Beziehungen sind wichtig

Die Einbeziehung des Partners kann eminent wichtig sein. © Gareth Williams under cc
Wir sind Beziehungswesen. Das Verhältnis von Schmerzen und Beziehungen ist vielschichtig. Schmerzen können einen Ruf nach Zuwendung darstellen, aber manchmal auch einen nach Abgrenzung. Manchmal hilft es enorm, wenn der Partner mit eingebunden wird, manchmal schadet es eher. Manche entspannen in Anwesenheit des Partners, andere verkrampfen. Das hängt wesentlich mit der Art und Weise zusammen, wie man seinen Partner erlebt. Als Kritiker, jemanden mit turmhohen Erwartungen oder als jemand, der mit einem im Zweifel durch dick und dünn geht? Auch das ist eine komplexe Situation, weil der Partner nicht zwingend so sein muss, wie er empfunden wird und sich hier verschiedenste Formen psychodynamischer Prozesse überlagern. Projektionen und sehr oft tief eingegrabene Kerben aus der Vergangenheit, inklusive Vorstellungen und Ängste darüber, wie Männer oder Frauen wirklich sind. Das ist zwar sehr vielschichtig, aber gleichzeitig ein wunderbarer Toröffner zu dem, worum es hier geht. Nämlich, schrittweise zu erfahren, wie jemand denkt, empfindet, welche Phantasien er über die Welt und über Beziehungen hat. Und auch hier fließen konventionelle Antworten und stille Erwartungen, Befürchtungen und unbewusste Ängste ineinander.
Wenn man sich und seine Schmerzen jemandem anvertraut, entsteht ebenfalls eine Beziehung. Eine, in der diese Muster oftmals abgebildet und wiederholt werden. Idealerweise nimmt der Mensch mit chronischen Schmerzen aus der Begegnung mit, dass und wie er sich später selbst helfen kann, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Aber der Idealzustand ist eher die Ausnahme. Nicht jeder Mensch ist diese Begegnung auf Augenhöhe gewöhnt. Wer aus einer Familie stammt, in der die Beziehung der Eltern sehr asymmetrisch ist und sich darüber hinaus einen Partner sucht, der sehr dominant ist, der kann mit einer Beziehung auf Augenhöhe kaum etwas anfangen, er ist es nicht gewohnt und kann auch nicht mal eben so umschalten. Wer gar nicht selbst aktiv und unabhängig werden will, oder seine Schmerzen nutzt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, wird gar kein großes Interesse an der Eigenregie haben. All das muss man bedenken und gegebenenfalls ansprechen.
Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass Beziehungen idealerweise symmetrisch sein sollten, ist es ethisch geboten, auch Menschen helfen zu können, die diese Form nicht kennen und nicht leben. Das muss man mit berücksichtigen und prüfen, ob jemand eventuell von der Begegnung und der klaren Ansage eines autoritären Arztes oder Therapeuten mehr profitiert, als von der symmetrischen Begegnung mit einem einfühlsamen Arzt. Gerade auch deshalb ist es wichtig, zu klären, wie die Vorstellungen des Menschen über die Welt und was die Lebewesen in ihr antreibt, sind.
Wofür tue ich etwas?
Es gibt Momente, die einem die Augen öffnen. Einer dieser Momente war bei mir, als ich eine private Begegnung zwischen einem Orthopäden und einer Frau mit Rückenschmerzen miterlebte. Die gebildete Frau litt unter Abnutzungserscheinungen der Wirbel und konnte ihren Wunsch klar ausdrücken. Es wäre schön, wenn es eine Maschine gäbe, die ihr die Rückenwirbel auseinander ziehen würden. In ihrer Vorstellung war das etwas zum Aushängen, wie eine Klimmzugstange oder Art „Streckbank“ und sie fragte, ob so etwas gäbe. Für den Arzt war die Sache klar, die Muskulatur war das, wonach sie suchte, allerdings begegneten sich die beiden nicht, weil der Frau die Rolle der Muskulatur gar nicht klar war und dem Arzt so geläufig, dass er gar nicht auf die Idee kam, man könne das nicht wissen. Vielfach gehen die Vorstellungen von unserer Muskulatur in die Richtung, dass diese eine Art Panzer darstellt und unflexibel macht. Neben der Tatsache, dass auch Wissen ein wichtiger Punkt ist, geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem die Wünsche, die ein Mensch mit chronischen Schmerzen hat, geäußert werden können. Wenn man sagen kann, dass man genau das Passende für jemanden hat, nämlich in diesem Fall die eigene Muskulatur, ist die Lust am Training ungleich größer, als wenn man es nur dröge verordnet.
Es ist aber nicht allein das Wissen, was motiviert. Wir kennen es von all den Versuchen, jemandem klar zu machen, dass ein Verhalten oder eine Gewohnheit schädlich ist, in den seltensten Fällen liegt dort tatsächlich ein Mangel an Wissen vor, oft gibt es einfach nichts, was hinreichend motiviert, um von einer lieb gewonnen oder manchmal zur Sucht gewordenen Gewohnheit zu lassen. Noch die besten Argumente verpuffen in den meisten Fällen und wenn jemand sein Verhalten nachhaltig ändert, dann oft aufgrund von vermeintlichen Kleinigkeiten, die für ihn aber irgendwie emotional bedeutsam sind. Wenn man genau weiß, wofür man etwas tut und davon auch noch überzeugt ist, ist die Motivation eine ganz andere, als wenn man von einem Termin eines Pflichtprogramms zum nächsten hechelt. Dann hat man den Eindruck, nicht mal Ruhe zu haben, wenn man krank ist. Ein Reha-Programm von heute hat mit einer Kur von früher nicht mehr viel gemeinsam. Dicht gestaffelte Termine, die man einhalten muss, will man keinen Ärger mit der Krankenkasse bekommen. Alles sehr effektiv und nachvollziehbar, aber es fehlt der Raum, um mal eine Zeit lang ganz auszusteigen. Wie viel Raum gibt man diesen Phantasien im eigenen Leben und wie weit ist man in der Lage, sie umzusetzen?
Wenn man den Nutzen, den etwas hat, nicht bestreitet, sich aber dennoch nicht danach richtet, dann kann Willensschwäche ein Grund dafür sein, oft ist es aber so, dass man einfach andere Schwerpunkte im Leben setzt. Man sollte wenigstens über die Möglichkeit nachdenken, dass Menschen mit chronischen Schmerzen oder auch depressive Menschen nicht nur nicht mehr können, aber so gerne würden, sondern einfach auch nicht wollen. In einer Gesellschaft, die sich zu einem nicht unbeträchtlichen Maße über Leistung und Effizienz definiert gilt das natürlich als Makel. Das ist immer im Einzelfall zu prüfen, einige wünschen sich nichts sehnlicher als wieder an der Normalität teilnehmen zu können und gewiss gibt es etliche Mischformen der Art: Wenn ich wieder könnte, würde ich ungefähr so weiter machen, aber manches würde ich doch ändern.
Es können etliche Gründe eine Rolle spielen, warum jemand etwas nicht tut, obwohl er oder sie im Grunde davon überzeugt ist. Faulheit oder Willensschwäche mögen Gründe sein, oft kommt auch Scham dazu. Scham über vermeintlich banale Dinge, dass man vielleicht bei Bewegungen keine gute Figur macht, aber auch, dass man sich von einem Weltbild verabschieden müsste. Da bricht dann manchmal ein ganzes Gedankengebäude zusammen und das kann durchaus der größere Schmerz sein, so dass man lieber beim gewohnten bleibt. Auch das muss man ansprechen und gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen.
Ressourcen, Kompetenzen und Resilienzen
In der psychosomatischen Arbeit in Krankenhäusern oder der Traumatherapie hat es sich bewährt, den Fokus auf Ressourcen, Kompetenzen und Resilienzen des Patienten zu legen. Das ist weitaus mehr als gutes Zureden, auch wenn aufmunternde Stimmen sicher helfen können. Hier geht es aber um eine Reflexion, ein gemeinsames Erarbeiten von Stärken, von schon Erreichtem, neben einer realistischen Einschätzung der Situation. Wenn man herausfindet, dass Bewegung gut wäre, aber man es dennoch nicht tut, kann man sich die Frage stellen: Warum bewege ich mich eigentlich nicht? Und: Welche Bewegung würde mir Spaß machen? Allein, in der Gruppe, mit dem Partner, mit Musik oder ohne, drinnen oder draußen, schnell und intensiv oder langsam und mit Gefühl?
Jeder von uns hat schon Krisen und schwierige Situationen überwunden. Wie hat man das eigentlich geschafft, worauf hat man vertraut, wo liegen die eigenen Stärken? Hier geht es nicht nur um Stärkung und Unterstützung, sondern auch darum, dass der andere wirklich überzeugt wird, dass er Aufgaben bewältigen kann, weil er es schon mehrfach getan hat. Der Blick in die Vergangenheit ist da ein gutes Hilfsmittel, um zu schauen, wie man es denn bisher hinbekommen hat und dabei bemerkt man oft auch, wenn destruktive oder entwertende Muster aktiv sind: „Ja, das habe ich hingekriegt, aber das war ja auch leicht und da ist ja nichts dabei.“ Für andere mitunter sehr viel. Der eine hat hier seine Stärken und Schwächen, der andere dort, aber wir alle habe welche.
Der Blick in die Zukunft ist nicht weniger wichtig, konkret und wirksam, auch wenn man sie natürlich noch nicht erlebt hat. Doch manches kann man geistig vorwegnehmen und ein riesiger Teil des Lebens spielt sich ja in einem Möglichkeitsraum ab. Nicht das, was ist, ist allein entscheidend, auch das, von dem man sich begründet vorstellen kann, dass es so sein könnte. Dem widmen wir uns jetzt.