„Ungeheuer ist vieles, und nichts ungeheurer als der Mensch“, lässt uns der weise Sophokles im Chorlied der Antigone wissen. Worte des Staunens, über den Menschen und sein Handeln. Doch fast noch mehr als sein Handeln, charakterisieren den Menschen wundersame Innenwelten.

Dreidimensionale Gitterstruktur von innen

Der Blick von Innen in eine dreidimensionale Welt © fdecomite under cc

Wir alle ziehen uns an, kochen Kaffee, kaufen ein, gähnen und kratzen uns am Kopf. Das verbindet, beruhigt, wirkt vertraut, der andere ist so wie ich. Befindet er sich mit uns im selben Kino oder in der gleichen Straßenbahn, teilt er auch noch unsere Interessen und Absichten. Ein wenig zumindest.

Doch die Sitznachbarn können gleichzeitig Welten voneinander entfernt sein, getrennt durch ihr unterschiedliches Erleben, durch wundersame Innenwelten.

Wundersame Sprache

Es scheint einfach zu sein. Mittels Sprache tauschen wir Informationen aus, sagen, was wir denken, fühlen, wollen. Es ist ein alter Gedanke, dass die Innenwelten, die Psyche, bereits mehr oder weniger fertig vorliegt und dann mitgeteilt wird.

Die Philosophie brauchte lange um zu begreifen, dass es anders ist. Sprache drückt die Psyche nicht nur aus, sie erschafft sie. Sprache fasst Welt nicht nur in Worte, sie erzeugt Welt, genauer: Unser Welterleben, unsere Innenwelten.

Ohne zu denken könnten wir nicht sprechen, doch ohne Sprache wäre unser Denken schlicht. Der Test ist einfach, nahezu all unser Erleben wird sofort begrifflich eingekleidet: „Baum“, „Auto“, „Schwester“. Nicht anders das Erleben der Innenwelt: „Müdigkeit“, „Jucken“, „Misstrauen“, „Freude“. Und wie könnten wir ein Empfinden benennen oder es auch nur denken, wenn wir es nicht gelernt hätten?

Und jeder Begriff ist vernetzt und verbunden mit weiteren.

Wundersame Innenwelten der Wahrnehmung

Aber ist es die Sprache allein? Auch im kommunikativen Chaos finden wir immer wieder Grundlagen, auf die wir uns einigen können. Wir mögen dasjenige was jemand gesagt hat noch so unterschiedlich bewerten, dass er es gesagt hat, daran besteht kein Zweifel.

Ob das Bild schön ist, ist Geschmackssache, dass dort eins hängt, bedarf keiner großen Klärung. An dieser Stelle sind unsere Innenwelten sehr ähnlich und wir könnten gar nicht erfolgreich miteinander sprechen, wenn es anders wäre.

Doch zugleich dürfen wir schließen, dass unsere Innenwelten nicht gleich sein könnten. Wären sie es, bräuchten wir nicht zu sprechen, jeder wüsste, was der andere empfindet. Diese feine Differenz macht aus Innenwelten wundersame Innenwelten.

All unsere Wahrnehmung ist Interpretation. Es gibt keine Welt, wie sie ist. Zu dieser primären Interpretation gesellt sich die angeborene Fähigkeit Affekte zu lesen (und auszudrücken). Die erlernten Begriffe, ausgesprochene und unausgesprochene Werte, Normen und Ideale, vermischen sich mit inneren Bildern und Empfindungen.

Weltbilder

Dies schlägt sich in diversen Weltbildern nieder, die einen halbbewussten Hintergrund unseres Erlebens bilden, eine Ordnung darstellen, für die wundersamen Innenwelten.

Mann vor geöffneter Tür blickt in eine Gebirgslandschaft

Tor zur Innenwelt © Hartwig Koppdelaney under cc

Öffentliches Spiel und private Interpretation, wir beherrschen beides. Am Stammtisch, in der Familie oder mit der besten Freundin reden wir anders, als mit dem Chef oder in der Öffentlichkeit. Von Zeit zu Zeit bricht es heraus: „Wenn man mal ehrlich ist, dann geht es in der Welt doch nur um Geld“, oder Macht oder Sex, Einfluss, Status oder was der Einzelne gerade meint.

„Genau“, könnte man zustimmen oder auch bemerken: „Äh, nö.“ Geht es nicht auch um Mitgefühl, Kooperation, eine bessere Welt? Beispiele für ihre Sicht finden beide.

Äußerlich abwechslungsreich muss unser Leben nicht sein, um gigantische Innenwelten zu entwickeln. Kant hat seine Heimatstadt nie verlassen. Nach seinem Tagesablauf konnten die Königsberger die Uhr stellen. Innerlich war er ein Riese. Kafka arbeitete zuverlässig als Versicherungsangestellter. Seine erste Geliebte hat er kaum je gesehen, der Rest waren (über Jahre) Briefe. Was er daraus destillierte sucht seinesgleichen. Das Leben von Zen-Mönchen ist mitunter äußerst strukturiert, innerlich jedoch oft sehr reich.

Andere Menschen werden Serienmörder, religiöse Fanatiker, Extremkletterer, Kernphysiker, schreiben Sinfonien, eröffnen Hundepensionen – wundersame Innenwelten, die scheinbar kaum etwas miteinander verbindet. Auch wenn alle Kaffee kochen und sich am Kopf kratzen. Manche werden wahnsinnig, andere süchtig, einige Zyniker, andere Heilige. Sie helfen und töten einander, lieben und hassen sich, planen und erinnern, fürchten und hoffen. Sie sind schlicht und vielschichtig, eindeutig, widersprüchlich und ambivalent – lassen wundersame Innenwelten teilweise sichtbar werden.