Spaß und Freude

Aber da ist noch der andere Pol. Es ist gut, sich verschiedene oft und gerne verdrängte Aspekte bewusst zu machen und zu bearbeiten, man muss nur drauf achten, dass auch dies ausgeglichen wird. Neben der Bewusstheit, die gerne wachsen darf und bei der die meisten Menschen ein deutliches Defizit haben, ist der Aspekt von Loslassen, Spaß und Freude ein weiterer und anderer wichtiger Baustein. Letzten Endes ist das kein Widerspruch, weil all die Disziplinen, die uns die Achtsamkeit nahe bringen wollen (in aller Regel spirituelle Disziplinen) in letzter Konsequenz Freiheit und ein Loslassen im Sinn haben. Nur kann man das nicht mechanisch verordnen, von 9:30 bis 11:00 Uhr fröhlich zu sein und dann von 11:00 bis 12:00 Uhr achtsam, anschließend Mittagessen. Das klingt wie Schulunterricht oder Reha, aber darum geht es ja nicht, wenn überhaupt, dann nur am Anfang. Mehr und mehr gilt es selbst die Regie zu übernehmen und die einzelnen Elemente ineinander fließen zu lassen, so wie es einem selbst gut tut. Wo im eigenen Leben ein fester Raum für Freude und Achtsamkeit entsteht, wird man sehr bald merken, wie die verschiedenen Bereiche ineinander greifen. Aber es ist schön, wenn beispielsweise von Beginn an bewusst wird, dass Bewegung gut ist und es besser ist, wenn man sie bewusst und achtsam ausführt und noch besser, wenn das Ganze auch noch richtig Spaß macht. Das Leben darf auch Freude machen, ab und zu muss man daran mal wieder erinnern.

Und auch hier kann man die Zeit zur Reflexion nutzen und sich fragen, welchen Stellenwert Begeisterung und Freude in den letzten Jahre im Leben eigentlich hatten.

Berührung

Ein nächster Punkt ist die Berührung. Menschen zu berühren und sich berühren zu lassen gibt in beiden Fällen etwas und zwar bereits die körperliche Berührung als solche. Das kann und wird im Fall von Schmerzen oft der Physiotherapeut oder Masseur sein, aber auch andere Arten der Berührung sind heilsam, nicht nur, wenn man als Mensch mit chronischen Schmerzen berührt wird, sondern auch berühren kann, etwa, wenn man ein Tier streichelt. Ein Effekt den Kinder noch erleben, wenn sie sich weh tun und die Mutter die betreffende Stelle streichelt und pustet. Es deutet vieles darauf hin, dass es für das Streicheln einen eigenen Sinn gibt, das heißt eine Region im Hirn, die es anatomisch verarbeitet.[2] Gerade mit Schmerzen geht oft ein Rückzug von Aktivitäten einher, bei denen es zu Berührungen kommt, sei es zärtliche Nähe, Sexualität, Tanz oder gemeinsamer Sport und man gerät so in eine biopsychosoziale Abwärtsspirale, die aber genau so in eine Aufwärtsspirale verwandelt werden kann.

Geführte Meditationen

Ein letzter Baustein, den ich hier vorstellen möchte, ist die geführte Meditation. Das sind geführte Bilderreisen in innere Welten, in denen der Rahmen vorgegeben ist, die aber dennoch genügend Raum für eigene Impulse lassen. Sie sind wunderbar, um den Weg nach Innen zu üben und vereinen mehrere positive Effekte. Sie sind entspannend, man lernt sich selbst kennen, trainiert imaginative Fähigkeiten, kann innere Weichen stellen und Entscheidungen treffen. Und sie als bewusstes Ritual ins eigene Leben einbauen. Man kann sie live oder über diverse Abspielmöglichkeiten genießen und die besten vereinen in sich viele Elemente aus anderen Bereichen, die psychologisch effektiv sind, wie das Kohärenztraining oder EMDR.

Die spezifischen Verfahren der Weltbild-Methode

Auch die unspezifischen Verfahren der Weltbild-Methode müssen natürlich individuell auf den einzelnen Menschen abgestimmt werden, aber es sind solche, von denen relativ sicher jeder profitiert, jeweils im unterschiedlich starken Ausmaß. Der wesentliche Unterschied zu den spezifischen Verfahren ist, dass diese in der Weise auf den Einzelnen zugeschnitten sind, dass er weit mehr als ein Lieferant „technischer Daten“ ist, sondern wirklich ein Partner, der von sich erzählen kann, von dem, was er denkt, fühlt und auch zu seinen Schmerzen empfindet. Deshalb ist der erste Punkt so banal, wie wichtig:

Zuhören

Eine besonders eindrucksvolle Stelle in Harro Albrechts Buch Schmerz: Eine Befreiungsgeschichte war für mich die Beschreibung, in der eine chronische Schmerzpatientin in Tränen ausbrach. Nicht weil sie Schmerzen hatte, sondern, weil ihr, nachdem sie eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich hatte, die jeweils nur ihre Krankenakte studierten und die Mittel etwas veränderten, sich einer der Therapeuten, ein Osteopath, Zeit nahm und sie fragte, wie es ihr geht. Das kannte sie bisher überhaupt nicht.[3]

Inzwischen kennt man die Bedeutung des Zuhörens und fragt in fortschrittlichen Einrichtungen, wie etwa dem DRK Schmerzzentrum in Mainz, nicht nur nach aktuellen Schmerzen und bisherigen Medikamenten, sondern ungleich mehr. Nach Beruf, Lebensstil, psychischen und sozialen Hintergründen, der Art der Arbeit, die man macht und sogar die Rolle der Weltbilder und Erwartungen wird in Ansätzen beachtet. Der Patient wird hier einem mehrstündigen Aufnahmegespräch, durch Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen unterzogen.[4]

Fehler der alten Sichtweise vermeiden

Man muss sich davor hüten, ins alte Fahrwasser zu kommen und die subjektive Seite des Menschen mit chronischen Schmerzen wieder zu verobjektivieren und wegzuerklären. Der Patient müsse sich eben etwas entlasten, Stress abbauen, sich mal die Seele frei reden und dann könne man mit der eigentlichen Therapie beginnen. Nein, das echte Zuhören ist zwar auf jeden Fall entlastend, aber es sollte keine einmalige Aktion sein, sondern nach Möglichkeit dauerhaft. Es gilt ja, den Leidenden ins Boot zu holen, ihn nicht zum Zuschauer in eigener Sache zu machen, sondern wirklich zu integrieren. Er kennt sich ja selbst am besten.

Es gilt zu fragen, was bisher gegen die chronischen Schmerzen versucht wurde und mit welchem Erfolg. Was nach Meinung des Gegenübers der Grund dafür war, dass etwas geholfen oder nicht geholfen hat. Das beliebteste Mittel bei Schmerzen ist Ablenkung, aber auch das ist individuell verschieden. Was tut unser Gegenüber bei schlimmen Schmerzen? Was sind seine Erfahrungen und Vorschläge in eigener Sache?

Man sollte beständig im Dialog zu bleiben, über die Schmerzen, aber auch nicht nur über sie. Es gibt dazu lehrreiche Analogien aus anderen Bereichen. Wenn ein Thema oder Bereich des Lebens bei einem Menschen besonders dominant ist, ist es bei manchen Menschen zur Gewohnheit geworden, ausschließlich über diese Themen mit anderen zu reden. Das können Schmerzen sein, aber auch Themen wie Gewicht oder Essen, diverse Körpersensationen, die man aus der Ferne vielleicht eher als Unpässlichkeiten bezeichnen würde, unter denen die Betroffenen aber extrem leiden, wie bei der Hypochondrie.

Bei der oben kurz erwähnten Patientin hatte die Frage des Osteopathen, wie es ihr geht eine öffnende Wirkung, sie begann zu weinen. Offensichtlich war sie noch in der Lage, mit dieser Frage etwas anzufangen. Wenn Menschen ihre Vorstellungen, Stimmungen und Bedürfnisse nur noch über den Umweg ihrer Körperempfindungen darstellen können, ist bereits einiges schief gelaufen und eskalisert. „Also meinem Magen geht es heute besser, aber da ist so ein Knacken in der Schulter und so ein Kribbelgefühl im Unterbauch.“ ist keine gute Antwort auf die Frage, wie es einem geht.

Menschen mit chronischen Schmerzen haben oft deutlich mehr als nur „Zipperlein“, aber dennoch ist es auch bei ihnen wichtig, den Fokus der Aufmerksamkeit über die Schmerzen hinaus zu erweitern, damit man den ganzen Menschen kennen lernt und eben nicht einen Schmerzpatienten und damit auch der „Schmerzpatient“ merkt, dass er mehr ist, nämlich ein ganzer Mensch. Nicht nur damals einer war, sondern auch heute einer ist. Es geht darum, einen Zugang zu einem möglichst breiten Spektrum realistischer Empfindungen zu gewinnen und Körperempfindungen wieder in direkte Empfindungen von Emotionen zu übersetzen.