So voll ist es noch nicht und aktuell ein fast schon nostalgischer Anblick. © rp72 under cc

Es ist schon keine Besonderheit mehr, dass auch die Frage ob wir zu viele Menschen auf der Welt sind sehr kontrovers und emotional behandelt wird. Die einen sprechen bereits seit Jahrzehnten von einer Überbevölkerung, jedoch legt dieser Begriff schon fest, was im Grunde nur als Frage im Raum steht, nämlich ob wir zu viele Menschen auf der Erde sind und wann man berechtigt davon sprechen darf.

Eine der noch nicht gelernten Lehren der Zeit ist, dass die Klärung der Frage, wie es denn nun wirklich ist und folglich wird, im Grunde kaum bis gar nicht zu beantworten ist. Das verstört, weil viele noch immer die Idee im Kopf haben, wenn man sich mal einen Nachmittag lang Zeit nimmt und sich alle Daten und Fakten anschaut, dann könne man sich einen ausreichenden Blick über die Gesamtlage verschaffen und wenn nötig, korrigierend eingreifen. Und wenn es nicht der eine Nachmittag ist, dann eben ein Wissenschaftskongress, Weisenrat oder ein Supercomputer, aber man denkt, dass man die eine richtige Lösung finden wird.

Vermutlich ist das etwas zu optimistisch, unterkomplex und überholt, da die Faktoren, die wir berücksichtigen müssen ebenso zahlreich wie variabel sind, so dass sich eher ein chaotisches oder dynamisches als ein stabiles und schon gar kein starres System ergibt.

Die Sicht starrer und stabiler Systeme

Wir finden eine merkwürdige Allianz bei denen, die von einer definitiven Überbevölkerung ausgehen und denen, die das definitiv ausschließen. Der Klassiker Ersterer ist Thomas Robert Malthus, der von einer immer weiter und sogar exponentiell ansteigenden Bevölkerungszahl ausging und die Menge der verfügbaren Nahrung dagegen hielt, die bestenfalls linear wächst. Die Menschen können mehr werden, das Land nicht, also gibt es irgendwann eine Knappheit der Nahrungsmittel, die sich in entsprechender Preisentwicklung niederschlägt und daher auf das Pro-Kopf-Einkommen, das absinkt.

Letztlich ist Malthus‘ Sicht aber auch nur ein Spezialfall der Grundidee, dass unendliches Wachstum sich nicht mit endlichen Ressourcen verträgt und so finden wir eine Allianz von einigen Wirtschaftsvertretern und einigen Vertretern einer ökologischen Sicht, vereint in der Idee, dass wir früher oder später zu viele Menschen auf der Welt sind. Denn nicht sämtliche Rohstoffe und Ressourcen der Erde sind nachwachsend oder wenn sie es sind, dann oft so langsam, dass wir davon nicht profitieren.

Erstaunlicherweise sitzen aber nicht nur die Vertreter der pessimistischen Sichtweisen in einem Boot, sondern auch diejenigen, die die Idee der Überbevölkerung ablehnen. Denn auch das sind gute Argumente: Wer will sich anmaßen, eine Aussage über die richtige Zahl an Menschen zu machen? Ideen des bevorstehenden Weltuntergangs sind vermutlich so alt wie die Menschheit, wer all diese Ideen überlebt hat, ist ebenfalls die Menschheit.

Denn in einem haben die Optimisten Recht: Der Fortschritt ist kaum aufzuhalten und gerade in Krisenzeiten finden Menschen sehr häufig zu neuen Lebensformen, zudem wird die Effizienz der Nahrungsproduktion immer größer, vielleicht liegt die Mischung der Zukunft ja in gentechnisch designtem Superfood und Insekten als Teil der Normalspeise. Dann bräuchten wir keine ausgedehnten Ackerflächen mehr, sondern Labore und Massenindustrieanlagen in denen gesundheitlich und geschmacklich optimierte Nahrungsmittel hergestellt werden. Diejenigen, die heute die Nase rümpfen, tun dies vor dem Hintergrund ihrer sozialen Gewohnheiten, doch die können sich rasant ändern, denken wir nur daran, wie das Internet unser Leben im Sturm erobert hat.

Auf dieser Basis ist es durchaus denkbar, dass die Menschen genau das tun, was sie immer schon taten und unübertroffen gut können, nämlich sich in kurzer Zeit an neue Bedingungen anpassen und ihren gesamten Lebensstil ändern, wobei es eher zu einer Ausdifferenzierung, also vielen Ansätzen kommt. Noch heute gibt es nahezu archaisch lebende Menschen, Nomaden, Hirten, Jäger und Sammler, aber eben auch Sesshafte und Menschen, die sich um die Nahrungsmittelproduktion keine Sorgen machen und bei denen diese basalen Themen im Alltag keine Rolle spielen, was nahezu alle Menschen in den Ländern der westlichen Wertehemisphäre betrifft.

Die Optimisten setzten dabei letztlich ebenso auf die Idee, dass es die Möglichkeit der Optimierung, Verbesserung und Anpassung immer weiter gehen und wir der Katastrophe immer um eine Nasenlänge voraus sein werden, wie die Pessimisten, die aufgrund anderer, aber genau so in die Zukunft ausgedehnter Faktoren, nur eben mit anderen Vorzeichen, denken, das Ende sei längst beschlossene Sache.

Man kann nicht alles beliebig verändern

Gegen den Optimisten spricht der Einwand, dass der Mensch zwar anpassungsfähig ist, aber nicht beliebig. Dem reinen Überleben steht ja der Wunsch nach Wohlstand gegenüber, wie wollen nicht einfach nur irgendwie durchkommen, sondern unser Ziel ist mehr Wohlstand, nach Möglichkeit für alle und eine hinreichend gute Lebensqualität, die nur zum Teil mit materiellem Wohlstand verbunden ist.

Denn nicht nur die Anzahl der Menschen hat sich in den letzten 200 Jahren dramatisch geändert, auch die Lebenserwartung, der Kalorienverbrauch, weil die Menschen größer und dicker geworden sind. Sie brauchen außerden auch Platz zum Leben, Arbeit und wenn sie unter grauenhaften Bedingungen in Slums hausen und Arbeiten nachgehen, die kaum zum Überleben reichen, so ist das nichts, was uns befriedigen kann.

Dazu brauchen wir Wasser, saubere Luft und Bedingungen in denen es sich überhaupt leben lässt, irgendwo ist da eine Grenze erreicht. Hinzu kommen wachsende Müllberge und größere Teil der Welt die unbewohnbar werden. Wenn es in einer Vielzahl von Ländern so heiß geworden ist, dass man dort unter normalen Umständen nicht mehr leben kann, dann ist es zwar theoretisch denkbar, dass dies durch Gewächshäuser und Klimaanlagen dennoch geht, aber diese verbrauchen Unmengen von Energie, was den Klimawandel aller Voraussicht nach weiter anfacht und natürlich wäre es super, wenn in der Idealversion der dann deutlich höhere Energieverbrauch durch regenerative Energien gedeckt würde, aber bei allem Optimismus muss die Frage erlaubt sein, ob diese Szenarien noch so realistisch sind, dass man guten Gewissens drauf bauen kann, dass es auch ziemlich wahrscheinlich so kommen wird.

Gerade die letzte Zeit hat uns aber eines Besseren belehrt. Schneller als man denkt, können sich tiefgreifende Veränderungen ergeben und ob man nach der Corona-Krise so ohne weiteres wieder auf Normalbetrieb umstellen kann und wird, ist doch eher zweifelhaft. Selbst wenn die Pandemie immer beherrschbarer wird, wird es noch Jahre lang neue Brandherde geben, die immer wieder aufflackern, die den Motor der Weltwirtschaft stocken lassen und auch sonst nichts mehr so unbeschwert werden lässt, wie vor Covid-19.

Die einen trauen sich nicht mehr zu Großveranstaltungen und was die anderen erleben, ist nicht mehr das, was es war. Wir werden den Umgang mit dem Virus, samt neuer Kenntnisse, wie wird demnächst, schneller, besser und routinierter reagieren können in den Alltag unserer Gesellschaft einbauen, aber unsere immer komplexeren und vernetzteren Systeme werden auch immer störanfälliger.

Dazu kommt, dass das was die einen als unerlässliche Notwendigkeit ansehen und was mitunter das Zentrum ihres Lebens ausmacht, von anderen ganz und gar nicht so gesehen wird. Eine Einheitsdenk- und -lebensweise ist nicht wünschenswert und der noch mehr durchoptimierte Menschen, der sich allen neuesten Bedürfnissen anpasst und sich mitunter sogar noch biologisch ‚optimiert‘ muss sich irgendwann ernsthaft die Frage gefallen lassen, ob und bis wohin er noch Mensch zu nennen ist.

Wenn sich das Menschsein so dramatisch verändert hat, dass es mit dem was wir heute Menschen nennen nichts mehr zu tun hat, dann ist der Mensch – das was der Begriff bezeichnet – ausgestorben, selbst wenn eine neue Menschheit weiter existiert. Wie gut oder schlecht das ist, darüber darf man streiten, sollte aber bei all dem nicht vergessen, dass unseren Anstrengungen einzig und allein uns gelten und sei es über Bande. Wer davon angefressen ist, wie wir mit Tieren umgehen, der hat immer auch einen ethisch motivierten Leidensdruck und den meisten wird klar sein, dass ‚die Natur‘ uns nicht braucht, aber anders herum ist das keinesfalls so.

Es gibt zwar die Ansicht dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, was die weise Ordnung der Natur stört, aber diese Position ist insofern hoch problematisch, weil wie vorgibt, mehr über die Spielregeln der Welt zu wissen, als sie tatsächlich weiß. Wir wissen einfach nicht, wo die Reise hingeht und was das alles soll. Wer behauptet er wisse, qua höherer Einsicht, dass der Mensch im Grunde nur stört, muss auch die Sicht zulassen, dass jemand, qua höherer Einsicht, meint, dass jeder Mensch genau an den richtigen, ihm göttlich, karmisch oder sonst wie vorherbestimmten Platz gestellt wurde.