man regelrecht üben, denn wir sind anderes gewohnt, vielleicht ein evolutionäres Erbe.

So nimmt die Weltbild-Methode Konturen an. Auf der Basis einer intellektuellen Redlichkeit, das heißt einer Folgerichtigkeit des Weltbildes, auf das ein Mensch sich aktuell festgelegt hat, wollen wir das Weltbild des anderen mit ihm zusammen kennen lernen. Da man sich nicht selbst betrügen und sein Weltbild nicht nach Bedarf anpassen kann, muss man von den tiefen Überzeugungen des Menschen, mit dem man es zu tun hat ausgehen. Wir wollen zugleich ein Fenster für neue Erfahrungen öffnen und Menschen mit chronischen Schmerzen zeigen, dass es schmerzfreie Räume gibt, besonders wie und wo die diese Räume finden: In sich, durch Fokussierung, Achtsamheit, aber auch Entspannung und Freude, Ablenkung. Aus dem häufigen Rückzug soll wieder eine Öffnung der Welt gegenüber werden, in eigener Regie und Verantwortung. Diese Erfahrungen, ein Begehen neuer innerer und äußerer Wege, werden durch Wiederholungen verstärkt. Möglichkeiten des beständigen Dialogs und der Erfahrung von Erfolgen durch das Anstreben und Erreichen realistischer Ziele gehören dazu. Wenn sie auch in einem geschützten Umfeld geübt werden, so ist es doch das Ziel immer autonomer zu werden und die Erfahrungen in das eigene Leben einzubauen.

Die Welbild-Methode, versteht sich als dynamische, dialogische und integrative Methode in der Elemente der klassischen Schmerztherapie, sich mit den besten unspezifischen Verfahren und den subjektzentrierten Ansätzen, die die Weltbild-Methode im Kern ausmachen, ergänzen.

Quellen: