Gesund leben, bedeutet für Felix Rahde* vor allem eins: Selbstbestimmung und Rücksichtnahme. – Einen Tag lang haben wir den dreiunddreißigjährigen Verwaltungsfachwirt begleitet und ihm bei der Verwirklichung seiner Ideale im Leben zugesehen.
„Hungern“, um gesund zu leben
Bevor Felix Rahde am Morgen zur Arbeit fährt, hält er mit dem Rad auf dem städtischen Markt bei einem befreundeten Kleinbauern an, um seine Lunchbox, bestehend aus Gemüse, Obst, gebratenem Fleisch und Ziegenkäse, abzuholen. Auf unsere Bemerkung, dass das, um es jeden Tag zu tun, doch recht teuer sei, antwortet Rahde verschmitzt, dass sich dies über die Menge ausgleiche. Früher habe er insgesamt mehr gegessen, so Rahde, heute jedoch verfällt er nicht gleich in Panik, sobald er ein Hungergefühl verspüre. „Haben Sie mal einen hundertjährigen Übergewichtigen gesehen?“, fragt Rahde uns und lacht. Vor seiner Ausbildung habe er eine Zeit lang im Kaukasus gelebt. Viele Ältere dort seien arbeitsam und schlank.
„Die Herausforderung der heutigen Zeit“, plaudert Rahde an seinem Rad stehend weiter, „ist, dem Überfluss zu widerstehen. Haben wir Hunger, wartet an der nächsten Ecke ein Donut auf uns. Dabei ist der Körper nicht dafür ausgelegt, riesige Mengen an Nahrung zu verarbeiten. Weniger Mahlzeiten, leichter Hunger tun ihm wohl.“
Gesund leben: Viel Gemüse, wenig Tier
Nach der Arbeit würde seine Frau mit dem Kind vorbeikommen, um die wöchentliche Lebensmittelkiste einzukaufen, ruft Rahde dem Bauern beim Losfahren zu. Der Bauer nickt und winkt zum Abschied.
Während der gemeinsamen Radfahrt spricht Rahde weiter über sein Verständnis davon, gesund zu leben.
Er esse viel weniger Fleisch und Milchprodukte als früher. Seine Frau sei ganz vom Fleisch abgekommen. Auch Weißmehl und Zucker versuchen sie zu vermeiden. „Bleibt nicht mehr viel übrig, stimmts?“, sagt Rahde und hat dabei wieder dieses lausbubenhafte Grinsen auf den Lippen. Als wir bejahen, führt er aus: „Anfangs bin ich die Wände hochgegangen vor schlechter Laune, ich bin um den Kühlschrank herumgeschlichen auf der Suche nach Brot und Wurst. Ich kam mir vor wie ein Junkie.“
Rahde schüttelt lachend den Kopf. Irgendwann habe sich dann der Körper umgestellt. Heute essen sie auch viel Nüsse und Maisbrot und sie haben sich für den Selbstanbau einen Kleingarten zugelegt. Richtig extrem seien sie aber nicht, lenkt Rahde ein. Samstags darf sich jeder etwas zum Naschen aussuchen und hin und wieder gäbe es auch Burger und Pommes.
Die Arbeit: weniger Geld, aber mehr Zeit
Eine Dreiviertelstunde später treffen wir in Rahdes Büro ein. Er stellt die Tasche auf den Stuhl, die Lunchbox in den Kühler und sich an seinen Schreibtisch. Auf die Nachfrage, ob denn ein Stehschreibtisch nach dem langen Anfahrtsweg nicht zu viel Zumutung wäre, lacht Rahde und sagt: „Der Mensch ist ein ‚Ermüdungsjäger‚. Das heißt, er jagt seine Beute, die im Ursprung meistens schneller ist als er, so lange bis diese erschöpft ist. Der menschliche Körper hat auf lange Strecken oftmals die besseren Karten.“
Das ideale Leben bestünde für ihn, so Rahde, auch in ausreichender Möglichkeit zur Bewegung. Klar bräuchte er auf die Art länger zur Arbeit, obwohl er an den Autostaus mit seinem Rad vorbeifahre! (Rahde greift in eine Tüte Cashewkerne.) Um gesund zu leben, habe er jedoch lieber weniger Arbeitsstunden und ein paar Euro weniger in der Tasche, dafür aber Entschleunigung, Bewegungsfreude und Zeit.
Die „Generation Y“ lässt grüßen, denken wir und lassen Rahde an seinem Stehschreibtisch zurück. Einige seiner Kollegen haben es ihm schon gleichgetan. Und es hat etwas von der Buchhalter-Atmosphäre des neunzehnten Jahrhunderts, wie die Herren an ihren Schreibtischen stehen.
Gesund leben, bedeute für ihn auch Familie und Freunde, ruft Rahde uns hinterher – aber dazu in der Mittagspause mehr.
*Name von der Redaktion geändert